Urteil
Anerkennung einer Berufskrankheit - Lärmschwerhörigkeit - Anspruch auf Versorgung mit Hörgeräten

Gericht:

LSG Berlin-Brandenburg 3. Senat


Aktenzeichen:

L 3 U 66/04


Urteil vom:

29.01.2009


Grundlage:

  • SGG § 55 Abs 1 Nr 1 |
  • SGB VII § 9 |
  • SGB VII § 7

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 12. August 2004 aufgehoben.

Es wird unter Abänderung des Bescheids vom 25. Juli 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. April 2002 festgestellt, dass bei dem Kläger eine Lärmschwerhörigkeit im Sinne der Berufskrankheit Nr. 2301 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung vorliegt.

Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger mit Hörgeräten zu versorgen.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Anerkennung der Berufskrankheit (BK) Nr. 2301 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) - Lärmschwerhörigkeit - sowie der Anspruch auf Versorgung mit Hörgeräten.

Der 1942 geborene Kläger arbeitete nach seiner Lehre zum Tischler zunächst als Maschinentischler und Baggerfahrer und war ab dem 10. Februar 1969 bis zu seinem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis am 30. November 1996 in der Tischlerei des Krankenhauses Z, örtlicher Bereich H, als Tischler, in der Maschinenbedienung und als Sicherheitsbeauftragter für die Betriebstechnik tätig. Ab dem 01. März 1996 bezog er aufgrund eines Leistungsfalls am 21. Februar 1996 wegen Durchblutungsstörungen beider Beine eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, seit dem 01. Oktober 2007 erhält er eine Regelaltersrente.

Dem Kläger wurde bereits mit Bescheid des Versorgungsamts Berlin vom 19. September 1990 in der Fassung des Abhilfebescheids vom 17. Dezember 1990 ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 sowie das Merkzeichen "G" (erhebliche Gehbehinderung) zuerkannt wegen arterieller Durchblutungsstörungen beider Beine, Herz-Kreislaufbeschwerden, einem labilen Bluthochdruck bei Übergewicht, Fettleber, Fettstoffwechselstörungen und beginnenden Aufbraucherscheinungen am Skelettsystem. Am 14. Mai 1996 wurde als weitere Behinderung eine Sehstörung wegen einer sich langsam seit 1990 entwickelnden exsudativen Makuladegeneration festgestellt, die intern mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet wurde. Eine Hörbehinderung wurde vom Versorgungsamt erstmals aufgrund des Neufeststellungsantrags vom 24. Mai 2004 berücksichtigt und intern mit einem Einzel- GdB von 50 bewertet.

Am 21. Oktober 1999 machte der Kläger bei der Beklagten eine "Folgeschadenanmeldung". Da er seit ca. 1989 unter Hörschwierigkeiten leide und jetzt eine erhebliche Verschlechterung seiner Hörorgane bemerke, habe er eine Fachärztin aufgesucht, die ihm eine Lärmschwerhörigkeit beider Ohren bescheinigt habe. Er vertrat die Auffassung, diese sei zurückzuführen auf seine fast 40-jährige Arbeit als Maschinentischler. Er legte ein Attest der Hals-Nasen-Ohrenärztin Dr. G vom 10. Januar 2000 vor, die ausführte, die beidseitige Innenohrschwerhörigkeit bei 60-70 dB solle in engem Zusammenhang mit der Lärmexposition gesehen werden. Inzwischen sei der Kläger beidseits mit IdO-Geräten versorgt. Beigefügt war ein Auftrag an die Firma A-W GmbH Hörsysteme mit unleserlichem Datum über die Beschaffung von Hörgeräten zu 2.229,- DM und ein Tonschwellenaudiogramm vom 10. Januar 2000.

In einem ersten Untersuchungsbefund vom 14. Februar 2000 stellte der Arbeitsmediziner Dr. D eine deutliche Hörminderung von mehr als 40 dB bei 3 kHz fest. Er hielt einen begründeten BK-Verdacht für gegeben.

Die Beklagte holte ein Verzeichnis der BKK Berlin, das keine Vorerkrankungen wegen Schwerhörigkeit enthielt, sowie eine Arbeitgeberauskunft vom 05. April 2000 ein. Unterlagen über Lärmmessungen am Arbeitsplatz konnten nicht ermittelt werden. Der Präventionsdienst der Beklagten kam nach einer Arbeitsplatzbegehung in einer Stellungnahme vom 19. Juli 2000 zu dem Ergebnis, der Kläger sei während seiner Tätigkeit als Tischler im Krankenhaus Z, örtlicher Bereich H, einer schädigenden Einwirkung im Sinne der BK Nr. 2301 ausgesetzt gewesen. Als Beweisgrundlage liege die Lärmmessung bzw. die durchgeführte Berechnung des Acht-Stunden-Beurteilungspegels vor, bei der Werte zwischen 86,3 und 92,3 dB(A) ermittelt worden seien. Der persönliche Beurteilungspegel habe damit den Grenzwert von 85 dB(A) überschritten.

Die Beklagte zog daraufhin ein internistisches Gutachten von Dr. S vom 05. Mai 1996, erstattet im Rentenverfahren der LVA Berlin (jetzt: Deutsche Rentenversicherung Berlin-Brandenburg), bei, aus dem sich u. a. ein intaktes Hörvermögen für die Umgangssprache ergab. Andere ältere medizinische Berichte und Unterlagen aus früheren Heilverfahren waren wegen des Ablaufs der Aufbewahrungsfristen bereits vernichtet.

Die Beklagte ließ den Kläger dann durch Prof. Dr. G, Direktor der Klinik und Poliklinik für Audiologie und Phoniatrie der C/ Dr. P untersuchen und begutachten. Prof. Dr. G stellte in seinem Gutachten vom 24. November 2000 fest, der Kläger, der angegeben habe, erstmals 1981 einen Arzt wegen Hörproblemen aufgesucht zu haben und seit 1999 mit Hörgeräten versorgt zu sein, leide neben einer reinen Lärmschwerhörigkeit an einer nichtberufsbedingten Hörminderung im Sinne eines Vorschadens. Dieser Anteil der sensorineuralen Hörstörung sei nicht vom lärmbedingten Anteil zu differenzieren und könne nur anhand von Hörverlustverteilungen geschätzt werden. Unter Berücksichtigung der gesamten Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 v. H. und der zu erwartenden beruflich bedingten Lärmschwerhörigkeit mit einer MdE von 10 v. H. werde die Anerkennung einer MdE von 15 v. H. empfohlen.

Die Beklagte holte daraufhin den Anpassungsbericht zur Hörgeräteversorgung vom 29. November 1999 durch die Firma A-W GmbH Hörsysteme ein.

Zwar empfahl der Gewerbsarzt Dr. S in seinem Schreiben vom 26. Juni 2001 die Anerkennung der BK Nr. 2301, weil davon auszugehen sei, dass der Lärm als wesentliche Mitursache des Hörverlusts erwiesen sei, und schätzte die MdE mit 20 v. H. ein, die Beklagte lehnte gleichwohl die Gewährung einer Entschädigung aus Anlass der beidseitigen Schwerhörigkeit nach § 9 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) i. V. m. Nr. 2301 der Anlage zur BKV und die Kostenübernahme für die Hörgeräte ab. Da sich lärm- und andersbedingte Schwerhörigkeit nicht abgrenzen ließen und der lärmbedingte Anteil anhand der zu erwartenden Hörstörung aufgrund der Lärmexposition geschätzt werde, sei es nicht hinreichend wahrscheinlich, dass die gesamte Hörstörung beruflich wesentlich mitverursacht worden sei.

Auf den dagegen eingelegten Widerspruch des Klägers holte die Beklagte eine beratungsärztliche Stellungnahme von Prof. Dr. S vom 04. Dezember 2001 ein, die eine neue Begutachtung unter Berücksichtigung des Königsteiner Merkblatts empfahl. Diese wurde am 23. Januar 2002 durch den Hals-Nasen-Ohrenarzt Dr. B nach einer Untersuchung des Klägers durchgeführt, der ausführte, nach den Angaben des Klägers seien 1989 Hörschwierigkeiten eingetreten, die jedoch 1996 noch nicht so stark gewesen seien, dass sie bei der Rentenbegutachtung angegeben worden seien. Erst 1999 sei es zu einer wesentlichen Verschlechterung der Kommunikationsfähigkeit gekommen, da zu dieser Zeit das Sehvermögen auf dem linken Auge schlechter und so die geringe Minderung des Hörvermögens stärker spürbar geworden sei. Nach dem Beginn des Ruhestands, d. h. nach dem Ende der beruflichen Lärmbelastung, habe sich das Hörvermögen offensichtlich schnell weiter verschlechtert, so dass im Dezember 2000 zwei IdO-Hörgeräte angepasst worden seien und seither getragen würden. Die anamnestischen Angaben des Klägers und der Nachweis des Bestehens einer Parallel- und Nachschädigung als durchblutungsbedingte Innenohrschädigung ließen mit großer Wahrscheinlichkeit die Aussage zu, dass zum Zeitpunkt der Beendigung der Lärmarbeit 1996 der berufsbedingte Schadensanteil vernachlässigbar und unwesentlich gewesen sei, so dass nach der Kausalitätslehre die durchblutungsbedingte Gehörschädigung als wesentliche Bedingung für den Hörschaden angesehen werden müsse. Die BK Nr. 2301 liege deshalb nicht vor. Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 25. April 2002 zurück.

Dagegen hat der Kläger Klage bei dem Sozialgericht Berlin erhoben. Er hat sich auf ein Attest von Dr. G-H vom 22. Mai 2002 bezogen, in der diese sich dem Ergebnis der Begutachtung durch Prof. Dr. G angeschlossen hat. Dieser sei ebenfalls von einer gefäßbedingten Innenohrschwerhörigkeit ausgegangen, aber die 40jährige nachgewiesene Lärmexposition könne nicht außer Acht gelassen werden.

Auf Befragen des Gerichts hat der Kläger angegeben, er sei 1980 bei Dr. R, dem verstorbenen Vorgänger von Frau Dr. G-H, in Behandlung gewesen. Ein Sprach- oder Tonaudiogramm sei erstmals im November 2000 bei Frau Dr. G-H angefertigt worden.

Auf Nachfrage des Gerichts hat Dr. G-H Behandlungs- und Patientenunterlagen nicht mehr auffinden können.

Das Sozialgericht hat dann den Hals-Nasen-Ohrenarzt Dr. A mit der Untersuchung und Begutachtung des Klägers beauftragt. Dieser hat in seinem Gutachten vom 22. Juni 2003 rechts eine mittel- bis hochgradige und links eine mittelgradige Schallempfindungsschwerhörigkeit mit schrägem Hörschwellenverlauf, positivem Recruitment und geringem Schallleitungsanteil sowie eine leichte zentrale Gleichgewichtsstörung festgestellt. Es liege eine Schwerhörigkeit vor, die geringgradig berufsbedingt sei. Der Beginn dieser Schwerhörigkeit sei mit großer Wahrscheinlichkeit auf den 01. Januar 1996 zu datieren. Ein Nachweis liege jedoch erst mit der Mitteilung der HNO-Ärztin vom 10. Januar 2000 vor. Subjektiv gebe der Kläger an, seit ca. 1980 eine Einschränkung des Hörvermögens zu empfinden. Mit großer Wahrscheinlichkeit habe bereits zu diesem Zeitpunkt eine berufsbedingte Höreinschränkung vorgelegen, die sich langsam entwickelt habe. Das positive Recruitment gebe Hinweise auf einen Innenohrschaden. Es bestehe mit großer Wahrscheinlichkeit eine beruflich bedingte Schwerhörigkeit, an der neben der beruflichen Lärmexposition auch andere Faktoren beteiligt gewesen seien. Dazu gehörten die arteriellen Durchblutungsstörungen im Kopfbereich, nachgewiesen durch eine zentrale Gleichgewichtsirritation, ein Hypertonus und ein metabolisches Syndrom mit Erhöhung des Cholesterinwerts. Der Hörschwellenverlauf im Tieftonbereich sei nicht typisch für eine berufsbedingte Schwerhörigkeit. Im Tieftonbereich weise der Kläger ein relativ gutes Hörvermögen auf, während der Hochtonbereich am stärksten betroffen sei. Die beruflichen Faktoren seien jedoch die wesentliche Ursache für die nachgewiesene Schwerhörigkeit, da diese über einen längeren Zeitraum eingewirkt hätten als die sich jetzt im Alter entwickelnden Faktoren. Die MdE sei um 15 v. H. ab dem 01. Januar 1996 gemindert.

Die Beklagte hat sich dem Ergebnis der Begutachtung nicht anzuschließen vermocht und dies mit den objektiv nachgewiesenen Durchblutungsstörungen, den fehlenden zeitnahen HNO-Befunden in 1996 und dem sich weiter verschlechternden Hörvermögen des Klägers auch nach dem Ende der beruflichen Lärmexposition begründet. Der in dem Gutachten von Dr. A nachgewiesene Hörverlust von 60% beidseits nach Röser im Vergleich zu dem Befund vom 10. Januar 2000 mit einem Hörverlust von 55% rechts und 45% links stütze die Annahme, dass die anlagebedingten Durchblutungsstörungen als rechtlich wesentliche Ursache zu werten seien.

In einer ergänzenden Stellungnahme vom 01. Januar 2004 hat Dr. A an seiner Auffassung festgehalten. Die beruflichen Faktoren seien wesentliche Ursache für einen Teil der nachgewiesenen Schwerhörigkeit. Die Verschlechterung des Hörvermögens, auch nach dem Ausscheiden aus der Lärmtätigkeit, sei mit großer Wahrscheinlichkeit durch diese Faktoren bedingt.

Durch Urteil vom 12. August 2004 hat das Sozialgericht die Klage, die sich nach der Rücknahme des Antrags auf Gewährung einer Verletztenrente nur noch auf die Verurteilung der Beklagten zur Versorgung mit Hörgeräten wegen der Folgen der BK Nr. 2301 gerichtet hat, abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, trotz der Erfüllung der arbeitstechnischen Voraussetzungen und dem Nachweis einer Schallempfindungsschwerhörigkeit liege zur Überzeugung der Kammer der Versicherungsfall der BK Nr. 2301 nicht vor, weil die Schwerhörigkeit nach Abwägung der verschiedenen Faktoren nicht hinreichend wahrscheinlich durch die Lärmeinwirkung verursacht worden sei.

Zur Begründung seiner dagegen eingelegten Berufung hat der Kläger geltend gemacht, insgesamt vier Fachärzte hätten den berufsbedingten Kausalzusammenhang zu seiner Schwerhörigkeit bejaht. Nur Dr. B habe eine Einzelmeinung vertreten, die das Sozialgericht nicht kritisch gewertet habe. Bereits das Audiogramm vom 14. Februar 2000 weise eine gravierende Senke auf, die typisch für eine berufsbedingte Hörschädigung sei. Es werde bestritten, dass die Durchblutungsstörungen im linken Bein bzw. am Auge in einem kausalen Verhältnis zu seiner Schwerhörigkeit stünden.

Der Kläger hat eine Kopie der Rechnung der A-W GmbH Hörsysteme vom 31. März 2000 über die Anschaffung von Hörgeräten nach Abzug des Krankenkassenanteils in Höhe von 2.229,- DM und ein weiteres Attest von Dr. G vom 29. Juni 2006 nebst einem Audio- und Sprachaudiogramm vom 16. Februar 2004 vorgelegt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 12. August 2004 und den Bescheid vom 25. Juli 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. April 2002 aufzuheben und festzustellen, dass bei ihm eine Lärmschwerhörigkeit im Sinne der Berufskrankheit Nr. 2301 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung besteht, und die Beklagte zu verurteilen, ihn mit Hörgeräten zu versorgen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie macht geltend, auch das Audiogramm vom 16. Februar 2004 weise vor allem im Tieftonbereich keinen für eine Innenohrschwerhörigkeit durch Lärm typischen Verlauf auf. Es deute vielmehr auf eine Schallleitungsmittelohrschwerhörigkeit hin. Es sei außerdem zu einer weiteren Verschlechterung des Hörvermögens gekommen.

Zur Ermittlung des Sachverhalts hat der Senat Vorerkrankungsverzeichnisse des Klägers bei der AOK B seit 1956 und bei der City BKK seit 1974 eingeholt, und die Schwerbehinderten- und Rentenakte - deren medizinischer Teil im Laufe des Verfahrens von der Deutschen Rentenversicherung Berlin-Brandenburg vernichtet worden ist - beigezogen. Dann hat er ein Gutachten von Prof. Dr. S, Direktor der Hals-Nasen-Ohrenklinik der C, Campus B F, veranlasst. Dieser ist in seinem unter der Mitwirkung des wissenschaftlichen Mitarbeiters Dr. K am 18. Juni 2007 erstellten Gutachten zu dem Ergebnis gelangt, bei dem Kläger bestehe eine beidseitige Hochtonschwerhörigkeit. Die Ergebnisse wiesen auf einen cochleären Schaden hin. Das Betroffensein der mittleren und vor allem hohen Frequenzen sei typisch für eine chronische Lärmexposition. Die subjektiven und objektiven audiologischen Untersuchungen korrelierten in ihren Befunden zueinander und zeigten eine sensorineurale Hörstörung im Sinne einer Lärmschwerhörigkeit. Die Hörprüfung hinsichtlich der Plausibilitätsprüfung zeige jedoch zusätzlich eine Tieftonschwerhörigkeit, die für die Dauer und Intensität der beruflichen Lärmbelastung deutlich außerhalb des statistisch zu erwartenden Bereichs liege. Nach dem Königsteiner Merkblatt sei zur Ermittlung der MdE das einfache Gesamtwortverstehen anzuwenden. Somit ergebe sich nach der Tabelle von Feldmann eine MdE von 30 v. H. Die Erhöhung um 10 v. H. gegenüber dem Gutachten von Prof. Dr. G sei nicht als Nachschaden zu deuten, da im Vergleich der Gutachten das Gesamtwortverstehen im hiesigen Gutachten für beide Seiten sogar höher liege. Im Gutachten von Prof. Dr. G habe vielmehr die MdE im Grenzbereich zwischen 20 bis 30 v. H. gelegen, so dass nun ein nur geringfügig höherer Hörverlust für Zahlen das "Kippen" der MdE auf 30 v. H. bewirke. Auch im Gutachten von Dr. B werde eine theoretische MdE von 30 v. H. berechnet. Nach den Werten von Dr. A handele es sich nicht um eine gering-, sondern um eine mittelgradige Schwerhörigkeit.

Über den Beginn der Schwerhörigkeit ließe sich mangels Vorbefunden keine objektive Aussage treffen. Die internistischen Krankheiten des Klägers deuteten auf eine Gefäßerkrankung hin, die als mögliche Ursache für eine akute Hörverschlechterung angesehen werden könne. Eine akute Hörverschlechterung wie z. B. ein Hörsturz habe bei dem Kläger zu keiner Zeit bestanden. Möglich sei auch eine schleichende Hörverschlechterung durch eine chronische gefäßbedingte Minderversorgung der Innenohren. Diese Ursache sei aber sicherlich nicht als Hauptgrund für die Schwerhörigkeit anzunehmen, da das Hörvermögen sei dem 10. Februar 2000 annähernd konstant sei und die kalorische Prüfung der Gleichgewichtsorgane eine gute, im Normbereich liegende Reizung zeige. Die Makuladegeneration links lasse nicht auf eine direkte Mindergefäßversorgung der Innenohre schließen, allerdings werde in der Literatur von einem Zusammenhang zwischen der Makuladegeneration und einer zusätzlichen Innenohrschwerhörigkeit berichtet, die auch isoliert den Tieftonbereich betreffen könne. Eine zusätzliche Innenohrschwerhörigkeit komme dabei mit einer Prävalenz von 36 bis 45% vor. Dies sei eine plausible Erklärung für die Tieftonschwerhörigkeit bei dem Kläger, die für eine alleinige berufsbedingte Lärmschwerhörigkeit zu ausgeprägt sei. Somit erhärte sich die Vermutung, dass eine andersgeartete Hörstörung sich parallel zur Lärmschwerhörigkeit entwickelt habe, die jedoch nur einen Teil der Schwerhörigkeit erkläre, die sicherlich zu einem größeren Teil lärmbedingt sei. Aufgrund der zusätzlichen nicht berufsbedingten Schwerhörigkeitskomponente von 10% betrage die MdE 20 v. H.

Die Beklagte hat gegen das Gutachten eingewandt, die vorliegenden Tonschwellenaudiogramme belegten entgegen der Auffassung der Gutachter eine stetige Verschlechterung des Hörvermögens des Klägers ohne eine berufliche Lärmexposition. Dies spreche deutlich gegen eine berufliche Entstehungsursache. Die Hörverschlechterung sei auch eindeutig nach dem Ende der beruflichen Lärmexposition im Jahr 1996 eingetreten, was ebenfalls auf eine anlagebedingte Entstehungsursache hinweise. Demgegenüber seien zeitnah zum Ende der beruflichen Tätigkeit des Klägers keine Hörschädigungen dokumentiert. Zum tatsächlichen Beginn der Schwerhörigkeit könne keine Aussage getroffen werden, denn die ersten audiologischen Befunde lägen erst ab Januar 2000 vor, also knapp vier Jahre nach dem Berufsende. Das erste vorhandene Tonschwellenaudiogramm vom 10. Januar 2000 weise keinen für einen Lärmschaden typischen Kurvenverlauf auf, was auch auf alle anderen vorliegenden Tonschwellenaudiogramme zutreffe. Alle Sachverständigen hätten konkurrierende Krankheitsbilder nachgewiesen, die zumindest für die festgestellte Tieftonschwerhörigkeit verantwortlich seien. Diese konkurrierenden Faktoren, insbesondere die arteriellen Durchblutungsstörungen im Kopfbereich, seien bereits im Zeitpunkt der Berufsaufgabe nachgewiesen worden. Aktuell habe Dr. A eine zentrale Gleichgewichtsirritation als Zeichen einer arteriellen Durchblutungsstörung im Kopfbereich festgestellt. Aus der Gesamtschau spreche damit mehr gegen als für eine berufliche Verursachung der Schwerhörigkeit.

In einer ergänzenden Stellungnahme vom 12. Dezember 2007 haben Prof. Dr. S/Dr. K an ihrer Auffassung festgehalten. Die Feststellung, dass die Hörverschlechterung eindeutig nach dem Ende der beruflichen Lärmexposition im Jahr 1996 eingetreten sei, sei nicht haltbar, da keine Voraudiogramme vorlägen. Anhand der seitengleich und gut erregbaren Gleichgewichtsorgane und der nicht vorliegenden Hörverschlechterung in den Jahren 2000 bis jetzt sowie eines bisher nicht vorgekommenen Hörsturzes komme eine Durchblutungsstörung der Innenohren als Hauptursache für die Hörminderung nicht in Frage. Die Makuladegeneration als eine wesentliche Ursache der Hörminderung sei sehr unwahrscheinlich. Es sei auch festzuhalten, dass in dem Zeitraum von 2000 bis 2007 eine signifikante Verschlechterung des Hörvermögens nicht eingetreten sei. Der 10. Februar (gemeint wohl Januar) 2000 sei als erster Nachweis des Eintritts einer Lärmschwerhörigkeit anzusehen. Seitdem liege eine MdE von 20 v. H. vor.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten sowie auf die Schwerbehindertenakte des Klägers verwiesen.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Rechtsprechungsdatenbank Berlin

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig und begründet. Es ist festzustellen, dass bei dem Kläger die BK Nr. 2301 der Anlage zur BKV vorliegt und er deshalb Anspruch auf die Versorgung mit Hörgeräten hat. Der entgegenstehende Bescheid der Beklagten vom 25. Juli 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. April 2002 sowie das Urteil des Sozialgerichts vom 12. August 2004 waren daher aufzuheben.

Eine Entscheidung über die Gewährung einer Verletztenrente brauchte der Senat nicht zu treffen, denn der Kläger hat dies nicht beantragt. Der Senat hätte über ein solches Begehren zulässigerweise auch nicht entscheiden können, denn die Ablehnung einer Verletztenrente ist mit dem angefochtenen Bescheid nicht erfolgt. Die Beklagte hat vielmehr unbestimmte Entschädigungsleistungen und die Kostenübernahme der Hörgeräte abgelehnt. Der Kläger hat dementsprechend mit Schriftsatz vom 29. Oktober 2007 die Gewährung einer Verletztenrente bei der Beklagten beantragt. Diesen Antrag hat die Beklagte noch zu bescheiden.

Die von dem Kläger als erstes erhobene kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage ist zulässig. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG vom 02. Dezember 2008 - B 2 U 15/07 R - zitiert nach www. sozialgerichtsbarkeit.de) kann ein Versicherter, dem gegenüber ein Träger der gesetzlichen Unfallversicherung durch Verwaltungsakt entschieden hat, dass ein Arbeitsunfall bzw. eine BK nicht gegeben ist, deren Vorliegen als Grundlage in Frage kommender Leistungsansprüche vorab im Wege einer Kombination von Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1, § 55 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) klären lassen.

Nach § 7 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) sind Arbeitsunfälle und BKen Versicherungsfälle i. S. des SGB VII. BKen sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als BK bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden ( § 9 Abs. 1 SGB VII).

Nach diesen Vorschriften in Verbindung mit Nr. 2301 der Anlage zur BKV ist eine Lärmschwerhörigkeit als BK anzusehen.

Für die Anerkennung und Entschädigung der geltend gemachten BK muss also eine Schwerhörigkeit vorliegen, die durch beruflichen Lärm verursacht worden ist.

Die Anerkennung im konkreten Einzelfall setzt voraus, dass die schädigende Einwirkung ihre rechtlich wesentliche Ursache in der versicherten Tätigkeit haben muss (haftungsbegründende Kausalität) und die schädigende Einwirkung die Gesundheitsstörung verursacht hat (haftungsausfüllende Kausalität). Hierbei reicht sowohl bei der haftungsbegründenden wie auch bei der haftungsausfüllenden Kausalität die Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs aus, d. h. nach vernünftiger Abwägung aller Umstände müssen die auf die berufliche Verursachung der Krankheit deutenden Faktoren so stark überwiegen, dass darauf die Entscheidung gestützt werden kann (vgl. BSG in SozR 2200 § 548 Nr. 38). Die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß müssen dagegen i. S. des Vollbeweises, d. h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden.

Nach Auswertung der vorliegenden medizinischen Gutachten, insbesondere desjenigen des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. S/Dr. K vom 18. Juni 2007 nebst ergänzender Stellungnahme vom 12. Dezember 2007, ist der Senat davon überzeugt, dass bei dem Kläger eine Lärmschwerhörigkeit i. S. der BK Nr. 2301 besteht.

Die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr. 2301 sind erfüllt, denn der Kläger war in der Zeit seiner Tätigkeit in der Tischlerei des Krankenhaus Zehlendorf vom 10. Februar 1969 bis zum Beginn seiner dauerhaften Arbeitsunfähigkeit am 21. Februar 1996 einem Beurteilungspegel von 86,3 bis 92,3 dB(A) ausgesetzt. Dies haben die Ermittlungen des Präventionsdienstes der Beklagten ergeben. Damit ist der Grenzwert von 85 dB(A) überschritten. Gehörschädigend ist zwar ein Dauerlärm erst ab 90 dB(A), liegt der Beurteilungspegel jedoch unter 90 dB, hat er aber den Wert von 85 dB(A) erreicht, so kommt bei einer langjährigen Exposition - wie hier - oder außergewöhnlich großer Gehörsensibilität eine Lärmschädigung in Betracht (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. A. 2003, Anm. 7.3.3.2.2) Dass die Lärmexposition gehörschädigend war, hat Prof. Dr. S in seinem Gutachten ausdrücklich bestätigt und wird von der Beklagten auch nicht in Frage gestellt.

Es ist weiterhin unstreitig, dass der Kläger neben einer beidseitigen Hochtonschwerhörigkeit, die seit dem ersten Tonschwellenaudiogramm vom 10. Januar 2000 nachgewiesen ist, auch an einer Tieftonschwerhörigkeit leidet. Außerdem bestehen bei ihm internistische Gesundheitsstörungen in Form einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit und einer exsudativen Makuladegeneration mit subretinaler Neovaskularisierung links.

Weiterhin besteht Einigkeit darin, dass ein Teil der Schwerhörigkeit beruflich und der andere Teil degenerativ bedingt ist.

Nach der unfallmedizinischen Literatur (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., Anm. 7.3.3.4.1.1 bis 7.3.3.4.1.3) ist die Schwerhörigkeit keine Krankheit eigener Art, sondern ein Symptom vielfältiger und ganz verschiedenartiger pathologischer Veränderungen des Hörorgans.

Die Lärmexposition führt nicht bei jedem Versicherten zur Lärmschwerhörigkeit, sondern nur dann, wenn eine entsprechende Disposition vorliegt. Bei der Beurteilung der Wesentlichkeit einer Lärmeinwirkung gegenüber disponierenden Faktoren ist zu berücksichtigen, dass Letztere allein keine Schallempfindungsschwerhörigkeit zu verursachen in der Lage sind. Jene wird lediglich durch anlagebedingte Umstände begünstigt, z. B. eine besondere Lärmempfindlichkeit infolge mangelnder Durchblutungsverhältnisse des Innenohrs. Ihrer Wertigkeit nach tritt die Anlage daher hinter der Lärmschwerhörigkeit zurück. Gesundheitsstörungen wie Herzerkrankung, Bluthoch- oder -unterdruck bzw. Diabetes mellitus sind allenfalls disponierende Faktoren, welche die Entstehung einer Lärmschwerhörigkeit vielleicht begünstigen. Über keine dieser Erkrankungen bestehen jedoch gesicherte Erkenntnisse, dass sie alleine eine erhebliche Innenohrschwerhörigkeit bestimmbaren Ausmaßes hervorrufen.

Schwieriger gestaltet sich die Beurteilung der Kausalität, wenn konkurrierende Ursachen vorliegen, die allein eine Schallempfindungsschwerhörigkeit herbeiführen können und diese sich gegebenenfalls parallel zur Lärmschwerhörigkeit ergibt. Gutachterlich ist zunächst eine sorgfältige Differenzierung beider Krankheitsbilder aufgrund audiometrischer Diagnostik, von Erfahrungswerten und unter Berücksichtigung von Intensität, Frequenzcharakteristik und Zeitgang der beruflichen Lärmeinwirkung im Vergleich zum Ausmaß des Hörschadens erforderlich. Gelingt dies, wird nur die durch die Lärmeinwirkung verursachte Hörstörung als Lärmschwerhörigkeit anerkannt und die MdE - ggf. unter Berücksichtigung zusätzlicher Schwerhörigkeit als Vorschaden - bewertet. Dies setzt jedoch voraus, dass nicht nur die Krankheitsbilder abzugrenzen sind, sondern auch deren Beziehung zu den in Frage kommenden Ursachen.

Sind die Kausalreihen nicht fassbar, weil sich die Einwirkungen untrennbar gegenseitig beeinflussen und sie das Hörorgan gleichlaufend befallen, ist der gesamte Gesundheitsschaden einheitlich zu beurteilen. Beide Einwirkungen sind in ihrer Beziehung zur Schwerhörigkeit zu bewerten. Daraus folgt, dass die gesamte Schwerhörigkeit entweder durch die Lärmeinwirkung wesentlich verursacht oder eine solche rechtlich bedeutsame Kausalität zu verneinen ist.

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze hält es der Senat für überwiegend wahrscheinlich, dass die bei dem Kläger bestehende Schwerhörigkeit wesentlich durch die berufliche Lärmbelastung im Sinne der BK Nr. 2301 verursacht worden ist.

Alle Gutachter und Sachverständigen im Verwaltungs- und gerichtlichen Verfahren haben bei dem Kläger eine Schwerhörigkeit festgestellt, die auf zwei Ursachen beruht. Die von ihnen erhobenen Befunde sind im Wesentlichen gleich.

Der lärmbedingte Anteil der Schwerhörigkeit besteht im Fall des Klägers in einer - für eine berufliche Einwirkung typischen - beidseitigen Hochtonschwerhörigkeit mit positivem Recruitment (Lautheitsausgleich) bei Ausfall der äußeren Haarzellen, das bei einer Lärmschwerhörigkeit nachweisbar sein muss (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., Anm. 7.3.3.2. 7.). Die Untersuchungen weisen insgesamt auf einen cochleären Schaden, also einen Innenohrzellschaden, hin, so ausdrücklich Dr. A und Prof. Dr. S. Angesichts der eindeutigen Hinweise auf eine Lärmgenese kann dem Umstand, dass die Feststellung ohne Vorbefunde und erst nach Aufgabe der lärmbelastenden Tätigkeit erfolgt ist, keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen werden. Der Kläger hat außerdem davon berichtet, bereits in den 1980er Jahren eine Verminderung seines Hörvermögens bemerkt zu haben. Dr. B hat dazu ausgeführt, die Minderung des Hörvermögens sei für den Kläger erst 1999 stärker spürbar geworden, als zu dieser Zeit das Sehvermögen auf dem linken Auge schlechter geworden sei. Auch nach den Erläuterungen von Prof. Dr. S ist es nachvollziehbar, dass die Hochtonschwerhörigkeit während der beruflichen Tätigkeit aufgetreten ist, ohne dass der Kläger dies als beeinträchtigend erlebt haben muss. Denn der Beginn einer Lärmschwerhörigkeit liegt nicht im sog. Sprachfeld, das von etwa 1000 bis 3000 Hz reicht. Eine Beeinträchtigung im sozialen Kontakt in der sprachlichen Verständigung steht also nicht am Anfang, die Lärmschwerhörigkeit wird deswegen subjektiv relativ spät bemerkt.

Parallel zu der lärmbedingten Hochtonschwerhörigkeit hat sich bei dem Kläger eine Tieftonschwerhörigkeit entwickelt, die nicht wahrscheinlich beruflich bedingt ist. Über die außerberuflichen Ursachen dieses Teils der Schwerhörigkeit besteht Uneinigkeit zwischen den Gutachtern. Während Dr. B und Dr. A die internistischen Erkrankungen, insbesondere eine Durchblutungsstörung im Kopfbereich, dafür verantwortlich machen und Dr. A zudem auf eine zentrale Gleichgewichtsirritation verweist und Prof. Dr. G sich überhaupt nicht zu der Ursache äußert, sieht Prof. Dr. S diese Erklärung kritisch, denn bei dem Kläger habe zu keinem Zeitpunkt eine akute Hörverschlechterung wie z. B. ein Hörsturz bestanden. Möglich sei jedoch eine schleichende Hörverschlechterung durch eine chronische, gefäßbedingte Minderversorgung der Innenohren. Diese stehe aber nicht im Vordergrund, denn das Hörvermögen sei seit dem ersten Audiogramm vom 10. Januar 2000 annähernd konstant und die kalorische Prüfung der Gleichgewichtsorgane zeige eine gute, im Normbereich liegende Reizung. Er verweist auch auf Teile der Literatur, in denen ein Zusammenhang zwi schen einer Makuladegeneration und einer Innenohrschwerhörigkeit gesehen wird. Letztlich ist die Frage der Verursachung nicht geklärt worden. Wegen des untypischen Hörschwellenverlaufs im Tieftonbereich ist aber die Schlussfolgerung der Gutachter, die die Tieftonschwerhörigkeit als nicht berufsbedingt ansehen, überzeugend. Dr. B und Prof. Dr. S haben dieser Hörstörung eine MdE von 10 v. H. und damit auch einen Krankheitswert beigemessen (vgl. dazu Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., Anm. 7.3.3.4.1.4).

Prof. Dr. S hat überzeugend ausgeführt, dass der wesentliche Anteil der Schwerhörigkeit lärmbedingt ist. Er hat sich in seiner Stellungnahme vom 12. Dezember 2007 ausführlich und überzeugend mit den Einwänden der Beklagten auseinandergesetzt. Er hat auf das typische Vorliegen der Störung der Funktion der äußeren Haarzellen verwiesen, die in den otoneurologischen Untersuchungen nachweisbar gewesen sind, und ausgeführt, dass anhand der seitengleich und gut erregbaren Gleichgewichtsorgane sowie eines bisher nicht vorgekommenen Hörsturzes eine Durchblutungsstörung der Innenohren als Hauptursache für die Hörminderung nicht in Betracht komme. Der Sachverständige hat damit schlüssig begründet, dass der Auffassung von Dr. B nicht gefolgt werden kann, der eine durchblutungsbedingte Hörstörung als wesentliche Bedingung für den Hörschaden angesehen hat. Eine Schallleitungsstörung hat Prof. Dr. S nicht bestätigen können. Zwar hat auch Dr. A als Ursache der Tieftonschwerhörigkeit arterielle Durchblutungsstörungen im Kopfbereich benannt, er hat jedoch die beruflichen Faktoren als wesentliche Ursache für die Schwerhörigkeit angesehen, da diese über einen längeren Zeitraum eingewirkt hätten, als die sich jetzt im Alter entwickelnden Faktoren. Der Senat hat keine Bedenken, der Auffassung des Sachverständigen Prof. Dr. S, die im Ergebnis auch Prof. Dr. G und Dr. A vertreten, zu folgen und vermag sich dem Einwand der Beklagten, bei dem Kläger habe sich das Hörvermögen nach der Beendigung seiner lärmbelastenden Tätigkeit verschlechtert, was maßgebend gegen eine berufliche Verursachung der Schwerhörigkeit spreche, nicht anzuschließen. Denn Prof. Dr. S hat ausdrücklich festgestellt, dass im Zeitraum von 2000 bis 2007 weder die Sprachaudiogramme noch die Tonaudiogramme eine signifikante Verschlechteru ng des Hörvermögens bestätigen. Allein aus dem Umstand, dass für die Zeit vor dem Jahr 2000 keine Audiogramme existieren, die Aufschluss über den Grad der Hörbeeinträchtigung geben könnten, können keine Schlüsse, insbesondere nicht im Hinblick auf eine mögliche Verschlechterung des Hörvermögens nach Aufgabe der lärmbelastenden Tätigkeit im Februar 1996, gezogen werden.

Da die Schwerhörigkeit wesentlich beruflich bedingt ist und der Kläger zur Minderung der Hörstörung, wie von Dr. A und Prof. Dr. S bestätigt, Hörhilfen benötigt, war die Beklagte auch zur Versorgung mit Hörgeräten (§§ 26, 31 SGB VII) zu verpflichten. Ob der Kläger einen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die bereits angeschafften Hörgeräte hat, hat der Senat nicht zu entscheiden, denn dies hat der Kläger nicht beantragt und ist von der Beklagten in einem gesonderten Verwaltungsverfahren zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

Referenznummer:

R/R4236


Informationsstand: 30.06.2009

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