Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig und begründet. Es ist festzustellen, dass bei dem Kläger die BK
Nr. 2301 der Anlage zur BKV vorliegt und er deshalb Anspruch auf die Versorgung mit Hörgeräten hat. Der entgegenstehende Bescheid der Beklagten vom 25. Juli 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. April 2002 sowie das Urteil des Sozialgerichts vom 12. August 2004 waren daher aufzuheben.
Eine Entscheidung über die Gewährung einer Verletztenrente brauchte der Senat nicht zu treffen, denn der Kläger hat dies nicht beantragt. Der Senat hätte über ein solches Begehren zulässigerweise auch nicht entscheiden können, denn die Ablehnung einer Verletztenrente ist mit dem angefochtenen Bescheid nicht erfolgt. Die Beklagte hat vielmehr unbestimmte Entschädigungsleistungen und die Kostenübernahme der Hörgeräte abgelehnt. Der Kläger hat dementsprechend mit Schriftsatz vom 29. Oktober 2007 die Gewährung einer Verletztenrente bei der Beklagten beantragt. Diesen Antrag hat die Beklagte noch zu bescheiden.
Die von dem Kläger als erstes erhobene kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage ist zulässig. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (
vgl. BSG vom 02. Dezember 2008 - B 2 U 15/07 R - zitiert nach www. sozialgerichtsbarkeit.de) kann ein Versicherter, dem gegenüber ein Träger der gesetzlichen Unfallversicherung durch Verwaltungsakt entschieden hat, dass ein Arbeitsunfall
bzw. eine BK nicht gegeben ist, deren Vorliegen als Grundlage in Frage kommender Leistungsansprüche vorab im Wege einer Kombination von Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54
Abs. 1 Satz 1, § 55
Abs. 1
Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) klären lassen.
Nach § 7
Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VII) sind Arbeitsunfälle und BKen Versicherungsfälle i.
S. des
SGB VII. BKen sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch
Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als BK bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden ( § 9
Abs. 1
SGB VII).
Nach diesen Vorschriften in Verbindung mit
Nr. 2301 der Anlage zur BKV ist eine Lärmschwerhörigkeit als BK anzusehen.
Für die Anerkennung und Entschädigung der geltend gemachten BK muss also eine Schwerhörigkeit vorliegen, die durch beruflichen Lärm verursacht worden ist.
Die Anerkennung im konkreten Einzelfall setzt voraus, dass die schädigende Einwirkung ihre rechtlich wesentliche Ursache in der versicherten Tätigkeit haben muss (haftungsbegründende Kausalität) und die schädigende Einwirkung die Gesundheitsstörung verursacht hat (haftungsausfüllende Kausalität). Hierbei reicht sowohl bei der haftungsbegründenden wie auch bei der haftungsausfüllenden Kausalität die Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs aus,
d. h. nach vernünftiger Abwägung aller Umstände müssen die auf die berufliche Verursachung der Krankheit deutenden Faktoren so stark überwiegen, dass darauf die Entscheidung gestützt werden kann (
vgl. BSG in SozR 2200 § 548
Nr. 38). Die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß müssen dagegen i.
S. des Vollbeweises,
d. h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden.
Nach Auswertung der vorliegenden medizinischen Gutachten, insbesondere desjenigen des gerichtlichen Sachverständigen
Prof. Dr. S/
Dr. K vom 18. Juni 2007 nebst ergänzender Stellungnahme vom 12. Dezember 2007, ist der Senat davon überzeugt, dass bei dem Kläger eine Lärmschwerhörigkeit i.
S. der BK
Nr. 2301 besteht.
Die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK
Nr. 2301 sind erfüllt, denn der Kläger war in der Zeit seiner Tätigkeit in der Tischlerei des Krankenhaus Zehlendorf vom 10. Februar 1969 bis zum Beginn seiner dauerhaften Arbeitsunfähigkeit am 21. Februar 1996 einem Beurteilungspegel von 86,3 bis 92,3
dB(A) ausgesetzt. Dies haben die Ermittlungen des Präventionsdienstes der Beklagten ergeben. Damit ist der Grenzwert von 85
dB(A) überschritten. Gehörschädigend ist zwar ein Dauerlärm erst ab 90
dB(A), liegt der Beurteilungspegel jedoch unter 90
dB, hat er aber den Wert von 85
dB(A) erreicht, so kommt bei einer langjährigen Exposition - wie hier - oder außergewöhnlich großer Gehörsensibilität eine Lärmschädigung in Betracht (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. A. 2003,
Anm. 7.3.3.2.2) Dass die Lärmexposition gehörschädigend war, hat
Prof. Dr. S in seinem Gutachten ausdrücklich bestätigt und wird von der Beklagten auch nicht in Frage gestellt.
Es ist weiterhin unstreitig, dass der Kläger neben einer beidseitigen Hochtonschwerhörigkeit, die seit dem ersten Tonschwellenaudiogramm vom 10. Januar 2000 nachgewiesen ist, auch an einer Tieftonschwerhörigkeit leidet. Außerdem bestehen bei ihm internistische Gesundheitsstörungen in Form einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit und einer exsudativen Makuladegeneration mit subretinaler Neovaskularisierung links.
Weiterhin besteht Einigkeit darin, dass ein Teil der Schwerhörigkeit beruflich und der andere Teil degenerativ bedingt ist.
Nach der unfallmedizinischen Literatur (Schönberger/Mehrtens/Valentin,
a. a. O.,
Anm. 7.3.3.4.1.1 bis 7.3.3.4.1.3) ist die Schwerhörigkeit keine Krankheit eigener Art, sondern ein Symptom vielfältiger und ganz verschiedenartiger pathologischer Veränderungen des Hörorgans.
Die Lärmexposition führt nicht bei jedem Versicherten zur Lärmschwerhörigkeit, sondern nur dann, wenn eine entsprechende Disposition vorliegt. Bei der Beurteilung der Wesentlichkeit einer Lärmeinwirkung gegenüber disponierenden Faktoren ist zu berücksichtigen, dass Letztere allein keine Schallempfindungsschwerhörigkeit zu verursachen in der Lage sind. Jene wird lediglich durch anlagebedingte Umstände begünstigt,
z. B. eine besondere Lärmempfindlichkeit infolge mangelnder Durchblutungsverhältnisse des Innenohrs. Ihrer Wertigkeit nach tritt die Anlage daher hinter der Lärmschwerhörigkeit zurück. Gesundheitsstörungen wie Herzerkrankung, Bluthoch- oder -unterdruck
bzw. Diabetes mellitus sind allenfalls disponierende Faktoren, welche die Entstehung einer Lärmschwerhörigkeit vielleicht begünstigen. Über keine dieser Erkrankungen bestehen jedoch gesicherte Erkenntnisse, dass sie alleine eine erhebliche Innenohrschwerhörigkeit bestimmbaren Ausmaßes hervorrufen.
Schwieriger gestaltet sich die Beurteilung der Kausalität, wenn konkurrierende Ursachen vorliegen, die allein eine Schallempfindungsschwerhörigkeit herbeiführen können und diese sich gegebenenfalls parallel zur Lärmschwerhörigkeit ergibt. Gutachterlich ist zunächst eine sorgfältige Differenzierung beider Krankheitsbilder aufgrund audiometrischer Diagnostik, von Erfahrungswerten und unter Berücksichtigung von Intensität, Frequenzcharakteristik und Zeitgang der beruflichen Lärmeinwirkung im Vergleich zum Ausmaß des Hörschadens erforderlich. Gelingt dies, wird nur die durch die Lärmeinwirkung verursachte Hörstörung als Lärmschwerhörigkeit anerkannt und die
MdE -
ggf. unter Berücksichtigung zusätzlicher Schwerhörigkeit als Vorschaden - bewertet. Dies setzt jedoch voraus, dass nicht nur die Krankheitsbilder abzugrenzen sind, sondern auch deren Beziehung zu den in Frage kommenden Ursachen.
Sind die Kausalreihen nicht fassbar, weil sich die Einwirkungen untrennbar gegenseitig beeinflussen und sie das Hörorgan gleichlaufend befallen, ist der gesamte Gesundheitsschaden einheitlich zu beurteilen. Beide Einwirkungen sind in ihrer Beziehung zur Schwerhörigkeit zu bewerten. Daraus folgt, dass die gesamte Schwerhörigkeit entweder durch die Lärmeinwirkung wesentlich verursacht oder eine solche rechtlich bedeutsame Kausalität zu verneinen ist.
Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze hält es der Senat für überwiegend wahrscheinlich, dass die bei dem Kläger bestehende Schwerhörigkeit wesentlich durch die berufliche Lärmbelastung im Sinne der BK
Nr. 2301 verursacht worden ist.
Alle Gutachter und Sachverständigen im Verwaltungs- und gerichtlichen Verfahren haben bei dem Kläger eine Schwerhörigkeit festgestellt, die auf zwei Ursachen beruht. Die von ihnen erhobenen Befunde sind im Wesentlichen gleich.
Der lärmbedingte Anteil der Schwerhörigkeit besteht im Fall des Klägers in einer - für eine berufliche Einwirkung typischen - beidseitigen Hochtonschwerhörigkeit mit positivem Recruitment (Lautheitsausgleich) bei Ausfall der äußeren Haarzellen, das bei einer Lärmschwerhörigkeit nachweisbar sein muss (Schönberger/Mehrtens/Valentin,
a. a. O.,
Anm. 7.3.3.2. 7.). Die Untersuchungen weisen insgesamt auf einen cochleären Schaden, also einen Innenohrzellschaden, hin, so ausdrücklich
Dr. A und
Prof. Dr. S. Angesichts der eindeutigen Hinweise auf eine Lärmgenese kann dem Umstand, dass die Feststellung ohne Vorbefunde und erst nach Aufgabe der lärmbelastenden Tätigkeit erfolgt ist, keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen werden. Der Kläger hat außerdem davon berichtet, bereits in den 1980er Jahren eine Verminderung seines Hörvermögens bemerkt zu haben.
Dr. B hat dazu ausgeführt, die Minderung des Hörvermögens sei für den Kläger erst 1999 stärker spürbar geworden, als zu dieser Zeit das Sehvermögen auf dem linken Auge schlechter geworden sei. Auch nach den Erläuterungen von
Prof. Dr. S ist es nachvollziehbar, dass die Hochtonschwerhörigkeit während der beruflichen Tätigkeit aufgetreten ist, ohne dass der Kläger dies als beeinträchtigend erlebt haben muss. Denn der Beginn einer Lärmschwerhörigkeit liegt nicht im sog. Sprachfeld, das von etwa 1000 bis 3000
Hz reicht. Eine Beeinträchtigung im sozialen Kontakt in der sprachlichen Verständigung steht also nicht am Anfang, die Lärmschwerhörigkeit wird deswegen subjektiv relativ spät bemerkt.
Parallel zu der lärmbedingten Hochtonschwerhörigkeit hat sich bei dem Kläger eine Tieftonschwerhörigkeit entwickelt, die nicht wahrscheinlich beruflich bedingt ist. Über die außerberuflichen Ursachen dieses Teils der Schwerhörigkeit besteht Uneinigkeit zwischen den Gutachtern. Während
Dr. B und
Dr. A die internistischen Erkrankungen, insbesondere eine Durchblutungsstörung im Kopfbereich, dafür verantwortlich machen und
Dr. A zudem auf eine zentrale Gleichgewichtsirritation verweist und
Prof. Dr. G sich überhaupt nicht zu der Ursache äußert, sieht
Prof. Dr. S diese Erklärung kritisch, denn bei dem Kläger habe zu keinem Zeitpunkt eine akute Hörverschlechterung wie
z. B. ein Hörsturz bestanden. Möglich sei jedoch eine schleichende Hörverschlechterung durch eine chronische, gefäßbedingte Minderversorgung der Innenohren. Diese stehe aber nicht im Vordergrund, denn das Hörvermögen sei seit dem ersten Audiogramm vom 10. Januar 2000 annähernd konstant und die kalorische Prüfung der Gleichgewichtsorgane zeige eine gute, im Normbereich liegende Reizung. Er verweist auch auf Teile der Literatur, in denen ein Zusammenhang zwi schen einer Makuladegeneration und einer Innenohrschwerhörigkeit gesehen wird. Letztlich ist die Frage der Verursachung nicht geklärt worden. Wegen des untypischen Hörschwellenverlaufs im Tieftonbereich ist aber die Schlussfolgerung der Gutachter, die die Tieftonschwerhörigkeit als nicht berufsbedingt ansehen, überzeugend.
Dr. B und
Prof. Dr. S haben dieser Hörstörung eine
MdE von 10 v. H. und damit auch einen Krankheitswert beigemessen (
vgl. dazu Schönberger/Mehrtens/Valentin,
a. a. O.,
Anm. 7.3.3.4.1.4).
Prof. Dr. S hat überzeugend ausgeführt, dass der wesentliche Anteil der Schwerhörigkeit lärmbedingt ist. Er hat sich in seiner Stellungnahme vom 12. Dezember 2007 ausführlich und überzeugend mit den Einwänden der Beklagten auseinandergesetzt. Er hat auf das typische Vorliegen der Störung der Funktion der äußeren Haarzellen verwiesen, die in den otoneurologischen Untersuchungen nachweisbar gewesen sind, und ausgeführt, dass anhand der seitengleich und gut erregbaren Gleichgewichtsorgane sowie eines bisher nicht vorgekommenen Hörsturzes eine Durchblutungsstörung der Innenohren als Hauptursache für die Hörminderung nicht in Betracht komme. Der Sachverständige hat damit schlüssig begründet, dass der Auffassung von
Dr. B nicht gefolgt werden kann, der eine durchblutungsbedingte Hörstörung als wesentliche Bedingung für den Hörschaden angesehen hat. Eine Schallleitungsstörung hat
Prof. Dr. S nicht bestätigen können. Zwar hat auch
Dr. A als Ursache der Tieftonschwerhörigkeit arterielle Durchblutungsstörungen im Kopfbereich benannt, er hat jedoch die beruflichen Faktoren als wesentliche Ursache für die Schwerhörigkeit angesehen, da diese über einen längeren Zeitraum eingewirkt hätten, als die sich jetzt im Alter entwickelnden Faktoren. Der Senat hat keine Bedenken, der Auffassung des Sachverständigen
Prof. Dr. S, die im Ergebnis auch
Prof. Dr. G und
Dr. A vertreten, zu folgen und vermag sich dem Einwand der Beklagten, bei dem Kläger habe sich das Hörvermögen nach der Beendigung seiner lärmbelastenden Tätigkeit verschlechtert, was maßgebend gegen eine berufliche Verursachung der Schwerhörigkeit spreche, nicht anzuschließen. Denn
Prof. Dr. S hat ausdrücklich festgestellt, dass im Zeitraum von 2000 bis 2007 weder die Sprachaudiogramme noch die Tonaudiogramme eine signifikante Verschlechteru ng des Hörvermögens bestätigen. Allein aus dem Umstand, dass für die Zeit vor dem Jahr 2000 keine Audiogramme existieren, die Aufschluss über den Grad der Hörbeeinträchtigung geben könnten, können keine Schlüsse, insbesondere nicht im Hinblick auf eine mögliche Verschlechterung des Hörvermögens nach Aufgabe der lärmbelastenden Tätigkeit im Februar 1996, gezogen werden.
Da die Schwerhörigkeit wesentlich beruflich bedingt ist und der Kläger zur Minderung der Hörstörung, wie von
Dr. A und
Prof. Dr. S bestätigt, Hörhilfen benötigt, war die Beklagte auch zur Versorgung mit Hörgeräten (§§ 26, 31
SGB VII) zu verpflichten. Ob der Kläger einen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die bereits angeschafften Hörgeräte hat, hat der Senat nicht zu entscheiden, denn dies hat der Kläger nicht beantragt und ist von der Beklagten in einem gesonderten Verwaltungsverfahren zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160
Abs. 2
SGG liegen nicht vor.