Die Berufung der Beklagten ist gemäß §§ 143, 144
Abs. 1 Ziffer 1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) statthaft. Insbesondere ist der Beschwerdewert nach § 144
Abs. 1 Satz 1
Nr. 1
SGG überschritten. Die Beklagte hat mit dem Bescheid vom 25. März 2004 die Versorgung der Klägerin mit einem Hörgerät abgelehnt. Gegenstand des Rechtsstreits ist damit die Kostenerstattung in Höhe von 976,57
EUR.
Die Berufung der Beklagten ist jedoch unbegründet. Der Bescheid vom 25. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. April 2005 ist rechtswidrig und beschwert die Klägerin im Sinne der §§ 157, 54
Abs. 2 Satz 1
SGG.
In der gesetzlichen Unfallversicherung gilt grundsätzlich das in § 26
Abs. 4 Satz 2 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB VII) normierte Dienst- und Sachleistungsprinzip. Eine Kostenerstattung für selbstbeschaffte Hilfsmittel kommt danach unter den Voraussetzungen des
§ 15 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) in Betracht.
Hiervon ausgehend hat die Klägerin einen Anspruch gegen die Beklagte auf Erstattung der Kosten für den Erwerb eines digitalen Hörgerätes der Marke "Widex Bravo B 2" in Höhe von 976,57
EUR.
Der Anspruch der Klägerin auf Versorgung mit einem Hörgerät ergibt sich aus den §§ 26, 27
Abs. 1 Ziffer 4, 31 des
SGB VII. Nach § 26
Abs. 1
S. 1
SGB VII haben Versicherte nach Eintritt eines Versicherungsfalls unter anderem einen Anspruch auf Heilbehandlung. Der Unfallversicherungsträger hat mit allen geeigneten Mitteln möglichst frühzeitig den durch den Versicherungsfall verursachten Gesundheitsschaden zu beseitigen oder zu bessern, seine Verschlimmerung zu verhüten und seine Folgen zu mildern. Zur Heilbehandlung gehört nach § 27
Abs. 1
Nr. 4
SGB VII die Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln. Hilfsmittel sind nach § 31
Abs. 1 Satz 1
SGB VII alle ärztlich verordneten Sachen, die den Erfolg der Heilbehandlung sichern oder die Folgen von Gesundheitsschäden mildern oder ausgleichen. Nach § 31
Abs. 2
SGB VII ist die Bundesregierung ermächtigt, durch
Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Ausstattung mit Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln zu regeln. Von dieser Ermächtigungsgrundlage hat der Verordnungsgeber nach dem Inkrafttreten des
SGB VII keinen Gebrauch gemacht hat. Die zu § 564 Reichsversicherungsordnung (RVO) erlassene Verordnung über die orthopädische Versorgung Unfallverletzter vom 18. Juli 1973 in der Fassung vom 7. August 1996, die auch nach dem Inkrafttreten des
SGB VII bis zum Erlass einer neuen
Rechtsverordnung weiter gilt (
vgl. Art. 35 des Einführungsgesetzes zum Unfallversicherungsrecht vom 7. August 1996, BGBl. I,
S. 1317, wonach die
Rechtsverordnung nicht aufgehoben wurde), trifft keine über die gesetzliche Bestimmung hinausgehende Regelung zur Versorgung mit nichtorthopädischen Hilfsmitteln. Soweit in der
Rechtsverordnung keine Festlegung zur Versorgung mit Hilfsmitteln erfolgt ist, regeln die Verbände der Unfallversicherungsträger nach § 31
Abs. 2 Satz 2
SGB VII das Nähere durch eine gemeinsame Richtlinie. Mit der Richtlinie über Hilfsmittel vom 1. Januar 1997 haben die Verbände der Unfallversicherungsträger hiervon Gebrauch gemacht. Nummer 6.8 der gemeinsamen Richtlinie, die die Versorgung mit Hörgeräten betrifft, lautet wie folgt:
Hörgeräte werden bewilligt, wenn die Schwerhörigkeit es erfordert. Hörbrillen oder sonstige Spezialausführungen von elektrischen Hörgeräten kommen in Betracht, wenn mit anderen Hörgeräten keine ausreichende Hörfähigkeit erzielt werden kann oder wenn berufliche, schulische oder soziale Gesichtspunkte die Benutzung erfordern.
Danach hatte die Klägerin einen Anspruch auf Versorgung mit einem digitalen Hörgerät. Denn die Klägerin ist schwerhörig, das digitale Hörgerät der Marke "Widex Bravo B" 2 ist ihr ärztlich verordnet worden und die Versorgung mit diesem Hörgerät ist erforderlich, um die Folgen der durch den Arbeitsunfall vom 22. März 1984 erlittenen Schwerhörigkeit zu mildern
bzw. auszugleichen.
Die Beklagte hat den Unfall vom 22. März 1984 mit Bescheid vom 25. September 1996 als Arbeitsunfall mit einem Schlüsselbeinbruch, einer Schädel-Hirn-Verletzung I. Grades und einem Hochtonverlust auf dem rechten Ohr mit zeitweilig vorhandenen Ohrgeräuschen anerkannt.
Bei dem Hochtonverlust auf dem rechten Ohr handelt es sich um einen Fall der Schwerhörigkeit. Dies folgt aus dem Gutachten von
Prof. Dr. L., der eine cochleäre Hörstörung mit einer Hörminderung bei der Klägerin beschrieben hat.
Dr. S. und
Dr. R. haben diese Hörstörung als kombinierte Schwerhörigkeit bezeichnet. Dagegen spricht auch nicht, dass eine Hörminderung vom Ausmaß wie bei der Klägerin in den Tabellen von Feldmann noch als Normalhörigkeit bezeichnet wird. Dass diese, auf die Abstufung verschiedener Hörminderungsgrade gerichtete Begriffsbildung nicht zugleich die Grenze des Vorliegens einer Schwerhörigkeit als Krankheitsbegriff bezeichnet, ist etwa der Feststellungspraxis bei der Lärmschwerhörigkeit zu entnehmen. Dabei ist jegliche lärmbedingte Hörstörung als Lärmschwerhörigkeit anzuzeigen und anzuerkennen, soweit sie auch unterhalb der Schwelle der Minderung der Erwerbsfähigkeit messbar ist (Merkblatt zur Lärmschwerhörigkeit, Bekanntmachung des BMAS vom 1. Juli 2008, GMBl. 798
ff.).
Nach den überzeugenden Ausführungen von
Prof. Dr. L. war es erforderlich, die Klägerin mit einem Hörgerät zu versorgen. Denn nur mit der Versorgung eines Hörgerätes war das Ziel der Heilbehandlung, den durch den Arbeitsunfall erlittenen Gesundheitsschaden zu mildern
bzw. auszugleichen, zu erreichen. Dies hat
Prof. Dr. L. in seinem Gutachten überzeugend dargelegt. Nach seinen Feststellungen hat der Hörverlust für Sprache, der aus dem 50%igen Verständnis für viersilbige Zahlwörter ermittelt wird (A1-Wert), mit 16
dB rechts unter 20
dB gelegen. Einsilbige Prüfwörter hat die Klägerin rechts zu 95 % verstanden und das Gesamtwortverstehen hat auf der rechten Seite 292,5 Punkte ergeben. Danach hat zwar kein Hörverlust nach der Tabelle von Boenninghaus und Röser (abgedruckt in Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage, Abschnitt 7.3.3.2.9,
S. 340) vorgelegen. Bei der Klägerin war jedoch das Hörvermögen rechts zu links asymmetrisch, wodurch die von ihr geschilderten Schwierigkeiten im Verstehen zu erklären sind.
Prof. Dr. L. hat nämlich links einen Hörverlust für Sprache bei 4silbigen Zahlwörtern mit 0
dB ermittelt. Einsilbige Prüfwörter hat die Klägerin links zu 100 % verstanden und das Gesamtwortverstehen hat hier 300 Punkte ergeben. Damit hat auf der rechten Seite in Ruhe ein Defizit im Verständnis zu links von 5 % vorgelegen. Der Senat teilt die Einschätzung von
Prof. Dr. L., dass damit eine hinreichende Asymmetrie zu Ungunsten des rechten Ohres bei der Klägerin bestanden hat. Ferner hat
Prof. Dr. L. ein vermindertes Hörvermögen in einigen tieffrequenten Bereichen sowie einen Komplettverlust der Hörfähigkeit ab 4000
Hz bei der Klägerin festgestellt, wodurch die Klägerin Schwierigkeiten beim Richtungshören und vor allem beim Sprachverstehen im Störschall hat. Ob die Klägerin hierdurch nicht in der Lage ist, die akustischen Signale der Arbeitsgeräte zu vernehmen, kann dahingestellt bleiben. Denn aufgrund zahlreichen Kontaktes im Krankenhaus zu Mitarbeitern und Patienten ist die Klägerin auf ein korrektes Richtungshören und auf ein Sprachverstehen im Störschall angewiesen. Erfahrungsgemäß können in einem Krankenhaus zahlreiche Schallquellen auftreten, die zu Störschall führen können und die Kommunikation, das Erkennen von Signalen und das Einordnen, aus welcher Richtung der Schall kommt, erschweren
bzw. behindern.
Diese Schwerhörigkeit ist auch auf den anerkannten Arbeitsunfall vom 22. März 1984 ursächlich zurückzuführen. Die Beklagte hat mit dem Anerkennungsbescheid den von MR
Dr. W. festgestellten Hochtonverlust als Folge des Arbeitsunfalls anerkannt. Der von
Prof. Dr. L. festgestellte Hörschaden rechts hat sich seit der Untersuchung durch MR
Dr. W. nicht wesentlich verändert. So bildet das Tonaudiogramm vom 23. September 2004 eine ähnliche Kurve des rechten Ohres ab, wie es bereits bei MR
Dr. W. am 27. März 1996 der Fall war. Der von
Prof. Dr. L. festgestellte Hörschaden ist daher wesentlich ursächlich auf den Arbeitsunfall zurückzuführen.
Für die von der Beklagten vertretene Auffassung, ein Anspruch auf die Versorgung mit einem Hörgerät bestehe erst dann, wenn eine geringgradige Schwerhörigkeit mit einem Hörverlust von 30 Prozent vorliege, bieten die Vorschriften zur Versorgung mit einem Hörgerät keine Anhaltspunkte. Die von den Verbänden der Unfallversicherungsträger vereinbarte Richtlinie zur Versorgung mit Hörgeräten, sieht eine derartige Einschränkung nicht vor. Dort wird allein darauf abgestellt, dass die Schwerhörigkeit die Bewilligung eines Hörgerätes erfordert. Dass mit dem Begriff der Schwerhörigkeit ein prozentualer Hörverlust nach dem Königsteiner Merkblatt und damit nach der Tabelle von Boenninghaus und Röser gemeint ist, ist der Richtlinie nicht zu entnehmen. Die §§ 26 und 31
SGB VII haben demgegenüber zur Versorgung mit Hörgeräten keine spezielle Bestimmung getroffen.
Der von der Beklagten vertretenen Auffassung ist zudem Satz 2 der
Nr. 6.8 der gemeinsamen Richtlinie entgegen zu halten. Danach kommt die Versorgung mit sonstigen Spezialausführungen von elektrischen Hörgeräten in Betracht, wenn mit anderen Hörgeräten keine ausreichende Hörfähigkeit erzielt werden kann oder wenn berufliche Gesichtspunkte die Benutzung erfordern. Auch hier wird nicht auf den prozentualen Umfang des Hörverlustes abgestellt. Vielmehr kann die Versorgung mit einem Hörgerät auch aus beruflichen Gesichtspunkten erforderlich sein. Letzteres hat
Prof. Dr. L. mit überzeugenden Gründen dargelegt.
Neben der Richtlinie der Verbände der Unfallversicherungsträger kommt die Heil- und Hilfsmittelrichtlinie, auf die
Dr. F. abgestellt hat, nicht zur Anwendung. Bei dieser Richtlinie handelt es sich nicht um eine von den Verbänden der Unfallversicherungsträger nach § 31
Abs. 2 Satz 2
SGB VII erlassene Richtlinie, sondern um eine zur Versorgung mit Hilfsmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung vom damaligen Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen am 17. Juni 1992 beschlossene Richtlinie (abgedruckt bei Hauck/Haines, Stand Juni 2010,
SGB V, C 445). Die Verbände der Unfallversicherungsträger haben den Inhalt dieser Richtlinie nicht übernommen.
Schließlich liegt auch eine ärztliche Verordnung über die Versorgung mit einem Hörgerät vor.
Dipl.-Med. H. hat der Klägerin eine entsprechende ärztliche Verordnung am 12. August 2003 ausgestellt. Die Versorgung mit einem Hörgerät schließt auch die Versorgung mit Otoplastik ein.
Um die durch den Arbeitsunfall eingetretene Gesundheitsstörung der Klägerin zu mildern
bzw. auszugleichen, ist auch die Versorgung der Klägerin mit einem digitalen Hörgerät der Marke "Widex Bravo B" erforderlich. Zwar hat grundsätzlich die Verwaltungsbehörde nach § 26
Abs. 5
SGB VII über Art, Umfang und Durchführung der Heilbehandlung nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Vorliegend war jedoch das Ermessen der Beklagten auf Null reduziert.
Prof. Dr. L. hat in seinem Gutachten überzeugend ausgeführt, weshalb ein analoges Hörgerät nicht zu einem Abmildern der Folgen des Gesundheitsschadens führt. Die frequenzabhängigen Schwankungen des Hörverlustes mit erheblichem Steilabfall im mittel- bis hochfrequenten Bereich lassen sich nur durch ein mehrkanaliges, digitales Hörgerät ausgleichen. Ein analoges Hörgerät erreicht diesen Ausgleich nicht. Auch ein zweikanaliges digitales Gerät vermag den Gesundheitsschaden - worauf
Prof. Dr. L. hingewiesen hat - nicht auszugleichen. Als geeignetes Hörgerät hat sich das von
Dipl.-Med. H. verordnete Hörgerät Marke "Widex Bravo B2" herausgestellt, das sich zudem - wie
Prof. Dr. L. dargelegt hat - unter Hörgeräten gleicher Leistung im "unteren Preissegment" bewegt. Dies hält der Senat im Hinblick auf die Höhe des Preises und die entsprechende Erfahrung von
Prof. Dr. L. für glaubhaft.
Es liegen auch die Voraussetzungen für eine Kostenerstattung vor. Nach
§ 15 Abs. 1 Satz 4 SGB IX besteht ein Anspruch auf Kostenerstattung, wenn der Leistungsträger eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat, die Leistung notwendig war und dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind. Die Klägerin hat sich das ärztlich verordnete Hörgerät im Mai 2006 selbst beschafft, nachdem die Beklagte zu Unrecht die Versorgung mit diesem Gerät abgelehnt hatte. Die Versorgung mit diesem Hörgerät war auch notwendig, um den Heilerfolg zu erreichen. Der Klägerin sind hierdurch Kosten in Höhe von 976,57
EUR entstanden.
Dem Anspruch der Klägerin auf eine volle Kostenerstattung steht nicht § 31
Abs. 1 Satz 3
SGB VII entgegen. Die Beschränkung auf Festbeträge betrifft Hilfsmittel, für die Festbeträge in der gesetzlichen Krankenversicherung festgesetzt sind. Hierzu gehören auch Hörgeräte. Hilfsmittel können aber nur dann die Ziele des § 26
Abs. 2
Nr. 1
SGB VII erreichen, wenn sie hierzu geeignet sind. § 31
Abs. 1 Satz 3
SGB VII bezieht sich demnach nur auf geeignete Hilfsmittel, für die Festbeträge festgesetzt sind. Wird das Ziel der Heilbehandlung hingegen durch ein Hilfsmittel mit Festbetrag nicht erreicht, so bleibt der Unfallversicherungsträger zur vollen Kostenerstattung verpflichtet; denn er hat nach § 26
Abs. 2
Nr. 1
SGB VII die Heilbehandlung durch alle geeigneten Mittel zu erbringen (
vgl. Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 29. August 2006 -
L 3 U 73/06 - NZS 2007, 160; Schleswig-Holsteinisches
LSG, Urteil vom 19. Dezember 2001 -
L 8 U 80/01 - HVBG-INFO 2002, 729).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG.
Die Voraussetzungen nach § 160
SGG, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.