Die zulässige Klage ist begründet.
Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide vom 17.06.2009 und 16.09.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.02.2010 beschwert im Sinne des § 54
Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG), denn der Bescheid ist rechtswidrig. Der Kläger hat einen Anspruch auf Kostenerstattung für die Anschaffung eines Daisy-Players abzüglich eines 10%igen Eigenanteils.
Das vom Sachleistungsprinzip geprägte System der gesetzlichen Krankenversicherung erlaubt eine Kostenerstattung nur in den vom Gesetz vorgesehenen Fällen. Nach
§ 13 Abs. 3 Sozialgesetzbuch, 5. Buch (
SGB V) kann der gesetzlich Versicherte einen Kostenerstattungsanspruch gegenüber seiner Krankenkasse geltend machen, wenn diese eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder wenn sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind.
Die Voraussetzungen für einen Anspruch nach § 13
Abs. 3, 2. Alternative
SGB V liegen vor, denn die Beklagte hat die Versorgung des Klägers mit einem Daisy-Player zu Unrecht abgelehnt.
Gemäß
§ 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach
§ 34 SGB V ausgeschlossen sind.
Ein Ausschluss nach § 34
Abs. 4
SGB V existiert für den Daisy-Spieler nicht. Das Hilfsmittel stellt sich auch nicht als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens dar.
Der Ausschluss allgemeiner Gebrauchsgegenstände von der Versorgungspflicht der Krankenkassen beruht auf dem Leitgedanken, dass die gesetzliche Krankenversicherung nur für medizinische Mittel einer gezielten Krankheitsbekämpfung aufzukommen hat. Hingegen sind Gegenstände, die sich nicht speziell an den Bedürfnissen Behinderter orientieren und in erster Linie (auch) von Nichtbehinderten genutzt werden, der Eigenverantwortung des Versicherten zuzurechnen. Die Hilfsmitteleigenschaft ist in diesen Fällen zu verneinen (
BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 24, std. Rspr.). So ist ein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens dann gegeben, wenn der Gegenstand für alle oder wenigstens die Mehrzahl der Menschen unabhängig von Krankheit oder Behinderung unentbehrlich ist. Etwas anderes kann dann gelten, wenn die Primärfunktion medizinisch geprägt ist und lediglich eine Sekundär-
bzw. Nebenfunktion auf einen Gebrauchsgegenstand hindeutet. Vor diesem Hintergrund hat das Bundessozialgericht beispielsweise ein Telefaxgerät für einen gehörlosen Versicherten als Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung angesehen (BSGE 77, 209).
Nach Auffassung der Kammer kann ein Daisy-Spieler schon deshalb nicht als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens angesehen werden, weil das Gerät ausschließlich für den Personenkreis der Blinden und Sehbehinderten konzipiert und hergestellt wird. Dies lässt sich insbesondere an der sprachunterstützten Bedienung erkennen. Auch wenn Hörbücher im Daisy-Format auch in Zukunft von Gesunden genutzt werden mögen, so beschränkt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Nutzung solcher Geräte auf den Personenkreis der Blinden und stark Sehgeschädigten. Auch der Hersteller berücksichtigt fast ausschließlich die besonderen Bedürfnisse von Blinden und Sehgeschädigten. Dies ergibt sich aus den Kurzinformationen, die der Kläger im Verwaltungsverfahren zu den Akten gereicht hat. Der Blinde
bzw. Sehgeschädigte erhält mit dem Daisyformat einen strukturierten interaktiven Zugriff auf verschiedene schriftliche Medien, um die in Blindenhörbüchereien vorgehaltenen Medien erfassen zu können.
Der Umstand hingegen, dass mit dem Daisy-Player auch herkömmliche CDs und MP3-Dateien angehört werden können, spricht nicht gegen die Hilfsmitteleigenschaft. Insoweit beinhaltet der Daisy-Spieler eine Doppelfunktion. Überwiegend dient er jedoch der Erfassung von Medien, die im Daisy-Format zur Verfügung gestellt werden. Vor diesem Hintergrund ist die Hilfsmitteleigenschaft nach Auffassung der Kammer zu bejahen.
Bezogen auf den individuellen Bedarf des Klägers ist der Daisyspieler als Hilfsmittel im Sinne der 2. Alternative des § 33
Abs. 1 Satz 1
SGB V anzusehen. § 33
SGB V dient dabei einerseits dem Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion selbst (sog. unmittelbarer Behinderungsausgleich), bei dem das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits gilt. Daneben können Hilfsmittel den Zweck haben, die direkten und indirekten Folgen einer Behinderung auszugleichen. Dieser sog. mittelbare Behinderungsausgleich kann keinen Ausgleich im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten Möglichkeiten eines gesunden Menschen umfassen. Denn Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung ist allein die medizinische Rehabilitation, also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktion einschließlich der Sicherung des Behandlungserfolges, um ein selbstständiges Leben zu führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Ein solches Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich ist daher nur dann zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft (
BSG aa0). Nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung gehören zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens das Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnehmen, Ausscheiden, die elementare Körperpflege, das selbstständige Wohnen sowie die Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums (
BSG aa0). Da mit Hilfe des Daisy-Spielers die unmittelbare Folge der Erblindung nicht beeinflusst werden kann, hat die Krankenkasse das Abspielgerät im Rahmen ihrer Verpflichtung zum mittelbaren Behinderungsausgleich zur Verfügung zu stellen. Entgegen der Auffassung der Beklagten geht die Versorgung mit einem Daisy-Spieler nicht über den nach § 33
SGB V sicherzustellenden Umfang hinaus. Das Informationsbedürfnis eines erblindeten Versicherten ist vom Bundessozialgericht schon in mehreren Entscheidungen als Grundlage für die Versorgung mit Hilfsmitteln herangezogen worden (Optacon-Lesegerät: SozR 2200 § 182 b
Nr. 34, SozR 5420 § 16
Nr. 1, Farberkennungsgerät:
BSG SozR 3.2500 § 33
Nr. 18, elektronisches Sprechgerät:
BSG SozR 3-2500 § 31
Nr. 16). Eine anderweitige Sicherstellung des Informationsflusses ist ohne (aufwändige) Hilfe Dritter nicht möglich.
Der Einsatz des Daisy-Spielers ist nach Auffassung der Kammer der täglichen Lebensbetätigung im Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse eines Menschen zuzuordnen. Die Schaffung eines auch geistigen Freiraums, der vom Bundessozialgericht als Grundbedürfnis im Rahmen des § 33
SGB V eingeordnet wurde, umfasst schließlich auch die Fähigkeit, sich selbstständig und möglichst ohne fremde Hilfe im eigenen Umfeld zu orientieren, zurecht zu finden und zu bewegen (
BSG SozR 3-2500 § 33
Nr. 18). Wie sich aus dem Schreiben der Westdeutschen Blindenhörbücherei e.V. vom 06.06.2006 ergibt, wird die Buchproduktion in den Blindenhörbüchereien seit September 2004 suksessiv von analoger Aufnahmetechnik auf digitale Hörbücher umgestellt. Dies insbesondere auch deshalb, weil für die ältere Technik keine Ersatzteile mehr zu haben sind und entsprechende Kassettenrecorder nicht mehr im Handel zur Verfügung stehen. Da zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch das Daisy-Format ausschließlich für die Nutzung durch Blinde und hochgradig Sehbehinderte eingesetzt wird und in anderen Bereichen des täglichen Lebens noch nicht Einzug gehalten hat, ist jedenfalls momentan das Erfordernis vorhanden, einen erblindeten Versicherten mit einem entsprechenden Abspielgerät zu versorgen, da ansonsten das Informationsbedürfnis nicht in ausreichender Weise befriedigt werden kann. Insbesondere kann der Kläger nicht darauf verwiesen werden, sich die Texte von einer anderen Person vorlesen zu lassen oder sie mit Hilfe eines Vorlesesystems zu erfassen. Zu dem Grundbedürfnis der eigenständigen und individuellen Informationsbeschaffung gehört nämlich auch die freie Entscheidung darüber, welche Informationen zu welchem Zeitpunkt zugänglich gemacht werden sollen. Die bei einem Daisy-Player bestehende Möglichkeit, in den Werken zu navigieren, um genau an die Stelle in einem zumutbaren Zeitrahmen zu gelangen, die den Versicherten tatsächlich interessiert, kommt den Möglichkeiten eines Sehgesunden bereits recht nah, da dieser ebenfalls schnell in der Lage ist, nach Erfassung eines Inhaltsverzeichnisses eines Werkes mit wenigen Schritten zu der Textstelle zu gelangen, die für ihn von besonderer Bedeutung ist. Ein Vorlesesystem enthält solche Navigationsmöglichkeiten nicht und verpflichtet den Nutzer bis auf einige Ausnahmen, sich den gesamten Text vorlesen zu lassen, um schließlich die wichtigen Passagen, die sich möglicherweise am Ende eines mehrstündigen Werkes befinden, zu erfassen.
Vor diesem Hintergrund kann die Beklagte dem Kläger auch nicht entgegen halten, dass das Daisy-Abspielgerät nicht wirtschaftlich im Sinne des
§ 12 SGB V anzusehen ist.
Nach dieser Vorschrift müssen die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkasse nicht bewilligen. Soweit die Beklagte im Rahmen der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen hat, der Kläger sei im Juni 2011 mit einem Vorlesesystem versorgt worden, das im Wiedereinsatz lediglich 84,61 Euro gekostet hat, kann mit dieser Argumentation die Wirtschaftlichkeit eines Daisy-Spielers nicht in Abrede gestellt werden. Die Beklagte verkennt hierbei, dass gewisse Informationen wie
z.B. die von Blindenverbänden nur noch im Daisy-System zur Verfügung gestellt werden, so dass der Kläger von solchen Informationen völlig ausgeschlossen wäre. Das Daisy-System bietet somit mit Hilfe des hier strittigen Abspielgerätes technisch weiterreichende Möglichkeiten sowie die Teilhabe an Informationen, die dem Kläger ansonsten gar nicht zugänglich wären.
Selbst wenn das Vorlesesystem ebenso geeignet wäre wie der Daisy-Spieler, wären die Voraussetzungen für den Kostenerstattungsanspruch dennoch gegeben, denn die Beklagte ist ihrer Verpflichtung zur Versorgung erst einige Wochen vor Durchführung des Verhandlungstermins nachgekommen. Maßgeblich für die Entscheidung über den Kostenerstattungsanspruch ist jedoch die Versorgungssituation im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung. Im Oktober 2010 konnte der Kläger sein Informationsbedürfnis nicht hinreichend befriedigen, so dass er berechtigt war, die notwendige Versorgung selbst vorzunehmen. Weder in den angefochtenen Bescheiden noch in dem Widerspruchsbescheid hat die Beklagte auf wirtschaftlichere Alternativversorgungen hingewiesen, so dass die Beklagte gleichwohl zur Erstattung der Kosten zu verpflichten ist.
Daneben kann die Beklagte auch nicht mit dem Argument gehört werden, der Daisy-Spieler sei im Hilfsmittelverzeichnis nach
§ 139 SGB V nicht gelistet und nach der Aussage des Spitzenverbandes in der Vergangenheit sogar hiervon konkret ausgeschlossen worden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts steht den Krankenkassen nämlich ein eigenes Entscheidungsrecht zu, ob ein Hilfsmittel nach Maßgabe des § 33
SGB V zur medizinischen Rehabilitation, also zur Sicherung des Erfolges der Krankenbehandlung, zur Vorbeugung gegen eine drohende Behinderung oder zum Ausgleich einer bestehenden Behinderung im Einzelfall erforderlich ist. Das vom Spitzenverband Bund der Krankenkassen auf der Grundlage von § 139
SGB V erstellte Hilfsmittelverzeichnis legt die Leistungspflicht der Krankenkassen gegenüber den Versicherten nicht verbindlich und abschließend fest. Es schließt weder Hilfsmittel von der Versorgung der Versicherten aus, die den gesetzlichen Anforderungen des § 33
SGB V genügen, noch besteht ein Anspruch der Versicherten auf Versorgung mit Hilfsmitteln, die zwar im Hilfsmittelverzeichnis verzeichnet sind, für die aber nicht die gesetzlichen Voraussetzungen des § 33
SGB V erfüllt sind (
BSG SozR 4-2500 §127
Nr. 10;
BSG Urt. v. 10.03.2011,
B 3 KR 9/10 R, recherchiert unter www.juris.de ).
Zutreffend hat jedoch die Beklagte darauf hingewiesen, dass der Daisy-Spieler auch Funktionen beinhaltet, die dem persönlichen Zuständigkeitsbereich des Versicherten zuzuordnen sind, wenn man bedenkt, dass mit dem Abspielgerät auch herkömmliche Tonträger wie CDs und MP3-Dateien abgespielt werden können. Gegenstände mit Doppelfunktion, die sowohl als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens als auch als Hilfsmittel anzusehen sind, sind von der Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung umfasst, wenn der auf die Hilfsmittelfunktion entfallende Teil der Herstellungskosten überwiegt. Die anteiligen Beschaffungskosten sind in solchen Fällen von dem Versicherten selbst zu tragen (
BSG, Urt. v. 23.08.1995,
3 RK 7/95, recherchiert unter www.juris.de ). Vor diesem Hintergrund erscheint es sachgerecht, die Kosten für einen handelsüblichen MP3-Player oder
CD-Spieler von den tatsächlichen Anschaffungskosten in Abzug zu bringen und den Eigenanteil des Versicherten hierauf zu beschränken.
Da der Kläger einen Betrag in Höhe von 38,90 Euro (= 10 % der Kaufsumme für den Daisy-Spieler) bereits bei seiner Antragstellung berücksichtigt hat, konnte dem Antrag des Klägers vollumfänglich stattgegeben werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193
SGG.