Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob eine bei dem Kläger vorliegende Hörstörung eine Berufskrankheit (BK) im Sinne der
Nr. 2301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) ist.
Mit einer am 13. Februar 2017 erstatteten "Ärztlichen Anzeige bei Verdacht auf eine BK" teilte der den Kläger behandelnde HNO-Arzt
Dr. I., J., der Beklagten mit, dass bei dem K. geborenen Kläger ein "extremer Tinnitus beidseits zunehmend bei in den ersten Monaten nicht ausreichendem Hörschutz" festgestellt worden sei. Dieser sei am 19. Dezember 2016 erstmals aufgetreten. Als gefährdende Tätigkeit sei eine "Lärmarbeit: Starten der Helikopter" zu bezeichnen, und zwar für einen "Heli-Service". Ein Tonaudiogramm (Messdatum 13. Februar 2017/4. Januar 2017) war der Anzeige beigefügt.
In dem daraufhin eingeleiteten BK-Feststellungsverfahren befragte die Beklagte den Kläger zunächst zu dessen beruflichen Lebenslauf (1986 bis 1990 und 09/2010 bis 02/2016 -
Kfz-Mechaniker bei verschiedenen Arbeitgebern; 02/1997 - Filmvorführer; 05/1997 bis 03/1998 - Bauarbeiter im L.; 07/1999 - 09/2010 - diverse Tätigkeiten u.a. Sortierarbeiten, Autofahren, Anbringen von Autoteilen, Folien anbringen/Rotorblätter befestigen bei verschiedenen Arbeitgebern; 06/2016 bis 12/2017 - Groundhandling bei der Firma M. International) sowie die hierdurch entstandenen Lärmbelastungen (ausführliche Arbeitsbeschreibung vom 12. Juni 2017 zur Tätigkeit bei der Firma N. Service International mit Verweis u.a. auf lärmintensive Hubschrauber 3 AW 139, 2 AW 169, 1 Sikorsky S76B, BK und 1 Bo 105 während der Überwachung des Start- und Landevorgangs mit Zurverfügungstellung eines falschen Gehörschutzes während der ersten Monate) und dessen Ohrgeräusche, die sich erstmals am 19. Dezember 2016 in Form eines ständigen hohen Tons bemerkbar gemacht hätten.
Ferner zog die Beklagte medizinische Unterlagen von dem den Kläger behandelnden Arzt
Dr. I. bei und holte eine Auskunft von der Firma N. Service
GmbH zu den dortigen Hubschraubermodellen vom 13. September 2017 ein.
Des Weiteren holte die Beklagte eine Stellungnahme des Präventionsdienstes der Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik vom 5. Dezember 2017 ein, der nach einer telefonischen Rücksprache mit dem Kläger am 27. November 2017 für dessen bei der Firma O.
GmbH ausgeübte Tätigkeiten als PKW-Fahrer im Autoumschlag,
Kfz-Mechaniker und Lascher keine lärmgefährdende Tätigkeiten annahm (u.a. Beurteilungspegel von 83
dB(A), 81
dB(A) und 78
dB(A)) und des eigenen Präventionsdienstes vom 12. September 2017 und 26. Januar 2018, der für die Tätigkeiten des Klägers für die Firma N. Service (06/2016 bis 07/2017) eine Lärmbelastung von ≥ 85
dB(A) und 90 bis 92
dB(A) sowie für dessen weitere Tätigkeiten ˂ 85
dB(A) errechnete.
Ferner wertete die Beklagte die eingeholten Tonaudiogramme selbst aus und stellte keinen lärmbedingten Hörverlust bei einer lediglich siebenmonatigen Lärmeinwirkung fest.
Daraufhin lehnte sie mit Bescheid vom 7. März 2018 die Feststellung einer BK-
Nr. 2301 wegen fehlender arbeitstechnischer und medizinischer Voraussetzungen ab.
Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 28. März 2018 Widerspruch, den er zusammenfassend dahingehend begründete, dass der bei ihm festgestellte Hörschaden auf seine berufliche Tätigkeit bei der Firma N. Service zurückzuführen sei, und zwar aufgrund seiner ständigen Präsenz an den Helikoptern, bei der es teilweise keine Ruhephasen gegeben habe, da sein Kollege für einige Monate krankgeschrieben gewesen sei. Er habe deshalb Urlaubssperre gehabt. Zudem habe er in den ersten Monaten einen falschen Gehörschutz zur Verfügung gestellt bekommen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 3. Mai 2018 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 18. Mai 2018 Klage beim Sozialgericht (SG) P. erhoben und zunächst noch einmal ausführlich seine Tätigkeit als Bodenabfertiger bei der Firma N. Service beschrieben und auf den untauglichen Gehörschutz (lediglich 3M Peltor-Optime 1; 3M Peltor-Optime II mit Kapselgehörschutz sei ihm nicht zur Verfügung gestellt worden) hingewiesen. Er sei einem höheren Lärmpegel ausgesetzt gewesen als der Präventionsdienst der Beklagten errechnet habe.
Die Beklagte hat ihre Entscheidung verteidigt und ergänzend ausgeführt, dass zwar eine Lärmbelastung festgestellt worden sei, allerdings lediglich von dreizehn Monaten, was nicht ausreichend für die Verursachung einer Lärmschwerhörigkeit sei. Ferner hat die Beklagte hierzu eine Stellungnahme des beratenden HNO-Arztes
Dr. Q. vom 2. Mai 2019 zum Verfahren gereicht.
Nach Anhörung der Beteiligten vom 17. Mai 2019 hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 1. April 2020 abgewiesen und zur Begründung zusammenfassend ausgeführt, dass der Kläger keiner ausreichenden Lärmbelastung ausgesetzt gewesen sei. Ferner seien die medizinischen Voraussetzungen der BK-
Nr. 2301 nicht erfüllt, denn es läge kein typisches Bild einer Lärmschwerhörigkeit bei dem Kläger vor, dementsprechend sei der Tinnitus auch nicht lärmbedingt.
Gegen den ihm am 2. April 2020 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 14. April 2020 Berufung eingelegt, mit der er sein Begehren auf Feststellung der BK-
Nr. 2301 fortführt und ergänzend zu seinem erstinstanzlichen Vorbringen vorträgt, dass es in den letzten Tagen seiner Tätigkeit bei seinem alten Arbeitgeber zu einem Zwischenfall gekommen sei: er habe bei einem Helikopter wie üblich den Startvorgang überwacht und die Groundpower gelöst, der Pilot habe es möglicherweise sehr eilig gehabt. Dieser sei - als er, der Kläger, noch in unmittelbarer Nähe des Hubschraubers gewesen sei, - sehr eilig gestartet und habe den Hubschrauber auf der Stelle gedreht. Dadurch hätten die Getriebe noch mehr aufgeheult, während er - der Kläger - dem Lärm unmittelbar ausgesetzt gewesen sei. Üblicherweise hätten die Piloten mit diesen Manövern gewartet, bis er - der Kläger - sich etwas aus dem Bereich des Helikopters habe entfernen können. Die angenommenen Lärmbelastungen seien von der Beklagten nicht ausreichend ermittelt worden. Der Lärm eines startenden Helikopters ergebe sich aus der Leistung der Triebwerke und der Länge und der Art der Rotorblätter. Zudem sei die Belastung auch abhängig von der genauen Position des Betroffenen und den Manövern. Es gebe sehr unterschiedlich große Helikopter, so dass ein Standardwert nicht ermittelt werden könne. Ergänzend weist der Kläger darauf hin, dass nach den Königsteiner Empfehlungen als Voraussetzung für die Anerkennung einer Lärmschwerhörigkeit als BK erforderlich sei, dass "in der Regel" eine mehrjährige Exposition bei einem Tageslärmexpositionspegel (Lex8h), der den Wert von 85
dB(A) erreicht oder überschritten werde, gegeben sei. Damit berücksichtige diese Tageslärmexposition auch die Häufigkeit, mit der ein Versicherter Lärm ausgesetzt sei, insbesondere auch, wie oft das Gehör Spitzenschalldruckpegel habe ertragen müssen. Entgegen den Ausführungen des
Prof. Dr. R. sei er - der Kläger - einer bis zu fünfmal höheren tatsächlichen Lärmbelastung ausgesetzt gewesen. Er - der Kläger - sei damit länger als einem Jahr erheblichem Dauerlärm ausgesetzt gewesen; insoweit sei zumindest eine Mehrzahl von Jahren erfüllt. Hinzu komme, dass er erstmalig durch die berufliche Tätigkeit bei der Firma N. Services durch den Hörschaden betroffen worden sei und zuvor keinerlei Beschwerden gehabt habe.
Der Kläger beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,
1. den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts P. vom 1. April 2020 sowie den Bescheid der Beklagten vom 7. März 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Mai 2018 aufzuheben,
2. festzustellen, dass die bei ihm bestehende Hörschädigung Folge einer Berufskrankheit nach der
Nr. 2301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung ist.
Die Beklagte beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Ergänzend verweist sie auf die Ergebnisse der arbeitstechnischen Ermittlungen ihres Präventionsdienstes in Form einer am 14. April 2021 durchgeführten Lärmmessung am Arbeitsplatz des Klägers (Stellungnahmen vom 19. März 2021, 21. April 2021 und 4. Mai 2021), woraus sich ergebe, dass die tatsächlichen Lärmbelastungen beim Starten und Landen der maßgeblichen Hubschrauber Spitzenschalldruckpegel LpC von 131,5 und 127,0
dB(C) betragen hätten. Eine akute Gehörschädigung sei jedoch nach den Königsteiner Empfehlungen erst bei Schallereignissen mit einem LpC von mehr als 150
dB(C) anzunehmen.
Der Senat hat im vorbereitenden Verfahren am 30. November 2020 durch seinen Berichterstatter einen Erörterungstermin durchgeführt, in dem der vorher von Amts wegen mit einer Begutachtung des Klägers beauftragte Sachverständige
Prof. Dr. R., HNO-Arzt, Köln, sein am 15. Oktober 2020 schriftlich erstelltes Sachverständigengutachten erläutert und den Beteiligten für Rückfragen zur Verfügung gestanden hat. Der Sachverständige ist zusammenfassend zum Ergebnis gelangt, dass bei dem Kläger eine geringfügige Hochtonsenke mit einem Hochtonohrgeräusch als Begleittinnitus bestehe. Es handele sich um eine beginnende Schwerhörigkeit beiderseits, insgesamt sei die
MdE auf 10 v.H. ab dem 19. Dezember 2016 (erstmaliges Bemerken der Ohrgeräusche) einzuschätzen. Allerdings sei der angegebene Tages-Lärmexpositionspegel von 90 bis 92
dB(A) bei der Firma Heli Service
GmbH missverständlich, weil er die durchschnittliche Lärmbelastung über den ganzen Arbeitstag bezeichne. Relevant sei die effektive Lärmbelastung in Form eines ortsbezogenen und personenbezogenen Lärmpegels im Nahbereich des Helikopters. Sofern es sich hier um Werte im Sinne eines akuten Lärmtraumas (exzessiv hohe Schallstärken über die Dauer einiger Minuten oder Stunden mit einem Schallpegel zwischen 130 und 160
dB(A)) oder eines "Mini"-Lärmtraumas (Schallpegel an der unteren Grenze bei etwa 130
dB(A) oder
dB(C) bei einer Einwirkung über Sekunden oder Minuten) gehandelt habe, wäre ebenfalls eine BK-
Nr. 2301 zu diskutieren. Allerdings seien hierzu ergänzende arbeitstechnische Ermittlungen in Bezug auf den personenbezogenen Lärmpegel, d.h. die Lautstärke in unmittelbarer Nähe der Triebwerke und zur Dauer der täglichen Lärmeinwirkung, erforderlich und entsprechende Messungen vom Präventionsdienst der Beklagten durchzuführen.
Auf Anregung des Sachverständigen im Erörterungstermin hat der Senat anschließend das arbeitstechnische Gutachten des
Dr. S., Abteilung 4: Arbeitsgestaltung, Physikalische Einwirkungen, Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA), vom 15. Januar 2021 eingeholt. Dieser ist zum Ergebnis gelangt, dass dort lediglich Messwerte zu kleineren Hubschraubern (Triebwerk mit
ca. 250 PS) zur Verfügung stünden. Genauere Aussagen zur personenbezogenen Lärmbelastung des Hubschrauberpersonals an größeren Hubschraubern (Triebwerke mit 1100 PS und mehr), denen der Kläger während seiner Tätigkeit überwiegend ausgesetzt gewesen sei, seien zurzeit nicht möglich. Es könnten deshalb näherungsweise die Lärmbelastungen, die an kleineren Hubschraubern gewonnen worden seien, herangezogen werden. Es seien für den C-bewerteten Spitzenschalldruckpegel LpCpeak Werte im Bereich von 130
dB zu ermitteln. Ggf. seien für eine genauere Abschätzung der Lärmbelastung des Klägers personenbezogene Messungen mit den fraglichen Hubschraubertypen mit Hubschrauberbodenpersonal durchzuführen.
Der hierzu ergänzend gehörte Sachverständige
Prof. Dr. R. hat in seiner Stellungnahme vom 8. Februar 2021 zunächst ausgeführt, dass nachvollziehbar sei, dass größere Hubschrauber nicht leiser seien, sondern eher einen höheren Lärm exponierten. Es sei deshalb begründbar, dass es sich bei der bei dem Kläger festgestellten Hochtonsenke mit Begleittinnitus um einen beruflichen Schaden im Sinne eines akuten Lärmtraumas handele und demgemäß eine BK-
Nr. 2301 mit einer
MdE um 10 v.H. vorliege.
Die Beklagte hat hierauf weitere Ermittlungen zu den arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK-
Nr. 2301 durch ihren Präventionsdienst veranlasst, der am 14. April 2021 am ehemaligen Arbeitsplatz des Klägers Lärmmessungen durchführte. In den zum Verfahren gereichten Stellungnahmen vom 19. März 2021, 21. April 2021 und 4. Mai 2021 ist dieser zum Ergebnis gelangt, dass beim Starten und Landen der maßgeblichen Hubschrauber lediglich Spitzenschalldruckpegel LpCpeak von 131,5 und 127
dB(C) gemessen worden seien. Der nach den Königsteiner Empfehlungen erforderliche Wert von Schallereignissen von LpCpeak von mehr als 150
dB(C) sei nicht erreicht. Die gemessenen Werte lägen weit darunter und seien nicht geeignet, eine Lärmschwerhörigkeit zu verursachen.
Der Senat hat anschließend eine weitere Stellungnahme des Sachverständigen
Prof. Dr. R. vom 29. Mai 2021 hierzu eingeholt, der nunmehr zum Ergebnis gelangt ist, dass eine berufliche Lärmschwerhörigkeit nach den nunmehr ermittelten Werten nicht angenommen werden könne. Es seien lediglich ein Tageslärmexpositionspegel von 92 bis 93
dB für 14 Monate Lärmbelastung sowie Schallpegel beim Starten und Landen von 105,2
dB(A)
bzw. 102,5 db(A) ermittelt worden. Damit liege weder eine dauerhafte Lärmbelastung über einige Jahre oder Jahrzehnte von 85
dB(A) vor, noch ein hoher Spitzenschalldruckpegel von 150 bis 160
dB(C)
bzw. Schalldruckpegel von 130
dB.
Der Kläger hat hiergegen Einwände erhoben und u.a. geltend gemacht, dass möglicherweise lediglich "ideale" Start- und Landevorgänge gemessen worden seien, auch zu Lärmspitzen, die bei einem sehr raschen Start entstanden seien, seien keine Werte ermittelt worden. Ferner sei zu hinterfragen, an welcher Position auf dem Flugplatz die Messungen durchgeführt worden seien und wie die Versuchsanordnung aufgebaut gewesen sei. Es sei übersehen worden, dass ein Hallentor den Schall in hohem Maße reflektiert habe. Auch sei das von ihm geschilderte Startereignis vom 22. Mai 2017 nicht berücksichtigt worden.
Die Beklagte hat die weitere Stellungnahme ihres Präventionsdienstes vom 10. September 2021 zum Verfahren gereicht, der die genauen Abläufe der Überwachung des Starts und der Landung beschrieb.
Der Senat hat anschließend den arbeitstechnischen Sachverständigen
Dr. S. mit der Erstellung einer ergänzenden Stellungnahme
bzw. Überprüfung der von dem Präventionsdienst der Beklagten durchgeführten Messungen beauftragt. Nach Einholung des Messberichts des Präventionsdienstes vom 19. April 2021 ist der Sachverständige unter dessen Auswertung in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 10. November 2021 zum Ergebnis gelangt, dass die vom Präventionsdienst der Beklagten durchgeführten Messungen fehlerfrei erfolgt seien und weder ein Verbesserungsbedarf noch die Notwendigkeit für ergänzende Messungen bestünden.
Die Beklagte (Schriftsatz vom 23. November 2021) sowie der Kläger (Schriftsatz vom 19. Januar 2022) haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erteilt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.