Die Beteiligten streiten über einen Anspruch der Klägerin auf eine Versorgung mit Dynamic
GPS-Soft-Orthesen.
Die 1995 geborene und bei der Beklagten krankenversicherte Klägerin leidet infolge einer Frühgeburt mit postnataler Hirnblutung an einer rechtsbetonten spastischen Tetraparese mit einer spastischen Gangstörung. Ein selbständiges Gehen ist ohne Hilfsmittel,
z.B. Rollator, nicht möglich, zumal eine Adduktorenkontraktur in den Oberschenkeln und eine starke Valgusstellung beider Beine besteht. Auch die Bewegungsfähigkeit der Arme ist stark eingeschränkt. Die Intelligenzentwicklung ist altersgleichen Kindern gegenüber rückläufig. Das Sprechen ist undeutlich, für einen ungeübten sind nur wenige Worte verständlich. Allerdings konnte durch intensive Ergotherapie und andere intensive ambulante Rehabilitationsbehandlungen, wie konduktive Förderung nach Petö eine gewisse Verbesserung der Gesamtsituation erreicht werden. Wegen der verbliebenen massiven Behinderungen erhält die Klägerin Leistungen aus der Pflegeversicherung nach Pflegestufe III und ist insoweit als Härtefall eingestuft.
Unter Vorlage einer Verordnung der Fachärztinnen für Kinder- und Jugendmedizin Dres. G. und W. vom 11. Februar 2003 sowie eines Kostenvoranschlages der
Fa. O.
GmbH - C. , C-Stadt vom 28. Februar 2003 in Höhe von insgesamt Euro 1.098,95 hatte die Klägerin am 3. März 2003 die Kostenübernahme für ein paar Dynamic
GPS-Soft-Orthesen für Becken und beide Beine beantragt. Frau
Dr. W. hatte auf Nachfrage der Beklagten in ihrem Attest vom 31. März 2003 ausgeführt, mittels der verordneten dynamischen
GPS-Soft-Orthese solle das Sitzen verbessert und im Stand durch die erhöhte Stabilität Stehversuche und erste Schritte angebahnt werden. Die O.
GmbH hatte auf Ersuchen der Beklagten eine Produktbeschreibung zu der Dynamic
GPS-Soft- Orthese vorgelegt. Daraus ergibt sich, dass Hersteller dieser Orthese die
Fa. P. W.
GmbH, C-Stadt ist, deren Geschäftsführer, der Physiotherapeut B. P., zugleich Geschäftsführer der O.
GmbH ist. In der Produktbeschreibung wird dargelegt, die Dynamic
GPS-Soft-Orthese, die aus elastischem Material gefertigt werde, liege wie eine zweite Haut dem jeweiligen Körperteil eng an. Durch den so ausgelösten Druck auf die unterschiedlichsten Rezeptoren an der Haut, im Unterhautgewebe und in der Muskulatur werde die Wahrnehmung (Proprioception)
z.B. des Armes, des Beines oder des Rumpfes verbessert. Hierdurch werde die Stellung der Extremität im Raum durch die entsprechenden Rückkopplungsmechanismen zwischen Gehirn und Rezeptoren bewusster gemacht. Damit könne die Bewegungsqualität günstig beeinflusst werden, auch durch Einflussnahme auf die Muskelspannung (Tonus) in verschiedenen Ausgangsstellungen mittels Druck und Zug. Entsprechend angebrachte Verstärkungspelotten und aufgebrachte dynamische Züge erhöhten die Stabilität
z.B. im Becken und könnten die Außendrehung der Hüfte unterstützen. Auch das Stehen werde mit dieser Spezialorthese verbessert.
Die Beklagte zog noch weitere medizinische Unterlagen bei (Bericht
bzw. Attest der Frau
Dr. W. vom 23./24. April 2003, telefonische Auskunft der Physiotherapeutin Frau HA. sowie Arztbriefe des Instituts für Kinderneurologie K.-Stadt/T., ärztliche geleitet von dem Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin sowie physikalische Therapie und rehabilitative Medizin
Dr. R., vom 10. Februar und 07. April 2003) und holte ein sozialmedizinisches Gutachten nach Aktenlage beim MDK ein, das der Facharzt für Orthopädie
Dr. EV. unter dem Datum vom 18. April 2003 erstellte. Er gelangte zu der Beurteilung, bei der dynamischen
GPS-Soft-Orthese handele es sich um ein neues Hilfsmittel für das der Nachweis der therapeutischen Wirksamkeit nicht erbracht sei. Auch sei für ein solches Hilfsmittel, das nach dem Prinzip einer propriozeptiven Regulation arbeite, im Hilfsmittelverzeichnis keine entsprechende Produktgruppe vorgegeben. Auf Veranlassung der Beklagten legte die O.
GmbH noch zwei Sonderdrucke von Veröffentlichungen zum Einsatz von Lycra-Anzügen in der Behandlung von Kindern mit Cerebralparesen
bzw. zu den Effekten der Verwendung von Lycra Splints im Bereich der oberen Extremitäten bei hemiplegischen Patienten (A.P. C.P. Journal, 1999,
S. 47
ff.; Arch. Phys. Med. Rehabil. Vol 81,
S. 1547
ff.), jeweils in englischer Sprache gehalten, vor. Hierzu führte die Orthopädin
Dr. G.-M. in ihrer für den MDK erstellten Stellungnahme nach Aktenlage vom 19. Mai 2003 aus, die beiden vorgelegten Veröffentlichungen stellten keinen wissenschaftlichen Beleg für die Wirksamkeit des beantragten Hilfsmittels dar. Es handele sich um reine Fallbeobachtungen an 15 Kindern
bzw. an 16 Erwachsenen. Eine Kostenübernahme für die
GPS-Soft-Orthese könne nicht empfohlen werden, da der Wirksamkeitsnachweis nach
§ 139 Abs. 2 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) nicht erbracht sei.
Gestützt auf die Stellungnahmen des MDK lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 17. Juni 2003 den Antrag ab. Sie erteilte der Klägerin jedoch eine Kostenzusage für die Versorgung mit Unterschenkelorthesen aus Carbonfasermaterial mit tonusregulierender Fußbettung. Die Klägerin erhob unter Vorlage eines ärztlichen Attestes des Orthopäden
Dr. WD., der die Versorgung mit den Dynamic
GPS-Soft-Orthesen befürwortete, Widerspruch und bat um eine Begutachtung seitens des MDK nach körperlicher Untersuchung. Eine solche fand nicht statt. Mit Widerspruchsbescheid vom 7. August 2003 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. In der Begründung heißt es, die Kasse schließe sich den schlüssigen Ausführungen des MDK an, wonach die Versorgung mit dem beantragten Hilfsmittel medizinisch nicht notwendig sei und eine Kostenübernahme nicht in Übereinstimmung mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot des
§ 12 Abs. 1 SGB V stünde. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts dürften Behandlungsweisen, deren therapeutischer Nutzen nicht erwiesen sei
bzw. für die ein Wirksamkeitsnachweis nicht erbracht werden könne, nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden.
Die Klägerin erhob durch ihre Mutter als gesetzliche Vertreterin am 8. September 2003 Klage beim Sozialgericht Frankfurt am Main mit dem Antrag, ihr die Kosten in Höhe von 1.098,95 Euro für die zwischenzeitlich auf eigene Rechnung selbst beschaffte Dynamic
GPS-Soft-Orthese zu erstatten. Sie legte drei in englischer Sprache abgefasste Veröffentlichungen sowie einen ins Deutsche übersetzten Artikel bei, die die Wirkungsweise und den positiven Effekt des Dynamic
GPS-Soft-Orthesen Konzeptes belegen sollen. Es handelt sich dabei um folgende Publikation:
J.H. Nicholsen
et al. Assessment of upper-limb funktionand movement in children with cerebral palsy wearing lycra garments Developmental medicine & Child Neurology 2001, 43: 384-391
JM Garcies
et al. Short-Term Effects of Dynamic Lycra Splints on Upper Limb in Hemiplegic Patients Arch Phys Med Rehabil, dec. 2000, Vol 81: 1547-1555
Edmonson
et al. How Effective are Lycra Suits in the Management of Children with Cerebral Palsy A.P.C.O. Journal, March 1999: 49-55.
St. Attfield
et al. Evaluation der Stabilität von Lycra Soft-Orthesen unter Anwendung der kinematischen -D-Analyse Orthopädie-Technik 2006,
S. 480
ff.In dem offensichtlich von dem Hersteller der Dynamic
GPS-Soft-Orthesen erstellten Beiblatt wird darauf hingewiesen, dass es sich bei den in den Artikeln beschriebenen Orthesen um Ganzkörperorthesen oder Orthesen mit geschlossenem Schritt und geschlossener Fußspitze handele, die im Handling große Schwierigkeiten bereiteten. Die aktuellen Dynamic
GPS-Soft-Orthesen hätten diese Schwachpunkte aufgenommen und geändert, wodurch sich die Akzeptanz der Patienten bei Erhalt der Wirkungsweise deutlich verbessert habe.
Das Sozialgericht hat zunächst Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt. Der Kinderarzt
Dr. R. hat in seinem Bericht vom 12. Januar 2004 ausgeführt, durch die
GPS-Soft-Orthese werde das Steh- und Gehverhalten der Klägerin stabilisiert und verbessert, da sie ohne fremde Hilfe nicht Stehen und Laufen könne. Der Orthopäde
Dr. WD. hat in seinem Bericht vom 22. Dezember 2003 mitgeteilt, unter der Anwendung der streitigen Soft-Orthese sei eine Vertikalisierung zusammen mit den rigiden Unterschenkelorthesen erreicht worden. Die Aufrichtung und ein an die Mutter gelehntes Gehen seien mit der Soft- Orthese möglich. Die Mobilisation des kontaktfreudigen Kindes sei mit der Soft-Orthese und Unterschenkelschienen und orthopädisch gerechten Schuhen zunehmend fortschreitend. Hinzuweisen sei auch darauf, dass die streitige Orthese auch über den spinalen Bogen allein durch Kompression zu einer verbesserten aktiven Stabilisierung führe. Die Kinderärztin Frau
Dr. W. führte in ihrem Befundbericht vom 20. Januar 2004 aus, es bestehe die Chance, dass die Klägerin durch das streitige Hilfsmittel allmählich zum selbständigen Laufen komme, zumindest aber vermieden werde, dass sie überwiegend an den Rollstuhl gebunden sei. Das Sozialgericht hat sodann Beweis erhoben durch Einholung eines fachorthopädischen Gutachtens von dem Facharzt für Orthopädie, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin sowie Chefarzt im
LVA-Zentrum für Rehabilitation, AC.-Stadt,
Dr. A. ABB. Das schriftliche Gutachten vom 23. März 2005 beruht auf einer Auswertung der Akten sowie einer klinischen Untersuchung der Klägerin, die allerdings zu diesem Zeitpunkt bereits aus der beschafften Soft- Orthese herausgewachsen war.
Dr. ABB. ergänzte sein Gutachten auf Anforderung des Gerichtes unter dem 14. Februar 2006, um auf die in dem MDK-Gutachten nach Aktenlage des Arztes für Orthopädie-Rheumatologie, physikalische und rehabilitative Medizin
Dr. G. Ferdinand vorgetragenen Einwände einzugehen.
Das Sozialgericht gab der Klage mit Urteil vom 15. Januar 2007 statt und verurteilte die Beklagte, der Klägerin die Kosten in Höhe von 1.098,95 Euro für die Dynamic
GPS-Soft-Orthese zu erstatten. In den Entscheidungsgründen wird ausgeführt: Die Beklagte habe die Versorgung mit der streitgegenständlichen Soft-Orthese zu Unrecht verweigert, so dass die Klägerin gezwungen gewesen sei, sich eine notwendige Leistung selbst zu beschaffen und ihr ein Kostenerstattungsanspruch nach
§ 13 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) zustehe. Abzustellen sei auf die in
§ 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V für den Anspruch auf Versorgung mit orthopädischen und anderen Hilfsmitteln angeführte dritte Variante, nämlich den Ausgleich einer Behinderung durch ein Hilfsmittel. Nach dieser Vorschrift bestehe ein Anspruch auf das begehrte Hilfsmittel, wenn es erforderlich sei, um das Gebot eines möglichst weitgehenden Behinderungsausgleiches zu erfüllen. Gegenstand des Behinderungsausgleiches seien zunächst solche Hilfsmittel, die auf den Ausgleich der Behinderung selbst gerichtet seien, also zum unmittelbaren Ersatz der ausgefallenen Funktion dienten. Der in § 33
Abs. 1 Satz 1
SGB V genannte Zweck des Behinderungsausgleiches umfasse jedoch auch solche Hilfsmittel, die die direkten und indirekten Folgen einer Behinderung ausglichen. Im Falle der Klägerin sei das allgemeine Grundbedürfnis der Bewegungsfreiheit betroffen, das bei Gesunden durch die Fähigkeit des Gehens, Laufens, Stehens
usw. sichergestellt werde.
Vorliegend sei die streitgegenständliche Dynamic
GPS-Soft-Orthese erforderlich im Sinne von § 33
SGB V, um eine Behinderung der Klägerin auszugleichen. Bei ihr bestehe eine Behinderung, die sie an der Fortbewegung hindere. Aufgrund des nach einer Untersuchung der Klägerin erstellten, ausführlich begründeten, nachvollziehbaren und schlüssigen Gutachtens des
Dr. ABB. stehe zur Überzeugung des Gerichtes fest, dass der Klägerin ein selbständiges Gehen ohne Hilfsmittel nicht möglich sei. Der Gutachter sei zu der begründenden Feststellung gelangt, dass die Soft-Orthese notwendig sei, da sie die Situation der Klägerin verbessere und eine medizinische Indikation nachweislich bestehe. Mit der Dynamic
GPS-Soft-Orthese für Becken und Beine könne eine Verbesserung der Steh- und Gehfähigkeit der Klägerin erreicht werden und ein besseres Gangbild sei möglich. Der hiergegen vom MDK erhobene Einwand, der gerichtliche Sachverständige habe die Wirkung der Orthese nicht im Sinne einer Einzelfallprüfung an der Klägerin überprüfen können, sei unsachlich und stehe dem Klageanspruch nicht entgegen. Es könne der Klägerin nicht zum Nachteil gereichen, dass sie zum Untersuchungszeitpunkt nicht mehr mit einer Orthese versorgt war, da die im Juni 2003 selbst beschaffte
GPS-Soft-Orthese zwischenzeitlich zu klein geworden sei. Auch sei darauf hinzuweisen, dass der MDK selbst sachwidrig keine Begutachtung der Klägerin durchgeführt habe.
Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten sei es nicht erforderlich, den therapeutischen Nutzen der Dynamic
GPS-Soft- Orthese durch Ergebnisse klinischer Prüfungen nachzuweisen, da ein derartiger Beweismaßstab in der gesetzlichen Krankenversicherung nur bei der Beurteilung der Wirksamkeit von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden sowie von Arzneimitteln gelte. Derartige Zulassungsvoraussetzungen bestünden für die Versorgung mit Hilfsmitteln nicht. Soweit nur ein Behinderungsausgleich im Sinne des § 33
Abs. 1 Satz 1
SGB V in Betracht komme und keine Behandlung durch das Hilfsmittel angestrebt werde, verlange die Rechtsprechung nicht, dass die Zweckmäßigkeit eines neuen Hilfsmittels nach den Maßstäben des
§ 135 SGB V festgestellt werde, insbesondere klinische Studien vorliegen (Hinweis auf Bundessozialgericht, Urteil vom 16. September 2004,
B 3 KR 20/04 R, C-Leg). Soweit
§ 139 Abs. 2 SGB V für Hilfsmittel den Nachweis eines therapeutischen Nutzens verlangt, bedeute dies nicht, dass für Hilfsmittel jeglicher Art auch die Ergebnisse klinischer Prüfungen vorgelegt werden müssten. Deshalb sei es zulässig, sich zum Nachweis der Vorzüge eines derartigen Hilfsmittels auf Gutachter, ihr ärztliches Erfahrungswissen und die von ihnen ausgewertete Fachliteratur zu stützen, während es weitergehender klinischer Prüfungen nicht bedürfe (Bundessozialgericht, Urteil vom 16. September 2004). Die Produktsicherheit und Zweckmäßigkeit eines Hilfsmittels werde durch eine Kennzeichnung nach dem Medizinproduktgesetz gewährleistet, der das Bundessozialgericht Tatbestandswirkungen für Entscheidungen nach dem
SGB V zuspreche. Soweit die Beklagte einen Wirksamkeitsnachweis für die streitgegenständlichen Orthesen nach § 139
Abs. 2
SGB V fordere, verkenne sie im Übrigen auch, dass für den Leistungsanspruch des Versicherten nach § 33
SGB V die Aufnahme eines Hilfsmittels in das Hilfsmittelverzeichnis nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht erforderlich sei (Hinweis auf
BSG, Urteil vom 3. August 2006,
B 3 KR 25/05 R; Urteil vom 16. September 2004, B 3 KR 20/04 R; Urteil vom 23. August 1995,
3 RK 7/95; Urteil vom 16. April 1998,
B 3 KR 9/97 R; Urteil vom 29. September 1997,
8 RKn 27/96; Urteil vom 17. Januar 1996,
3 RK 16/95).
Gegen das ihr am 5. Februar 2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 28. Februar 2007 Berufung eingelegt.
Sie trägt vor, entgegen der Auffassung des Sozialgerichts könne mit Hilfe der Dynamik
GPS-Soft-Orthese keine Behinderung ausgeglichen werden, sondern allenfalls wenn überhaupt, der Erfolg einer Krankenbehandlung gesichert werden. Dies ergäbe sich auch aus einem in Fotokopie in Anlage beigefügten Aufsatz des Geschäftsführers B. P. der P. W.
GmbH mit dem Titel, "Erste Erfahrungen mit einem neuen Orthesenkonzept in Deutschland", erschienen in der Zeitschrift Orthopädie-Technik 2003,
S. 350. Diesem Aufsatz sei zu entnehmen, dass mittels des streitigen Hilfsmittels bei cerebralen Bewegungsstörungen der Muskeltonus u.a. durch Druck und Zug günstig beeinflusst werden solle, was bedeute, dass nicht allein mit Hilfe dieser Orthese das Gehen bereits ermöglicht werde. Vielmehr handele es sich um ein neues Hilfsmittel zur Krankenbehandlung. Dann sei jedoch ein Rückgriff auf die Kriterien in § 135
Abs. 1 Satz 1
SGB V für die Bewertung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden erforderlich, was bedeute, dass zunächst die Anerkennung der neuen Behandlungsmethode durch den Gemeinsamen Bundesausschuss
gem. § 135
SGB V herbeizuführen sei, ehe das der Durchführung dieser neuen Methodik dienende Hilfsmittel überhaupt in das Hilfsmittelverzeichnis aufgenommen werden könne.
Etwas anderes gelte nur dann, wenn ein Hersteller ein neues Hilfsmittel auf den Markt bringe, das nicht der Anwendung einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode diene, sondern im Rahmen einer eingeführten anerkannten Behandlungsmethode zum Einsatz kommen solle. Laut der Stellungnahme des MDK vom 2. Mai 2006 sei der Nachweis des therapeutischen Nutzens und der Wirksamkeit nach § 139
Abs. 2
SGB V für das begehrte Produkt und für die beanspruchte Indikation nicht erbracht. Die streitige Dynamic
GPS-Soft-Orthese habe auch nicht in die Leitlinien der wissenschaftlichen Fachgesellschaft der Orthopädie bezüglich der orthopädisch-technischen Versorgung bei den bei der Klägerin vorliegenden Erkrankungen Eingang gefunden und werde dort auch nicht empfohlen. Schließlich seien die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen
Dr. ABB., dass der Nachweis eines therapeutischen Nutzens im Falle der Klägerin erwiesen sei, nicht überzeugend. Die von
Dr. ABB. getroffene Aussage beziehe sich auf die Vergangenheit und stelle damit lediglich eine subjektive und retrospektiv schwer nachprüfbare Beobachtung
bzw. Beurteilung dar. Die Klägerin habe bei der Untersuchung durch
Dr. ABB. die streitige Orthese nicht mehr getragen. Letztlich handele es sich um eine isolierte Expertenmeinung des gerichtlichen Sachverständigen. Sie sei durchaus bereit, der Klägerin die notwendigen Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen und habe dies bereits getan durch Versorgung mit einem Aktivrollstuhl, einer Therapieliege, Therapiesitzhilfen, Fuß- und Oberschenkelorthesen sowie Lagerungshilfen zur Stützung der therapeutischen Hilfen. Dabei habe es sich aber anders als im jetzt streitgegenständlichen Fall um Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich gehandelt.
Die Angabe der Klägerin, ihr sei zwischenzeitlich unter dem 1. März 2007 eine Kostenübernahmeerklärung für die Versorgung mit einer neuen Dynamic
GPS-Soft-Orthese erteilt worden, sei richtig. Dabei habe es sich aber um eine Fehlentscheidung eines Mitarbeiters gehandelt. Von einer Rückforderung werde abgesehen. Weiter hat die Beklagte noch eine Grundsatzstellungnahme zur Dynamic
GPS-Soft-Orthese bei dyston-ballistischer Bewegungsstörung nach Hirnblutung und apallischem Syndrom des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung N. vom 13. Februar 2006, erstellt von dem Facharzt für Orthopädie/Chirotherapie/Rehabilitationswesen, Sozialmedizin
Dr. R. St. vorgelegt und sich diese zu eigen gemacht.
Dr. St. führt in seiner Grundsatzstellungnahme aus, bei der Dynamic
GPS-Soft-Orthese handele es sich um eine eng anliegende Orthese aus Lycra und Baumwolle, die vorkonfektioniert hergestellt und auf die individuellen Bedürfnisse der Patienten mit verschiedenen neurologischen Krankheitsbildern angepasst werde. Die Bezeichnung
GPS sei eine Abkürzung, wobei G für Guidance = Führung stehe, P für Pressure = Druck und S für Stabilizing = Stabilisierend. Ausgehend von physiotherapeutischen Behandlungskonzepten auf neurophysiologischer Basis,
z.B. der propriozeptiven neuromuskulären Fazilitation (PNF) oder der krankengymnastischen Technik nach Bobath
bzw. Vojta, versuchten Physiotherapeuten seit mehr als 10 Jahren bei neurologischen Krankheitsbildern zur Therapieunterstützung
z.B. Ganzkörper-Neoprenanzüge einzusetzen, um mit deren Hilfe über die Stimulierung von Propriozeptoren den Muskeltonus und die reflektorische Kontrolle von Gelenkstellungen bei neurogenen Bewegungsstörungen zu verbessern. Die Propriozeptoren seien Mess-Sensoren für die unbewusste und bewusste Haltungs- und Bewegungskontrolle, die sich in den Kapseln von Gelenken, in den Muskeln, Sehnen und in der Muskulatur selbst befinden. Die Aktivierung der Propriozeptoren führe zu Erregungen in sensorischen Arealen der Großhirnrinde, wodurch dem Gehirn Informationen über Lage, Bewegungen und Kraft aller beweglichen Körperelemente vermittelt würden. Durch den Druck von Verbänden, Bandagen, Orthesen und verschiedenen Hilfsmitteln würden die Propriozeptoren gereizt, wodurch dieser Teil des Körpers dem Gehirn verstärkt bewusst gemacht werde. Die US-amerikanische Physiotherapeutin N. H. gelte weltweit als Protagonistin des Einsatzes von propriozeptiv wirkenden Hilfsmitteln. Verschiedene Hersteller hätten vor einigen Jahren die Idee von N. H. aufgegriffen und daraus eigene Produkte entwickelt. Dies sei auch von der Firma P. W. geschehen, wobei der Geschäftsführer Herr B. P., Physiotherapeut, zusammen mit Herrn M.
LG., ebenfalls Physiotherapeut, tätig am Sozialpädiatrischen Zentrum FE.-Stadt, in der Zeitschrift für Physiotherapeuten den Übersichtsartikel über "Erste Therapieerfahrungen in Deutschland mit einem neuen Orthesenkonzept" veröffentlicht habe. Einen ähnlichen Artikel hätten diese Autoren auch in der Zeitschrift Orthopädie-Technik vom Mai 2003 veröffentlicht.
Der Hersteller der Dynamic
GPS-Soft-Orthese, die Firma P. W., habe auf hiesige Anforderungen von Studien zur Wirkungsweise und dem positiven Effekt dieses Orthesenkonzepts vier Literaturstellen mit Volltext übermittelt. Es werden dann die drei bereits im Klageverfahren von Klägerseite eingereichten Aufsätze von N., G. sowie E. sowie weiter ein Aufsatz von At., J. R. ,
S.: A review of the use of Lycra pressure orthoses for children with cerebral palsy, International Journal of Therapy and Rehabilitation, March 2004, 11, 3:120 - 126 aufgeführt. In der Grundsatzstellungnahme werden diese vorgelegten Studien dahin bewertet, dass es sich um Fallserien und andere nicht vergleichende Studien, die der sehr niedrigen Evidienzstufe
IV entsprächen, handele. Somit seien Wirksamkeit und Unbedenklichkeit, Kosten-/Nutzenanalyse zu den
GPS Soft-Orthesen bei allen angegebenen Indikationen bisher nicht durch entsprechende Studien untermauert. In den vorliegenden Studien werde auch deutlich auf die Akzeptanzprobleme der Orthesen hingewiesen. Die Firma P. W. beschreibe insoweit nur pauschal, dass bei dem von ihr entwickelten Orthesenkonzept die Akzeptanzprobleme gelöst seien. Eigene Studien über die
GPS-Orthese seien aber nicht veröffentlicht worden. Nach dem Urteil des Bundessozialgericht vom 31. August 2000 (
B 3 KR 21/99 R) müssten Hilfsmittel, die der Krankenbehandlung der Versicherten dienen, dem Stand der medizinischen Wissenschaft unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes entsprechen. Für die Bewertung von Hilfsmitteln zur Krankenbehandlung sollen die gleichen Kriterien wie für die Bewertung von neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden gelten. Diese vom Bundessozialgericht aufgestellten Maßstäbe für die Prüfung der Wirksamkeit seien auch an die
GPS-Orthese anzulegen.
Erklärter Zweck des
GPS-Orthesensystems sei es, alternativ
bzw. in Ergänzung zu anderen Behandlungsmethoden der Physiotherapie und medikamentösen Therapie über eine günstige Beeinflussung des zentralen Nervensystems pathologischen Haltungs- und Bewegungsmustern entgegenzuwirken, übermäßige Muskelspannungszustände und Spasmen zu reduzieren und dadurch die mit verschiedenen neurologischen Krankheitsbildern einhergehenden Bewegungsstörungen zu verbessern. Die
GPS-Orthese solle also nicht wie nur lokal an der jeweiligen Körperregion wirkende Orthesen zum Ausgleich einer Behinderung dienen, sondern über eine Fern-
bzw. systemische Wirkung zur Sicherung des Erfolges der Krankenbehandlung insgesamt eingesetzt werden. Mit den bisher veröffentlichten Studien sei der in § 139
Abs. 2
SGB V geforderte Nachweis des therapeutischen Nutzens und der Qualität der
GPS-Orthese nicht erbracht, so dass die Voraussetzungen zur Aufnahme im Hilfsmittelverzeichnis bisher nicht erfüllt seien. Auch fehlten Studien, die die Wirksamkeit derartiger Lycra-Orthesen im Vergleich zu anderen elastischen Verbänden, Kompressionsstrümpfen und Bandagen untersuchten. Vergleichende Untersuchungen zwischen verschiedenen Therapiemöglichkeiten der genannten neurogen bedingten Bewegungsstörungen seien insbesondere im Anbetracht des hohen Preises der
GPS-Orthesen (1.500 bis mehrere tausend Euro, je nach Ausführung) unbedingt erforderlich, um eine Kosten- Nutzen-Analyse anstellen zu können. Zusammenfassend fehlten nach heutigem Kenntnisstand für alle vom Hersteller genannten Indikationen der Nachweis der Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und Wirtschaftlichkeit der
GPS-Orthese.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 15. Januar 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin von ihrer Zahlungsverpflichtung entsprechend der Rechnung der Firma O.
GmbH vom 19. Juni 2003 freizustellen.
Sie hält das sozialgerichtliche Urteil für zutreffend und verweist darauf, dass die Beklagte zwischenzeitlich eine Kostenübernahmeerklärung vom 1. März 2007 für die Versorgung mit einer neuen Dynamic
GPS-Soft-Orthese bewilligt habe. Im Termin zur mündlichen Verhandlung ist seitens der Klägerin die Rechnung der Firma O.
GmbH vom 19. Juni 2003 über die Erstellung der streitgegenständlichen Soft-Orthese vorgelegt und mitgeteilt worden, der Rechnungsbetrag werde bis zum Abschluss des Streitverfahrens gestundet.
Auf Anfrage des Gerichts hat die O.
GmbH mit Schriftsatz vom 10. August 2007 eine Konformitätserklärung nach dem Medizinproduktegesetz für Sonderanfertigungen des Geschäftsführers der P. W.
GmbH B. P. vom Februar 2006 vorgelegt. Darin heißt es, es werde versichert, dass die Dynamic
GPS-Soft-Orthesen eigens für namentlich benannte Patienten nach spezifischen Auslegungsmerkmalen, einzeln in Sonderanfertigungen nach Maß hergestellt werden. Es werde versichert, dass das oben genannte Produkt die in Anhang I der Richtlinie 93/42/EWG über Medizinprodukte (geändert durch die Richtlinie 2000/70/
EG) festgelegten grundlegenden Anforderungen erfülle. Sonderanfertigungen für namentlich benannte Patienten trügen keine CE-Kennzeichnung. Der Senat hat im Termin zur mündlichen Verhandlung die Mutter und gesetzliche Vertreterin der Klägerin sowie den als weiteren Beistand anwesenden Physiotherapeuten B. P. informatorisch angehört. Diesbezüglich wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die Gerichts- und Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Die Berufung ist zulässig, denn sie ist form- und fristgerecht eingelegt sowie statthaft (§ 151
Abs. 1 und §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz -
SGG). Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
Das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 15. Januar 2007 ist nicht zu beanstanden. Es bedurfte nur einer Anpassung des Tenors an die veränderte Sachlage. Die Klägerin hat im Termin zur mündlichen Verhandlung klargestellt, dass ihr von der Firma O.
GmbH eine Rechnung unter dem Datum vom 19. Juni 2003 über die unstreitig erfolgte Auslieferung der angefertigten Dynamic
GPS-Soft-Orthesen erteilt wurde. Der Rechnungsbetrag über Euro 1.098,95 entspricht dem in dem Kostenvoranschlag der Firma O. angesetzten Betrag. Entgegen der Annahme des Sozialgerichtes hat die Klägerin bis heute diesen Rechnungsbetrag nicht begleichen müssen, da ihr von Seiten der Firma O.
GmbH eine Stundung der Zahlung bis zum Abschluss des Rechtsstreites mit der Beklagten gewährt worden ist. Diesen Sachverhalt hat der im Termin zur mündlichen Verhandlung anwesende Geschäftsführer der Firma O., B. P., bestätigt. Eine Abtretung des im Gerichtsverfahren geltend gemachten Kostenerstattungsanspruches an den Hilfsmittellieferant ist somit nicht erfolgt. Damit kommt es auf die Frage, ob nach einer wirksamen Abtretung eines Erstattungsanspruches der Zedent (Abtretende) rechtlich noch befugt ist, den Anspruch prozessual zu verfolgen, nicht an (
vgl. hierzu Bundessozialgericht, Urteil vom 18. Juli 2006, B 1 KR 24/05 R). Die bloße Stundung der Honorarforderung des Hilfsmittellieferanten lässt den hier streitigen Kostenerstattungsanspruch aus
§ 13 Abs. 3 SGB V nicht scheitern. Zwar setzt nach ständiger Rechtsprechung des 1. Senats des Bundessozialgerichtes ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13
Abs. 3
SGB V voraus, dass Kosten tatsächlich entstanden sind (
vgl. z. B. BSGE 93, 94 = SozR 4-2500 § 13
Nr. 4; Urteil vom 18. Juli 2006, B 1 KR 24/05 R). Wenn, wie hier, die Versicherte und Empfängerin der streitgegenständlichen Leistungen noch keine Zahlungen geleistet hat, kommt also an Stelle des Kostenerstattungsanspruches ein Freistellungsanspruch in Betracht. Ein solcher auf § 13
Abs. 3 Fall 1 und 2
SGB V gestützter Freistellungsanspruch setzt nach ständiger Rechtsprechung des 1. Senats des Bundessozialgerichtes voraus, dass der Versicherte einer rechtsgültigen Zahlungsverpflichtung ausgesetzt ist (
vgl. BSGE 86, 66 = SozR 3-250 § 13
Nr. 21; BSGE 93, 94 = SozR 4-2500 § 13
Nr. 4;
BSG, Urteil vom 18. Juli 2006, B 1 KR 24/05 R). An einer drohenden Inanspruchnahme der Klägerin auf Entgeltzahlung für das gelieferte streitgegenständliche Hilfsmittel würde es dann fehlen, wenn eine Abtretung des streitigen Kostenerstattungsanspruches der Klägerin an den Hilfsmittellieferanten wirksam an Erfüllung statt erfolgt wäre (§ 364
Abs. 1
BGB). Denn das Kostenerstattungs- und Freistellungsverfahren nach § 13
Abs. 3
SGB V bietet keine Handhabe, die Leistungspflicht der Krankenkasse losgelöst von einer tatsächlichen Kostenbelastung allein im Interesse des Leistungserbringers abstrakt klären zu lassen. Hier liegt es aber so, dass die Klägerin noch der Forderung des Leistungserbringers ausgesetzt ist, da eine Stundung die rechtsgültige Zahlungsverpflichtung nicht beseitigt, sondern nur zu einer Veränderung des Zeitpunktes der Erfüllung der Zahlungsverpflichtung führt.
Die im Termin zur mündlichen Verhandlung erfolgte Klarstellung, dass mangels Fälligkeit des Zahlungsanspruches der Firma O.
GmbH noch keine endgültige Begleichung des zivilrechtlichen Vergütungsanspruches der Firma O.
GmbH aus der Rechnung vom 19. Juni 2006 erfolgte und die entsprechende Anpassung des Klageantrages, ändert nichts daran, dass der Klagegrund,
d. h. der historische Sachverhalt aus dem die Klägerin ihren Anspruch ableitet, derselbe geblieben ist. Von einer grundsätzlich im Berufungsverfahren nach § 153
i. V. m. § 99
SGG zulässigen echten Klageänderung ist daher nicht auszugehen. Vielmehr liegt in dem Übergang von der prozessualen Geltendmachung eines Kostenerstattungsanspruches zur Geltendmachung eines Freistellungsanspruches eine Änderung des prozessualen Verhaltens der Klägerin, welches nach § 99
Abs. 3
Nr. 2
SGG ohne weiteres zulässig ist.
Die Voraussetzungen für einen Freistellungsanspruch der Klägerin aus § 13
Abs. 3
SGB V sind erfüllt. Die Klägerin ist einer wirksamen Honorarforderung der Firma O.
GmbH als Erbringer der streitigen Hilfsmittelleistung ausgesetzt. Da sie diese Honorarforderung noch nicht wegen der Stundung erfüllen musste, geht der an sich auf Kostenerstattung gerichtete Anspruch aus § 13
Abs. 3
SGB V hier auf Zahlung der Beklagten unmittelbar an den Leistungserbringer. Auf diesem Wege wird die erstrebte Freistellung erreicht. Grundvoraussetzung für den Freistellungsanspruch des Versicherten, der nur eine Modifikation des Kostenerstattungsanspruches darstellt, ist, dass die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. In Betracht kommt hier nur die zweite Alternative des § 13
Abs. 3
SGB V. Dass die Voraussetzungen des haftungsauslösenden Tatbestandes der zweiten Regelungsalternative des § 13
Abs. 3 Satz 1
SGB V erfüllt sind, hat das Sozialgericht zutreffend bejaht und folgerichtig die Bescheide, mit denen die Versorgung mit der streitigen Dynamic
GPS-Soft-Orthese im Wege der Sachleistung verweigert wurde, aufgehoben. Die Beklagte hat die von der Klägerin beantragte und ihr rechtlich zustehende Leistung, mithin die Erfüllung des Primäranspruchs, objektiv rechtswidrig verweigert. Hierdurch war die Klägerin gezwungen, sich eine notwendige Leistung selbst zu beschaffen. Hier ist die Ablehnung der Leistungsgewährung durch einen förmlichen Bescheid erfolgt, nämlich den Bescheid vom 17. Juni 2003. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (
vgl. Urteil vom 23. Juli 2002 -
B 3 KR 66/01 R -
m.w.N.) reicht grundsätzlich die Bekanntgabe der ersten Ablehnungsentscheidung aus. Es ist nicht erforderlich, dass der Versicherte die Entscheidung der Krankenkasse über den Widerspruch gegen die Leistungsablehnung abwartet.
Die einschlägigen materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen für die beanspruchte Hilfsmittelversorgung sind zu diesem Zeitpunkt erfüllt gewesen einschließlich der Voraussetzungen für die Modalitäten der Leistungserbringung,
d. h. das Vorliegen einer ärztlichen Verordnung. Diese datiert vom 11. Februar 2003 und ist von der Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin
Dr. W. ausgestellt worden. Gemäß
§ 73 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB V umfasst die vertragsärztliche Versorgung auch die Verordnung von Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln. Das materielle Leistungsrecht des
SGB V besagt in
§ 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V, dass Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln haben, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach
§ 34 SGB V ausgeschlossen sind.
Der Hilfsmittelbegriff ist somit im Wesentlichen von den eingesetzten Mitteln und den mit diesen verfolgten Zwecken geprägt.
§ 33
Abs. 1 Satz 1
SGB V beschreibt im Einzelnen die Ziele, die mit dem Einsatz von Hilfsmitteln verfolgt werden, nämlich die Sicherung des Erfolges der Krankenbehandlung einerseits und den Ausgleich von Behinderungen andererseits. Unter die Fallvariante des
Abs. 1 Satz 1 fallen Gegenstände, die unmittelbar der Krankheitsbehandlung dienen, in dem von ihnen ein therapeutischer Erfolg erhofft wird. Hierunter fallen vor allem Stützen- und Haltevorrichtungen
(z. B. Krücken), die während eines,
ggf. nach einem operativen Eingriff mit Korrekturmaßnahmen notwendigen Heilungsprozesses, Körperteile oder Körperfunktionen entlasten oder vorübergehend ersetzen sollen.
Demgegenüber ist bei Hilfsmitteln, die dem Behinderungsausgleich dienen oder einer drohenden Behinderung vorbeugen sollen, die Ausgangssituation so, dass die gesundheitliche Regelwidrigkeit selbst nicht behoben werden kann oder soll. Es geht nicht um die medizinische Bekämpfung einer Erkrankung im engeren Sinne. Ein therapeutischer Erfolg dergestalt, dass die Erkrankung geheilt wird und damit eine kausale Therapie stattfindet, wird, zumal wenn eine kausale Therapie nicht zur Verfügung steht, nicht angestrebt.
Bei der Grunderkrankung der Klägerin handelt es sich um eine infantile Cerebralparese, deren Ursache in einer im Rahmen der Schwangerschaft eingetretenen frühkindlichen Hirnschädigung liegt. Hierbei sind die Funktionen etlicher Anteile des motorischen Hirnrindengebietes beeinträchtigt. Eine cerebrale Bewegungsstörung wird zum einen meist durch eine hohe Muskelspannung (Muskelhypertonie) oder ständigen Wechsel von starken und schwachen Muskelverspannungen (Muskelhypotonie) sichtbar. Die Zusammenarbeit verschiedener Muskeln ist gestört, gleichfalls die Kontrolle und Steuerung der Muskeln. Bei der Klägerin besteht unstreitig eine schwere Erkrankungsform einer infantilen Cerebralparese, die sich in ihrer Symptomatik als eine rechtsbetonte spastische Tetraparese mit einer spastischen Gangstörung darstellt. Der Muskeltonus, die Muskelstärke, die Muskelkoordination und hierdurch die Bewegungsabläufe sind betroffen. In Folge der spastischen Lähmung liegen bei der Klägerin die drastischen Folgeerscheinungen einer spastischen Lähmung vor, nämlich Kontrakturen, wobei insbesondere die Beugemuskeln und die Adduktoren von der Spastik betroffen sind. Daneben bestehen bei der Klägerin kognitive Einschränkungen, Sprachstörungen, Entwicklungsverzögerungen; in den ersten Lebensmonaten hat auch eine Epilepsie vorgelegen. Wie die spastische Symptomatik bei der Klägerin zum Zeitpunkt der Antragstellung und der ablehnenden Entscheidung der Beklagten durch Bescheid vom 17. Juni 2003, also im Jahre 2003 als dem maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt beschaffen war, ergibt sich aus den zahlreichen Berichten der behandelnden Ärzte, insbesondere dem Attest der verordnenden Kinderärztin Frau.
Dr. W. vom 31. März 2003 deren Bericht vom 23. April 2003 sowie auch noch hinreichend zeitnah aus dem für das Sozialgericht erstellten Befundbericht vom 20. Januar 2004, weiter aus dem Attest des Orthopäden
Dr. WD. vom 11. Juni 2003, dessen Befundbericht vom 22. Dezember 2003, dem Befundbericht des Facharztes für Kinder- und Jugendmedizin sowie Facharzt für physikalische und rehabilitative Medizin
Dr. R. vom 12. Januar 2004 sowie auch aus dem Inhalt des Telefonvermerks vom 30. April 2003 über eine Befragung der behandelnden Physiotherapeutin Frau J. G. Wesentlich ist, dass allen diesen medizinischen Unterlagen entnommen werden kann, dass die Behandlungen auf die Ermöglichung eines freien Stehens und des Einleitens von Gehversuchen gerichtet waren, wobei diese an sich natürlichen Vorgänge durch unphysiologische Verhältnisse im Bereich von Hüfte, Becken und Beinen, einschließlich Kniee und Füße blockiert waren. Der in erster Instanz mit der Untersuchung und Begutachtung der Klägerin beauftragte Chefarzt des
LVA - Zentrums für Rehabilitation, AC.-Stadt,
Dr. ABB. hat eine ausführliche Befunderhebung und Beschreibung der Gelenk- und Muskelverhältnisse vorgenommen.
Diese hat nach Überzeugung des Senats, auch wenn sie erst Ende des Jahres 2004 erfolgte, auch noch für das Jahr 2003 Aussagekraft. Es gibt keine Hinweise dafür, dass sich die spastische Situation der Klägerin bis zum Zeitpunkt der gutachterlichen Untersuchung maßgeblich verschlechtert hätte. Die Grundsituation durch die Störungen des Muskeltonus, der Muskelstärke und Muskelkoordination wie der Gelenkfehlstellungen ist unverändert geblieben. Die von
Dr. ABB. zu seinem Untersuchungszeitpunkt erstellte Befundbeschreibung deckt sich mit den angeführten Fremdbefunden aus den Jahren 2003 und 2004, so dass die von
Dr. ABB. erhobenen Funktionseinschränkungen auch für das Jahr 2003 zu Grunde gelegt werden können. Aus der sorgfältigen Befunderhebung des gerichtlichen Sachverständigen ergibt sich, dass wie schon für das Jahr 2003 beschrieben, eine Spitzfußstellung beider Füße bestand, die mit Unterschenkelschienen versorgt war. An weiteren Fehlstellungen bezüglich der Beine wird beschrieben, dass eine Valgus- und Adduktionsfehlstellung auffällig war, welche zu einem Überkreuzen der Beine beim Versuch nach vorne zu gehen führte. Weiter legt
Dr. ABB. in seinem Gutachten dar, in Anbetracht der bestehenden Kontrakturen und Hypotrophien der Muskulatur und Fehlstellungen der unteren Extremitäten sei eine äußerliche Stabilisierung durch ein Hilfsmittel eindeutig erforderlich. Mit diesen Feststellungen wendet sich der gerichtliche Sachverständige deutlich gegen die Beurteilung des MDK vom 23. März 2004, erstellt von
Dr. X. Letzterer hatte ausgeführt, eine, wie auch immer geartete Orthesen- oder Bandagenversorgung im Bereich des Beckens und der Beine dürfte für die Klägerin eher irritierend wirken und kontraproduktiv sein. Dieser Einschätzung steht nicht nur die Beurteilung des gerichtlichen Sachverständigen sondern auch die Angabe der Physiotherapeutin Frau J. G. entgegen. Diese hatte am 30. April 2003 mitgeteilt, dass die damals bestanden habende alleinige Versorgung mit N. H. Orthesen nicht ausreichend sei und nichts gebracht habe, weil hierdurch nur der Spitzfuß in der Spastik verstärkt worden sei.
Für den Senat steht aus den vorgenannten Gründen fest, dass die Gesundheitssituation der Klägerin eine Hilfsmittelversorgung im Bereich des Beckens und der Beine, abgesehen von der bereits erfolgten Versorgung von Füßen und Unterschenkeln, zwingend notwendig machte. Bei der Grunderkrankung mit cerebralen Lähmungssyndromen liegt es auf der Hand, dass vorliegend nur eine Hilfsmittelversorgung im Sinne eines Behinderungsausgleiches der dritten Variante des § 33
Abs. 1
SGB V in Frage steht und keine Hilfsmittelgewährung zu therapeutischen Zwecken, wie dies die Beklagte zu Grunde legen will. Bei der massiven Ausprägung des Krankheitsbildes einer infantilen Cerebralparese, wie sie bei der Klägerin vorliegt, ist eine die Erkrankung heilende Therapie nicht ersichtlich. Dies ergibt sich auch ganz klar aus den Beschreibungen der behandelnden Ärzte der Klägerin und den Festhaltungen des gerichtlichen Sachverständigen. Bei ausgeprägten cerebralen Lähmungssyndromen kann Ziel der streitigen Versorgung nur sein, im Rahmen der motorischen und sonstigen Behinderungen des Patienten eine größtmögliche Unabhängigkeit zu entwickeln. Wenn die intellektuellen und körperlichen Einschränkungen bei derartig chronisch behinderten Kindern nicht schwerwiegend sind, kann es ihnen teilweise gelingen, zu lernen die motorische Behinderung zu meistern und ein fast normales Leben zu führen. Insbesondere Patienten mit spastischer Hemiplegie oder Paraplegie und normaler Intelligenz haben eine gute Chance sozial unabhängig zu leben. Auch in diesen eher günstigen Fällen kann es aber nur darum gehen, solch chronisch behinderten Kindern zu helfen, ihre maximalen Möglichkeiten zur Bewältigung der nicht durch Heilungsprozesse aufzuhebenden Funktionsstörungen zu entfalten (
vgl. MSD Manual der Diagnostik und Therapie, 6. deutsche Auflage, Seite 2921 f.). Realistisches Ziel medizinischer und physiotherapeutischer Maßnahmen kann nur das Erreichen eines Behinderungsausgleiches und nicht eine Behandlung im Sinne der Erzielung eines dauerhaften Gesundungsprozesses sein. Die Klägerin zählt mit ihrer ausgeprägten spastischen Tetraparese und den kognitiven Beeinträchtigungen gerade nicht zu derjenigen Gruppe chronisch behinderter Kinder, die eine eher günstige Prognose für die Erreichung einer weitgehend unabhängigen eigenständigen Lebensbewältigung haben. Ziel der hier streitgegenständlichen Hilfsmittelversorgung kann somit nur der Einsatz von Hilfsmitteln sein, die lediglich auf Ausgleich der Behinderung selbst und nicht, wie die Beklagte annimmt, auf die Ermöglichung eines Krankenbehandlungs- und Heilungsprozesses abstellen.
Im Hinblick auf das hier streitgegenständliche Hilfsmittel steht außer Frage, dass dieses eingesetzt werden soll, um einen teilweisen Ausgleich der Behinderungserscheinungen zu erreichen, welche die Klägerin am eigenständigen Gehen und Stehen hindern. Wie das Sozialgericht zutreffend in seinem Urteil dargelegt hat, gehört die Mobilität zu den elementaren Grundbedürfnissen des täglichen Lebens, die dem von der gesetzlichen Krankenversicherung zu leistenden Behinderungsausgleich unterliegen. Dabei muss das beanspruchte Hilfsmittel das von der Behinderung betroffene Körperteil nicht völlig rekonstruieren oder die von der Behinderung betroffenen Körperfunktionen nicht vollständig ersetzen, sondern es genügt, wenn ein teilweiser Ausgleich der entsprechenden Funktionsverluste erreicht wird. Bei Erwachsenen muss im Bereich der Mobilität die Hilfsmittelversorgung nur gewährleisten, dass der erwachsene Versicherte sich in der eigenen Wohnung bewegen und die Wohnung verlassen kann, um bei einem kurzen Spaziergang "an die frische Luft zu kommen" oder um die üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind ( Bundessozialgericht, Urteil vom 11. Januar 2006 -
B 3 KR 44/05 B). Für Kinder und Heranwachsende gilt ein großzügigerer Maßstab: Für sie kommt es darauf an, durch die Hilfsmittelversorgung sich einen gewissen körperlichen Freiraum gefahrlos zu erschließen (Bundessozialgericht, Urteil vom 10. November 2005,
B 3 KR 31/04 R). Das elementare Grundbedürfnis an Mobilität ist im Falle der Klägerin keinesfalls überschritten, da es bei ihrem Krankheitsbild zunächst nur darum gehen kann, die Grundfertigkeiten eines Stehens und wenige Schritte Gehens unter Hilfsmitteleinsatz zu eröffnen. Hierzu bedurfte es nach den Ausführungen der behandelnden Kinderärztin Frau
Dr. W. in der Hilfsmittelverordnung, dem Attest und dem ergänzenden Bericht sowie dem Befundbericht vom 20. Januar 2004 einer Stabilisierung und Führung des Beckens sowie beider Beine. Diese Einschätzung hat der gerichtliche Sachverständige in seinem Gutachten vollauf bestätigt und die Notwendigkeit einer äußerlichen Stabilisierung der Hüfte und der Oberschenkel einschließlich Kniegelenke hervorgehoben. Dass die verordnete Dynamic
GPS-Soft-Orthese diese im Falle der Klägerin notwendige Unterstützung der nur eingeschränkt funktionstüchtigen Körperteile im Bereich von Becken und Beinen zu leisten vermag, hat der gerichtliche Sachverständige überzeugend und nachvollziehbar dargelegt. Er hat hierzu ausgeführt, die streitige Orthese arbeite nicht ausschließlich nach dem Prinzip einer Propriozeptionsregulation, sondern nach dem Prinzip der teilweisen Korrektur der Kontrakturen und auch nach dem Prinzip der Stabilisierung. Dies sei absolut sinnvoll und notwendig in Anbetracht der bestehenden Kontrakturen, Hypotrophien der Muskulatur und Fehlstellungen an den unteren Extremitäten. Die therapeutische Wirksamkeit dieses Produktes könne orthopädischerseits bestätigt werden. Der Vorteil der Dynamischen
GPS-Soft-Orthese liege darin, dass diese leichter anzuziehen und auch leichter zu handhaben sei als eine mehr einschränkende Orthese, die als Alternative in Betracht käme. Hierbei handele es sich um einen starren Stützapparat,
z.B. ein Beckergerät. Letzteres würde erheblich teurer sein und die Klägerin noch mehr einschränken, während die Dynamische
GPS- Soft-Orthese noch weitgehend Bewegungsfreiheit zulasse. Eine mehr einschränkende Orthese wäre indiziert, wenn die Einschränkungen bei der Klägerin größer wären. Die
GPS-Soft-Orthese stelle ein unterstützendes Hilfsmittel dar, welches der Klägerin mehr Steh- und Haltestabilität gebe und ein stabileres Gangbild gewährleiste, nicht zuletzt dadurch, dass die Adduktorenfehlstellung teilweise korrigiert werde.
Die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen und die Darlegungen der behandelnden Ärzte bestätigen allesamt, dass die Dynamische
GPS-Soft-Orthese im Falle der Klägerin wesentlich zur Herbeiführung einer äußerlichen Stabilisierung, einer Besserung der Adduktorenkontraktur sowie der Valgusfehlstellung beiträgt und dem Überkreuzen der Beine entgegenwirkt. Dementsprechend wird von ihnen das streitige Hilfsmittel für die Versorgung der KIägerin als geeignet und notwendig eingestuft. Mit der Dynamischen
GPS-Soft-Orthese werden Funktionen erbracht, die herkömmlichen Orthesen eigen sind. Eine Gleichsetzung mit dem anerkannten Hilfsmitteltyp Orthese ist nach Überzeugung des Senats nicht deswegen ausgeschlossen, weil der Hersteller der
GPS-Soft-Orthese deren Vorzüge unter Hervorhebung der angeführten besonderen Beeinflussung von Muskulatur und Muskeltonus durch die zugrunde gelegte Propriozeptionsregulation infolge des Einsatzes von druckausübendem, aber zugleich elastischem Material bewirbt. Die eingesetzten Materialien bewirken jedenfalls, wie auch in der Produktbeschreibung des Herstellers zum Ausdruck kommt, dass nicht nur die Muskelspannung mittels Druck und Zug beeinflusst wird, sondern dass das straffe und unter Spannung stehende Lycra-Material, ähnlich wie klassische Orthesen, Stabilität und Halt vermittelt und Fehlstellungen in Hüfte und Beinen korrigiert. Auch der im Termin zur mündlichen Verhandlung als weiterer Beistand der Klägerin gehörte Physiotherapeut und Geschäftsführer der Firmen O.
GmbH und P. W.
GmbH, B. P. hat insoweit für den Senat nachvollziehbar dargelegt, dass die Soft-Orthese eine Unterstützung der Abspreizung und eine Außenführung der Beine leiste, allerdings weniger mechanisch als dies bei den in Betracht kommenden Alternativen in Form eines sog. Schienen-Schellen-Apparates und eines sog. Beckergerätes der Fall sei. Ob und inwieweit neben diesen klassischen auch durch herkömmliche Orthesen erzeugten Effekten weitere Wirkmechanismen vorliegen, kann hier dahingestellt bleiben. Dass der genaue Wirkmechanismus von Lycra-Orthesen noch unklar ist, kommt auch in dem von Klägerseite vorgelegten Artikel, Evaluation der Stabilität von Lycra-Soft-Orthesen unter Anwendung der kinematischen 3 D-Analysen (Orthopädie-Technik 2006, 480, 485) zum Ausdruck.
Die streitige Dynamic
GPS-Soft-Orthese muss somit ihrer Gattung nach als ein Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich eingestuft werden, welches ebenfalls die Grundfunktionen leistet, welche herkömmlichen Orthesen eigen sind. Dass das streitige Hilfsmittel im Hilfsmittelverzeichnis der Spitzenverbände der Krankenkassen nach § 139
SGB V bislang keine Aufnahme gefunden hat, steht einem Versorgungsanspruch der Klägerin nicht entgegen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hat das Hilfsmittelverzeichnis nicht die Aufgabe, abschließend als Positivliste darüber zu befinden, welche Hilfsmittel der Versicherte im Rahmen der Krankenbehandlung beanspruchen kann. Es stellt für die Gerichte nur eine unverbindliche Auslegungshilfe dar. Daran hat sich auch durch die durch das
GKV-Modernisierungsgesetz vorgenommene Einfügung von § 33
Abs. 1 Satz 2
SGB V nichts geändert (
vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 3. August 2006 -
B 3 KR 25/ 05 R).
Dass die beanspruchte Dynamische
GPS-Soft-Orthese geeignet und erforderlich war, die im Jahr 2003 bei der Klägerin bestanden habenden behinderungsbedingten Funktionsverluste auszugleichen, ergibt sich ganz klar aus dem gerichtlichen Sachverständigengutachten und den Stellungnahmen der behandelnden Ärzte und ist des weiteren in dem Urteil des Sozialgerichts überzeugend dargelegt worden. Für den Senat bestehen auch keine Zweifel, dass dieses Hilfsmittel für den erstrebten Zweck angemessen ist. Dies gilt umso mehr, als die in Betracht kommenden Versorgungsalternativen deutlich teurer gewesen wären.
Wie das Sozialgericht in seinem Urteil zutreffend festgestellt hat, ist für Hilfsmittel, die einen Behinderungsausgleich i.
S.d. § 33
Abs. 1 Satz 1
SGB V bewirken sollen und keine Hilfsmittel zu diagnostischen oder therapeutischen Zwecken darstellen, nicht erforderlich, dass die Zweckmäßigkeit, sofern es sich nicht um ein herkömmliches Hilfsmittel handelt, nach den Maßstäben des
§ 135 SGB V festgestellt wird. Soweit
§ 139 Abs. 2 SGB V für die Aufnahme von Hilfsmitteln in das Hilfsmittelverzeichnis den Nachweis eines therapeutischen Nutzens verlangt, bedeutet dies nicht, dass für Hilfsmittel jeglicher Art auch die Ergebnisse klinischer Prüfungen vorgelegt werden müssen. Bei Hilfsmitteln zum bloßen Behinderungsausgleich ist der Nachweis eines therapeutischen Nutzens, der über die Funktionstauglichkeit zum Ausgleich der Behinderung hinausgeht, schon von der Zielrichtung des Hilfsmittels nicht geboten und in der Regel auch nicht möglich. Auch nach dem Medizinproduktegesetz (MPG) sind klinische Prüfungen zum Nachweis der vom Hersteller vorgegebenen Leistungen, der Sicherheit und der Unbedenklichkeit nur vorgeschrieben, sofern es sich um implantierbare Medizinprodukte oder um solche der Klasse III handelt (
vgl. §§ 19
ff. MPG). Deshalb ist es zulässig, sich zum Nachweis der Vorzüge eines derartigen Hilfsmittels auf Gutachter, die ärztliches Erfahrungswissen und die von ihnen ausgewertete Fachliteratur zu stützen, während es weitergehender klinischer Prüfungen nicht bedarf (Bundessozialgericht, Urteil vom 16. September 2004,
B 3 KR 20/04 R, C-Leg). Die Produktsicherheit und Zweckmäßigkeit eines Hilfsmittels wird durch eine Kennzeichnung nach dem Medizinproduktegesetz gewährleistet, die hier in Form einer Konformitätserklärung nach dem Medizinproduktegesetz für Sonderanfertigungen vorliegt.
Soweit sich die Beklagte und auch die von dieser in Bezug genommene Grundsatzstellungnahme zur Dynamic
GPS-Soft-Orthese bei dyston-ballistischer Bewegungsstörung nach Hirnblutung und apallischem-Syndrom des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Nordrhein vom 13. Februar 2006 zur Belegung eines vermeintlichen Erfordernisses eines Nachweises des Nutzens der
GPS-Soft-Orthesen auf die Notwendigkeit des Vorliegens klinischer Studien berufen und hierzu das Urteil des Bundessozialgerichts vom 31. August 2000 (
B 3 KR 21/99 R) anführen, sind ihnen die Ausführungen des Bundessozialgerichts in dessen Urteil vom 16. September 2004 (B 3 KR 20/04 R) entgegenzuhalten. Darin heißt es: "Der erkennende Senat hat in einem Verfahren, das die Aufnahme eines medizinischen Gerätes in das Hilfsmittelverzeichnis betraf, nur aus dem Grunde den Nachweis des therapeutischen Nutzens nach dem Maßstab der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen für die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden verlangt, weil der Hersteller geltend gemacht hatte, die der Anwendung des Gerätes zugrunde liegende Methode sei für die Behandlung bestimmter Erkrankungen wirksam und müsse aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse entgegen einer früheren Bewertung vom Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen nunmehr anerkannt werden (Urteil vom 31. August 2000 - B 3 KR 21/99 R - BSGE 87, 105 = SozR 3 - 2500 § 139
Nr. 1)". Diese Ausführungen stellen nochmals klar, dass derartige Anforderungen nicht gelten, wenn es - wie hier - um ein Hilfsmittel zum bloßen Behinderungsausgleich geht.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision
gem. § 160
Abs. 2 Nrn. 1 und 2
SGG liegen nicht vor.