Urteil
Gesetzliche Unfallversicherung - Hilfsmittelversorgung - anerkannte Lärmschwerhörigkeit gem. BK 2301 - einseitige elektroakustische Hörhilfe - geringgradige Schwerhörigkeit - Königsteiner Empfehlung

Gericht:

SG Karlsruhe 1. Kammer


Aktenzeichen:

S 1 U 1147/14


Urteil vom:

06.02.2015


Leit- bzw. Orientierungssätze:

Zur Versorgung eines Versicherten mit einem Hörgerät auf einem Ohr zulasten des Unfallversicherungsträgers bei anerkannter Lärmschwerhörigkeit und nur geringgradiger Schwerhörigkeit.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Justizportal des Landes Baden-Württemberg

Tenor:

Der Bescheid vom 12. Februar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. März 2014 wird abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, zu ihren Lasten eine Hörgeräteversorgung des Klägers auf dem linken Ohr durchzuführen bzw. die Kosten einer entsprechenden Hörgeräteversorgung in gesetzlicher Höhe zu übernehmen.

Die Beklagte erstattet dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob der Kläger wegen einer als Berufskrankheit (BK) der Nr. 2301 der Anl. 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) anerkannten Lärmschwerhörigkeit gegen die Beklagte Anspruch auf Versorgung mit einer Hörhilfe auf dem linken Ohr aus Mitteln der gesetzlichen Unfallversicherung hat.

Der 1966 geborene Kläger ist seit September 1983, unterbrochen durch seinen Wehrdienst in der Zeit von Januar 1987 bis März 1988, als Zimmermann bei einer Holzbau-Firma beschäftigt.

Am 04.11.2013 erstattete der HNO-Arzt Dr. K. der Beklagten eine Anzeige über den Verdacht auf eine berufsbedingte Schwerhörigkeit links mit Ohrgeräusch. Nach weiterer Sachaufklärung und gestützt auf eine beratungsärztliche Stellungnahme des HNO-Arztes B. anerkannte die Beklagte eine Lärmschwerhörigkeit als BK der Nr. 2301 der Anl. 1 zur BKV und als deren Folge eine

"Beiderseitige beginnende Innenohrhochtonschwerhörigkeit".

Ein Anspruch auf Gewährung von Verletztenrente wegen der Folgen der BK bestehe nicht, weil diese keine Minderung der Erwerbsfähigkeit in rentenberechtigendem Ausmaß verursache. Keine Folgen der BK seien ein linksseitiges Ohrgeräusch (Tinnitus) sowie der über die Schwerhörigkeit des rechten Ohres hinausgehende Hörverlust links: Ohrgeräusche entwickelten sich typischerweise beiderseits über die Jahre hinweg kontinuierlich. Im Fall des Klägers liege nur ein linksseitiges, außerhalb des Hochtonbereiches lokalisiertes Ohrgeräusch vor, das erst nach mehreren Jahrzehnten Lärmarbeit aufgetreten sei. Deshalb sei ein ursächlicher Zusammenhang mit beruflichen Einwirkungen nicht gegeben. Eine Hörgeräteversorgung wegen der lärmbedingten Schwerhörigkeit sei derzeit nicht erforderlich. Insoweit bestehe ggfs. die Zuständigkeit der Krankenkasse des Klägers (Bescheid vom 12.02.2014).

Zur Begründung seines dagegen erhobenen Widerspruchs trug der Kläger im Wesentlichen vor, er sei mit der Ablehnung der Kostenübernahme für die Hörgeräteversorgung nicht einverstanden. Das von ihm derzeit probeweise getragene Hörgerät vermindere den Tinnitus erheblich und verbessere auch seine Hörleistung. Nachts finde er hierdurch wieder einen erholsamen Schlaf. Ohne die Hörgeräteversorgung verstärke sich sein Tinnitus und lasse die Hörleistung wieder nach. Er müsse bei Absprache mit Kollegen ständig nachfragen, weil er zugerufene Anweisungen nicht verstehe. Er benötige das Hörgerät, um seine Berufstätigkeit sicher und gefahrlos erbringen zu können. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 12.03.2014).

Deswegen hat der Kläger am 03.04.2014 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben, mit der er sein Begehren weiter verfolgt.

Die Kammer hat zu Beweiszwecken die Karteikarte des Dr. K. beigezogen und ein medizinisches Sachverständigengutachten des HNO-Arztes Prof. Dr. St. eingeholt. Dieser hat zusammenfassend ausgeführt, der Kläger leide an einer beidseitigen, etwas linksbetonten, rein sensorineuralen Hörminderung. Diese verursache rechts keinen messbaren Hörverlust und am linken einen solchen von 10 %. Die Anwendung einer elektroakustischen Hörhilfe links bewirke eine deutliche Verbesserung des Sprachverständnisses um 20 %. Den Tinnitus gebe der Kläger beidseitig bei 4 kHz an, links allerdings deutlich störender als auf dem rechten Ohr. Bei Verdeckung des Tinnitus durch Schmalbandgeräusche unterschiedlicher Frequenz erhalte man beidseits eine Verdeckungskurve i.S. einer Konvergenzkurve, wie sie typischerweise bei einer Entstehung des Tinnitus durch exogene Schädigung der Innenohrstrukturen zu erwarten sei. Sowohl die Hörkurve des rechten als auch des linken Ohres erfülle alle Anforderungen für eine berufsbedingte Lärmschädigung. Dem stehe auch die Asymmetrie der Tongehörschwellkurven nicht entgegen. Denn diese seien nach medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht zwingend im Fall einer seitendifferenten Schalleinwirkung auf die Ohren. Eine solche liege hier vor, nachdem der Kläger etwa 70 % seiner täglichen Arbeitszeit im Freien verrichtet habe, weshalb mangels Schallreflektion das der Lärmquelle zugewandte linke Ohr stärker betroffen gewesen sei als das der Lärmquelle abgewandte und im Schallschatten des Kopfes liegende andere Ohr. Im Übrigen schlössen Seitendifferenzen des Hörverlustes von - wie hier - weniger als 20 % eine Lärmgenese der Schwerhörigkeit nicht aus, wenn alle übrigen audiologischen Kriterien für die Anerkennung der BK Nr. 2301 erfüllt seien. Entgegen dem Beratungsarzt B. leide der Kläger an einem Tinnitus auch des rechten Ohres. Insoweit handele es sich auch nicht um eine reine Schutzbehauptung, weil er - der Sachverständige - auch am rechten Ohr tonaudiometrisch eine Verdeckungskurve ermittelt habe; bei fehlendem Tinnitus sei dies nicht möglich. Der beidseitige Tinnitus sei Folge der berufsbedingten Lärmschwerhörigkeit. Denn der Kläger gebe die Tinnitusfrequenz beidseits mit 4 kHz an, mithin in einem Bereich, in dem der Tinnitus bei einer Lärmschwerhörigkeit zu erwarten sei. Außerdem liege die subjektiv empfundene Lautheit des Tinnitus dicht über der Hörschwelle und sei die Verdeckungskurve beidseits vom Konvergenztyp. Diese Kriterien sprächen für eine lärmbedingte Schädigung der Innenohrhörzellen als Ursache des Tinnitus. Eine Hörgeräteversorgung des Klägers sei nach den Heil- und Hilfsmittelrichtlinien zwar noch nicht indiziert. Im Fall des Klägers wirke das am linken Ohr probeweise getragene Hörgerät gleichzeitig auch als Tinnitusmasker und führe nach seinen Angaben sowohl zur Unterdrückung des Tinnitus als auch zur Verbesserung des Hörvermögens. Insofern erscheine die Verordnung einer kombinierten elektroakustischen Hörhilfe mit Tinnitusmasker für das linke Ohr gerechtfertigt. Der BK-bedingte Hörverlust verursache keine messbare MdE von wenigstens 10 %. An diesem Ergebnis hat der gerichtliche Sachverständige auf Einwendungen der Beklagten festgehalten.


Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 12. Februar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. März 2014 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der Folgen der berufsbedingten Lärmschwerhörigkeit eine Versorgung mit einem Hörgerät links zu gewähren bzw. die hierfür anfallenden Kosten aus Mitteln der gesetzlichen Unfallversicherung in gesetzlicher Höhe zu übernehmen.


Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Unter Vorlage beratungsärztlicher Stellungnahmen des HNO-Arztes B. erachtet sie die angefochtenen Bescheide für zutreffend.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakte der Beklagten sowie den der Prozessakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) zulässig und begründet. Denn die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Zu Unrecht hat die Beklagte die Versorgung des Klägers mit einer elektroakustischen Hörhilfe auf dem linken Ohr aus Mitteln der gesetzlichen Unfallversicherung abgelehnt.

Der Anspruch des Klägers auf Hörgeräteversorgung richtet sich nach den §§ 26 und 27 Abs. 1 Nr. 4 des Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII). Nach § 26 Abs. 1 Satz 1 SGB VII haben Versicherte nach Maßgabe der folgenden Vorschriften und unter Beachtung des Neunten Buches u.a. Anspruch auf Heilbehandlung. Die Heilbehandlung umfasst insbesondere die Versorgung mit Hilfsmitteln (§ 27 Abs. 1 Nr. 4 SGB VII). Hilfsmittel sind gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB VII alle ärztlich verordneten Sachen, die den Erfolg der Heilbehandlung sichern oder die Folgen von Gesundheitsstörungen mildern oder ausgleichen. Hierzu gehören auch Hörgeräte (vgl. Streubel in Becker/Franke/Molkentin, LPK-SGB VII, 4. Aufl. 2014, § 31, Rn. 6; § 2 Abs. 1 Satz 3 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Hilfsmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung und Nr. 2 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Nr. 4.9 der Gemeinsamen Richtlinien der Verbände der Unfallversicherungsträger über die Hilfsmittelversorgung im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung). Denn durch sie werden die Folgen der durch den Versicherungsfall verursachten Hörstörung ausgeglichen, zumindest aber gemildert.

Allerdings werden nur die Folgen der durch den Versicherungsfall verursachten Hörstörung ausgeglichen. Das heißt, es gelten auch die allgemeinen unfallversicherungsrechtlichen Grundsätze, denen zufolge für die haftungsbegründende Kausalität zwischen Einwirkung und Erkrankung ein Ursachenzusammenhang zwischen dem durch den Versicherungsfall erlittenen Körperschaden und der für die Notwendigkeit einer Hörgeräteversorgung maßgebenden Gesundheitsstörung erforderlich ist. Es gilt auch insoweit die Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl. hierzu u.a. BSG vom 02.04.2009 - B 2 U 9/08 R -, Rn. 26 m.w.N. sowie LSG Baden-Württemberg vom 21.03.2012 - L 2 U 4996/10 - Rn. 50 (jeweils juris)).

Orientiert daran hat der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Versorgung mit einer elektroakustischen Hörhilfe des linken Ohres wegen des berufsbedingten Lärmschadens. Dies steht zur Überzeugung des erkennenden Gerichts fest aufgrund der wohlbegründeten, kompetenten und widerspruchsfreie Darlegungen des Sachverständigen Prof. Dr. St.. Dem Anspruch des Klägers steht zunächst nicht entgegen, dass er mit der Klage nicht ausdrücklich auch den Tenor der von der Beklagten anerkannten BK-Folgen angegriffen hat. Denn sein Klagebegehren auf Versorgung mit einer Hörhilfe links umfasst nach Ansicht des erkennenden Gerichts inzidenter auch die Überprüfung des Ausmaßes des lärmbedingten Hörschadens als solchen. Weiter steht dem geltend gemachten Anspruch nicht entgegen, dass die Auswirkungen der von der Beklagten als BK anerkannten Lärmschwerhörigkeit mit dem gerichtlichen Sachverständigen keine messbare Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um wenigstens 10 v.H. erreichen (vgl. hierzu SG Karlsruhe vom 14.06.2012 - S 4 U 3837/10 - , Rn. 33 (juris) sowie Schönberger-Mehrtens-Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage 2010, Seite 352). Denn nach Nr. 4.5.3 der Empfehlung für die Begutachtung der Lärmschwerhörigkeit (BK-Nr. 2301) - Königsteiner Empfehlung - vom März 2012 ist die Versorgung Lärmschwerhöriger mit Hörgeräten zu Lasten der gesetzlichen Unfallversicherung aus HNO-ärztlicher Sicht im allgemeinen indiziert, wenn der Ursachenbeitrag der arbeitsbedingten Lärmeinwirkung als rechtlich wesentlich zu beurteilen ist. Außerdem weist die Königsteiner Empfehlung ausdrücklich auf die Kriterien der Hilfsmittel-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Hilfsmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung hin. Diese führt in § 22 Abs. 1 in der Fassung vom 21.12.2011/15.03.2012, in Kraft seit dem 01.04.2012, zuletzt geändert am 17.07.2014, in Kraft getreten am 29.10.2014, für eine einohrige Hörgeräteversorgung aus: Der tonaudiometrische Hörverlust beträgt auf dem schlechteren Ohr mindestens 30 dB in mindestens einer der Prüffrequenzen zwischen 500 und 4000 Hz, und sprachaudiometrisch beträgt die Verstehensquote auf dem schlechteren Ohr mit Kopfhörern bei Verwendung des Freiburger Einsilbentests bei 65 dB nicht mehr als 80 %. Damit ist die Schwelle für die Verordnung eines Hörgerätes durch den Unfallversicherungsträger deutlich herabgesetzt. Eine Hörgeräteversorgung zu Lasten der Beklagten erfolgt auch in leichteren Fällen, soweit der Versicherte dies wünscht und hierdurch eine wirkungsvolle Minderung der Hörstörung erreichbar ist. Die Kosten gehen auch dann zu Lasten des Unfallversicherungsträgers, wenn eine multifaktorielle Genese der Lärmschwerhörigkeit vorliegt bzw. die Lärmeinwirkung wesentliche Teilursache für die Hörgeräteversorgung ist (vgl. Schönberger-Mehrtens-Valentin, a.a.O., Seite 352).

Nach den zutreffenden Darlegungen des Prof. Dr. St. leidet der Kläger als Folge der berufsbedingten Lärmschwerhörigkeit an einer beidseitigen, linksbetonten Hochtoninnenohrschwerhörigkeit mit einem Hörverlust von 0 % auf dem rechten und von 10 % auf dem linken Ohr; außerdem besteht- entgegen der Ansicht der Beklagten - ein berufsbedingter beidseitiger, linksbetonter, dauernder und kompensierter Tinnitus. Denn der Kläger hat bei der Untersuchung und Begutachtung durch den Sachverständigen den Tinnitus beidseitig bei 4 kHz, links allerdings deutlich störender als auf dem rechten Ohr, angegeben. Das Ohrgeräusch liegt mithin in dem Bereich, in dem der Tinnitus bei einer Lärmschwerhörigkeit typischerweise zu erwarten ist. Bei der Verdeckung des Tinnitus durch Schmalbandgeräusche unterschiedlicher Frequenz konnte Prof. Dr. St. außerdem beidseits eine Verdeckungskurve i.S. einer Konvergenzkurve nachweisen, wie sie ebenfalls regelhaft bei einer Entstehung des Tinnitus durch exogene Schädigung der Innenohrstrukturen zu erwarten ist (siehe auch Nr. 4.2 der Königsteiner Empfehlung).

Der Kläger erfüllt nach den auch insoweit überzeugenden Darlegungen des Prof. Dr Strom zwar nicht die nach der Hilfsmittelrichtlinie erforderlichen Kriterien für eine beidseitige Hörgeräteversorgung. Eine solche ist allerdings auch nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits. Vielmehr begehrt der Kläger allein die Versorgung mit einer Hörhilfe des linken Ohres. Die hierfür nach § 22 Abs. 1 der Hilfsmittelrichtlinie geforderten Kriterien sind nach den von Prof. Dr. St. erhobenen Befunden indes erfüllt. Denn neben einem tonaudiometrischen Hörverlust von 50 dB bei 2000 und 3000 Hz, und damit von mehr als den in der Hilfsmittelrichtlinie geforderten 30 dB in mindestens einer der Prüffrequenzen zwischen 500 und 4000 Hz, beträgt die sprachaudiometrische Verstehensquote auf dem schlechteren Ohr bei Anwendung des Freiburger Einsilbentests bei 65 dB lediglich 75 %, und damit "nicht mehr als 80 %". Darüber hinaus erreicht der Kläger unter Verwendung einer linksseitigen Hörhilfe einer Verbesserung des Hörvermögens auf diesem Ohr bei einer Lautstärke von 65 dB um 20 % (von 75 %auf 95 %), wie Prof. Dr. St. auch insoweit überzeugend dargelegt hat. Überdies kommt im Fall des Klägers als Besonderheit hinzu, dass das am linken Ohr probeweise getragene Hörgerät gleichzeitig als Tinnitusmasker wirkt und nach seinen glaubhaften Angaben gegenüber Prof. Dr. St. neben einer Verbesserung des Hörvermögens auch zu einer Unterdrückung des Tinnitus führt. Deshalb ist mit Prof. Dr. St. auch das erkennende Gericht der Auffassung, dass die einseitige Hörgeräteversorgung des Klägers am linken Ohr in Kombination mit einem Tinnitusmasker zur Verbesserung des Hörvermögens bei gleichzeitiger Unterdrückung des hörbeeinträchtigenden Tinnitus erforderlich und nach den Ergebnissen der entsprechenden Freifeldmessung auch erfolgreich ist.

Der Kläger hat deshalb Anspruch gegen die Beklagte auf eine entsprechende Hörgeräteversorgung.

Ohne Erfolg beruft sich die Beklagte auf die Stellungnahmen ihres Beratungsarztes B.. Denn ungeachtet dessen, dass dieser Arzt zu Unrecht allein die Kriterien der Hilfsmittel-Richtlinie für eine beidseitige, hier nicht streitige Hörgeräteversorgung anwendet, steht auch die beim Kläger nachgewiesene Asymmetrie der Hörkurven rechts und links der begehrten Hörgeräteversorgung des linken Ohres zu Lasten der Beklagten nicht entgegen. Hierzu weist Prof. Dr. St. auch insoweit zutreffend daraufhin, dass eine Symmetrie der Hörkurven von der Königsteiner Empfehlung nicht (mehr) gefordert wird. Zwar bedarf eine starke Seitendifferenz, die nicht zum typischen Bild einer reinen Lärmschwerhörigkeit gehört, einer besonderen Erörterung. Allerdings ist ein (rechtlich wesentlicher) Zusammenhang zwischen der berufsbedingten Lärmexposition und der Hörstörung dann als wahrscheinlich anzusehen, wenn mehr Gesichtspunkte dafür als dagegen sprechen. In seinem Gutachten hat der gerichtliche Sachverständige überzeugend zwei mögliche Erklärungen für den unterschiedlichen Ausprägungsgrad der Hörkurven des Klägers angeboten, nämlich zum einen eine seitendifferente Beschallung infolge der freihändigen Bedienung lärmerzeugender Maschinen außerhalb geschlossener Räume und zum anderen eine seitendifferente Empfindlichkeit der Innenohrstrukturen. Mit Prof. Dr. St. und im Anschluss an die herrschende medizinisch-wissenschaftliche Lehrmeinung schließen Seitendifferenzen von weniger als 20 % eine Lärmschwerhörigkeit indes nicht aus (vgl. hierzu auch Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., Seite 335). Im Fall des Klägers beträgt die Seitendifferenz lediglich 10 %. Deshalb ist vorliegend die Hörstörung des Klägers insgesamt als Lärmschwerhörigkeit anzusehen, ohne dass eine lärmunabhängige Komponente abgetrennt werden kann. Auch die Kriterien eines lärmbedingten Tinnitus sind vorliegend erfüllt, wie Prof. Dr. St. in seiner ergänzenden Stellungnahme auch insoweit zutreffend und überzeugend dargelegt hat. Insbesondere weist er zu Recht darauf hin, dass das Tinnitus-Leiden des Klägers nicht nur am linken, sondern an beiden Ohren besteht. Auch dies übersieht der Beratungsarzt der Beklagte. Soweit dieser gegen einen lärmbedingten Tinnitus überdies anführt, erforderlich sei ein frühzeitig nach Beginn der Lärmeinwirkung auftretender Tinnitus, führt die Königsteiner Empfehlung eine solche Einschränkung nicht auf (s. hierzu Nr. 4.4.4).

Aus eben diesen Gründen war dem Klagebegehren stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs. 1 4 SGG.

Referenznummer:

R/R6517


Informationsstand: 21.05.2015

BEARBEITE MICH
BMJV: SGB VII
SGB VII beim Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz