Urteil
Kostenübernahme von Hüftprotektoren (Hüftschutzhosen)
Gericht:
SG Aachen 13. Kammer
Aktenzeichen:
S 13 KR 12/08
Urteil vom:
10.06.2008
SG Aachen 13. Kammer
S 13 KR 12/08
10.06.2008
Die Beklagte wird unter Aufhebung der Bescheide vom 22.10.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11.12.2007 verurteilt, den Kläger mit Hüftprotektoren (Hüftschutzhosen) zu versorgen.
Die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers trägt die Beklagte.
Die Berufung wird zugelassen.
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch des Klägers auf Versorgung mit Hüftprotektoren ( Hüftschutzhosen).
Der am 00.00.1944 geborene Kläger leidet an einer Erkrankung des zentralen Nervensystems im Sinne eines fortgeschrittenen Steele-Richardson-Olzewski-Syndrom (PSP). Dieses äußert sich u.a. in einer undeutlichen Sprache, einer Schwächung der Augenmuskulatur (Blickparese), kleinschrittigem Gang und Gangunsicherheit mit Fallneigung. Seit 2007 ist er neben einem Gehstock auch mit einem Rollator versorgt, desweiteren mit einem Helm zum Schutz des Kopfes, einem Notrufknopf und Haltegriffen im Bad. Im Februar 2008 bewilligte die Beklagte ihm einen Greifreifenrollstuhl, im März 2008 einen Rollator mit Unterarmauflagen. Der Kläger ist erheblich pflegebedürftig (Pflegestufe I). Er ist in der Vergangenheit bereits mehrfach gestürzt. Hausärztlich dokumentiert sind zuletzt Sturzereignisse am 10.12.2007, 20.12.2007 und 05.01.2008. Bei den bisherigen Stürzen kam es (noch) nicht zu Frakturen, wohl aber zu Kopfschürf- und -platzwunden, Hüft-, Brust- und Steißbeinprellungen.
Am 15.10.2007 beantragte der Kläger die Versorgung mit Hüftprotektoren (Hüftschutzhosen). Er legte hierzu eine entsprechende Verordnung seiner Hausärztin L. vom 09.10.2007 vor.
Die Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 22.10.2007 ab mit der Begründung, Hüftschutzhosen seien keine Hilfsmittel im Sinne des Sozialgesetzbuches. Die vorbeugende Wirkung der Hüftschutzhosen sei zu wenig auf eine konkrete drohende Behinderung ausgerichtet.
Dagegen legte der Kläger am 30.10.2007 Widerspruch ein. Trotz Rollator traue er sich kaum aus der Wohnung, da es regelmäßig zu Stürzen komme, und zwar auch mit dem Rollator; dabei falle er regelmäßig auf die Hüfte und den Kopf; die Nutzung von Hüftprotektoren würde ihm ein Stück Sicherheit geben, Schmerzen und Blutergüsse verhindern und ihm ein etwas normaleres Leben ermöglichen.
Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 11.12.2007, zur Post gegeben am 14.12. 2007, zurück. Sie vertrat die Auffassung, weder gleiche eine Hüftschutzhose eine Behinderung aus, noch sei sie erforderlich, um den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern; sie diene lediglich der Prophylaxe bezüglich einer Fraktur, falls ein Sturz erfolgen sollte. Der Hüftschutz habe daher keine Hilfsmitteleigenschaft. Im Übrigen lägen Stellungnahmen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vor, die bestätigten, dass der therapeutische und protektive Nutzen bisher nicht belegt sei.
Dagegen hat der Kläger am 14.01.2008 Klage erhoben. Er meint, Hüftschutzhosen erfüllten die Kriterien für eine Hilfsmittelversorung durch die gesetzliche Krankenversicherung. Sie ermöglichten ihm eine gewisse Mobilität und eine Steigerung der Selbstständigkeit. Trotz Rollator würden durch seine Erkrankung häufige Stürze verursacht; die dadurch möglichen Verletzungsfolgen könnten durch eine Hüftschutzhose verhindert oder gemindert werden. Hüftprotektoren ermöglichten die Befriedigung des Grundbedürfnisses auf freie Bewegung im Bereich der Wohnung; wegen der permanenten Sturzgefährung bestehe eine Bewegungsunsicherheit, die - ohne Hüftschutzhose - einer Bewegungsunfähigkeit gleichkomme. Die Sturzhäufigkeit selbst sei bereits Teil der bestehenden Behinderung; diese werde durch das Tragen der entsprechenden Protektoren für Hüfte und Kopf zumindest teilweise ausgeglichen. Der Kläger hat Informationsmaterial vorgelegt, wonach eine Hüftschutzhose mit zwei Protektoren zum Preis von 39,90 EUR erhältlich ist.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22.10.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11.12.2007 zu verurteilen, ihn mit Hüftprotektoren (Hüftschutzhosen) zu versorgen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie meint, es fehle an der Erforderlichkeit der Hüftprotektoren als Hilfsmittel im Einzelfall. Durch diese solle einer abstrakten Verletzungsgefahr entgegengewirkt werden. Sturzgefahr bei geriatrischen Personen sei nicht als eigentliche Krankheit, sondern als Folge eines multimorbiden Zustandes einzuschätzen. Hüftprotektoren ersetzten weder teilweise noch ganz ausgefallene oder beeinträchtigte Körperfunktionen; ihr Einsatz führe nicht zur Beeinflussung des Sturzrisikos; ihr Zweck bestehe in der allgemeinen Verhütung möglicher Sturzfolgen, speziell Hüft- bzw. hüftgelenksnaher Knochenbrüche.
Zur weiteren Aufklärung des medizinischen Sachverhalts hat das Gericht Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte Dr. E. und L. eingeholt. Wegen des Ergenisses wird auf die Berichte vom 07.03. und 10. 03.2008 verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
R/R4016
Informationsstand: 16.09.2008