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Urteil
Gewährung eines Mehrbedarfs zum Lebensunterhalt für erwerbsfähige behinderte Hilfebedürftige - selbstständige Unternehmensberaterin - Wegefähigkeit

Gericht:

SG Düsseldorf


Aktenzeichen:

S 7 (29,44) AS 125/06


Urteil vom:

22.02.2010


Tenor:

Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 26.01.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.03.2006 verurteilt, der Klägerin ab dem 01.01.2006 einen Mehrbedarf für erwerbsfähige behinderte Hilfebedürftige, denen sonstige Hilfen zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben erbracht werden, zu gewähren. Die Beklagte trägt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung eines Mehrbedarfs zum Lebensunterhalt für erwerbsfähige behinderte Hilfebedürftige, denen sonstige Hilfen zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben erbracht werden.

Die 1960 geborene Klägerin erlitt am 29.02.2004 in ihrem Pkw einen Unfall, bei dem sie erhebliche Verbrennungen davontrug. Infolge dieser Verbrennungen mussten ihr beide Oberschenkel amputiert werden. Bei der Klägerin sind seit August 2004 ein Grad der Behinderung von 100 sowie das Vorliegen der Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Nachteilsausgleiche B (Notwendigkeit einer ständigen Begleitung), aG (außergewöhnliche Gehbehinderung) und H (Hilflosigkeit) festgestellt.

Die Klägerin war zuvor überregional als selbständige Unternehmensberaterin tätig. Im Anschluss an den fast einjährigen unfallbedingten Klinik- und Reha-Aufenthalt trat sie im Januar 2005 bei der Beklagten in den fortlaufenden Bezug von Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II). Im Mai 2005 meldete sie ein Gewerbe als Unternehmensberaterin an und bemühte sich in der Folgezeit um den Wiedereinstieg in ihre letzte berufliche Tätigkeit. Die erzielten Einkünfte reichten jedoch bislang nicht, um die Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II zu überwinden.

Gleichzeitig bemühte sich die Klägerin um die Anschaffung eines behindertengerecht ausgestatteten Pkw. Am 28.01.2005 stellte der Amtsarzt des Kreises W fest, dass selbst bei einer unterstellten zukünftigen Versorgung der Klägerin mit Prothesen eine zumindest zeitweise Rollstuhlbedürftigkeit dauerhaft fortbestehen werde. Der ärztliche Dienst der Agentur für Arbeit L kam am 10.03.2005 zu dem Ergebnis, dass eine Versorgung mit Prothesen vorerst undenkbar sei. Die Klägerin werde auf absehbare Zeit auf ihren Rollstuhl angewiesen sein. Ein behindertengerecht ausgestatteter Pkw sei daher zwingend notwendig, um eine ausreichende berufliche Mobilität zu gewährleisten.

Mit Bescheid vom 30.08.2005 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 22.09.2005 bewilligte das Sozialamt des Kreises W - Fürsorgestelle für Schwerbehinderte - der Klägerin aus Mitteln der Ausgleichsabgabe eine finanzielle Hilfe zum Erreichen des Arbeitsplatzes in Höhe von 20.947,87 EUR. Bestimmungsgemäß erwarb die Klägerin hiervon ihren bis heute genutzten Pkw des Typs Kia Picanto und finanzierte die behindertengerechte Umrüstung und Ausstattung dieses Wagens.

In den Pkw der Klägerin wurden dabei vor allem eingebaut ein Universal-Handgerät zur Steuerung (Schub-Bremse, Zug-Gas, elektrische Handbremsfeststellung, Hupe, Blinker, Scheibenwischer, Lichtschaltung), eine leistungsstarke Standheizung, die im Winter Eis und Schnee von den Front- und Seitenscheiben abschmelzen kann, sowie eine Rollstuhlverladehilfe vom Typ Robot 2002: ein Greifarm, der aus dem Kofferraum des Wagens bis zur Fahrertür ausgefahren wird, dort den zuvor verlassenen Rollstuhl aufgreift und vollautomatisch im Kofferraum des Wagens verstaut bzw. bei Fahrtende in umgekehrter Reihenfolge den Rollstuhl wieder einsatzbereit neben die Fahrertür bugsiert.

Der so hergerichtete Pkw stand der Klägerin ab Oktober 2005 zur Verfügung. Am 30.12.2005 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Anerkennung eines Wohnraummehrbedarfs zur Einrichtung eines häuslichen Arbeitsplatzes über 60 m² hinaus sowie die Gewährung eines Mehrbedarfs zum Lebensunterhalt für erwerbsfähige behinderte Hilfebedürftige, denen sonstige Hilfen zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben erbracht werden.

Beide Anträge lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 26.01.2006 ab. Mit Blick auf den geltend gemachten Mehrbedarf führte sie aus, ein solcher sei nur zu bewilligen, wenn Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben laufend erbracht würden. Bei der Zahlung der Fürsorgestelle des Kreises W handele es sich aber um eine einmalige Zahlung, die keinen Anspruch auf Gewährung eines Mehrbedarfs auslöse.

Der dagegen gerichtete Widerspruch der Klägerin vom 01.02.2006 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 09.03.2006, in dem die Beklagte ihre Einlassungen aus dem Ausgangsbescheid wiederholte und vertiefte, als unbegründet zurückgewiesen.

Hiergegen hat die Klägerin am 04.04.2006 die vorliegende Klage erhoben.

Im Termin zur Erörterung des Sachverhalts vom 22.06.2009 hat die Klägerin erklärt, dass sie denjenigen Teil der Klage, der den geltend gemachten Wohnraummehrbedarf zum Gegenstand habe, zurücknehme.

Im Übrigen ist die Klägerin ist der Ansicht, dass die Beklagte den Anwendungsbereich für einen behindertengerechten Mehrbedarf unzulässig verkürze. Insbesondere werde nicht ausreichend berücksichtigt, dass sie den Wiedereinstieg in die Selbständigkeit ohne den Pkw nicht bewerkstelligen könne.

Der Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 26.01.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.03.2006 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab dem 01.01.2006 einen Mehrbedarf für erwerbsfähige behinderte Hilfebedürftige, denen sonstige Hilfen zu Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben erbracht werden, zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält ihren Standpunkt aus dem Vorverfahren aufrecht und führt ergänzend an, die Gewährung eines Mehrbedarfs solle nur den durch eine aktuell durchgeführte Eingliederungsmaßnahme entstehenden finanziellen Mehraufwand ausgleichen; die der Klägerin erwachsene Belastung der Unterhaltung des Pkw sei jedoch nur eine Folgewirkung der einmaligen Finanzhilfe der Fürsorgestelle des Kreises W und als solche nicht geeignet, einen ausreichenden Mehrbedarfsanspruch zu bewirken.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die Verwaltungsakte des Sozialamts des Kreises W - Fürsorgestelle für Schwerbehinderte - zu dem Geschäftszeichen 50/4 - 505645/775 und die Leistungsakte der Beklagten zu dem Geschäftszeichen 36102BG0026675, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, verwiesen.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Sozialgerichtsbarkeit BRD

Entscheidungsgründe:

Soweit sich der Rechtsstreit nicht durch die im Termin zur Erörterung des Sachverhalts vom 22.06.2009 erklärte Teilklagerücknahme in der Hauptsache erledigt hat, vgl. § 102 Abs. 1 S. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), ist die Klage begründet.

Gemäß § 54 Abs. und Abs. 2 SGG ist ein Verwaltungsakt abzuändern, soweit er rechtswidrig und der Kläger dadurch beschwert ist. Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, kann nach § 54 Abs. 4 SGG mit der Klage neben der Abänderung des Verwaltungsaktes, die ein wesensgleiches Minus zur dort genannten Aufhebung darstellt, gleichzeitig die Leistung verlangt werden. Wird gemäß § 54 Abs. 4 eine Leistung in Geld begehrt, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann nach § 130 Abs. 1 S. 1 SGG auch zur Leistung nur dem Grunde nach verurteilt werden.

Soweit der Antrag vom 30.12.2005 auf Gewährung eines Mehrbedarfs für erwerbsfähige behinderte Hilfebedürftige, denen sonstige Hilfen zu Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben erbracht werden, abgelehnt worden ist, ist die Klägerin durch den Bescheid vom 26.01.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.03.2006 beschwert. Der Ausgangs- und Widerspruchsbescheid sind insoweit rechtswidrig.

Die Klägerin hat einen Rechtsanspruch auf Gewährung des begehrten Mehrbedarfs ab dem 01.01.2006. Rechtsgrundlage dieses Anspruchs ist § 21 Abs. 4 S. 1 SGB II in der seit dem 01.01.2006 jeweils gültigen Fassung.

Die Norm lautete vom 01.01.2006 bis zum 31.07.2006: "Erwerbsfähige behinderte Hilfebedürftige, denen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 33 des Neunten Buches sowie sonstige Hilfen zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben oder Hilfe zur Ausbildung für eine sonstige angemessene Tätigkeit erbracht werden, erhalten einen Mehrbedarf von 35 vom Hundert der nach § 20 maßgebenden Regelleistung."

Seit dem 01.08.2006 ist die Norm wie folgt gefasst: "Erwerbsfähige behinderte Hilfebedürftige, denen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 33 des Neunten Buches sowie sonstige Hilfen zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben oder Eingliederungshilfen nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 des Zwölften Buches erbracht werden, erhalten einen Mehrbedarf von 35 vom Hundert der nach § 20 maßgebenden Regelleistung."

Die Klägerin ist in dem hier relevanten Zeitraum als behinderte Hilfebedürftige im Sinne der Norm anzusehen. Dass der behinderte Hilfebedürftige auch erwerbsfähig sein muss, ohne bei der Beurteilung der Erwerbsfähigkeit die Wirkungen einer der in § 21 Abs. 4 S. 1 SGB II genannten Hilfen einzurechnen, darf der Norm als Anspruchsvoraussetzung nicht entnommen werden.

Bei der Aufnahme des Tatbestandsmerkmals der Erwerbsfähigkeit in § 21 Abs. 4 S. 1 SGB II handelt es sich erkennbar um ein redaktionelles Versehen des Gesetzgebers. Dies lässt sich bereits grundsätzlich daran ablesen, dass über die Rechtsgrundverweisung in § 28 Abs. 1 S. 2 SGB II auf die Leistungen nach § 19 S. 1 SGB II auch nicht erwerbsfähigen Sozialgeldempfängern unstreitig ein originärer Anspruch auf den Mehrbedarf nach § 21 Abs. 4 S. 1 SGB II zugesprochen wird (vgl. hierzu Münder, in: ders. (Hg.), Sozialgesetzbuch II, Lehr- und Praxiskommentar, 3. Auflage, Berlin 2009, § 21 Rdn. 4 m.w.N.). Da die Bestimmungen des § 28 Abs. 1 S. 3 SGB II in ihrer jeweiligen Fassung lediglich weitere, ergänzende Maßgaben bei der Anwendung des § 28 Abs. 1 S. 2 SGB II vorsehen, lässt sich aus diesen auch kein grundsätzlich anderes Ergebnis ableiten.

Der vorliegende Fall gibt im Besonderen Anlass, das redaktionelle Versehen des Gesetzgebers zu verdeutlichen. Nach den angeführten ärztlichen Feststellungen und dem in der mündlichen Verhandlung gewonnen Eindruck des Gerichts ist die Klägerin ohne ihren leidensgerecht umgebauten Pkw nicht erwerbsfähig, mit diesem aber schon.

Erwerbsfähig nach § 8 Abs. 1 SGB II ist, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Das SGB II verlangt nach einer eigenständigen Auslegung des Begriffs der Erwerbsfähigkeit, die sich nicht schematisch an der Auslegung orientieren darf, die der gleichlautende Begriff im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung erfahren hat. Vielmehr ist der Begriff der Erwerbsfähigkeit im Sinne der Zielrichtungen des SGB II eigenständig zu interpretieren (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 07.11.2006, Az. B 7b AS 10/06 R; Blüggel, in: Eicher/Spellbrink (Hg.), SGB II, Kommentar, 2. Auflage, München 2008, § 8 Rdn. 7 m.w.N.).

Erwerbsfähigkeit im Sinne des SGB II meint daher insgesamt die Fähigkeit, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes eine Erwerbstätigkeit aufnehmen und sodann durch den Einsatz der eigenen Arbeitskraft den Lebensunterhalt - wenn auch nur zum Teil - unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes aus eigenen Mitteln und Kräften bestreiten zu können. Die Fähigkeit, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes eine Erwerbstätigkeit aufnehmen zu können, setzt die Fähigkeit voraus, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes einen Arbeitsplatz zumutbar aufsuchen und erreichen zu können - Wegefähigkeit. Ohne den leidensgerecht umgebauten Pkw wäre die Klägerin nicht wegefähig.

Eine Verständnis des § 21 Abs. 4 S.1 SGB II, das nur zum Anspruchsberechtigten machte, wer bereits ohne die weiter genannten Hilfen erwerbsfähig ist, würde die Gewährung eines Mehrbedarfes für arbeitsmarktintegrierende Maßnahmen in jenen Fällen vereiteln, in denen die genannten Hilfen die Erwerbsfähigkeit erst (wieder-)herstellen. Infolgedessen würde aber auch die Wirksamkeit der arbeitsmarktintegrierenden Hilfen selbst in Mitleidenschaft gezogen, da deren Mitfinanzierung aus dem am Existenzminium eines nicht behinderten Menschen orientierten Regelsatz nach § 20 SGB II dauerhaft nicht erwartet werden kann.

Eine solche Wirkung liefe aber diametral den in § 1 SGB II niedergelegten Aufgaben und Zielen der Grundsicherung zuwider, auch bei behinderten Hilfebedürftigen Erwerbspotentiale zu erschließen und wieder herzustellen. In § 1 Abs. 1 S. 4 Nr. 2 und 5 SGB II heißt es seit Inkrafttreten des SGB II unverändert: "Die Leistungen der Grundsicherung sind insbesondere darauf auszurichten, dass die Erwerbsfähigkeit des Hilfebedürftigen erhalten, verbessert oder wieder hergestellt wird" (Nr. 2), "behindertenspezifische Nachteile überwunden werden" (Nr. 5).

Der bestimmungsgemäß verwandte Zuschuss des Sozialamtes des Kreises W - Fürsorgestelle für Schwerbehinderte - stellt eine sonstige Hilfe im Sinne des § 21 Abs. 4 S. 1 SGB II dar.

Die zugrundeliegende Bewilligung stützt sich im vorliegenden Fall auf §§ 2 Abs. 2, 77 Abs. 5, 79 und 102 Abs. 3 Nr. 1b) des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IX), § 20 i.V.m. §§ 17,18, 19 der Zweiten Verordnung zur Durchführung des Schwerbehindertengesetzes (Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabeverordnung - SchwbAV) und § 1,3, 6, 8 und 10 der Kraftfahrzeughilfe-Verordnung (KfzHV) in der jeweils zum Zeitpunkt der Bewilligung geltenden Fassung.

Nach § 102 Abs. 3 Nr. 1b) SGB IX kann das zuständige Integrationsamt für die begleitende Hilfe im Arbeitsleben aus den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln auch Geldleistungen erbringen, insbesondere an schwerbehinderte Menschen zum Erreichen des Arbeitsplatzes. Die in diesem Sinne zur Verfügung stehenden Mittel umfassen nach § 14 SchwbAV auch diejenigen, die dem Integrationsamt aus der Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabe zugeflossen sind und die nach § 20 SchwbAV das Erreichen eines Arbeitsplatzes durch Leistungen nach der KfzHV (Hilfen zur Anschaffung und zum behindertengerechten Umbau eines Kraftfahrzeugs) unterstützen können.

Nach § 33 Abs. 3 Nr. 1 SGB IX kann der zuständige Verwaltungsträger als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben Hilfen zur Erhaltung oder Erlangung eines Arbeitsplatzes einschließlich Mobilitätshilfen, nach § 33 Abs. 3 Nr. 6 SGB IX auch sonstige Hilfen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben erbringen, um behinderten Menschen eine angemessene und geeignete Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit zu ermöglichen und zu erhalten. § 33 Abs. 8 Nr. 1 SGB IX stellt dabei klar, dass Leistungen nach § 33 Abs. 3 Nr. 1 und 6 SGB IX auch die Kraftfahrzeughilfe nach der KfzHV umfassen.

Es liegt auf der Hand, dass die vorliegend vom Sozialamt des Kreises W - Fürsorgestelle für Schwerbehinderte und damit Integrationsamt im Sinne des § 102 SGB IX - bezuschusste Anschaffung und Umrüstung des Pkw der Klägerin inhalts- und wirkungsgleich auch von dem für die Anwendung des § 33 SGB IX grundsätzlich zuständigen Verwaltungsträger hätte übernommen werden können, sofern für diesen auch eine sachliche Zuständigkeit im Einzelfall gegeben wäre.

Da das Leistungsspektrum der Hilfen nach § 33 SGB IX ohne Einschränkung zum eigenständigen Tatbestandsmerkmal der Mehrbedarfsregelung des § 21 Abs. 4 S. 1 SGB II erhoben worden ist, ist kein Grund ersichtlich, die den §§ 33 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 6, 33 Abs. 8 Nr. 1 SGB IX inhalts- und wirkungsgleiche Hilfeleistung nach § 102 Abs. 3 Nr. 1b) SGB IX (in Verbindung mit den zuvor genannten weiteren Regelungen) nicht als gleichwertige "sonstige Hilfe" im Sinne des § 21 Abs. 4 S. 1 SGB II anzusehen.

Diese sonstige Hilfe ist im Fall der Klägerin zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben ebenso bestimmt wie geeignet. Ohne diese Hilfe wäre die Klägerin, was bereits ausgeführt worden ist, nicht erwerbsfähig. Daher reicht vorliegend zur Bestimmung und Eignung der Hilfe bereits aus, dass sie für die Klägerin schon unabdingbar ist, um überhaupt irgendeinen Platz im Arbeitsleben zu erlangen. Eine weitergehende spezielle Nutzenprognose zwischen der Hilfe und einem näher bestimmten Platz im Arbeitsleben ist daher im vorliegenden Fall entbehrlich.

Die sonstige Hilfe zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben ist der Klägerin seit dem 01.01.2006 durchgehend erbracht worden. Was unter dem Tatbestandsmerkmal "erbracht werden" zu verstehen ist, muss im Wege der Auslegung ermittelt werden. Maßgebend ist dabei zunächst der Wortlaut. Dieser setzt einen offenen zeitlichen Rahmen. Eine Hilfe zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben kann demnach ebenso einmalig punktuell wie fortdauernd "erbracht werden", im letzteren Fall durchaus auch mit noch ungewissem Ende.

Dem steht auch § 21 Abs. 4 S. 2 SGB II nicht entgegen, wonach ein Mehrbedarf auch nach Beendigung der in § 24 Abs. 4 S. 1 SGB II genannten Maßnahmen eine Zeitlang weitergewährt werden kann. Hieraus ist lediglich bestätigend zu lesen, dass es Hilfen gibt, die einmal enden, nicht jedoch, dass jede Hilfe von vornherein zu einem absehbaren Zeitpunkt oder mit ausreichender Sicherheit irgendwann vor dem altersbedingten Ende des Bezuges von Leistungen nach dem SGB II (frühestens ab Vollendung des 65. Lebensjahres, vgl. §§ 7, 7a SGB II) enden muss.

Angesichts des offenen Wortlauts kommt dem Sinn und Zweck der Norm entscheidende Bedeutung zu. Sinn und Zweck des § 21 Abs. 4 S.1 SGB II ist es, eine pauschale Abgeltung zu schaffen für den finanziellen Mehraufwand, der durch die Inanspruchnahme einer Hilfe zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben entsteht. Da nicht erwartet werden kann, dass die am Existenzminimum nicht behinderter Menschen orientierte Regelleistung nach § 20 SGB II diesen Mehraufwand längerfristig abzudecken imstande ist, geht es der Norm damit zugleich um die faktische Aufrechterhaltung und den Schutz der Wirkung der benannten Hilfen.

Dieser Stellenwert wird abschließend deutlich, wenn man das System des SGB II zusätzlich in den Blick nimmt und damit vor allem die in § 1 Abs. 1 S. 4 Nr. 2 und 5 SGB II niedergelegten Aufgaben und Ziele.

Dort heisst es, worauf bereits hingewiesen worden ist, seit Inkrafttreten des SGB II unverändert: "Die Leistungen der Grundsicherung sind insbesondere darauf auszurichten, dass die Erwerbsfähigkeit des Hilfebedürftigen erhalten, verbessert oder wieder hergestellt wird" (Nr. 2), "behindertenspezifische Nachteile überwunden werden" (Nr. 5).

Damit wird eine sonstige Hilfe solange "erbracht", wie ihr Zweck, behindertenspezifische Nachteile durch Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit des Hilfebedürftigen zu überwinden und diesem damit die Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben zu ermöglichen, noch erreicht wird.

Dies ist bei der Klägerin mit jedem Tag der Fall, an dem der bestimmungsgemäß angeschaffte und umgebaute Pkw zu ihrer Verfügung steht, ohne den sie ihre Erwerbsfähigkeit und damit die Möglichkeit, einen geeigneten Platz im Arbeitsleben zu erlangen, sofort verlöre. Die Klägerin kann seit dem 01.01.2006 ununterbrochen über ihren behindertengerechten Pkw verfügen.

Die durchgehende Erbringung dieser Hilfe zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben löst bei der Klägerin auch einen entsprechend durchgehenden, behinderungsbedingten und behinderungstypischen Mehrbedarf an Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes aus.

Um auf der Rechtsfolgenseite des § 21 Abs. 4 S. 1 SGB II den pauschalen Anspruch auf Gewährung eines Mehrbedarfs auslösen zu können, muss die Hilfe zur Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes in der Zeit, in der sie erbracht wird, einen ihr innewohnenden behinderungstypischen Mehrbedarf hervorrufen. Dieses Erfordernis ergibt sich aus der grundsätzlichen Regelung des § 3 Abs. 3 SGB II. Dieser bringt zum Ausdruck, dass Leistungen nach dem SGB II nur zu gewähren sind, soweit der begehrten Leistung ein anerkennenswerter Bedarf gegenübersteht.

Während nicht behinderte Hilfebedürftige darauf zu verweisen sind, Entfernungen zum Standort des Grundsicherungsträgers zum Zwecke der Vermittlung in Arbeit, zu Fortbildungen, Vorstellungsgesprächen und Arbeitsstätten nach Möglichkeit zu Fuß oder mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zurückzulegen, kann von der Klägerin nicht verlangt werden, diese Strecken zu jeder Jahreszeit und Witterung mit ihrem Rollstuhl zurückzulegen. Kein anderes Bild ergibt sich bei Unterstellung einer etwaigen prothetischen Versorgung. Sie benötigt hierzu ihren leidensgerecht umgebauten Pkw.

Allein der Kraftstoffverbrauch, der zur Bewältigung dieser Wege anzunehmen ist, rechtfertigt die Annahme eines Mehrbedarfs in der von § 21 Abs. 4 S. 1 SGB II vorgesehenen pauschalen Höhe. Diese Bedarfsfeststellung kann auch nicht mit der Überlegung angegriffen werden, entsprechende Wege seien der Klägerin nicht abverlangt worden. Soweit hierauf mit Blick auf die erkennbaren Bemühungen der Klägerin, in die selbsttragende Selbständigkeit zurückzufinden, verzichtet worden ist, haben bereits diese Bemühungen der Klägerin bislang zweifellos einen Mehrbedarf ausgelöst, der dem oben beschriebenen vergleichbar ist.

Es kommt aber darauf, dass die Klägerin diese Eigenbemühungen unternimmt, nicht entscheidend an. Das SGB II selbst versteht sich als Gesetz zur Eingliederung in Arbeit. In § 14 SGB II heißt es unter dem Kapitel 3, Abschnitt 1. Leistungen zur Eingliederung in Arbeit: "§14 Grundsatz des Förderns Die Träger der Leistungen nach diesem Buch unterstützen erwerbsfähige Hilfebedürftige umfassend mit dem Ziel der Eingliederung in Arbeit. Die Agentur für Arbeit soll einen persönlichen Ansprechpartner für jeden erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft Lebenden benennen. Die Träger der Leistungen nach diesem Buch erbringen unter Beachtung der Grundsätze von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit alle im Einzelfall für die Eingliederung in Arbeit erforderlichen Leistungen." In den nachfolgenden Regelungen finden sich dann die dem Grundsicherungsträger zur Umsetzung dieser Aufgabe an die Hand gegebenen Instrumente.

Sofern diese Instrumente nicht eingesetzt werden - im vorliegenden Fall bislang mit sachlichem Grund -, kann dies jedoch dem behinderten Hilfebedürftigen, dem weiterhin sonstige Hilfen zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben erbracht werden, seinen Mehrbedarfsanspruch nicht grundsätzlich abschneiden. Dies folgt einmal aus der Struktur der typisierend pauschalen Bedarfsabgeltung selbst, wie sie in § 21 Abs. 2 bis 4 SGB II niedergelegt ist. Diese geht per se von einer Art "normativen Bedarfes" aus, der nur unter erschwerten Bedingungen im Einzelfall zu widerlegen sein dürfte und dabei aufgabenwidriges Verhalten des Grundsicherungsträgers nicht berücksichtigen könnte.

In Fällen wie dem vorliegenden kommt zudem den in § 1 Abs. 1 S. 4 Nr. 2 und 5 SGB II niedergelegten Aufgaben und Ziele erneut die entscheidende Bedeutung zu: Der Klägerin einen Mehrbedarf schon deshalb abzusprechen, weil sie sicher nicht zu den Maßnahmen nach § 15 ff. SGB II herangezogen werde, hieße faktisch, ihr die Unterhaltung und Nutzung ihres Pkw von vornherein zu vereiteln. Dies bedeutete, sie erwerbsunfähig zu machen. Solche Ergebnisse will das SGB II gerade vermeiden.

Schließlich besteht zwischen der erbrachten Hilfe und dem bislang konkret, in jedem Fall aber normativ anzuerkennenden Mehrbedarf der Klägerin nach Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auch ein ausreichender Zurechnungszusammenhang.

Hieran ändert auch die Aufspaltung des zugrundeliegenden Sachverhalts nach der formalen Abfolge von Geschehensabläufen nichts. So kann man zwar herausstreichen, dass sich die vom Sozialamt des Kreises W - Fürsorgestelle für Schwerbehindete - vorgenommene Hilfehandlung bei streng formaler Betrachtung in der Bewilligung des Zuschusses und der anschließenden Bereitstellung des genannten Geldbetrages erschöpft.

Der anfallende Mehraufwand für die Unterhaltung des Pkw stellt sich aus dieser Perspektive als nur mittelbare Folgebelastung einer "Einmalhilfe" dar (vgl., obwohl im Ergebnis offengelassen, zu der Frage, ob es eine Anerkennung finanziell belastender Folgewirkungen aus der bezuschussten Anschaffung eines behindertengerechten Pkw geben kann Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12.11.2008, Az. L 19 B 179/08 AS ER).

Jedoch muss auch die Frage, ob solche mittelbaren Folgebelastungen einen noch ausreichend zurechenbaren und damit anerkennenswerten Mehrbedarf auslösen, in jedem Einzelfall beantwortet werden. Maßgebliches Kriterium ist dabei, inwieweit sie mit der Erreichung des von der "Einmalhilfe" verfolgten Zweckes notwendigerweise einhergehen.

Im vorliegenden Fall ist in diesem Sinne zu berücksichtigen, dass die Folgebelastung bereits in der Hilfehandlung final angelegt ist. Diesbezüglich kann auf das bereits Ausgeführte verwiesen werden: Nur so lassen sich behinderungsbedingte und behinderungstypische Nachteile der Klägerin sachgerecht ausgleichen.

Es würde im Übrigen auch keine Hilfe nach § 102 Abs. 3 Nr. 1b) SGB IX i.V.m. den bereits genannten Normen der SchwbAV und der KfzHV erhalten, wer zu erklären hätte, dass er das bereitzustellende Fahrzeug nicht nutzen werde. Zudem scheint auch der Gesetzgeber mit der uneingeschränkten Aufnahme der hiermit vergleichbaren §§ 33 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 6, 33 Abs. 8 Nr. 1 SGB IX i.V.m. der KfzHV in den Kreis der Tatbestandsmerkmale des § 21 Abs. 4 S. 1 SGB II davon auszugehen, dass die Gewährung einer "Einmalhilfe" den Mehrbedarfsanspruch nicht kategorisch ausschließt.

Schließlich kann eine wertende Vergleichsbetrachtung herangezogen werden: Unterstellte man, das Sozialamt des Kreises W - Fürsorgestelle für Schwerbehinderte, hätte in Wahrnehmung seiner Aufgaben als Integrationsamt der Klägerin seit dem 01.01.2006 jeden Tag aufs Neue einen behindertengerecht ausgestatteten Pkw aus seinem eigenen Fuhrpark zur Verfügung gestellt, so wäre auch dies eine geeignete sonstige Hilfe im Sinne des § 21 Abs. 4 S. 1 SGB II.

Weiter unterstellt, die tägliche Bereitstellung eines solchen Pkw erfolgte unter der Maßgabe, dass die Klägerin den Wagen am Ende des Tages auf eigene Rechnung wieder zu betanken habe, wären die so entstehenden Tankkosten eine unmittelbare Folge der Inanspruchnahme der erbrachten Hilfe. Die Frage, ob es sich noch um zurechenbare Belastungen handele, stellte sich nicht. Der verfolgte Zweck wäre aber derselbe, und er würde ebenso erreicht.

Dass der Klägerin vorliegend aus erkennbaren Gründen der Wirtschaftlichkeit stattdessen eine Geldsumme zur Verfügung gestellt worden ist, die ihr im Vorfeld die Anschaffung eines eigenen behindertengerechten Pkw ermöglicht hat, kann daher zu keiner anderen Beurteilung des Falles führen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG. Sie berücksichtigt die Teilrücknahme der Klägerin im Termin zur Erörterung des Sachverhaltes vom 22.06.2009.

Referenznummer:

R/R3326


Informationsstand: 26.04.2010