Urteil
Unfallversicherung - Keine Kostenübernahme für Automatikgetriebe

Gericht:

LSG Nordrhein-Westfalen


Aktenzeichen:

L 17 U 207/97


Urteil vom:

10.06.1998


Ein Versicherter erlitt einen Arbeitsunfall, der zur Amputation des linken Oberschenkels führte. Sein Führerschein enthält die Einschränkung, daß er nur berechtigt ist, ein Auto mit automatischer Kupplung zu fahren.

Im Jahre 1996 erwarb er ein 14 Jahre altes Gebrauchtfahrzeug mit Automatikgetriebe. Er beantragte einige Tage später bei dem Unfallversicherungsträger, die Kosten für das Automatikgetriebe zu übernehmen.

Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen in Essen entschied, daß der Unfallversicherungsträger die Kosten für das Automatikgetriebe im Rahmen der Rehabilitation abgelehnt hat, weil - der Antrag nicht vor der Anschaffung des Fahrzeugs gestellt worden ist und - die Ablehnung bei einem gebrauchten Pkw, dessen Verkehrswert zum Zeitpunkt der Anschaffung nicht mehr als die Hälfte des seinerzeitigen Neupreises beträgt, ermessensgerecht ist.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Sozialgerichtsbarkeit BRD

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 21. Juli 1997 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:



Der Kläger begehrt die Verpflichtung der Beklagten zur Übernahme der Kosten der Zusatzausstattung seines Pkw s mit einem Automatik-Getriebe.

Der Kläger erlitt am 18.04.1967 einen Arbeitsunfall, der zur Amputation seines linken Oberschenkels führte. Der ihm erteilte Führerschein enthält infolgedessen die Einschränkung, daß er nur zum Führen von Kraftwagen mit automatischer Kupplung oder automatischer Kraftübertragung, die mit einem Handabblendschalter ausgerüstet sind, berechtigt. Die Beklagte gewährte dem Kläger zuletzt im September 1991 wegen der Anschaffung eines Daimler-Benz 300 E Automatik Baujahr 1986 - Neupreis 47.590,-- DM, Anschaffungspreis 27.980,-- DM - Kostenerstattung wegen des Automatik-Getriebes in Höhe von 1.130,39 DM.

Am 10.07.1996 erwarb der Kläger einen BMW 730 i Baujahr 1992, in dem laut Bescheinigung der Firma A. GmbH ein Automatik- Getriebe im Wert von 4.000,-- DM verbaut war. Mit Schreiben vom 15.07.1996, bei der Beklagten am 16.07.1996 eingegangen, beantragte der Kläger die Kostenübernahme für dieses Automatik-Getriebe. Mit Bescheid vom 01.08.1996 lehnte die Beklagte den Antrag ab, weil der Wert des angeschafften Pkw s nach der sog. Schwacke- Liste weniger als 50 % des Neuwerts betrage.

Der Kläger legte am 19.08.1996 Widerspruch ein und machte geltend, zwar treffe es zu, daß der Verkehrswert des von ihm angeschafften Wagens weniger als 50 % des Neuwerts betrage, hierdurch werde aber nur ein Zuschuß für den Kauf des Pkw s selbst nach den Kraftfahrzeughilfe(KfzH)-Richtlinien verwehrt, hingegen seien Zusatzausstattungen hiervon uneingeschränkt förderungsfähig. Die Ablehnung der Förderung widerspreche auch der KfzH-Gewährung in der Vergangenheit.

Mit Widerspruchsbescheid vom 06.11.1996 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück, weil die begehrte Förderung nicht wirtschaftlich und daher nach der Verordnung über die KfzH - KfzHV - unzulässig sei. Eine ggf. frühere gegenteilige Übung durch sie könne zu keinem anderen Ergebnis führen, weil der Kläger aus einer möglicherweise rechtswidrigen Einzelfallentscheidung keine Rechte ableiten könne.

Der Kläger hat am 02.12.1996 vor dem Sozialgericht - SG - Dortmund Klage auf Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 4.000,-- DM erhoben.

Er hat weiterhin die Auffassung vertreten, daß Kfz-Zusatzausstattungen unabhängig vom Verkehrswert des wegen der unfallbedingten Behinderung angeschafften Fahrzeugs zu fördern seien.

Mit Urteil vom 21.07.1997 hat das SG die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Gegen das ihm am 04.08.1997 zugestellte Urteil hat der Kläger am 07.08.1997 Berufung eingelegt, mit der er seine Auffassung weiterverfolgt.


Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,


Die Beklagte beantragt,

Sie verweist auf die Gründe des angefochtenen Urteils, die sie sich zu eigen macht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten sowie der Gerichtsakte verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:


Der Senat konnte in Abwesenheit des Klägers und seines Prozeßbevollmächtigten verhandeln und entscheiden, weil letzterer in der Terminsbenachrichtigung auf diese Möglichkeit (vgl. dazu §§ 110, 124, 126, 127 i.V.m. § 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) hingewiesen worden ist.

Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil der Kläger durch den angefochtenen Bescheid nicht i.S.d. § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert ist. Die Beklagte hat rechtmäßigerweise die Übernahme der Kosten für die Anschaffung eines Automatik-Getriebes im Rahmen der Rehabilitation - Reha - abgelehnt.

Es kann dahinstehen, ob sich der Anspruch des Klägers noch nach den Bestimmungen der Reichsversicherungsordnung - RVO - richtet, weil er Leistungen zur beruflichen bzw. sozialen Reha im Zusammenhang mit der Anschaffung eines Kraftfahrzeugs vor Inkrafttreten des Siebten Sozialgesetzbuchs (Gesetzliche Unfallversicherung) - SGB VII - am 01.01.1997 begehrt oder ob mangels entsprechender Übergangsregelung bzw. Leistungsbewilligung schon die Vorschriften letzterer Geltung haben (vgl. Art. 36 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes - UVEG - i.V.m. § 214 Abs. 1 Satz 2 SGB VII), weil sich die Gesetzeslage insoweit nicht wesentlich geändert hat.

Nach §§ 567 Abs. 1 Nr. 4, 569 a Nr. 5 RVO, § 40 SGB VII umfassen die Leistungen zur beruflichen bzw. sozialen Reha u.a. als Leistungen die KfzH. Hierfür gilt die Verordnung über Kraftfahrzeughilfe zur beruflichen Rehabilitation vom 28. September 1987 (BGBl. I S. 2251), geändert durch Verordnung vom 30. September 1991 (BGBl. I S. 1950) - KfzHV -. Nach § 7 Satz 1 KfzHV werden für eine Zusatzausstattung, die wegen der Behinderung erforderlich ist, ihren Einbau, ihre technische Überprüfung und die Wiederherstellung ihrer technischen Funktionsfähigkeit die Kosten in vollem Umfang übernommen. Soweit der Kläger gestützt auf diese Bestimmungen die Verurteilung der Beklagten zur Kostenerstattung wegen der Zusatzausrüstung seines Pkw s mit einem Automatik-Getriebe begehrt, ist die erhobene Leistungsklage schon deshalb unbegründet, weil der Beklagten ein Auswahlermessen bei der Gewährung der einzelnen Reha-Leistungen zusteht (vgl. Ricke, Kasseler Kommentar, Rdn. 2 zu § 556 RVO; Bereiter-Hahn/Schieke/ Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung - Handkommentar -, 5. Aufl., Rdn. 19 zu § 26 SGB VII). Dieses Ermessen ist auch nicht deshalb auf Null geschrumpft mit der Folge, daß - bei Erfüllung der übrigen Voraussetzungen - allein die Leistungsbewilligung rechtmäßig wäre, weil die Beklagte in der Vergangenheit wiederholt entsprechende Leistungen erbracht hat. Denn bei jeder neuen Antragstellung hat die Beklagte sämtliche Voraussetzungen zu prüfen und Wirtschaftlichkeits- und Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte unter Prüfung alternativer Leistungen ihrer Entscheidung zugrundezulegen (vgl. dazu auch BSG SozR 3-5765 § 10 Nrn. 1, 3).

Dem Kläger steht aber auch kein Anspruch auf Verurteilung der Beklagten zur Neubescheidung seines Antrags zu. Dabei unterstellt der Senat zu seinen Gunsten, daß er grundsätzlich die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von KfzH wegen der Folgen seines Arbeitsunfalls erfüllt, was zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist. Der Anspruch des Klägers scheitert aber bereits daran, daß er den Antrag auf Kostenübernahme einer behinderungsbedingten Zusatzausstattung nicht rechtzeitig gestellt hat.

Nach § 10 Satz 1 KfzHV sollen Leistungen vor dem Abschluß eines Kaufvertrages über das Kraftfahrzeug und die behinderungsbedingte Zusatzausstattung sowie vor Beginn einer nach § 8 zu fördernden Maßnahme beantragt werden. Hierbei handelt es sich nicht um eine bloße Ordnungsvorschrift, denn dem Reha-Antrag kommt materiell-rechtliche Bedeutung zu (BSG SozR 3-5765 § 10 Nr. 3). Dem Versicherten obliegt insoweit eine Pflicht zur Mitwirkung und er muß dem Reha-Träger, der kein bloßer "Kostenträger" ist, die Möglichkeit verschaffen, daß er bei der Vorbereitung der Anschaffung eines Kfz, einer behinderungsbedingten Zusatzausstattung oder einer Fahrerlaubnis beratend und unterstützend darauf hinwirken kann, daß der Versicherte eine i.S.d. Wertungsmaßstäbe des Reha- Rechts angemessene Kaufentscheidung trifft und dabei auch Alternativen berücksichtigen kann (BSG a.a.O.). Da der Kläger seinen Förderantrag erst mit Schreiben vom 15.07.1996 und damit fünf Tage nach Erwerb des bereits mit dem Automatik-Getriebe ausgerüsteten Kraftfahrzeugs gestellt hat, hat er seinen Mitwirkungspflichten nicht genügt, so daß sein Antrag als verfristet anzusehen ist.

Soweit § 10 Satz 1 KfzHV infolge seiner Ausgestaltung als "Sollvorschrift" in atypischen Fallgestaltungen eine Ausnahme zuläßt (BSG a.a.O.), führt dies vorliegend zu keinem anderen Ergebnis, da keine Umstände ersichtlich oder vom Kläger vorgetragen worden sind, die die verspätete Antragstellung rechtfertigen bzw. entschuldigen könnten.

Darüber hinaus haben die Beklagte und das SG zu Recht entschieden, daß aus Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten dem Antrag des Klägers nicht zu entsprechen war. Der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit gilt im gesamten Reha-Recht (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl., S. 558g, 664p III; Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, § 43 Rdn. 48 und § 45 Rdn. 15). Ausgehend von diesem Grundsatz ist es nicht zu beanstanden, wenn der Verordnungs-Geber in § 4 Abs. 3 KfzHV bestimmt hat, daß die Beschaffung eines Gebrauchtwagens nur gefördert werden kann, wenn sein Verkehrswert mindestens 50 v.H. des seinerzeitigen Neuwagenpreises beträgt. Der Kauf eines Fahrzeugs, das diese Voraussetzungen nicht erfüllt, birgt nämlich die Gefahr, daß alsbald eine Neubeschaffung notwendig wird oder wegen erheblicher Reparaturen nur eine eingeschränkte Einsatzfähigkeit besteht, was dem Reha-Ziel aber zuwiderliefe. Daß der im Juli 1996 vom Kläger erworbene BMW 730 i einen entsprechenden Wert nicht mehr hatte, ist zwischen den Beteiligten unstreitig und steht nach den Ermittlungen der Beklagten auch für den Senat fest. Der Wert des Fahrzeugs ist insoweit an Hand einschlägiger Listen zu ermitteln (vgl. BR-Drucks. 266/87, S. 19). Die sog. Schwacke-Liste, die üblicherweise zur Wertbestimmung herangezogen wird, weist den Neuwert des BMW 730 i Baujahr 1992 mit 82.000,-- DM ohne Automatik-Getriebe aus und den Gebrauchtwert 1996 mit lediglich noch 30.300,-- DM zuzüglich 1.700,-- DM bei Ausstattung mit einem Automatik-Getriebe.

War demzufolge die Anschaffung dieses Kraftfahrzeugs gemäß § 4 Abs. 3 KfzHV nicht förderbar, gilt dies in gleicher Weise für dessen Zusatzausrüstung. Daran ändert der Umstand nichts, daß § 7 KfzHV eine ausdrückliche Einschränkung wie § 4 Abs. 3 KfzHV nicht enthält. Nach dem Willen des Verordnungsgebers sollten gleichwohl die Kosten nur für solche Zusatzausstattungen übernommen werden, die wirtschaftlich sinnvoll und zweckmäßig sind (BR-Drucks. 266/87, S. 25). Dies entspricht auch allgemeiner Auffassung (vgl. Lueg, Gemeinschaftskommentar zum SGB, Rdn. 122 Anhang 1 zu § 16 SGB VI; Niesel, Kasseler Kommentar, Anhang 1 § 16 SGB VI Anm. II; Baumjohann, Kompaß 1989, 231, 235; Ilgenfritz, Kompaß 1987, 425, 428) und deckt sich mit dem bereits dargelegten Grundgedanken des Reha-Rechts. Es kann aber nicht als wirtschaftlich sinnvoll angesehen werden, daß aufwendige Zusatzausstattungen durch den Reha-Träger finanziert werden, wenn die Beschaffung des Fahrzeugs selbst mangels wirtschaftlichen Wertes nicht gefördert werden kann. Dies gilt einmal im Hinblick auf die bereits dargelegten Gründe zur Rechtmäßigkeit der Bestimmung des § 4 Abs. 3 KfzHV; zum anderen kennt § 7 KfzHV keine zeitliche Förderungsbeschränkung wie § 6 Abs. 4 KfzHV für die erneute Beschaffung des Kfz, so daß die Gefahr einer alsbaldigen Wiederinanspruchnahme des Reha-Trägers drohte, wenn wegen des Alters des Gebrauchtfahrzeugs eine dauerhafte Benutzung entfällt bzw. infolgedessen eine zeitnahe Neuanschaffung erforderlich wird.

Schließlich kann der Kläger auch keine Rechte daraus ableiten, daß ihm die Beklagte in der Vergangenheit regelmäßig Kosten für die Anschaffung eines Automatik-Getriebes erstattet hat. Zum einen ist - insbesondere bezüglich der letzten Förderung im September 1991 - nicht ersichtlich, daß die Beklagte insoweit andere Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkte - zuletzt Neuwagenpreis von 47.590,-- DM gegenüber einem Kaufpreis von 27.980,-- DM = mehr als 50 v.H. - ihrer Entscheidung zugrundegelegt hat. Die übrigen Leistungsbewilligungen der Beklagten sind ohnehin vor Inkrafttreten der KfzHV erfolgt und können schon im Hinblick auf diese Rechtsänderung keinen fortbestehenden Vertrauensschutz des Klägers begründen.

Die Berufung des Klägers mußte daher mit der auf § 193 SGG beruhenden Kostenentscheidung zurückgewiesen werden.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision sind nicht erfüllt.

Referenznummer:

R/R1196


Informationsstand: 11.03.1999

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