I. Der Senat durfte über die Berufung gemäß § 155
Abs. 5
i.V.m. Abs. 4, § 153
Abs. 1
i.V.m. § 124
Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) in der Besetzung durch die Berichterstatterin entschieden, weil die Beteiligten dazu ihr Einverständnis erklärt haben. Dies ist auch bei erstinstanzlichen Entscheidungen durch Gerichtsbescheid zulässig (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/B. Schmidt,
SGG, 13. Aufl. 2020, § 155 Rn. 11 a.E.).
II. Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat Bezug auf die zutreffenden Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 153
Abs. 2
SGG). Zu ergänzen und zu betonen bleibt auch unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens und der Ermittlungen des Senates:
1. Die Klage ist zulässig, auch soweit die Klägerin mit ihr die Versorgung mit einem Galileo-Gerät S35 für die Häuslichkeit im Wege der endgültigen Überlassung und nicht nur die Überlassung für (sechs Monate) im Wege der Miete begehrt. Auch insoweit liegt ein Verwaltungs- und Vorverfahren als Voraussetzung der Klage vor (§ 78
SGG). Streitgegenständlich war von Beginn an die Versorgung der Versicherten mit dem begehrten Trainingsgerät. Die Frage, ob sie dieses im Wege der (befristeten) Miete von dem Hersteller oder einem Leistungserbringer (Sanitätshaus) oder zum ständigen Gebrauch im Wege der Sachleistung von der Beklagten erhalten kann, ist eine Frage des "Wie" der begehrten (Sach-)Leistung, nicht des Ob. Dies hat auch die Beklagte so verstanden. So hat sie mit ihrem Bescheid vom 6. März 2017 eine Kostenbeteiligung an der Versorgung mit dem Galileo-Trainingsgerät abgelehnt, die Klägerin ihrerseits mit dem Widerspruch die Versorgung mit dem Gerät begehrt. Auch hat die Klägerin, entgegen der ärztlichen Verordnung der C, die ein Gerät "zur Miete für sechs Monate" verordnete, bereits mit der ärztlichen Verordnung ein Angebot zum Kauf des entsprechenden Gerätes bei der Beklagten eingereicht. Es ist somit trotz des einleitenden Wortlauts des Widerspruchsbescheides ("Mietkosten können nicht getragen werden") davon auszugehen, dass die Beklagte eine Versorgung insgesamt, d.h., dem Grunde nach, abgelehnt hat.
2. Ein Versorgungsanspruch kann sich nicht aus einer Genehmigung gemäß
§ 13 Abs. 3a Satz 6 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V) ergeben. Zwar gelten nach dieser Bestimmung die von Versicherten beantragten Leistungen nach Ablauf der Frist des
Abs. 3a Satz 1 und 4 als genehmigt. Daraus kann jedoch kein Sachleistungs-, sondern nur ein Erstattungsanspruch erwachsen, wenn sie sich die Leistung nach Fristablauf selbst beschaffen (so zuletzt
BSG, Urteil vom 26. Mai 2020 -
B 1 KR 9/18 R Terminbericht 19/20; Pressemitteilung des
BSG Nr. 10/2020 sowie Urteile vom 18. Juni 2020 -
B 3 KR 14/18 R, B 3 KR 6/19 R und
B 3 KR 13/19 R - Terminbericht 21/20). Es kommt somit nicht darauf an, dass sich im Fall der Klägerin anhand der (digitalisierten) Aktenlage nicht ermitteln lässt, wann genau der Antrag bei der Beklagten gestellt wurde (ärztliche Verordnung vom 15. Februar 2017, Entscheidung (telefonisch bekanntgegeben) vom 6. März 2017).
3. Der Senat geht zugunsten der Klägerin davon aus, dass es sich bei dem Galileo®-Trainingsgerät um ein Hilfsmittel i.
S. § 33 SGB V und keinen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handelt. Ein Gegenstand ist ein allgemeiner Gebrauchsgegenstand, wenn er von der Konzeption her nicht vorwiegend für Kranke und Behinderte gedacht ist (Pflugmacher in: Eichenhofer/von Koppenfels-Spieß/Wenner,
SGB V, § 33 Rn. 16). Das zugrunde liegende Konzept des Vibrationstrainings wird mit Galileo®-Geräten auch in Fitnessstudios verwendet und soll Muskelpartien gezielt trainieren. Speziell das von der Kläger erworbene Galileo® S35 wird vom Hersteller als Muskeltrainingsgerät zur Leistungssteigerung sowie zur Verbesserung von Muskelfunktion und Durchblutung für die Privatanwender beworben und war nach eigenen Angaben des Herstellers kein Medizinprodukt (
vgl. dazu https://www.galileo-training.com/de-deutsch/produkte/p207/galileo-s-35.html, recherchiert am 31. August 2020). Im Gegensatz dazu gibt es zwischenzeitlich spezielle "Galileo®-Therapiegeräte" ("Galileo® Med"). Ausweislich der Information des Herstellers über Bauart und Leistungsmerkmale handelt es sich aber den Modellen Galileo® Med (z.B: Typ S) um Medizinprodukte. Diese sollen speziell der Behandlung im professionellen Umfeld wie Physiotherapie und Rehabilitation dienen (
vgl. für Modell "Med S", https://www.galileo-training.com/de-deutsch/produkte/p152/galileo-med-s.html). Unter Berücksichtigung der sehr ähnlichen Merkmale und der Verwendung im Bereich der Physiotherapie kann zugunsten der Klägerin davon ausgegangen werden, dass es sich auch bei dem begehrten Gerät um ein Hilfsmittel handeln soll, somit ein Therapiegerät der Gruppe "Med" erstrebt wird.
4. Die Klägerin hat - wie das Sozialgericht zutreffend ausführt - keinen Anspruch auf die Versorgung mit dem Trainingsgerät als Hilfsmittel, weil es an einem dafür erforderlichen positiven Votum des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) fehlt. Ein solches ist nach der Bestimmung des
§ 135 SGB V notwendig, weil es sich um ein Hilfsmittel handelt, das Teil einer (neuen) Untersuchungs- und Behandlungsmethode ist. Auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts wird insoweit verwiesen.
Auch die Ermittlungen des Senates führen insoweit zu keiner anderen Bewertung. Die drei ärztlichen Befundberichte, die der Senat aus dem Klageverfahren S 48 SB 69/19 beigezogen hat, belegen die schwere Grunderkrankung mit progredientem Verlauf (so
Dr. von S, Befundbericht vom 8. Mai 2019). Zum Nutzen und möglichen Gefährdungen der Anwendung der Vibrationstherapie im häuslichen Bereich lässt sich aus ihnen keine Einschätzung zugunsten der Klägerin ableiten.
Der GBA hat auf Anfrage des Senates am 5. Juni 2019 mitgeteilt, dass er weder eine Empfehlung zur konkreten Behandlungsform mittels des Geh- und Stehtrainingsgerätes "System Galileo®" abgegeben hat noch hierzu ein Methodenbewertungsverfahren gemäß § 135
SGB V durchgeführt hat. In Ermangelung eines entsprechenden Antrags der antragsberechtigten Organisationen ist bislang keine Befassung i.
S. einer Beratung oder Klärung der Evidenzlage durch den GBA unternommen worden. Anhaltspunkte dafür, dass insoweit ein Systemversagen vorliegt, weil die antragsberechtigten Organisationen oder der GBA selbst überhaupt nicht, nicht zeitgerecht oder nicht ordnungsgemäß ein solches Verfahren betrieben haben und dies auf eine willkürliche oder sachfremde Untätigkeit oder Verfahrensverzögerung zurückzuführen ist bestehen nicht (
vgl. dazu
BSG, Urt. vom 16. September 1997 - 1 RK 28/95 - BSGE 81, 54, 65 f. Immunbiologische Therapie;
BSG, Urteil vom 26. September 2006 - B 1 KR 3/06 R Rn. 24 - SozR 4-2500 § 27 Nr 10 Neuropsychologische Therapie;
BSG, Urteil vom 5. Mai 2009 - B 1 KR 15/08 R - SozR 4-2500 § 27 Nr 16 ICL, jeweils m.w.N).
Aus der Tatsache, dass ein vergleichbares Trainingsgerät im Rahmen des interdisziplinären Behandlungskonzeptes für Kinder und Jugendliche mit eingeschränkter Bewegungsfähigkeit "Auf die Beine" zur Anwendung kommt und die Beklagte hierfür die Kosten trägt, folgt keine andere Bewertung. Dies rechtfertigt nicht die Einschätzung, allein aufgrund der damit einhergehenden Verbreitung und der damit auch praktisch erfolgenden Versorgung bestimmter Gruppen von Versicherten mit der außervertraglichen Leistung sei ein Antrag auf Aufnahme der Leistung an den GBA schon geboten. Maßgeblich sind wissenschaftlich einwandfrei geführte Studien zum diagnostischen und/oder therapeutischen Nutzen gemessen an § 135
SGB V. Solche Studien liegen für die Vibrationstherapie noch nicht vor.
Auch ein Anspruch auf Gleichbehandlung begründet keinen Sachleistungsanspruch. Allgemein gilt, dass die öffentliche Verwaltung, wozu auch die Krankenkassen gehören, die nach dem Sozialgesetzbuch Leistungen gewähren, an
Art. 3 des Grundgesetzes (
GG) und
Art. 20
Abs. 3
GG sowie das Rechtsstaatsprinzip, gebunden sind.
Art. 3
Abs. 1
GG gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (ständige Rechtsprechung des
BVerfG: BVerfGE 1, 14, 52; 13, 46, 53; sowie 112, 164, 174). Die Klägerin kann aus der Versorgung von Versicherten mit Galileo®-Trainingsgeräten im Rahmen des Programms "Auf die Beine" keine Gleichbehandlung mit diesen Versicherten verlangen. Es besteht insoweit ein Grund für eine Differenzierung zu diesen (jungen) Versicherten. Deren Versorgung findet auf der Grundlage von Verträgen der besonderen (integrierten) Versorgung nach
§ 140a SGB V mit der Beklagten statt. Gemäß § 140a
Abs. 2 Satz 2
SGB V können die Selektivverträge der Krankenkassen zunächst Leistungen enthalten, die nach
§ 11 Abs. 6 SGB V auch Gegenstand von Satzungsleistungen sein können. Dies betrifft u.a. auch neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden. Diese Methoden dürfen nach § 140a
Abs. 2 Satz 3
SGB V, der sich insoweit primär auf diese Methoden beziehen dürfte, allerdings noch nicht durch Beschlüsse des
G-BA von der Versorgung ausgeschlossen sein. Außerdem müssen sie im Vertrag konkret benannt werden (
vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 2. September 2011 - L 4 KR 1931/10 Rn. 40; Becker/Kingreen/Huster, 6. Aufl. 2018,
SGB V § 140a Rn. 18). Die Regelung eröffnet in der ambulanten Behandlung einen größeren Spielraum zur Einbeziehung auch von nicht durch den Gemeinsamen Bundesausschuss ausdrücklich befürworteter Behandlungsmaßstäbe in die Versichertenversorgung (
LSG Baden-Württemberg, aaO). Außerhalb der Verträge nach § 140a
SGB V gilt dagegen weiter der Vorbehalt des § 135
SGB V. Wären die Krankenkassen wie die Beklagte allein durch den Abschluss solcher Verträge auch im Verhältnis zu anderen Versicherten wie der Klägerin zur Gewährung neuer Behandlungsmethoden gebunden, wäre Sinn und Zweck sowie die Effektivität dieser besonderen Versorgung praktisch gefährdet. Die Krankenkassen würden solche Verträge im Hinblick auf diese Folge vermeiden. Eine unzulässige Diskriminierung wegen des Alters (so der Klägerin) liegt darin nicht. Die von der Versorgung begünstigten Versicherten ergeben sich aus dem spezifischen Zuschnitt der Verträge des § 140a
SGB V auf eine bestimmte Gruppe von Versicherten (bis zum 25. Lebensjahr). Die Verträge basieren u.a. auf der Einbindung der Universitätskinderklinik K, die ihrerseits spezifisch seit langen Jahren (15 Jahre) das System anhand von Kindern und Jugendlichen erforscht. Auch ist das in dem Programm verwendete Vibrationssystem speziell an Kinder und Jugendliche angepasst worden, die nicht stehen können (
vgl. https://www.tk.de/techniker/gesundheit-und-medizin/igv-vertraege/auf-die-beine-in-koeln-2010320). Der Zuschnitt erfolgte mithin aufgrund bestimmter medizinisch-therapeutischer Gründe und nicht aufgrund des Alters.
Damit trifft im Fall der Klägerin zu, was das
BSG zur Nutzung und zum Anspruch auf Versorgung Versicherter mit Kopforthesen ausgeführt hat:
"Ohne eine positive Empfehlung des GBA kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Einsatz des Hilfsmittels - unter Berücksichtigung möglicher Risiken und des Wirtschaftlichkeitsgebots - positive Wirkungen in Bezug auf Spätfolgen oder Folgeerkrankungen. mit sich bringt und deshalb zur Vorbeugung einer drohenden Behinderung objektiv geeignet sein könnte." (
BSG, Urteil vom 11. Mai 2017 - B 3 KR 6/16 R -, Rn. 50)
Das
BSG hat schließlich eine Nichtzulassungsbeschwerde gegen ein Urteil des
LSG Rheinland-Pfalz, welches die Versorgung eines Kindes mit einem Galileo®-Trainingsgerät unter Berufung auf ein fehlendes Votum des Gemeinsamen Bundesausschusses abgelehnt hat, nicht zur Entscheidung angenommen (Beschluss vom 12. September 2019 - B 3 KR 84/18 B). In einem Verfahren vor dem Senat, in dem die Erstattung von Kosten für ein selbst beschafftes Galileo®-Trainingsgerät begehrt wird (L 9 KR 62/18) hat der dortige Kläger gegen die Entscheidung vom 26. Juni 2020 Nichtzulassungsbeschwerde zum
BSG erhoben, eine Entscheidung steht noch aus.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160
Abs. 2
SGG), denn es handelt sich um einen Einzelfall und der Senat weicht nicht von der Rechtsprechung des
BSG ab.