Tenor:
I. Der Bescheid vom 23.09.2010 und der Widerspruchsbescheid vom 18.11.2010 werden aufgehoben.
II. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten für die Orthesenstrümpfe der Klägerin abzüglich eines angemessenen Eigenanteils zu übernehmen.
III. Die Beklagte trägt die notwendig entstandenen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
IV. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist eine Erstattung von Kosten für Orthesenstrümpfe.
Für die am 00.00.1999 geborene Klägerin verordnete der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. med. T. am 06.09.2010 die Anschlussversorgung mit 12-mal Orthesenstrümpfen "SmartKnit".
Der Kostenvoranschlag vom 15.09.2010 der Orthopädie- und Reha-Technik D. GmbH wies bei einem Einzelpreis von 32,23 EUR eine Gesamtsumme von 386,76 EUR aus.
Mit streitigem Bescheid vom 23.09.2010 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme mit der Begründung ab, Kosten für Hilfsmittel, die als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen seien, könnten von den Krankenkassen nicht übernommen werden.
Dagegen legten die Eltern der Klägerin als gesetzliche Vertreter am 27.09.2010 Widerspruch ein. Die Haut an Fuß und Unterschenkel der Klägerin sei zu 80 % von der permanent zu tragenden Orthese bedeckt. Der austretende Schweiß im abgedeckten Bereich könne nicht verdunsten. Die beantragten Orthesenstrümpfe seien so gearbeitet, dass sie die auftretende Feuchtigkeit an die nicht bedeckten Flächen transportieren. Dort könne die Feuchtigkeit dann verdunsten. Zusätzlich würden diese Strümpfe im Vergleich zu gewöhnlichen Kinderstrümpfen eine deutlich höhere Kompressionswirkung aufweisen.
In der Produktinformation vom 28.10.2010 wird für den SmartKnit-Orthesenstrumpf darauf hingewiesen, dass der Strumpf (ohne Ferse gearbeitet) unter Beinprothesen getragen werde und einen angenehmen Tragekomfort biete. Druckstellen, Einschnürungen sowie Zirkulationsstörungen würden vermieden. Das besondere Material sei in der Lage, Transpirationsfeuchtigkeit aufzunehmen und von der Hautoberfläche nach außen zu transportieren.
Mit Widerspruchsbescheid vom 18.11.2010 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung bestehe nur für Hilfsmittel, nicht jedoch für Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens. Ein allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens werde angenommen, wenn der Gegenstand für die Mehrzahl der Menschen unabhängig von Krankheit oder Behinderung unentbehrlich sei. Dies gelte auch bei einer zusätzlichen therapeutischen Wirkung des Gegenstandes. Funktionsstrümpfe aus einem Material, das in der Lage ist, Transpirationsfeuchtigkeit aufzunehmen und von der Hautoberfläche nach außen zu transportieren, könnten von jedermann im Handel erworben werden. Solche Strümpfe würden z. B. auch bei sportlichen Betätigungen getragen und insofern nicht ausschließlich von Menschen mit Behinderungen/Krankheiten genutzt.
Dagegen haben die Eltern der Klägerin am 30.11.2010 Klage erhoben. Die Orthesenstrümpfe seien als Hilfsmittel einzustufen.
Herr Dr. med. T., Oberarzt am Universitäts-Klinikum C. an der Technischen Universität D., Klinik und Poliklinik für Orthopädie, verweist in seinem Arztbrief vom 03.05.2010 an die Fachärztin für Kinderheilkunde, Dr. med. H. E., darauf, dass seit der Versorgung mit den SmartKnit-Orthesenstrümpfen bei der Klägerin keine Druckstellen oder schweißbedingte Hautläsionen aufgetreten sind.
Mit Schreiben vom 25.05.2011 an die Beklagte verweist der Kammervorsitzende darauf, dass gegebenenfalls ein Hilfsmittel mit Doppelfunktion vorliegt.
Mit Schriftsatz vom 24.06.2011 bat die Beklagte um Ausführungen dazu, inwieweit die beantragten Strümpfe einen Behinderungsausgleich ermöglichten oder den Erfolg einer Krankenbehandlung sicherten. Die Beklagte teilte auch nicht die Auffassung, dass Kniestrümpfe im Sommer bei 11-jährigen Kindern keine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens sein sollen. Unter der Prothese könnten auch herkömmliche Kniestrümpfe, gegebenenfalls aus dem gleichen Material wie die beantragten Strümpfe, getragen und im Handel erworben werden. Die Tatsache, dass derartige Strümpfe von jedermann im Handel käuflich erworben werden können, stelle ein wesentliches Merkmal dafür dar, dass es sich bei den Strümpfen um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handele.
Demgegenüber verwies der Vater der Klägerin in seinem Schreiben vom 12.07.2011 darauf, dass - soweit Kniestrümpfe im Sommer von Kindern überhaupt getragen werden - jedenfalls der Preis für ein Paar der beantragten Orthesenstrümpfe für eine Einstufung als Hilfsmittel spreche. Auch trage der Umstand, dass ein Gegenstand für jedermann käuflich erworben werden kann, keineswegs zur Abgrenzung Hilfsmittel/Gegenstand des täglichen Lebens bei. Auch reine Hilfsmittel, z. B. Stomabeutel, könnten von jedermann käuflich erworben werden.
Zur Definition des Begriffs "allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens" übersandte das Gericht an die Beteiligten eine unter Juris recherchierte Entscheidung des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt (Urteil vom 07.10.2010, Az.: L 10 KR 17/06). Unter der Rdnr. 36 ist dort ausgeführt:
"Die Einordnung als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens hängt davon ab, ob ein Gegenstand bereits seiner Konzeption nach den Erfolg einer Krankenbehandlung sichern oder eine Behinderung ausgleichen soll oder - falls dies nicht so ist - den Bedürfnissen erkrankter oder behinderter Menschen jedenfalls besonders entgegenkommt und von gesunden, körperlich nicht beeinträchtigten Menschen praktisch nicht genutzt wird (BSG, 6. Februar 1997 - 3 RK 1/96, SozR 3-2500 § 33 Nr. 22 zum Personalcomputer). Was regelmäßig auch von Gesunden benutzt wird, fällt nicht in die Leistungspflicht der Krankenkassen, wobei es auf einen bestimmten prozentual messbaren Verbreitungsgrad in der Bevölkerung oder einen Mindestpreis nicht ankommt (BSG, 16. September 1999 - B 3 KR 1/99 R, SozR 3-2500 § 33 Nr. 33 zum Luftreinhaltungsgerät II)."
Gegenstand des o. g. Urteils war ein Antrag auf Kostenübernahme für antiallergene Matratzenzwischenbezüge. Solche Bezüge sind nach dem genannten Urteil keine allgemeinen Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens.
Unter Rdnr. 40 wird in dem o. g. Urteil darauf hingewiesen, dass das spezielle Material, aus dem die antiallergenen Matratzenzwischenbezüge hergestellt sind, erkennen lässt, dass die Bezüge ihrer Konzeption nach den Erfolg einer Krankenbehandlung sichern oder einer Behinderung vorbeugen sollen.
Der antiallergene Matratzenzwischenbezug wurde damit als Hilfsmittel eingestuft. Nachdem dort aber auch die Funktion des Zwischenbezuges als Matratzenschoner in Betracht kam, hat das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt in dem genannten Urteil eine Doppelfunktion der Matratzenzwischenbezüge als medizinisches Hilfsmittel und als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens für möglich gehalten. Für diesen Fall hat das Gericht als relevant bezeichnet, welche Funktion überwiegt. Die gesetzlichen Krankenkassen hätten einen Kostenanteil dann zu übernehmen, wenn der Teil der Herstellungskosten überwiegt, der allein auf die therapeutische Wirkung des Mittels zurückzuführen sei, denn dadurch trete die Bedeutung als Gebrauchsgegenstand für den Versicherten in den Hintergrund (Rdnr. 42 des genannten Urteils).
Mit Schriftsatz vom 16.08.2011 nahm die Beklagte zu dem übersandten Urteil dahingehend Stellung, dass die Orthesenstrümpfe weder der Krankenbehandlung dienten noch eine Behinderung ausglichen. Was regelmäßig auch von Gesunden benutzt werde, falle nicht in die Leistungspflicht der Krankenkassen, wobei es auf den Verbreitungsgrad in der Bevölkerung oder einen Mindestpreis nicht ankomme.
Der Vater der Klägerin wies in seinem Schriftsatz vom 30.11.2011 darauf hin, dass ein Strumpf mit der speziellen Schweißabsorption und -weiterleitung allenfalls von Sportlern getragen wird, wobei auch Sportler diese Strümpfe nicht permanent tragen.
In der mündlichen Verhandlung vom 16.05.2012 beantragen die gesetzlichen Vertreter der Klägerin:
1. Der Bescheid vom 23.09.2010 und der Widerspruchsbescheid vom 18.11.2010 werden aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten für die streitigen Orthesenstrümpfe abzüglich eines angemessenen Eigenanteils zu übernehmen.
3. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Die Vertreterin der Beklagten beantragt:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Berufung wird zugelassen.
Das Gericht hat die Akten der Beklagten beigezogen. Auf diese, die Prozessakte sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung wird zur Ergänzung des Tatbestandes verwiesen.