Die Klage ist zulässig und begründet.
Der Kläger ist durch den angefochtenen Bescheid gemäß § 54 Absatz 2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) beschwert, da die Beklagte zu Unrecht die Kostenübernahme für das begehrte Therapie-Tandem Copilot 3 der Firma I abgelehnt hat.
Nach
§ 33 Absatz 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte einen Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach
§ 34 Absatz 4 SGB V durch
Rechtsverordnung ausgeschlossen sind.
Bei dem Therapie-Tandem Copilot 3 der Firma I handelt es sich nicht um einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, sondern um eine Spezialanfertigung für Behinderte, denen erst dadurch das Tandemfahren unter der Obhut einer Begleitperson ermöglicht wird (so
BSG im Urteil vom 26.03.2003 -
B 3 KR 26/02 R -).
Therapie-Tandems sind auch nicht durch
Rechtsverordnung als Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen. Auch das Nichtaufführen im Hilfsmittelverzeichnis nach § 128
SGB V steht einem Anspruch nicht entgegen (so
BSG Urteil vom 26.03.2003 (a.a.O.).
Es kann hier dahinstehen, ob das Therapie-Tandem zur Sicherung des Behandlungserfolges erforderlich ist. Zwar führt der behandelnde Kinderarzt H aus, dass das Therapie-Tandem im Wesentlichen die motorische Therapie unterstützen solle: Bei dem Kläger liegt unter anderem eine motorische Entwicklungsverzögerung vor. Dies ergibt sich aus dem Behandlungsbericht des Klinikums L, Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin vom 02.03.2005. In diesem Bericht empfiehlt T-X eine breite Förderung des Patienten und den Versuch, den Patienten zu einem Fahrrad zu bringen. Des Weiteren besteht bei dem Kläger ein krankhafter Bewegungsdrang in Form einer Autoaggression. Auch der überschießende Bewegungsdrang kann therapeutisch durch die Benutzung des Therapie-Tandem angegangen werden. Wie H ausführt, ist das Therapie-Tandem geeignet, Kraft und Bewegungsdrang zu kontrollieren und gefahrlos zu fördern. Das Therapie-Tandem ist somit geeignet, den Erfolg der motorischen Therapie, die bisher im Wesentlichen aus Krankengymnastik besteht, zu sichern.
Ein Anspruch auf Versorgung mit dem Tandem besteht jedoch nur dann, wenn dieses Hilfsmittel nicht nur geeignet sondern auch notwendig ist, um den Behandlungserfolg zu sichern. Die Notwendigkeit ist hier jedoch fraglich. Dem Kläger stehen nämlich des Weiteren ein Trampolin, Schaukelbrett und eine Sprossenwand zur Verfügung, um den überschüssigen Bewegungsdrang abzureagieren. Es ist nicht nachgewiesen, dass die zusätzliche Benutzung eines Therapie-Tandems einen bei Benutzung der genannten Turngeräte weitergehenden therapeutischen Effekt erzielt. Diese Frage kann hier jedoch dahinstehen, da das Therapie-Tandem notwendig ist, um die bei dem Kläger bestehende Behinderung auszugleichen.
Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung ist die medizinische Rehabilitation, also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktionen einschließlich der Sicherung des Behandlungserfolges um ein selbständiges Leben zu führen und die Anforderung des Alltages meistern zu können. Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung ist nicht die berufliche oder soziale Rehabilitation. Ein Anspruch auf Versorgung mit einem Hilfsmittel um eine Behinderung auszugleichen besteht gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherung daher nur dann, wenn es sich um die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben handelt und damit ein Grundbedürfnis des täglichen Lebens betroffen ist. Zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens gehören Gehen, Stehen, Greifen, Sehen, Hören, die Nahrungsaufnahme, die Ausscheidung, die elementare Körperpflege, das selbständige Wohnen, sowie das Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums.
Bei dem Grundbedürfnis des "Erschließens eines gewissen körperlichen Freiraums" ist nach der Rechtsprechung des
BSG von dem Leistungsanspruch gegen die gesetzliche Krankenversicherung nur ein Basisausgleich der Behinderung, nicht aber ein vollständiges Gleichziehen mit den letztlich unbegrenzten Möglichkeiten eines Gesunden erfasst (ständige Rechtsprechung des
BSG siehe auch Urteil des
BSG vom 26.03.2003 (a.a.O.). Zwar ist die Motorik des Klägers eingeschränkt, er ist jedoch noch in der Lage, bei einem kurzen Spaziergang "an die frische Luft zu kommen" oder die üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind. Auf diese beiden Kriterien wird nach der ständigen Rechtsprechung des
BSG im Rahmen des Erschließens eines gewissen körperlichen Freiraumes abgestellt.
Bei Jugendlichen stellt das
BSG jedoch auf diejenigen Entfernungen ab, die ein Jugendlicher mit dem Fahrrad zurücklegt
(Urteil vom 16.04.1998 -
B 3 KR 9/97 R). In diesem Fall dient das Hilfsmittel jedoch nicht der rein quantitativen Erweiterung des räumlichen Bewegungsumfeldes, sondern ist erforderlich wegen der dadurch geförderten Integration des behinderten Jugendlichen in seiner jugendlichen Entwicklungsphase. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Kläger nicht in der Lage, sich in den Kreis nichtbehinderter gleichaltriger Jugendlicher zu integrieren. Wie sich aus dem Pflegegutachten vom 23.03.2003 ergibt, besteht bei dem Kläger die Notwendigkeit, ständiger Beaufsichtigung, Aufforderung oder Anleitung. Beim Umgang mit anderen gleichaltrigen Kindern ist daher ständig die Anwesenheit einer erwachsenen Aufsichtsperson erforderlich. Die Anwesenheit erwachsener Personen stört jedoch zumindest die Integration in Kreise gleichaltriger Jugendlicher.
An die Stelle der Integration in Kreise gleichaltriger Jugendlicher tritt hier die Integration in den Familienkreis: Der 8. Senat des
BSG hat einer Versorgung mit einem Therapie-Tandem nur in zwei Fällen zugesprochen, in denen jeweils eine ganz außergewöhnliche Bewegungseinschränkung vorlag und in der konkreten Familiensituation den gemeinsamen Fahrradausflügen eine große Bedeutung zukommt (vergleiche
BSG SozR 3 - 2500 § 33
Nr. 25 und 28). Dieser Rechtsprechung des 8. Senates hat der 3. Senat des
BSG im Urteil vom 26.03.2003 (a.a.O.) nicht widersprochen. Im vorliegenden Fall haben die Eltern betont, dass das Fahrradfahren für die gesamte Familie eine große Bedeutung hat. Alle Familienmitglieder sind im Besitz eines Fahrrades. Bisher war der Kläger jedoch von gemeinsamen Fahrradausflügen ausgenommen. Nach Auffassung der erkennenden Kammer widerspricht es der Zielsetzung eines Hilfsmittels, bei behinderten Kindern, die aus krankheitsbedingten Gründen nicht einmal in der Lage sind, unter Einsatz von Hilfsmitteln mit gleichaltrigen unbehinderten Kindern und Jugendlichen zu spielen, von gemeinsamen Aktivitäten im Familienverband auszuschließen (
vgl. Urteil des SG Düsseldorf vom 23.03.2007 - S 4 KR 17/06 -). Im vorliegenden Fall kommt dem gemeinsamen Fahrradfahren im Familienverband eine so große Bedeutung zu, dass es gerechtfertigt ist, die Integration in diese gemeinsame Aktivität der Familie gleichzusetzen mit der Integration von behinderten Kindern in Kreise unbehinderter gleichaltriger Kinder und Jugendlicher. Nur so ist es möglich, sich dem Ziel einer selbständigen Lebensführung und Bewältigung der Anforderungen des Alltages weiter zu nähern.
Die Versorgung mit dem Therapie-Tandem Copilot 3 der Firma I ist auch wirtschaftlich. Die Versuche ein gebrauchtes Tandem auf dem Markt zu beschaffen waren gescheitert. Die Zusatzausrüstungsgegenstände laut Kostenvoranschlag vom 10.09.2003 sind zur Sicherung des Klägers erforderlich. Die Beklagte hat eine preiswertere Versorgungsmöglichkeit nicht aufgezeigt.
Der Kläger hat daher Anspruch auf Versorgung mit dem Therapie-Tandem Copilot 3 der Firma I laut Kostenvoranschlag vom 10.09. 2003.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG.