Urteil
Unfallversicherung - Betriebskosten - Hilfsmittel - kein Ermessen des Unfallversicherungsträgers

Gericht:

LSG München 2. Senat


Aktenzeichen:

L 2 U 232/98


Urteil vom:

25.11.1998


Grundlage:

  • RVO § 569a Nr 5 |
  • SGB 7 § 26 Abs 5 |
  • SGB 7 § 39 Abs 1 Nr 8 |
  • SGB 7 § 41 Abs 1 |
  • SGB 7 § 41 Abs 4

Orientierungssatz:

1. Zum Anspruch auf Erstattung der Betriebskosten für den Betrieb eines Hilfsmittels (hier: Stromkosten für einen Treppenlifter).

2. Nach der Systematik des Gesetzes gehört die Wohnungshilfe zu den sonstigen Leistungen zur Erreichung und zur Sicherstellung des Rehabilitationserfolges nach § 39 Abs 1 Nr 8 SGB 7. Diese sonstigen Leistungen gehören nicht zu den Leistungen, bei denen nach § 26 Abs 5 SGB 7 die Unfallversicherungsträger im Einzelfall Art, Umfang und Durchführung der Leistungserbringung nach pflichtgemäßem Ermessen bestimmen.

Rechtsweg:

SG Augsburg Urteil vom 06.05.1998 - S 3 U 384/97

Quelle:

Sozialgerichtsbarkeit BRD

Tenor:

I. Auf die Berufung des Klägers werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 06.05.1998 und der Bescheid der Beklagten vom 05.06.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.10.1997 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die Kosten für die Stromversorgung des Treppenlifters seit dem Tag der Inbetriebnahme zu übernehmen.

II. Die Beklagte hat dem Kläger die Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Erstattung der auf den Betrieb eines Treppenlifters entfallenden Stromkosten.

Der Kläger ist infolge eines Arbeitsunfalles nicht in der Lage, Treppen zu gehen. Die Beklagte ließ deshalb in seinem Einfamilienhaus im April 1995 einen Treppenlifter einrichten.

Am 02.05.1997 beantragte der Kläger die Übernahme der Betriebskosten für den Treppenlifter ab dem Tag der Inbetriebnahme. Er legte hierzu eine Berechnung der Liftbaufirma vor, wonach die Stromkosten bei durchschnittlich sechs Fahrten pro Tag monatlich ca. DM 2,32 ausmachen.

Mit Bescheid vom 05.06.1997 lehnte die Beklagte den Antrag ab, weil die gemeinsamen Wohnungshilferichtlinien der Verbände der Unfallversicherungsträger vom 01.01.1981 in der Fassung vom 01.11.1986 eine entsprechende Regelung nicht enthielten. Die Folgekosten für den Betrieb des Treppenlifters seien deshalb durch den Versicherten selbst zu tragen.

Den anschließenden Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28.10.1997 als unbegründet zurück. Die Wohnungshilferichtlinien konkretisierten den Umfang ihrer Leistungspflicht. Eine Erstattung der Stromkosten sei darin nicht vorgesehen. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts im Krankenversicherungsrecht zu den Hilfsmitteln sei im Unfallversicherungsrecht nicht anzuwenden. Auch liege kein Härtefall vor, da die Betriebskosten für den Versicherten nicht unzumutbar hoch seien.

Mit seiner anschließenden Klage hat der Kläger unter Vorlage der angefochtenen Bescheide die Erstattung der Energiekosten für den Betrieb des Treppenlifters beantragt.

Mit Gerichtsbescheid vom 06.05.1998 hat das SG die Klage als unbegründet abgewiesen. Anzuwenden seien § 41 SGB VII und hierbei die gemeinsamen Richtlinien der Unfallversicherungsträger über die Gewährung von Wohnungshilfe vom 01.01.1981. Diese Richtlinien seien zwar keine Rechtsnormen. Im Interesse der Gleichbehandlung aller Versicherten stellten sie jedoch eine einheitliche Handhabung aller Unfallversicherungsträger sicher und bewirkten somit eine Selbstbindung der Unfallversicherungsträger in Hinblick auf Art. 3 Grundgesetz. Die Beklagte habe hierbei die Richtlinien rechtsfehlerfrei angewendet und ermessensfehlerfrei entschieden. Bezüglich der Anwendbarkeit der Rechtsprechung des BSG zum Krankenversicherungsrecht folge das Gericht den angefochtenen Bescheiden.


Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 06.05.1998 und den Bescheid der Beklagten vom 05.06.1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.10.1997 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Betriebskosten für den Treppenlifter zu übernehmen.


Die Beklagte beantragt, die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.

Zum Verfahren beigezogen sind die Akten der Beklagten und die Akte des SG Augsburg in dem vorangegangenen Verfahren. Auf ihren Inhalt wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die vom Kläger form- und fristgerecht erhobene Berufung ist zulässig; eine Beschränkung der Berufung nach § 144 SGG besteht nicht. Das Begehren des Klägers betrifft wiederkehrende Leistungen für mehr als ein Jahr.

Die Berufung ist auch begründet. Der Kläger hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Erstattung der Stromkosten für den Betrieb des Treppenlifters.

Für die Zeit bis zum Inkrafttreten des SGB VII zum 01.01.1997 gelten die Vorschriften der RVO (§ 212 SGB VII). Für die Zeit ab 01.01.1997 gilt § 41 SGB VII, obwohl der zugrundeliegende Versicherungsfall vor dem 01.01.1997 eingetreten ist (§ 214 Abs. 1 SGB VII).

Die Wohnungshilfe, die die Beklagte dem Kläger durch den Einbau eines Treppenlifters gewährt hat, war als solche vor Geltung des SGB VII nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt. Sie ergab sich vielmehr aus § 569 a Nr.5 RVO als Anspruch auf eine sonstige Leistung, um das in § 556 Abs. 1 Nr. 1 RVO, § 1 Abs. 1 Reha-Angleichungsgesetz umschriebene Ziel der Rehabilitation zu erreichen oder zu sichern. Als Ausdruck dieser nicht in ihr Ermessen gestellten Leistungspflicht hatte die Beklagte den Einbau des Treppenlifters gewährt.

Bezüglich des Anspruchs des Klägers auf Erstattung der Stromkosten für den Betrieb des Treppenlifters beruft sich die Beklagte zu Unrecht auf die gemeinsamen Richtlinien der Unfallversicherungsträger über die Gewährung von Wohnungshilfe zur Eingliederung Behinderter vom 01.01.1981 in der Fassung vom 01.11.1986.

Der Anspruch des Klägers war allein auf der Grundlage des Gesetzes zu beurteilen, denn jedenfalls in den Fällen, in denen von der Verwaltung aufgestellte Richtlinien nicht auf einer vom Gesetz- oder Verordnungsgeber zugewiesenen inhaltlichen Regelungskompetenz beruhen, handelt es sich bei Richtlinien um Verwaltungsvorschriften, die nur innerhalb der betroffenen Verwaltungsbehörden gelten (Verwaltungsbinnenrecht) und die im Range des Parlamentsgesetzes garantierten subjektiv-öffentlichen Rechte der Versicherten weder einschränken noch über deren gesetzliche Grenzen erweitern können (vgl. dazu BSG SozR 3-2500 § 13 Nr. 4; Udsching, Festschrift für Krasney S.678, 683 m.w.N.). Weder konnte deshalb die Beklagte aus der Tatsache, dass die Erstattung der Stromkosten in den gemeinsamen Richtlinien nicht geregelt war, schließen, dass ein entsprechender Anspruch nicht bestehe, noch hätten diese Richtlinien einen von Gesetzes wegen bestehenden Anspruch ausschließen können. Die Ausführungen des SG, Richtlinien stellten im Interesse der Gleichbehandlung aller Versicherten eine einheitliche Handhabung aller Unfallversicherungsträger sicher und bewirkten somit eine Selbstbindung der Unfallversicherungsträger im Hinblick auf Art. 3 GG und die Unfallversicherungsträger hätten diese Richtlinien im Rahmen des ihnen obliegenden pflichtgemäßen Ermessens anzuwenden, besagt lediglich, dass die Versicherungsträger zugunsten der Versicherten an intern selbstgesetzte Regeln gebunden sind, sofern sie Ermessensentscheidungen zu treffen haben. Um eine solche handelte es sich jedoch nicht.

Stellte der Unfallversicherungsträger, wie im vorliegenden Fall, als notwendige ergänzende Leistung zur Rehabilitation einen Treppenlifter zur Verfügung, so hatte er auch das zu leisten, was notwendig war, um von dem Gerät Gebrauch zu machen. Es ergibt sich aus der Natur des Hauptanspruchs, dass er nur dann zureichend erfüllt ist, wenn der Verletzte auch in die Lage versetzt wird, von dem angebotenen Mittel zum Behinderungsausgleich den bestimmungsmäßigen Gebrauch zu machen (vgl. dazu BSG SozR 2200 § 182 g Nr. 2 m.w.N. zur früheren Rechtsprechung zum Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln aus der Unfallversicherung). Dieser Gesichtspunkt wird ohne weiteres in solchen Fallgestaltungen klar, in denen der Verletzte von dem angebotenen Behinderungsausgleich aus finanziellen Gründen gar nicht oder nur in unzumutbarer Weise Gebrauch machen könnte. Insofern darf der Blick auf die gebotene Problemlösung durch die im vorliegenden Fall geringfügigen und durch den Kläger ohne weiteres zu erbringenden Energiekosten nicht verstellt werden. Anders als im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung (vgl. § 33 SGB V) hatte der Gesetzgeber keinerlei Einschränkungen, sei es wegen der Geringfügigkeit der Kosten, sei es aus anderen Gründen, geregelt. Sonstige rechtliche Gesichtspunkte, die einem Leistungsanspruch des Verletzten entgegengestanden wären, sind nicht ersichtlich. Auch in technischer oder abrechnungsmäßiger Hinsicht bestanden für eine Kostenübernahme durch die Beklagte keine unüberwindbaren Hindernisse. Es stand ihr frei, die Stromkosten entweder durch exakte Messung oder durch Schätzung zu ermitteln (vgl. BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 24).

Daran hat sich rechtlich im Ergebnis seit 01.01.1977 nichts geändert.

Nach § 41 Abs.1 SGB VII wird Wohnungshilfe erbracht, wenn infolge Art oder Schwere des Gesundheitsschadens nicht nur vorübergehend die behindertengerechte Anpassung vorhandenen oder die Bereitstellung behindertengerechten Wohnraums erforderlich ist. Nach Abs. 3 der Vorschrift umfasst die Wohnungshilfe auch Umzugskosten sowie Kosten für die Bereitstellung von Wohnraum für eine Pflegekraft. Nach Abs. 4 regeln das Nähere die Verbände der Unfallversicherungsträger durch gemeinsame Richtlinien. Nach der Systematik des Gesetzes gehört die Wohnungshilfe zu den sonstigen Leistungen zur Erreichung und zur Sicherstellung des Rehabilitationserfolges nach § 39 Abs. 1 Nr. 8 SGB VII. Diese sonstige Leistungen gehören nicht zu den Leistungen, bei denen nach § 26 Abs. 5 SGB VII die Unfallversicherungsträger im Einzelfall Art, Umfang und Durchführung der Leistungserbringung nach pflichtgemäßem Ermessen bestimmen. Die Wohnungshilfe und damit von Gesetzes wegen notwendigerweise verbundene Leistungen liegen deshalb nicht im Ermessen der Unfallversicherungsträger.

Von der Regelungskompetenz des § 41 Abs. 4 SGB VII haben die Verbände der Unfallversicherungsträger durch gemeinsame Wohnungshilferichtlinien mit Wirkung vom 01.01.1998 Gebrauch gemacht (Rundschreiben Vb 101/97 des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften). In deren Nr. 6.1 ist geregelt, dass entsprechende Anpassungsmaßnahmen durchzuführen sind, wenn die bisher genutzte Wohnung nicht behindertengerecht ist und dass deren Kosten der Unfallversicherungsträger in angemessener Höhe zu übernehmen hat. In der Folge sind "insbesondere folgende Maßnahmen" als in Betracht kommend aufgeführt. Darunter ist keine Regelung über die Erstattung von Energiekosten bei Treppenliftern oder vergleichbaren Anlagen.

Der Unfallversicherungsträger hat deshalb, wie bereits zur vor dem 01.01.1997 geltenden Rechtslage aufgeführt, bei Gewährung einer Wohnungshilfe auch die zu ihrem bestimmungsmäßigen Gebrauch notwendige Energieversorgung zu leisten. Dies würde auch dann gelten, wenn die Wohnungshilfe selbst im Ermessen des Unfallversicherungsträgers stünde (so Benz, Die Berufsgenossenschaften, S.230 ff), denn es müsste als dem Sinn der Leistung und damit dem gesetzlichen Zweck des Ermessens zuwiderlaufend angesehen werden, wenn der Versicherungsträger zwar eine Leistung zum Behinderungsausgleich, dem Verletzten aber nicht zugleich die Mittel zur Ingebrauchnahme zur Verfügung stellen würde.

Eine Einschränkung des Anspruches des Verletzten auf Gewährung der Wohnungshilfe ohne die Zurverfügungstellung der entsprechenden Energiekosten enthält das Gesetz nicht. Auch die Richtlinien enthalten weder einen Ausschluss des vom Kläger geltend gemachten Anspruchs noch regeln sie insoweit die mit der Wohnungshilfe verbundenen Einzelansprüche abschließend. Dies ergibt sich bereits aus den Formulierungen der Wohnungshilferichtlinien (siehe auch Benz a.a.O.). Es kann deshalb für den vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, ob die Richtlinien der Verbände der Unfallversicherungsträger nach § 41 Abs.4 SGB VII eine solche anspruchsbegrenzende oder anspruchsausschließende Regelung mit Wirkung gegen die Verletzten wie dies beispielsweise unter den Besonderheiten des Krankenversicherungsrechtes nach den §§ 92 und 135 SGB VII möglich ist (vgl. BSG SozR 3-2500 § 92 Nr.5 und 7) treffen könnten (gegen eine unmittelbare Rechtswirkung für den einzelnen Versicherten Benz a.a.O.).

Die Beklagte hat deshalb dem Kläger die, ggf. im Schätzungswege, zu ermittelnden Stromkosten für die behinderungsbedingte Benutzung des Treppenlifters seit dessen Inbetriebnahme und künftig zu erstatten.

Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.

Referenznummer:

KSRE023580722


Informationsstand: 09.08.1999

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BMJV: SGB VII
SGB VII beim Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz