Die erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage ist zulässig und auch begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten; sie kann Erstattung der Kosten für die durch Selbstbeschaffung des strittigen Hilfsmittels entstandenen Kosten beanspruchen.
Grundlage für den geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch ist
§ 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V. Nach dieser Bestimmung sind, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden sind, diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Eine entsprechende Erstattungsregelung enthält nunmehr auch
§ 15 Abs. 1 Satz 3 und 4 SGB IX, auf die § 13
Abs. 3 Satz 2
SGB V für den Fall der medizinischen Rehabilitation ausdrücklich verweist.
Die Voraussetzungen beider Anspruchsgrundlagen sind vorliegend erfüllt, obwohl nicht die Klägerin selbst, sondern ihre Eltern im Rahmen ihrer familiären Fürsorge für die Beschaffung des Hilfsmittels aufgekommen sind. Nach der Rechtsprechung des
BSG kann ungeachtet dessen der Versicherte einen Kostenerstattungsanspruch geltend machen (
vgl. zuletzt
BSG vom 03.08.2006 -
B 3 KR 25/05 R -, SOZR 4-2500 § 33
Nr. 13).
Die Kostenbelastung durch Selbstbeschaffung des Hilfsmittels ist vorliegend auch dadurch veranlasst worden, dass die Beklagte die beantragte Versorgung zu Unrecht abgelehnt hat. Die dabei herangezogene Begründung der Beklagten, es handle sich nicht um ein Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung, verstößt gegen
§ 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Nach dieser Bestimmung haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach
§ 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind.
Die im Streit stehende Gebärdensprachesoftware "Tommys Gebärdenwelt" und die Begleitbücher zur Sprachanbahnung / Gebärdensprachanbahnung sind - im Gegensatz etwa zu dem
PC selbst - kein allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, weil diese Gegenstände von einem Spezialverlag speziell für die Bedürfnisse für behinderter Kinder entwickelt wurden und in der Praxis auch nur von Behinderten benutzt werden. Der Anspruch ist auch nicht nach § 34
Abs. 4
SGB V ausgeschlossen; die strittige Gebärdensprachesoftware ist nicht in der
Rechtsverordnung über den Ausschluss von "Hilfsmitteln von geringem therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis" aufgeführt.
Dass die Gebärdensprachesoftware nicht in dem Hilfsmittelverzeichnis der Spitzenverbände der Krankenkassen
gem. § 128 SGB V enthalten ist, begründet ebenfalls keinen Ausschluss aus der Leistungspflicht der Krankenkasse. Die Vorschriften zum Hilfsmittelverzeichnis ermächtigen nicht dazu, den Anspruch des Versicherten einzuschränken, sondern nur dazu, eine für die Gerichte unverbindliche Auslegungs- und Orientierungshilfe zu schaffen (ständige Rechtsprechung des
BSG -
vgl. SozR-3-2500 § 33
Nr. 16, 20 und 25 sowie zuletzt SozR-4-2500 § 33
Nr. 13). Zur Versorgung mit Hilfsmitteln hat das
BSG in ständiger Rechtsprechung deutlich gemacht, dass der gesetzlichen Krankenversicherung allein die medizinische Rehabilitation obliegt, also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktionen einschließlich der Sicherung des Behandlungserfolges, um ein selbständiges Leben zu führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können (
BSG SozR-3-2500 § 33
Nr. 46). Eine darüber hinausgehende berufliche und soziale Rehabilitation, die auch die Versorgung mit einem Hilfsmittel umfassen kann, ist hingegen Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme (
vgl. BSG SozR 3-2500 § 33
Nr. 32 und 46). Hieran hat sich auch durch die Einführung des
SGB IX nichts geändert. Die Förderung der Selbstbestimmung des behinderten Menschen und seiner gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft durch Versorgung mit Hilfsmitteln fällt danach nur dann in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung, wenn sie die Auswirkungen der Behinderung nicht nur in einem bestimmten Lebensbereich (Beruf/Gesellschaft/Freizeit), sondern im gesamten täglichen Leben "allgemein" beseitigt oder mildert und damit ein "Grundbedürfnis des täglichen Lebens" betrifft (ebenso
LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.02.2006 -
L 5 KR 5296/04 - mit Nachweisen zur
BSG-Rechtsprechung).
Nach der ständigen Rechtsprechung gehören zu derartigen Grundbedürfnissen die allgemeinen Verrichtungen des täglichen Lebens wie Gehen, Stehen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnahme, Ausscheidung, elementare Körperpflege, das ständige Wohnen sowie die Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums, die auch die Aufnahme von Informationen, die Kommunikation mit anderen sowie das Erlernen eines lebensnotwendigen Grundwissens umfassen (
BSG SozR 3-2500 § 33 Nrn. 29 und 46
m.w.N.).
Bei der im maßgeblichen Zeitraum der Antragstellung und der Verwaltungs-Entscheidung rund drei Jahre alten Klägerin liegt eine Sprachentwicklungsstörung bei Schwerhörigkeit beidseits vor. Zur Jahresmitte 2006 lag das Sprachverständnisalter des - seit Dezember 2004 mit Hörgeräten versorgten - Kindes etwa bei knapp 1 ½ Jahren und entsprach damit annähernd dem sogenannten "Höralter". Zur sprachlichen Förderung befindet sich die Klägerin seit März 2006 auf Kosten der Beklagten in logopädischer Betreuung; nach dem logopädischen Zwischenbericht vom 01.07.2006 fanden bis dahin 14 Behandlungen statt. Neben dieser logopädischen, vorwiegend lautsprachlichen Förderung bieten die Eltern der Klägerin mit Unterstützung der behandelnden Logopädin durch Erlernen der wesentlichen Gebärden mit Hilfe der streitgegenständlichen Sprachsoftware ein zusätzliches gebärdenorientiertes Angebot, um mit ihrem Kind, dessen aktiver Wortschatz zum genannten Zeitpunkt erst etwa 50 Wörter (etwa entsprechend dem Wortschatz eines 1 ½ jährigen Kindes) umfasste, eine weiterreichende Möglichkeit der Kommunikation zu ermöglichen. Bei der Gebärdensprachsoftware "Tommys Gebärdenwelt" handelt es sich um eine von K. ... vereinfacht für kleine hörbehinderte Kinder entwickelte Gebärdensprache, die auch in neurologischen Rehabilitations-Einrichtungen zur Förderung einer angemessenen, kindgerechten Kommunikation und darüber hinaus zum Training einer gerichteten Aufmerksamkeit, Auffassung und Reaktion eingesetzt wird. Wie die behandelnde Logopädin ........... bestätigt hat und wie zur Überzeugung der Kammer auch aus der Befragung der mittlerweile 4-jährigen Klägerin und ihrer Mutter hervorging, übernimmt sie teilweise schnell die entsprechenden Gesten und setzt diese auch aktiv ein, sodass diese durchaus als Mittel zur Kommunikation zu werten sind. Auch wenn häufig zu beobachten ist, dass Kinder, sobald sie über die lautsprachlichen Möglichkeiten verfügen, die erlernten Gebärden (als überflüssig) dann wieder weglassen, erweitert der Einsatz der kindgerechten Gebärdensprache gerade in der für die Sprachentwicklung so bedeutsamen Alters- und Entwicklungsstufe die kommunikativen Möglichkeiten der Klägerin, ergänzt damit auch die für die Altersstufe so wichtige Aufnahme von grundlegenden Informationen und fördert damit das Erlernen eines lebensnotwendigen Grundwissens und die Entwicklung des Denkens. Damit betrifft das strittige Hilfsmittel in Bezug auf die vorliegende Sprachentwicklungsstörung bei hochgradiger, bis an Taubheit grenzender Innenohrschwerhörigkeit beidseits einen nicht unerheblichen Ausgleich bezüglich eines elementaren menschlichen Grundbedürfnisses.
Die Versorgung der Klägerin mit dem Hilfsmittel und dessen Qualifikation als Leistung der medizinischen Rehabilitation ist auch nicht etwa deshalb ausgeschlossen, weil das strittige Gebärdensprach-Training vorwiegend weder unter Aufsicht eines Arztes erfolgen noch von einer ärztlich beauftragten, qualifiziert ausgebildeten Person verantwortlich durchgeführt oder beaufsichtigt werden soll. Als Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung kommen - wie das
BSG bereits entschieden hat (
vgl. Urteil vom 30.01.2001 a.a.O.) - auch solche Mittel in Betracht, die den Erfolg einer Heilbehandlung bei einer Anwendung durch den Versicherten selbst sicherstellen sollen. Auch für den Bereich des Behinderungsausgleichs hat das
BSG bereits mehrfach entschieden, dass entscheidend ist, ob das Mittel im Einzelfall der behinderten Person dadurch zugute kommt, dass die Auswirkungen ihrer Behinderungen behoben oder gemildert werden, selbst wenn dies dadurch geschieht, dass die Pflege durch Dritte erleichtert wird (
vgl. zuletzt
BSG-Urteil vom 03.08.2006 a.a.O. m. w. N.).
Jedenfalls im vorliegenden Einzelfall lässt sich der Leistungsverpflichtung der Beklagten nach Überzeugung der Kammer auch nicht entgegenhalten, die Versorgung mit der Gebärdensprach-Software sei nicht zusätzlich zur Sprachtherapie erforderlich und erfülle daher nicht die für eine Anspruchsbegründung notwendigen gesetzlichen Kriterien der Erforderlichkeit und der Wirtschaftlichkeit (
vgl. §§ 2 Abs. 4 und
12 Abs. 1 SGB V). In diesem Zusammenhang ist beachtlich, dass die Möglichkeiten der (professionellen) Sprachtherapie bei kleinen Kindern allgemein und so auch im vorliegenden Fall insofern begrenzt sind, als sich in der Regel nur eine Therapieeinheit in der Woche durchführen lässt. Hinzu kommt entscheidend, dass es gerade bei Kindern in diesem frühen Alter dann auch von der jeweils aktuell vorhandenen "Lust und Motivation des Kindes" abhängig ist, inwiefern innerhalb der zur Verfügung stehenden Therapie- Stunde gezielt sprachtherapeutisch mit dem Kleinkind gearbeitet werden kann. Vor diesem Hintergrund hängt der Erfolg einer Sprachtherapie bei Kindern in diesem frühen Alter häufig ohnehin entscheidend auch davon ab, inwieweit Eltern sich bereitfinden und sich dazu qualifizieren, die erforderliche intensive sprachliche Förderung und Betreuung des Kindes auch im häuslichen Rahmen zu leisten. Wie die behandelnde Logopädin des Weiteren bestätigt hat, lässt sich die sprachliche Förderung der Klägerin jedenfalls in dem hier maßgeblichen Entwicklungszeitraum durch das Erlernen und den Einsatz wesentlicher Gebärden zusätzlich zur Lautsprache in nicht nur ganz unwesentlichem Umfang intensivieren und ergänzen und stellt sich die Gebärdensprache damit als sinnvolles und geeignetes Mittel zur erweiterten Kommunikation dar. Auch aus der Befragung der Klägerin und ihrer Mutter in der mündlichen Verhandlung hat die Kammer die Überzeugung gewonnen, dass das Erlernen und der Einsatz der kindgerechten Gebärdensprach-Software durch die gut informiert und ausreichend qualifiziert erscheinenden Eltern des Kindes einen seriösen Beitrag dazu leisten, die sprachliche und intellektuelle Entwicklung des Kindes gerade in diesem für die Persönlichkeitsentwicklung so prägenden Alter verantwortungsvoll und intensiv zu fördern. Im Hinblick auf diesen beachtlichen Einsatz der ganzen Familie beim Erlernen und Anwenden der Gebärdensprache zum Zweck einer aktuell intensivierten Kommunikation mit der Klägerin stellt sich auch der finanzielle Aufwand von lediglich 217,50
EUR für die streitgegenständliche Gebärdensprachsoftware als nicht unverhältnismäßig dar.
Schließlich kann die Beklagte dem geltend gemachten Anspruch auf Erstattung des Kaufpreises auch nicht entgegenhalten, sie hätte die strittige Software möglicherweise preisgünstiger selbst besorgen oder etwa auch nur leihweise überlassen können. Nach § 13
Abs. 3 Satz 1
SGB V sind die Kosten "in der entstandenen Höhe" zu erstatten, wenn die Leistung - wie hier von der Kammer bejaht - notwendig war. Zwar ist jeder Versicherte nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12
SGB V) gehalten, keine unnötigen Kosten zu verursachen. Doch genügt er dieser Pflicht bereits, wenn er den Kostenaufwand für angemessen halten durfte. Dies ist auch vorliegend der Fall, nachdem die Beklagten gegen den ihr übersandten Kostenvoranschlag der Höhe nach keine Einwendungen erhoben hatte (
vgl. BSG, Urteil vom 03.08.2006 a.a.O.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193
SGG, der Anspruch auf Verzinsung aus § 44
SGB I.
Da die Kammer unter Berücksichtigung der Besonderheiten des vorliegenden Sachverhalts von einer Einzelfall-Entscheidung ausgegangen ist, hat sie davon abgesehen, dem Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung beizumessen und die - bei einem Streitwert von unter 500,00
EUR ausgeschlossene - Berufung
gem. § 144
Abs. 2Nr. 1
SGG zuzulassen.