Die Beteiligten streiten über die Aufnahme von Produkten in das Hilfsmittelverzeichnis.
Die Klägerin produziert und vertreibt das Vakuumstützsystem VACOPED und VACOachill (letzteres zur Behandlung von Achillessehnenrupturen). Es handelt sich um ein Stützsystem zur postoperativen und konservativen Behandlung von Frakturen und Bandläsionen der unteren Extremität im Bereich des Vorfußes, des Sprunggelenks und des distalen Unterschenkels. Es besteht aus zwei Hartschalen (dorsal/ventral), die durch ein Vakuumkissen ausgefüllt sind, das über ein Ventil mit einer Pumpe zur kompressionsfreien Anpassung an die Fußform abgesaugt wird. Die Schalen werden mit Gurtbändern verschlossen, ferner verfügt das System über eine abnehmbare Sohle. Mit vorder- und rückseitigen Adaptern lässt sich das Sprunggelenk in verschiedenen Winkelstellungen fixieren. Ferner kann die Schiene mit einem Bewegungsausmaß zwischen 80Grad und 100Grad im oberen Sprunggelenk bewegt werden, so dass begrenzte Dorsalflexionen und -extensionen möglich sind. Das Vakuumstützsystem befindet sich seit etwa 1994 auf dem Markt.
Die Klägerin hatte sich schon frühzeitig um eine Abrechnungsmöglichkeit des Systems bemüht. Mit Schreiben vom 13.01.1997 hatte ihr der Beklagte zu 1), der federführend für die Spitzenverbände das Verfahren zur Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis betreibt, mitgeteilt, die Spitzenverbände erstellten zur Zeit erst die Produktgruppen "Schienen" und "Orthesen". Insoweit seien noch keine Qualitätsstandards festgelegt, so dass die Kassen im Einzelfall autonom über die Verwendung des Stützsystems zu entscheiden hätten. Mit Schreiben vom 10.03.1997 beantragte die Klägerin die Aufnahme in das
Hilfsmittelverzeichnis, Produktgruppe 23 (Orthesen). Beigefügt war u.a. eine gutachterliche Stellungnahme von
Prof. Dr. H ( Chirurgische Abteilung des Bundeswehrkrankenhauses V) vom 27.02.1997, in dem ausgeführt wird, nach eigener dreijähriger Erfahrung mit dem System und aus vorgelegten Berichten gehe eindeutig hervor, dass das VACOPED-System in medizinischer Hinsicht bei den abzudeckenden Indikationen Alternativmethoden überlegen sei. Es handele sich um eine zeitgemäße, wirtschaftliche und sichere Versorgung von Knochen- und Weichteilschäden nach den modernen funktionellen Prinzipien der Rehabilitation.
Die Beklagten holten eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Spitzenverbände (
MDS) ein.
Dr. L führte in seiner Stellungnahme vom 02.05.1997 aus, Studien, die einen therapeutischen Nutzen des VACOPED-Systems statistisch einwandfrei belegten, lägen bisher nicht vor. Ferner meinte er, aus vielen Berichten gehe hervor, dass VACOPED im Wesentlichen als Gipsersatz diene, so dass es unter medizinischen Gesichtspunkten eher einem Verbandsmittel zuzuordnen sei. Die Beklagten schlossen sich anlässlich einer Besprechung am 06.05.1997 dieser Einschätzung des
MDS-Gutachtens an.
Mit Schreiben vom 30.06.1997 teilte der Beklagte zu 1) der Klägerin mit, dass es sich bei dem VACOPED-System nach Auffassung der Spitzenverbände nicht um ein Hilfsmittel im Sinne des § 33 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) handele und daher eine Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis nicht erfolgen könne. Auf das Schreiben der Klägerin v om 14.11.1997, mit dem sie um Mitteilung bat, ob das Schreiben vom 30.06.1997 als rechtsmittelfähiger Bescheid zu verstehen sei, und mit dem sie die Beklagte hilfsweise zur Erteilung eines solchen Bescheides aufforderte, wies der Beklagte zu 1) im Antwortschreiben vom 09.12.1997 darauf hin, dass ein rechtsmittelfähiger Bescheid nicht ergehen könne, da das Hilfsmittelverzeichnis nur deklaratorischen Charakter habe. Mit dem Schreiben vom 30.06.1997 sei lediglich zur Information die Auffassung der Spitzenverbände mitgeteilt worden.
Die Klägerin hat am 18.12.1997 beim Sozialgericht München Untätigkeitsklage erhoben, die zunächst nur gegen den Beklagten zu 1) gerichtet war. Mit Schriftsatz vom 20.04.1997 hat sie dann die Klage auf alle Spitzenverbände erweitert. Mit Beschluss vom 01.12.1998 hat das Sozialgericht München den Rechtsstreit an das Sozialgericht Köln verwiesen.
Zur Begründung der Klage hat die Klägerin geltend gemacht, die vorliegenden Studien belegten die Funktionstauglichkeit und den therapeutischen Nutzen des VACOPED-Systems. Ferner hat sie darauf hingewiesen, dass in das Hilfsmittelverzeichnis Stabilisationsschuhe aufgenommen worden seien, die die gleiche Funktion hätten wie ihre Systeme. Von daher sei die Ablehnung der Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis unverständlich.
Die Beklagten haben demgegenüber - gestützt auf ein weiteres Gutachten von
Dr. L vom 17.06.1999 - eingewandt, es fehle bislang an einem wissenschaftlichen Nachweis des therapeutischen Nutzens des VACOPED-Systems. Aufgrund der fehlenden Beweise von zusätzlichen positiven Eigenschaften neben der Stützfunktion müsse das VACOPED-System zur Zeit noch als Gipsersatz angesehen werden. Zur Aufnahme der Stabilisationsschuhe in das Hilfsmittelverzeichnis haben sie dargelegt, dass es bei diesen Produkten im Wesentlichen um den Aspekt der Schuhbekleidung gehe. Zwar sei richtig, dass die Schuhe bei der
Indikation Achillessehnenschädigung verwendet würden. Insoweit handele es sich aber um völlig unterschiedliche Therapiekonzepte, da das VACOPED-System bereits in der Akutversorgung als Gipsersatz eingesetzt werde, während Stabilisationsschuhe erst postoperativ nach erfolgter Gipsbehandlung zum Einsatz kämen. Im Übrigen sei zu beachten, dass bei der Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis die Qualitätsstandards derjenigen Produktgruppe zugrunde gelegt würden, der das angemeldete Produkt nach seiner Funktionsweise zuzuordnen sei. Vom Funktionsprinzip her sei das VACOPED-System in die Produktgruppe 30 "Schienen" einzuordnen. Da die Anforderungen für diese Produktgruppe erst erarbeitet würden, sei erst nach Fertigstellung die Prüfung des Antrags der Klägerin möglich.
Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines mündlichen Gutachtens von dem Arzt für Chirurgie und Unfallchirurgie
Dr. E (Oberarzt der Chirurgischen Klinik des Universitätsklinikums E). Wegen des Inhalts seiner Aussage wird auf die Sitzungsniederschrift vom 10.04.2000 Bezug genommen.
Mit Urteil vom 24.09.2001 hat das Sozialgericht die Beklagten verurteilt, das VACOPED-System in das Hilfsmittelverzeichnis aufzunehmen.
Mit Ausnahme des Beklagten zu 4) haben alle Beklagten Berufung fristgerecht eingelegt. Zur Begründung tragen sie vor, das Sozialgericht habe es versäumt aufzuklären, ob es sich bei dem VACOPED-System tatsächlich um ein Hilfsmittel oder nicht um Verbandmaterial handele. Tatsächlich werde das System in der Praxis als Gipsersatz eingesetzt. Unabhängig davon sei der therapeutische Nutzen des Systems nicht nachgewiesen, die insoweit vorliegenden Studien seien unzureichend.
Die Beklagten beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 24.09.2001 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie tritt der Auffassung der Beklagten entgegen, dass es sich bei dem VACOPED-System um ein Verbandsmittel handele. Zwar werde das System anfänglich auch als Gipsersatz verwendet, tatsächlich handele es sich aber um eine Orthese. Seit der Markteinführung sei das System
ca. 50.000 mal verordnet worden, zur Zeit erfolgten in der Bundesrepublik und in der Schweiz jährlich etwa 9000 Verordnungen. Ca. 90 % der Kassen trügen die Kosten des Einsatzes, zum Teil bestünden Verträge mit Krankenkassen über die Abrechnung. Der therapeutische Nutzen sei entgegen der Auffassung der Beklagten durch die vorliegenden Studien
bzw. den Einsatz in der Praxis belegt. Mit Schreiben vom 01.09.2005 hat die Klägerin ihren Aufnahmeantrag für das VACOPED-System auf die Indikationen "schwere Bandverletzung im Bereich des oberen Sprunggelenks" und "Frakturen am Fuß und Sprunggelenk (außer Zehenverletzung)" sowie für das VACOachill auf die Indikation "Achillessehnenruptur" begrenzt.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens von
Dr. Q (damals Oberarzt der Klinik für Unfallchirurgie des Universitätsklinikums C, jetzt Leitender Arzt der Endoprothetik am X-Krankenhaus C). Im Gutachten vom 25.06.2004 führt er aus, das VACOPED-System werde in der Klinik seit drei Jahren sowohl bei der stationären als auch der ambulanten Behandlung angewandt. In der Initialphase werde das System durchaus als Gipsverband angelegt, jedoch im weiteren Verlauf sehr schnell als funktionelle Orthese umgebaut. Die funktionelle Komponente unterscheide das System vom Gips. Die unidirektional geführte Bewegungsmöglichkeit sei ein Grundpfeiler der funktionellen Nachbehandlung, wie sie heute von der modernen Unfallchirurgie zur Vermeidung der Gipskrankheit und zur Verminderung der Thromboseentstehung gefordert werde. In der dreijährigen Anwendungsphase in der Klinik seien keine nennenswerten Probleme aufgetreten, das System habe sich in der Klinik als sehr flexibel einsetzbar, zuverlässig und einfach anwendbar erwiesen. Die zum VACOPED-System vorliegenden Studien seien sicher nicht optimal, wobei allerdings die Untersuchungsbefunde einer Studie eindeutig für den Einsatz des VACOPED-Systems sprächen. Im Übrigen seien viele Bereiche der Medizin auf Expertenmeinungen zurückzuführen und nicht evidenzbasiert. Auch für die Behandlung mit einem Gipsverband gebe es keine aussagekräftigen Studien. Ferner hat der
Sachverständige sein Gutachten in der Sitzung des Senats am 09.06.2005 erläutert. Wegen der Einzelheiten wird auf das Gutachten sowie die Sitzungsniederschrift vom 09.06.2005 Bezug genommen.
Die Beklagten sind dem Gutachten mit einem weiteren Gutachten von
Dr. L vom 11.08.2004 entgegengetreten. Er macht geltend, dass die vom Sachverständigen als positiv bewertete Studie mit Planungs- und Durchführungsmängeln behaftet sei, ferner sprächen entgegen der Auffassung des Sachverständigen die Untersuchungsbefunde nicht für den Einsatz des VACOPED-Systems. Da die VACOPED-Produkte weder ihre Gleichwertigkeit noch Überlegenheit gegenüber konventionellen Stützverbänden nachgewiesen hätten, könne von einer Notwendigkeit des Einsatzes als Hilfsmittel nicht gesprochen werden. Ferner sei die
Wirtschaftlichkeit in Frage zu stellen, da sowohl im stationären wie im ambulanten Bereich allein die Leistungserbringer wirtschaftliche Vorteile aus der Anwendung des Systems erlangten.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte des Beklagten zu 1) verwiesen, der Gegenstand der Entscheidung gewesen ist.
I. Die zulässige Berufung ist nicht begründet, das Sozialgericht hat im Ergebnis zu Recht der Klage stattgegeben. Da der Tenor des erstinstanzlichen Urteils zu unbestimmt war und die Klägerin ihren Antrag auf Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis im Schriftsatz vom 01.09.2005 auf drei Indikationen beschränkt hat, hat der Senat zur Klarstellung den Tenor neu gefasst. Die Klage ist zulässig. Die Klägerin hat zunächst Untätigkeitsklage (§ 88
Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG)) erhoben und dann in der mündlichen Verhandlung des Sozialgerichts die Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis beantragt. In diesem Übergang von der Untätigkeitsklage zur Verpflichtungsklage ist eine Klageänderung
i.S.d. § 99
Abs. 1
SGG zu sehen. Die Klageänderung ist unabhängig davon, dass der allein in der mündlichen Verhandlung anwesende Beklagte zu 1) der Änderung nicht widersprochen hat, schon deshalb zulässig, weil das Sozialgericht über die geänderte Klage entschieden und damit stillschweigend die Sachdienlichkeit der Klageänderung bejaht hat (Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 8. Aufl., § 99 Rdn. 11).
Auch die Prozessvoraussetzungen für die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage liegen vor. Entgegen der Annahme des Sozialgerichts ist das Schreiben vom 30.06.1997 als Verwaltungsakt
i.S.d. § 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB X) zu qualifizieren. Der Beklagte zu 1) hat zwar das Schreiben nur als Information bezeichnet. Dem lag aber zum einen die ( unzutreffende) Annahme zugrunde, dass über die Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis nicht durch einen Verwaltungsakt zu entscheiden sei (s. insoweit
BSG SozR 3-2500 § 139
Nr. 1
S. 4; jetzt § 139
Abs. 2 Satz 5
SGB V idF des GMG), zum andern richtet sich die Qualifizierung als Verwaltungsakt nicht danach, von welcher Vorstellung die Behörde ausgegangen ist.
Maßgebend ist vielmehr, wie der Empfänger bei verständiger Würdigung aller Umstände die Erklärung verstehen musste (von Wulffen/Engelmann,
SGB X, 5. Aufl., § 31 Rdn. 26
m.w.N.). In dem Schreiben wird ausgeführt, dass es sich bei dem VACOPED- System nicht um ein Hilfsmittel
i.S.d. § 33
Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) handele und daher die Aufnahme ins Hilfsmittelverzeichnis nicht erfolgen könne. Aus der Sicht der Klägerin ergab sich somit aus dem Schreiben eindeutig, dass ihrem Antrag auf Aufnahme des VACOPED-Systems in das Hilfsmittelverzeichnis nicht entsprochen werde. Diese Entscheidung hat der Beklagte zu 1) auch nicht allein getroffen. Vielmehr hat er das Ergebnis der Besprechung der Spitzenverbände vom 06.05. 1997 mitgeteilt, die auf der Grundlage der Stellungnahme von
Dr. L (
MDS) vom 02. 05.1997 zu dieser Einschätzung gelangt waren. Dass der Beklagte zu 1) nicht ausdrücklich auch im Namen der übrigen Beklagten gehandelt hat, ist unschädlich: Da nach § 139
Abs. 2
SGB V die Spitzenverbände über die Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis gemeinsam und einheitlich (§
213
Abs. 2
SGB V) zu entscheiden haben, stellte sich die Ablehnung aus Sicht der Klägerin als Entscheidung aller Beklagten dar. Dementsprechend haben die Beklagten auch im Berufungsverfahren nicht mehr in Frage gestellt, dass die Klagevoraussetzungen vorliegen.
Es ist auch unschädlich, dass entgegen § 78
Abs. 1
SGG kein Widerspruchsverfahren stattgefunden hat. Da ein Widerspruchsbescheid von den Beklagten selbst zu erteilen wäre, genügt ihr im Verfahren gestellter Klageabweisungsantrag (
BSG a.a.O.
S. 5).
II. Die Klägerin hat Anspruch auf Aufnahme des VACOPED (für die Indikationen "schwere Bandverletzung im Bereich des oberen Sprunggelenkes" und "Frakturen am Fuß und Sprunggelenk (außer Zehenverletzung)" sowie VACOachill (für die Indikation "Achillessehnenruptur") in das Hilfsmittelverzeichnis.
Nach § 139
Abs. 2
SGB V ist Voraussetzung für die Aufnahme neuer Hilfsmittel in das von den Beklagten nach § 128
SGB V zu erstellende Hilfsmittelverzeichnis, dass der Hersteller des Hilfsmittels dessen Funktionstauglichkeit und therapeutischen Nutzen sowie seine Qualität nachweist. Diese Voraussetzung ist erfüllt. 1. Bei dem VACOPED
bzw. VACOachill-System handelt es sich entgegen der Beurteilung der Beklagten im Schreiben vom 30.06.1997 nicht um ein Verbandmittel
i.S.d. § 31
Abs. 1 Satz 1
SGB V, sondern um Hilfsmittel i.
S.d. § 33
Abs. 1
SGB V. Verbandmittel sind zum einen Gegenstände, die dazu bestimmt
sind, oberflächengeschädigte Körperteile zu bedecken oder deren Körperflüssigkeit aufzusaugen (Wundverbände), zum anderen auch Verbandsstoffe, die als Stützverbände dienen, wozu auch Gipsbinden zählen (Schmidt in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung -
SGB V, § 27 Rdn. 345, § 31 Rdn. 91). Hilfsmittel sind demgegenüber alle ärztlich verordneten sächlichen Mittel, die den Erfolg der Krankenbehandlung sichern oder die Folgen von Gesundheitsschäden mildern oder ausgleichen (
BSG SozR 3-2500 § 139
Nr. 1
S. 5; SozR 3-2500 § 33
Nr. 39
S. 220). Im Rahmen der 1. Alternative (Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung) zählen zu den Hilfsmitteln alle Sachen, die spezifisch im Rahmen einer ärztlich verordneten Krankenbehandlung eingesetzt werden, um zu ihrem Erfolg beizutragen, wobei es genügt, wenn nur ein therapeutischer Zweck angestrebt wird (zuletzt
BSG, Urteil vom 16.09.2004 -
B 3 KR 15/04 R -).
Die in Frage stehenden Produkte der Klägerin werden zwar nach Angabe des Sachverständigen
Dr. Q auch als "Gipsersatz" angewendet. Dies betrifft jedoch nur die Initialphase der Behandlung, in der es um die Ruhigstellung der betreffenden Körperteile geht. In dieser Phase bewegen sich die vom Sachverständigen bei seiner Anhörung genannten Vorteile des Systems gegenüber einem Stützverband (wie besserer Zugriff auf die Wunde, bequemere Handhabung für den Patienten) noch im Bereich einer bloßen Verbesserung eines Verbandmittels. Der Sachverständige hat jedoch weiter erläutert, dass nach einer Ruhigstellung während der Wundheilungsphase die Phase der frühfunktionellen Therapie beginne. Frühe Bewegung habe zum einen positive Auswirkungen bezüglich der Verringerung der Thrombosegefahr, zum anderen auf die geschmeidige Erhaltung von Sehnen und Gelenken. Im Rahmen der frühfunktionellen Therapie stelle das VACOPED-System eine Therapieoption dar, da durch das Entfernen einer Sperre eine unidirektionale Bewegung des oberen Sprunggelenkes ermöglicht werde. Da das System verschieden einstellbare Flexionsstellungen des oberen Sprunggelenks erlaubt, kann der Arzt im Rahmen seiner Therapie das Ausmaß der Beweglichkeit festlegen (so auch die Aussage des erstinstanzlich gehörten Sachverständigen
Dr. E). In der Phase der frühfunktionellen Therapie dient das VACOPED-System einerseits der Stabilisierung des Gelenks, erlaubt auf der anderen Seite aber ein festgelegtes Bewegungsmaß, so dass es als führende Orthese (s. dazu Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 259. Aufl., Stichwort "Orthese" unter "Formen" I.4) anzusehen ist. Mithin werden das VACOPED- und das VACOachill-System auch als Hilfsmittel eingesetzt.
Dr. L vom
MDS hatte schon in seiner Stellungnahme vom 16.09.1999 eingeräumt, dass der Hilfsmittelcharakter des Systems dann bejaht werden könne, wenn in wissenschaftlich einwandfrei durchgeführten Studien belegt sei, dass ein über die bloße Ruhigstellung hinausgehender Nutzen erreicht werden könne. Bei dieser Beurteilung
vermischt er aber die Frage, ob eine Sache im Rahmen einer Behandlung zur Erreichung eines bestimmten therapeutischen Effekts eingesetzt wird, mit der Frage des Nachweises des Nutzens eines solchen Einsatzes. Die Qualifizierung als Hilfsmittel (zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung) hat unabhängig davon zu geschehen, ob tatsächlich der angestrebte therapeutische Nutzen erreicht wird.
2. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme liegen die Voraussetzungen für eine Aufnahme des VACOPED und des VACOachill für die zuletzt beantragten Indikationen vor.
a) Soweit es um die Funktionstauglichkeit und die Qualität des VACOPED und des VACOachill geht, sind diese bereits durch die CE-Kennzeichnung nach dem Medizinproduktegesetz (MPG) nachgewiesen. Nach dem vorgelegten Zertifikat des
TÜV-Product- Service vom 04.12.1996 und der Konformitätserklärung vom 12.05.1998 erfüllen die streitigen Hilfsmittel die Voraussetzungen der CE-Kennzeichnung. Mit der CE-Kennzeichnung ist das Hilfsmittel
i.S.d. Produktsicherheit und Zwecktauglichkeit auch im krankenversicherungsrechtlichen Sinne funktionstauglich; eine eigenständige Prüfung durch die Krankenkasse entfällt,
da der CE-Kennzeichnung insoweit Tatbestandswirkung zukommt (
BSG, Urteile vom 16.09.2004 -
B 3 KR 20/04 R = SozR 4-2500 § 33
Nr. 8; B 3 KR 1/04 R).
b) Auch der therapeutische Nutzen ist aufgrund der vorliegenden Unterlagen, insbesondere des Gutachtens von
Dr. Q nachgewiesen.
Zwar verlangt § 135
Abs. 1
SGB V bei der Beurteilung der Wirksamkeit von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden grundsätzlich die Evidenz aufgrund aussagekräftiger klinischer Studien. Im Urteil vom 31.08.2000 (SozR 3-2500 § 139
Nr. 1) hat das
BSG auch für die Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis eine Bewertung des therapeutischen Nutzens nach den Maßstäben des § 135
Abs. 1 Satz 1
SGB V und den hierzu ergangenen Richtlinien nach § 92
Abs. 1
SGB V (damals Richtlinien über die Bewertung ärztlicher Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (BUB-RL) vom 10.12.1999, BAnZ
Nr. 56; jetzt BUB-RL i.d. F. vom 01.12.2003, BAnZ 2004
Nr. 57, zuletzt geändert durch Beschluss vom 16.11.2004, BAnZ 2005
Nr. 23) gefordert. In den Urteilen vom 16.09.2004 (a.a.O.) hat es jetzt klargestellt, dass zum einen klinische Prüfungen nach den Maßstäben des § 135
Abs. 1
SGB V ohnehin nicht erforderlich sind, wenn das Hilfsmittel dem bloßen Behinderungsausgleich dient, zum anderen hat es darauf hingewiesen, dass die damalige Entscheidung einen Sonderfall betroffen habe, weil das in Frage stehende Hilfsmittel für eine vom (früheren) Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen ausgeschlossene Behandlungsmethode (nicht invasive Magnetfeldtherapie) eingesetzt werden sollte und der Hersteller des Gerätes insoweit geltend machte, aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse müsse die Behandlungsmethode nunmehr anerkannt werden. Nur aus diesem Grund sei der Nachweis des therapeutischen Nutzens nach dem gleichen Maßstab wie nach § 135
Abs. 1
SGB V verlangt worden. Davon abgesehen, dass schon im Urteil vom 31.08.2000 (a.a.O.) der Vorrang der Prüfung einer Behandlungsmethode durch den (jetzt) Gemeinsamen Bundesausschuss verkannt worden sein (sogleich unten) und von daher die generelle Übertragung der Maßstäbe des § 135
SGB V auf die Entscheidung im Rahmen des § 139
Abs. 2
SGB V primär von dem damals zu entscheidenden Einzelfall beeinflusst worden sein dürfte, ist den jetzigen Ausführungen des
BSG zu entnehmen, dass der Nachweis des therapeutischen Nutzens eines Hilfsmittels im Rahmen des § 139
Abs. 2
SGB V nicht nach den Beweismaßstäben des § 135
Abs. 1
SGB V erfolgen muss.
Eine Prüfung des therapeutischen Nutzens nach den Maßstäben des § 135
Abs. 1
SGB V ist auch nicht erforderlich, wenn man § 139
Abs. 2
SGB V im systematischen Zusammenhang mit § 135
Abs. 1
SGB V sieht und der therapeutische Nutzen insoweit nur innerhalb grundsätzlich anerkannter Behandlungsmethoden bewertet wird. Soweit das Hilfsmittel im ambulanten Bereich innerhalb einer neuen Behandlungsmethode
i.S.d. § 135
Abs. 1
SGB V angewendet werden soll (zur Neuheit einer Methode s.
BSG SozR 3-2400 § 135
Nr. 4
S. 12f; s.a. § 2
Abs. 1 der BUB-RL), muss zunächst der Gemeinsame Bundesausschuss den therapeutischen Nutzen sowie die Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit dieser Methode beurteilen. Solange er noch keine positive Entscheidung getroffen hat, besteht keine Leistungspflicht der Krankenkassen; dementsprechend scheidet auch ein Anspruch auf Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis allein schon aus diesem Grund aus (so auch grundsätzlich das Urteil vom 31.08.2000, a.a.O.
S. 7). Eine eigenständige Prüfung des therapeutischen Nutzens des Hilfsmittels durch die Spitzenverbände, die sich notwendigerweise auf den therapeutischen Nutzen der Methode insgesamt erstrecken müsste, ist abzulehnen. Sie widerspricht der gesetzlichen Konzeption, wonach die Frage, ob eine neue Behandlungsmethode dem von der
GKV geforderten Qualitätsstandard entspricht, ausschließlich durch den Bundesausschuss entschieden werden soll (so die ständige Rechtsprechung des 1. Senats des
BSG, zuletzt nochmals Urteil vom 19.02.2003 = SozR 4-2500 § 135
Nr. 1 Rn. 8). Da die in einem ordnungsgemäßen Verfahren getroffene Entscheidung des Bundesausschusses einer inhaltlichen Überprüfung durch die Gerichte nicht zugänglich ist (
BSG a.a.O. Rn. 10), wäre hiermit nicht vereinbar, wenn die Spitzenverbände im Rahmen des § 139
Abs. 2
SGB V gegebenenfalls eine eigenständige Überprüfung des therapeutischen Nutzens vornehmen müssten und der Gemeinsame Bundesausschuss in diesem Rahmen nur nach § 12
Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB X) zu beteiligen wäre.
Auch die im Urteil vom 31.08.2000 (a.a.O.
S. 8) genannten verfassungsrechtlichen Erwägungen nötigen nicht zu einer anderen Beurteilung. Zwar mag die Entscheidung der Spitzenverbände über die Aufnahme einer Sache in das Hilfsmittelverzeichnis eine berufsregelnde Tendenz haben , so dass insoweit die Betroffenen in ihrem Grundrecht aus
Art. 12
Abs. 1 Grundgesetz (
GG) berührt sind. Dies ist aber nicht der Fall, wenn die Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis allein daran scheitert, dass die ärztliche Behandlungsmethode, für die die Sache bestimmt ist, nicht von der Leistungspflicht der
GKV umfasst ist. In dem Urteil vom 31.08.2000 (a.a.O.
S. 7) wird zu Recht darauf hingewiesen, dass alleine die Aufnahme eines Hilfsmittels in das Hilfsmittelverzeichnis die Vertragsärzte nicht berechtigt, eine vom Bundesausschuss nicht anerkannte therapeutische Behandlung zu erbringen. Mithin stehe der Abgabe an Versicherte zu Lasten der Krankenkassen (auch) die ablehnende Entscheidung des Bundesausschusses entgegen. Tatsächlich ist rechtlich für den Ausschluss allein die fehlende Anerkennung der Behandlungsmethode durch den Gemeinsamen Bundesausschuss von Bedeutung. Da die Spitzenverbände an die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses gebunden und nicht befugt sind, den therapeutischen Nutzen der in Frage stehenden Methode und damit auch des untrennbar mit dieser Behandlung verbundenen Hilfsmittels abweichend oder an Stelle des Gemeinsamen Bundesausschusses zu beurteilen, kommt ihrer Ablehnung der Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis keine eigenständige Bedeutung zu. Sie ist lediglich eine Folge der durch § 135
Abs. 1
SGB V gestalteten Rechtslage. Ein Grundrechtseingriff kann sich somit in diesen Fällen allenfalls aus der Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses, nicht aber aus der Ablehnung einer Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis durch die Spitzenverbände ergeben. Soll ein Hilfsmittel im Rahmen einer vom Gemeinsamen Bundesausschuss noch nicht anerkannten Methode eingesetzt werden, kann nur in Frage stehen, ob dem Hersteller eines Hilfsmittels im Rahmen des § 135
Abs. 1
SGB V ein Anspruch auf Befassung des Gemeinsamen Bundesausschusses mit der Behandlungsmethode, für die das Hilfsmittel eingesetzt werden soll, einzuräumen wäre. Dabei erscheint es auch unter Berücksichtigung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 17.12.2002 ( BVerfGE 106, 275) zu den Festbeträgen für Arzneimittel und Hilfsmittel als fraglich, ob Hilfsmittelhersteller und -erbringer durch eine Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses tatsächlich in ihrem Grundrecht aus
Art. 12
Abs. 1
GG berührt sind oder ob es sich bei ihnen nur um
mittelbare faktische Auswirkungen handelt, die als Reflexe nicht geeignet sind, einen Grundrechtseingriff zu begründen (s.a. Knispel NZS 2001, 466, 471).
Wird ein Hilfsmittel im Rahmen einer anerkannten Behandlungsmethode eingesetzt, ist somit für die Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis nur die Prüfung erforderlich, ob das Gerät den in diesem Rahmen vom Einsatz bezweckten therapeutischen Nutzen hat. Diese Prüfung kann sich an den allgemeinen Anforderungen des § 2
Abs. 1 Satz 3
SGB V orientieren. Dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse i.
S. dieser Vorschrift entspricht eine Leistung dann, wenn über ihre Zweckmäßigkeit in den einschlägigen Fachkreisen, von einzelnen, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, Konsens besteht. Im Regelfall setzt dies voraus, dass sich die Behandlung in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Fällen als erfolgreich erwiesen hat und dies durch wissenschaftlich einwandfrei geführte Statistiken belegt ist (
BSG SozR 3-2500 § 27
Nr. 5). Daraus ergibt sich aber keine Begrenzung der Erkenn tnismittel. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Nutzen auch durch andere Erkenntnisquellen nachgewiesen wird. Selbst die BUB-RL gehen hinsichtlich des Nachweises des therapeutischen Nutzens einer Behandlungsmethode davon aus, dass zwar der Nutzen in der Regel durch Unterlagen der Evidenzklasse I (also randomisierte vergleichende klinische Studien, I b
bzw. systematische Übersichtsstudien über solche Studien, I a, s. die Klassifizierung in § 9
Abs. 3 der BUB-RL) nachzuweisen ist, bei Fehlen solcher Studien oder deren fehlender Aussagekraft jedoch aufgrund Unterlagen der bestvorliegenden Evidenz zu entscheiden ist (§ 7
Abs. 7 der BUB-RL). Der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Erkenntnisse für den Nutzen einer Methode kann somit nicht nur durch eine hinreichende Zahl randomisierter vergleichender Studien, sondern auch durch alternative Belege erbracht werden, sofern hierdurch hinreichend zuverlässig der wissenschaftliche Konsens festgestellt werden kann.
Im vorliegenden Fall stellt sich somit nur die Frage, ob das VACOPED/VACOachill-System für eine frühfunktionelle Therapie geeignet und insoweit therapeutisch effektiv ist. Das ist zu bejahen.
Nach Darstellung des Sachverständigen
Dr. Q dienen das VACOPED-System
bzw. das VACOachill-System dazu, die Patienten frühzeitig zu mobilisieren. Eine frühzeitige Bewegung vermindere die Thrombosegefahr und wirke sich positiv auf die Geschmeidigerhaltung der angrenzenden Bänder und Gelenke aus. Die Empirie lehre, dass die Rehabilitation in diesem Fall kürzer sei. Auch
Dr. E hat auf die Vorteile gegenüber einer Immobilisation durch einen Gipsverband hingewiesen. Dass die möglichst frühzeitige Mobilisation der Patienten neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen entspricht, wird auch in dem beigezogenen Gutachten von
Prof. Dr. S bestätigt. Dieser weist auf die Probleme und Komplikationen während und nach einer länger währenden Immobilisation hin, wozu vor allem eine Versteifung der ruhiggestellten Gelenke, die Atrophie der Wadenmuskulatur, die tiefe Venenthrombose, Hautnekrosen und Verklebungen des Sehnengleitlagers gehörten. Diese Nachteile seien gut dokumentiert und in der Literatur beschrieben. Viele klinische Studien hätten inzwischen gezeigt, dass eine funktionelle Behandlung bei Verletzungen der unteren Extremität, insbesondere bei Rupturen der Achillessehne, sehr viel bessere Resultate liefere als eine rein ruhigstellende Behandlung. Angesichts der Vorteile einer frühfunktionellen Nachbehandlung bei Verletzungen der unteren Extremitäten im allgemeinen und von Achillessehnenrupturen im Besonderen sei eine immobilisierende Nachbehandlung operativ versorgter Achillessehnenrupturen im Gipsverband nur noch in begründeten Ausnahmefällen indiziert. Nach Angabe des Sachverständigen
Dr. Q wird diese Form der Nachbehandlung auf Kongressen diskutiert (wobei der Sachverständige darauf hingewiesen hat, dass auf zahlreichen Fotos, auf denen die Nachbehandlung dokumentiert worden sei, die Systeme der Klägerin zu erkennen gewesen seien). Für den Senat steht danach fest, dass eine funktionelle Therapie zum frühestmöglichen Zeitpunkt dem aktuellen Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht. Im Gutachten von
Dr. L vom 11.08.2004 wird zur Frage einer frühfunktionellen Therapie nicht grundsätzlich Stellung genommen, er vermisste nur aussagekräftige Studien speziell zur Überlegenheit des Einsatzes des VACOPED
bzw. VACOachill gegenüber einer Gipsbehandlung. Damit wird aber nicht grundsätzlich die Anerkennung der frühfunktionellen Nachbehandlung in Frage gestellt.
Soweit es speziell um den Einsatz der hier in Frage stehenden Hilfsmittel geht, hat
Dr. Q zwar eingeräumt, dass - gemessen an den BUB-RL - die Basis für einen wissenschaftlichen Nachweis des therapeutischen Nutzens gering sei. Er hat aber gleichzeitig betont, dass etwa auch die Gipsbehandlung nicht evidenzbasiert sei und dass viele angewandte Behandlungsmethoden auf Expertenmeinungen
bzw. langjährigen klinischen Erfahrungen beruhten. Mit dem tausendfachen Einsatz des VACOPED-Stiefels liege eine Beobachtungsstudie vor, die in ihrer Wertigkeit nicht außer acht gelassen werden könne. Aufgrund eigener dreijähriger Anwendung der in Frage stehenden Systeme könne er bestätigen, dass das System in einem therapeutischen Sinne "funktioniere". Auch die von der Klägerin eingereichten Unterlagen (insbesondere Stellungnahme
Prof. Dr. H vom 27.02.1997,
Prof. Dr. X vom 30.04.1997 (s. im Einzelnen den Schriftsatz des Beklagten zu 1) vom 20.01.1999)) sprechen für einen im klinischen Alltag effektiven Einsatz des VACOPED/VACOachill, mögen diese Unterlagen auch für einen Nachweis im strengen wissenschaftlichen Sinne nicht geeignet sein. Vor dem Hintergrund der von der Klägerin genannten Zahl von 9.000 Verordnungen im Jahr (alle ohne Berücksichtigung des Fachhandels) ist die Schlussfolgerung des Sachverständigen plausibel, dass die Systeme in therapeutischem Sinne effektiv seien, da sie ansonsten nicht mehr angewendet würden. Für eine Durchsetzung in der Praxis spricht schließlich auch die Vielzahl der Vergütungsabreden, die die Klägerin mit verschiedenen Krankenkassen geschlossen hat. Solche Vergütungsvereinbarungen werden regelmäßig nur dann getroffen, wenn wegen der Vielzahl von Versorgungsfällen ein Bedürfnis nach einer generellen Regelung der Vergütung besteht.
Bei der Beurteilung des Nachweises des therapeutischen Nutzens kann auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Beklagten selbst in der Produktgruppe Schuhe 31 unter der Untergruppe Therapieschuhe (31.03.03) Stabilisationsschuhe bei Sprunggelenksschädigungen (0001-0999) und Stabilisationsschuhe bei Achillessehnenschädigungen (1000-1999) vorgesehen haben. Insoweit sind bei Sprunggelenkbandschädigungen die Hilfsmittel Adipromed stabil II (31.03.03.0001) und Adipromed stabil (31. 03.03.002) und bei der Achillessehnenschädigung Adipromed vario stabil (31.03.03 1000) gelistet. Nach Aussage des Sachverständigen
Dr. Q gibt es in der Praxis keinen Unterschied zwischen den Systemen der Klägerin und den gelisteten Schuhen. Er sieht vielmehr sogar Vorteile des VACOPED/VACOachill-System darin, dass diese im Hinblick auf die Neigung unterschiedlich einstellbar seien und direkt nach der Behandlung angelegt werden könnten, während der Adimed-Schuh erst nach drei bis vier Tagen angewandt werde und in der Zeit davor ein Gipsverband angelegt werden müsse. Auch im Gutachten von
Prof. Dr. S wird als Alternative zur frühfunktionellen Behandlungen mit dem VACOachill-Stiefel bei Behandlungen der Achillessehnenruptur die Behandlung mit dem Adipromed vario stabil genannt, wobei
Prof. Dr. S für beide Hilfsmittel Kosten in etwa gleicher Höher nennt (
ca. 400 Euro für den VACOachill, 350 bis 400 Euro für den Adipromed-Schuh). Die Beklagten haben insoweit keine plausiblen Gründe dafür nennen können, warum zwar die Aufnahme der genannten Schuhe in das Hilfsmittelverzeichnis erfolgt ist, die Aufnahme des VACOPED
bzw. VACOachill dagegen nicht möglich sein soll. Ihre Begründung vom 12.07.2000 auf die entsprechende Anfrage des Sozialgerichts, dass die Produktgruppe 31 ausschließlich Schuhe betreffe und daher die medizinischen und technischen Anforderungen ausschließlich auf einen Schuh bezogen seien, ist formal.
Die Beklagten können nicht die Aufnahme eines Hilfsmittels, das für die gleiche Indikationsstellung angewandt wird wie ein gelistetes Hilfsmittel allein mit der Begründung ablehnen, für die Produktgruppe, der das aufzunehmende Hilfsmittel zuzuordnen sei, seien noch keine Qualitätsstandards erarbeitet. Nach inzwischen über 15-jähriger Geltung des § 139
Abs. 1
SGB V, mit dem den Spitzenverbänden die Entwicklung von Qualitätsstandards für Hilfsmittel aufgegeben worden ist, können sie sich gegenüber Aufnahmeanträgen nicht darauf berufen, mangels Erstellung einer "passenden" Produktgruppe sei die Aufnahme nicht möglich. Wenn auch die Verordnungsfähigkeit eines Hilfsmittels rechtlich nicht von seiner Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis abhängt (
BSG SozR 3-2500 § 33
Nr. 28
S. 170;
Nr. 40
S. 223), benachteiligt doch faktisch die Nichtaufnahme den Hersteller, da sich das Verordnungsverhalten von Ärzten am Hilfsmittelverzeichnis ausrichtet (
vgl. Zuck MedR 2003, 335).
Auch der Aspekt, dass das VACOPED-/VACOachill-System schon während der Akutversorgung angelegt wird, ist kein tragfähiger Gesichtspunkt für die Ablehnung der Aufnahme. Wie oben dargelegt, erfüllen beide Systeme zwar in der Akutphase die Funktion eines Gipsverbandes, werden aber darüber hinausgehend anschließend in der Phase der frühfunktionellen Therapie zu therapeutischen Zwecken eingesetzt. In dieser Phase haben sie den gleichen medizinischen Zweck wie die gelisteten Schuhe. In der Praxis sind sie bei der Behandlung - wie den Gutachten von
Dr. Q und
Prof. Dr. S zu entnehmen ist - "austauschbar". Weshalb die Beklagten angenommen haben, der therapeutische Nutzen der gelisteten Schuhe sei im Gegensatz zu den hier in Frage stehenden Systemen nachgewiesen, haben sie auch auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung nicht darlegen können. Vor diesem Hintergrund erscheint es fragwürdig, von der Klägerin einen Nachweis des therapeutischen Nutzens in Gestalt hochwertiger Studien zu fordern, obwohl für den gleichen therapeutischen Zweck einsetzbare Produkte bereits in das Hilfsmittelverzeichnis aufgenommen worden sind und es offenbar solche Studien für die gelisteten Mittel auch nicht gibt. Von daher kommt der praktischen Erfahrung mit den Systemen der Klägerin, über die
Dr. Q berichtet hat, eine besondere Bedeutung für den erforderlichen Nachweis des therapeutischen Nutzens zu. Wenn die aufzunehmenden Produkte in gleicher Weise einsetzbar sind wie die schon gelisteten Produkte, kann bei den aufzunehmenden Produkten eher angenommen werden, dass auch sie den für die Aufnahme erforderlichen Qualitätsstandard erfüllen. Dabei ist in diesem Zusammenhang nochmals zu betonen, dass es unerheblich ist, wenn die Systeme in der Akutbehandlungsphase nur als Gipsersatz dienen. Für die Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis ist allein maßgebend, dass sie in der anschließenden Phase der frühfunktionellen Behandlung zur Ermöglichung der Mobilisierung dienen und somit in diesem Verwendungszweck als Hilfsmittel zu qualifizieren sind.
Der therapeutische Nutzen ist jedenfalls für die nunmehr von der Klägerin in Anspruch genommenen Indikationen nachgewiesen.
Dr. Q hat den Einsatz des VACOPED bei schweren Bandverletzungen im Bereich des oberen Sprunggelenkes und Frakturen am Fuß- und Sprunggelenk (außer Zehenverletzung) sowie des VACOachill bei der Achillessehnenruptur als sinnvoll bezeichnet. Für eine Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis ist dabei unerheblich, wenn nicht in allen Fällen solcher Verletzungen bei der Behandlung der Einsatz der in Frage stehenden Hilfsmittel in Betracht kommt. Es genügt, wenn jedenfalls in einer erheblichen Anzahl von Fällen der Einsatz bei der Behandlung medizinisch indiziert ist.
Soweit die Beklagten die Wirtschaftlichkeit im Vergleich zu alternativen Behandlungsmethoden in Frage gestellt haben, enthält § 139
Abs. 2
SGB V keinen entsprechenden Prüfauftrag wie etwa § 135
Abs. 1
SGB V. Ob insoweit im Begriff des "therapeutischen Nutzens" schon Elemente der Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit enthalten sind (offen gelassen von
BSG SozR 3-2500 § 138
Nr. 2
S. 30), kann dahinstehen. Da mit der Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis keine Entscheidung über den Einsatz im Einzelfall verbunden ist, könnte eine Ablehnung der Aufnahme unter dem Gesichtspunkt der
Wirtschaftlichkeit nur verneint werden, wenn der Einsatz dieses Hilfsmittels bei gleichem therapeutischem Erfolg generell höhere Kosten verursachen würde als der Einsatz anderer Mittel. Insoweit ist die Forderung von
Dr. L im Gutachten vom 11.08. 2004, dass das VACOPED-System gegenüber einer Ruhigstellung durch Gips- oder Kunststoffverbände und ggfls. anschließender Versorgung mit einem Stabilisationsschuh eindeutig überlegen sein müsse, zu weitgehend. Gegenüber den gelisteten Schuhen sind - selbst ohne Berücksichtigung der Tatsache, dass vor einem Einsatz dieser Schuhe zunächst eine kostenträchtige
Gipsbehandlung durchgeführt werden muss - höhere Kosten nicht ersichtlich (s. Gutachten
Prof. Dr. S); zudem ergibt sich aus den von der Klägerin übersandten Vergütungsvereinbarungen, dass jedenfalls einzelne Kassen deutlich günstigere Preise als den von
Prof. Dr. S genannten vereinbart haben (etwa Barmer Ersatzkasse 299, 60 Euro,
AOK Rheinland 235,- Euro jeweils für den VACOachill). Auch die Beklagten haben in ihrer Stellungnahme vom 12.07.2000 nicht behauptet, die gelisteten Schuhe seien preisgünstiger als der VACOPED
bzw. VACOachill. Soweit es um den Vergleich mit einer Gipsbehandlung geht, ist schon
fraglich, ob angesichts der mit dem VACOPED-System verbundenen Vorteile für die Patienten (Hygiene, Wundinspektion) überhaupt von einer Vergleichbarkeit ausgegangen werden kann. Ferner stellt sich die Frage, ob mit einem Gipsverband eine entsprechende frühzeitige Mobilisation erreicht werden könnte.
Vor allem kann die Wirtschaftlichkeit nicht allein unter den Bedingungen des gegenwärtigen Vergütungssystems beurteilt werden, wie es
Dr. L in seinem Gutachten vom 11.08.2004 getan hat. Seine Darstellung, dass nach dem gegenwärtigen Entgeltsystem bei einem Einsatz des VACOPED
bzw. VACOachill sowohl die Krankenhäuser als auch die niedergelassenen Ärzte profitieren, mag zwar zutreffend sein. Die von ihm aufgezeigten Vorteile beruhen darauf, dass der VACOPED
bzw. VACOachill sowohl als "Verbandersatz" als auch als Hilfsmittel fungieren und diese "Doppelfunktion" offensichtlich von dem Vergütungssystem nicht adäquat erfasst werden kann. Dies spricht aber nicht gegen die Aufnahme der in Frage stehenden Produkte in das Hilfsmittelverzeichnis. Vielmehr ist es Aufgabe der Krankenkassen, ggfls. die Vergütung sowohl im ambulanten wie stationären Bereich für die in Frage stehenden Behandlungsfälle anzupassen und eventuelle unangemessene Vorteile für die Behandler beim Einsatz dieser Mittel durch entsprechende Regelungen zu beseitigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG (in der bis 01.01.2002 geltenden Fassung).
Der Senat hat den hier zu entscheidenden Fragen grundsätzliche Bedeutung beigemessen und daher die Revision zugelassen (§ 160
Abs. 2
Nr. 1
SGG).
Anmerkung der Redaktion von REHADAT:
Die beiden Hilfsmittel wurden inzwischen ins Hilfsmittelverzeichnis der
GKV aufgenommen (VACOPED Pos.-Nr. 99.06.01.0001, VACOachill Pos.-Nr. 99.06.01.0002) (Bundesanzeiger
Nr. 56 vom 21. März 2006).