Zwischen den Beteiligten ist der Anspruch der Klägerin auf Übernahme der vollen Kosten für ihren selbst beschafften Blindenführhund
S. streitig.
Die Klägerin, geboren 1958, beantragte im Mai 2000 bei der Beklagten die Übernahme der Kosten eines von der Blindenführhundeschule X. auszubildenden Blindenführhundes in Höhe von 46.960,16 DM (dem entsprechen: 24.010,35
EUR). Zur Begründung ihres Antrages führte die Klägerin aus, nach einem Mobilitätstraining laufe sie seit
ca. 25 Jahren mit einem Blinden-Langstock. Nach einem Gehörsturz trage sie seit einigen Jahren ein Hörgerät. Ihr Richtungshören sei deshalb nicht mehr zuverlässig. Deshalb sei für sie das Laufen mit dem Blinden-Langstock mit erheblichem Stress verbunden. Ein Blindenführhund würde ihr mehr Sicherheit bieten. Nachdem sie sich über verschiedene Blindenführhundeschulen informiert habe, habe sie sich für die Blindenführhundeschule X. in Y. entschieden. Sie habe sich davon überzeugt, dass die Hunde dort eine gute Ausbildung erfahren würden und sie eine qualifizierte Nachbetreuung erhalten werde.
Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 15. Juni 2000 die Übernahme von 28.800,00 DM (dem entsprechen: 14.725,21
EUR) der Gesamtkosten in Höhe von 46.960,16 DM (24.010,35
EUR). Der Eigenanteil der Klägerin betrage somit 18.160,16 DM (dem entsprechen: 9.285,14
EUR).
Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch und bat um eine Kopie der Bekanntmachung des Festbetrages für das Hilfsmittel Blindenführhund
bzw. um Bekanntgabe einer Fundstelle.
Die Beklagte wies die Klägerin mit Schreiben vom 27. Juni 2000 und vom 18. Juli 2000 auf die D. in D-Stadt sowie auf die Blindenführhundeschule P. C. in Q. hin. Diese seien in der Lage, einen Blindenführhund für einen Betrag von 28.800,00 DM zur Verfügung zu stellen.
Mit Schreiben vom 11. September 2000 teilte die Beklagte der Klägerin mit, für das Hilfsmittel Blindenführhund seien keine Festbeträge gemäß
§ 127 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) festgelegt worden. Da sie aber über einen Vertragspartner in der Lage sei, eine sachgerechte und wirtschaftliche Hilfsmittelversorgung mit einem Blindenführhund für einen Gesamtkostenbetrag in Höhe von 28.800,00 DM sicherzustellen, könne dem Antrag der Klägerin nicht in vollem Umfange entsprochen werden.
Die Klägerin beantragte im September 2000 bei dem Sozialgericht Kassel (Az.: S 12 KR 1363/00 ER), die Beklagte im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zur Übernahme der vollen Kosten der Blindenführhundeschule X. zu verurteilen. Das Sozialgericht lehnte den Antrag der Klägerin mit Beschluss vom 9. November 2000 ab.
Die Klägerin legte der Beklagten die Rechnung der Blindenführhundeschule X. vom 1. Dezember 2000 vor. Danach wurde der Klägerin am 22. November 2000 der Blindenführhund
S. zu einem Gesamtkostenpreis von 47.616,07 DM (dem entsprechen: 24.345, 72
EUR) übergeben.
Mit Widerspruchsbescheid vom 10. April 2001 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Dazu führte sie aus, die Grenze der Leistungspflicht nach
§ 33 Absatz 1 Sozialgesetzbuch 5 (SGB V) und
§ 34 Abs. 4 SGB V werde in
§ 12 SGB V umrissen. Danach müsse die Leistung ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dürfe das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. In der Bundesrepublik Deutschland existierten diverse Blindenführhundeschulen, die ausgebildete Blindenführhunde für einen Betrag bis zu 28.800, 00 DM zur Verfügung stellten. Mit Schreiben vom 18. Juli 2000 seien der Klägerin beispielhaft zwei Blindenführhundeschulen benannt worden. Es sei nicht erkennbar, dass die benannten Blindenführhundeschulen keine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung bieten würden. Ergänzend wies die Beklagte auf das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 6. September 1996 (Az.:
L 2 KR 1/96) hin. Danach bestehe keine uneingeschränkte Freiheit der Versicherten, sich Blindenführhunde privat und unter Außerachtlassung der Vorgaben der Krankenkasse zu beschaffen. Angesichts des Notwendigkeitsgebots des § 12
SGB V sei die persönliche Vorliebe des Versicherten für eine Führhundeschule nur dann ausschlaggebend, wenn es sich um Schulen mit gleichem Preisniveau handele.
Dagegen erhob die Klägerin am 14. Mai 2001 Klage vor dem Sozialgericht Kassel, mit der sie den geltend gemachten Anspruch weiterverfolgte. Ergänzend trug sie vor, es gehe ihr nicht um eine optimale Versorgung oder um die Inanspruchnahme von "Spitzenmedizin". Andererseits könne das preisgünstigste Angebot nicht das ausschlaggebende Kriterium für eine wirtschaftliche Versorgung sein. Vielmehr müssten in einer Gesamtschau die Maßgaben der "Qualitätskriterien für Blindenführhunde" nach der Bekanntmachung der Spitzenverbände des Krankenversicherungs-Hilfsmittelverzeichnisses vom 19. Mai 1993 beachtet werden. Angesichts des Spitzenpreises von rund 60.000,00 DM bewege sich die von ihr in Anspruch genommene Blindenführhundeschule im mittleren Preisniveau.
Die Beklagte führte aus, die Erfüllung der Kriterien der Qualitätsrichtlinien vom 19. Mai 1993 sei Voraussetzung für einen Vertragsabschluss zwischen ihr und einer Blindenführhundeschule. Die Klägerin sei auf zwei Blindenführhunde schulen hingewiesen worden, die diese Kriterien erfüllten und einen ausgebildeten Blindenführhund zu einem Betrag von 28.800,00 DM zur Verfügung hätten stellen können. Ein entsprechender Betrag sei der Klägerin überwiesen worden.
Das Sozialgericht wies mit Urteil vom 19. Dezember 2001 die Klage ab. Zur Begründung führte das Sozialgericht aus, die angefochtenen Bescheide seien sachlich nicht zu beanstanden. Als Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch komme allein
§ 13 Abs. 3 SGB V in Betracht. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf einen weiteren Erstattungsbetrag. Das Sozialgericht machte sich die Ausführungen der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden zu Eigen. Ergänzend führte es aus, auch die abschließende Prüfung der Sach- und Rechtslage im vorliegenden Hauptsacheverfahren habe die Unbegründetheit der Klage ergeben. Bei dem geltend gemachten Hilfsmittelanspruch handele es sich um einen Sachleistungsanspruch, der allein durch vertragliche Leistungserbringer zu befriedigen sei. Kosten für selbstbeschaffte, jedoch von der Krankenkasse - wie vorliegend - vertraglich vorgehaltene Leistungen seien grundsätzlich nicht erstattungsfähig. Zusätzlich scheitere der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch auch an der unzulässigen Verlagerung des Sachleistungsanspruchs in das Kostenerstattungsverfahren.
Die Klägerin habe bereits aus diesem Grund keinen weiteren Erstattungs- oder Freistellungsanspruch. Sinn und Zweck des § 13
Abs. 3
SGB V bestehe darin, den Versicherten wie bei der Gewährung einer Sachleistung zu stellen. § 13
Abs. 3
SGB V erfasse lediglich solche Kosten, von denen der Versicherte bei regulärer Leistungserbringung befreit sei. Wenn der Versicherte mehr an Kosten aufwende als der Leistungserbringer zu beanspruchen habe, so sei nicht die Ablehnung der Krankenkasse, sondern das Verhalten des Versicherten wesentliche Ursache für die Entstehung der (Mehr-)Kosten und somit die Krankenkasse nicht zur (Mehr-)Leistung verpflichtet. Dementsprechend müsse bei einem Kostenerstattungsanspruch nach § 13
Abs. 3
SGB V ein Kausalzusammenhang zwischen dem Unvermögen der Krankenkasse zur rechtzeitigen Leistungserbringung oder der rechtswidrigen Leistungsablehnung und den entstandenen Kosten bestehen. Diese Voraussetzung sei nur dann erfüllt, wenn die Krankenkasse die streitigen Kosten im Sinne einer wesentlichen Bedingung mitverursacht habe. Vorliegend fehle es an einer wesentlichen Mitverursachung der Beklagten an der Entstehung der streitigen Kosten. Die fehlende Ursächlichkeit sei darin zu sehen, dass die Klägerin die Versorgung mit einem Blindenführhund nicht von einer Kostenzusage der Beklagten
bzw. von einer endgültigen Prüfung
bzw. Abklärung durch die Beklagte abhängig gemacht habe. Sie habe sich vielmehr von Anfang an entschlossen, nur den von ihr ausgewählten Hund zu akzeptieren.
Gegen dieses ihr am 9. Januar 2002 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 7. Februar 2002 Berufung eingelegt.
Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, ihr könne eine unrechtmäßige Verlagerung ihres Sachleistungsanspruchs in ein Kostenerstattungsverfahren nicht entgegengehalten werden. Die Beklagte habe zur Versorgung ihrer Versicherten mit Blindenführhunden keine Verträge mit entsprechenden Leistungserbringern gemäß
§ 127 SGB V abgeschlossen. Damit gäbe es keine zugelassenen Leistungserbringer im Sinne von
§ 126 SGB V und § 127
SGB V. Auch sei ein Festbetrag bisher nicht festgelegt worden. Da die Beklagte ihrer Versorgungsverpflichtung nicht nachgekommen sei, könne sie ihre Kostenzusage nicht auf 28.800, 00 DM begrenzen.
Aus alle dem folge, dass die Beklagte keinen Blindenführhund habe liefern können und führe zur Geltung des Kostenerstattungsprinzips nach § 13
Abs. 3 2. Alt.
SGB V. Insoweit verweist die Klägerin auf das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 21. Januar 2002 (Az.:
S 25 KR 2166/99). In diesem Urteil habe das Sozialgericht ausgeführt, dass erhebliche Preisunterschiede nicht zu Lasten der Versicherten gehen können, solange die Beklagte keine Versorgungsverträge abgeschlossen habe, keine Qualitätskontrollen durchführe und einheitliche Qualitätsstandards für die Ausbildung von Blindenführhunden nicht garantiere. Nach den Feststellungen des Sozialgerichts Frankfurt am Main sei auf dem freien Markt eine Preisspanne von 8.000,00 bis 24.000,00
EUR festzustellen. Darüber hinaus seien die Leistungen der einzelnen Blindenführhundeschulen nicht identisch und nicht vergleichbar. Damit sei sie berechtigt gewesen, sich mit einem Blindenführhund einer Blindenführhundeschule ihres Vertrauens zu versorgen.
Auf dieses Vertrauen sei sie wegen ihrer Erblindung angewiesen, da sie sozusagen blindes Vertrauen in die Blindenführhundeschule und deren Ausbildung haben müsse. Dies habe bereits das Sozialgericht Gießen mit Urteil vom 17. März 1993 (Az.: S 9 KR 577/92) ausgeführt. Auch habe die Beklagte die in Streit stehenden Kosten aufgrund ihrer Untätigkeit verursacht und somit in tatsächlich angefallener Höhe zu tragen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 19. Dezember 2001 aufzuheben und den Bescheid vom 15. Juni 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. April 2001 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr über die bereits gezahlten 14.725, 21
EUR (dem entsprechen: 28.800,00 DM) weitere 9.620,51
EUR (dem entsprechen: 18.816,07 DM) für den am 22. November 2000 erhaltenen Blindenführhund
S. zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, das Sozialgericht habe mit dem angefochtenen Urteil zutreffend entschieden. Es liege weder ein Systemmangel noch eine Versorgungslücke vor. Zwischen ihr und zahlreichen Blindenführhundeschulen in Deutschland bestehe eine stillschweigende Übereinkunft, aufgrund der die Versorgung von Blinden mit einem Blindenführhund nach den Qualitätskriterien für Blindenführhunde zu einem Preis von 28.800,00 DM (14.725,21
EUR) sichergestellt werde. Damit werde die Versorgung mit Blindenführhunden als Sachleistungsanspruch im Rahmen des
§ 33 SGB V in angemessener Qualität sichergestellt.
Nach der Begründung des Regierungsentwurfs zum GRG sei mit
§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V das Sachleistungsprinzip als Maxime der
GKV festgelegt worden. Ergänzend legt sie die Qualitätskriterien des Medizinischen Dienstes der Spitzenverbände (
MDS) vom 19. Januar 1999 sowie die gemeinsamen Empfehlungen des
MDS gemäß § 126
Abs. 2
SGB V zur einheitlichen Anwendung der Zulassungsbedingungen nach § 126
Abs. 1
SGB V für Blindenführhunde-Ausbilder als Leistungserbringer zur Auswahl, Ausbildung und Abgabe von Blindenführhunden sowie zur Einarbeitung der Versicherten ( Einführungslehrgang) vor.
Der Senat hat die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung am 17. Juni 2004 angehört und eine Auskunft der D. vom 10. August 2004 mit Kostenvoranschlag für die Ausbildung eines Blindenführhundes vom 20. Juni 2000 eingeholt. Nach dieser Auskunft kostete ein Blindenführhund dieser Schule im Mai 2000 24.270,00 DM zuzüglich 7 % Mehrwertsteuer. Der beigefügte Kostenvoranschlag vom 20. Juni 2000 sei an die Klägerin ergangen. Bei den dort ausgewiesenen Kosten handele es sich um - nach Erfahrungswerten - kalkulierte Durchschnittspreise. Die Ausbildung der Hunde dauere 8 bis 12 Monate, die Einarbeitung des Versicherten am Orte der Schule
ca. drei Wochen und sechs bis acht Tage am Wohnort des Versicherten. Nach Kostenübernahmeerklärung sei ein Einarbeitungstermin für die Klägerin nicht vor April 2001 möglich gewesen.
Die Kosten der Gespannsprüfung betrage 800,00 bis 1.000,00
EUR. Des Weiteren hat der Senat eine Auskunft der Q. Schule für Blindenführhunde X. vom 16. August 2004 nebst Kostenauflistung vom 20. Mai 2005 sowie Auskünfte vom 6., 13. und 20. Juni 2005 eingeholt. Danach habe sich die Klägerin im April 2000 bei einem Besuch der Blindenführhundeschule für einen Hund entschieden und Ende August/Anfang September 2000 die Zusage erklärt, die über die Kostenzusage der Beklagten liegenden Kosten zu übernehmen. Ein Blindenführhund habe im Mai 2000 46.960,16 DM gekostet. Wegen der zusätzlichen Hörbehinderung der Klägerin seien zusätzliche Kosten im Rahmen des Einarbeitungslehrgangs für eine spezielle Führhundeversorgung (655,91 DM) angefallen. Ein gut ausgebildeter Blindenführhund müsse mindestens sechs bis neun Monate trainiert werden. Bei einer zusätzlichen Behinderung des Versicherten könne die Ausbildungsdauer 9 bis 12 Monate betragen. Im Falle der Klägerin habe der Ausbildungszeitraum für den Blindenführhund über 16 Monate betragen. Die Gespannsprüfung koste zwischen 400,00 und 1. 200,00
EUR. Diese Prüfung werde auf Verlangen der Krankenkasse durchgeführt und auch von dieser bezahlt. Diese Kosten seien in dem vorgelegten Kostenvoranschlag nicht berücksichtigt worden.
Der Senat hat die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte des Verfahrens auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (Az.: S 12 KR 1363/00 ER) beigezogen. Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten sowie zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakte Bezug genommen.