Urteil
Private Krankenversicherung - Versorgung mit einem Stehtrainer

Gericht:

BSG


Aktenzeichen:

B 3 P 3/06 R


Urteil vom:

06.09.2007


Kurzbeschreibung:

Umstritten war die Frage der Versorgung mit einem Stehtrainer (Freistehbarren) zu Lasten der Kranken- oder Pflegeversicherung.

Das BSG entschied, dass zwischen der Krankenversicherung und der Pflegeversicherung kein Vorrang-Nachrang-Verhältnis in der Weise bestehe, dass ein Bereich subsidiär eintrete, wenn aus dem anderen Bereich kein Versicherungsschutz bestehe. Vielmehr komme nur die Zuständigkeit des einen oder des anderen Leistungsträgers in Betracht. Welcher Leistungsträger im Einzelnen für Hilfsmittel zuständig sei, richte sich im Zweifel nach dem Schwerpunkt der Zweckbestimmung. Nach den Feststellungen des LSG ständen bei einem Stehtrainer die Verhütung der Verschlimmerung von Krankheitsbeschwerden und damit Versorgungsziele im Vordergrund, für die nach § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB XI i.V.m. § 33 Abs. 1 S. 1 SGB V vorrangig die Krankenversicherung einzustehen habe. Um ein reines Pflegehilfsmittel, das der gesetzlichen Krankenversicherung nicht zugerechnet werden könne, würde es sich nur dann handeln, wenn es im konkreten Fall allein oder jedenfalls schwerpunktmäßig der Erleichterung der Pflege diene.

(Quelle: Die Krankenversicherung 05/2008, S. 144)

Tenor:

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 21. Dezember 2005 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Sachverhalt:

I

Streitig ist die Verpflichtung des beklagten privaten Krankenversicherungsunternehmens, anteilige Kosten für einen sog Stehtrainer zu übernehmen.

Die Klägerin ist bei der Beklagten privat kranken- und pflegepflichtversichert. In den Versicherungsschutz einbezogen sind in Höhe von 20 % Leistungen für ihren im Jahre 1981 geborenen Sohn, solange für ihn Anspruch auf Beihilfe besteht. Dieser ist aufgrund einer Cerebralparese geistig und körperlich stark behindert. Unter anderem leidet er unter massiven Beugespastiken der Arme und Beine sowie unter Krampfanfällen. Ohne fremde Hilfe kann er weder sitzen noch stehen.

Die Klägerin beantragte im März 2000 bei der Beklagten die anteilige Übernahme der Kosten eines Stehtrainers, der ihrem Sohn zuvor ärztlich verordnet worden war und unter elektronischer Unterstützung dazu dient, in eine aufrechte Position zu gelangen und in dieser zu verbleiben. Sie machte geltend, der Stehtrainer sei im Hilfsmittelverzeichnis der Spitzenverbände der sozialen Pflegeversicherung aufgeführt. Ihr Sohn werde durch die Ablehnung der anteiligen Kostenerstattung in Höhe von 969,94 Euro im Vergleich zu den gesetzlich Versicherten unverhältnismäßig benachteiligt. Ihm würden Hilfen zur Mobilitätsförderung vorenthalten, die Versicherten der sozialen Pflegeversicherung zustünden. Hilfsweise müsse sich die Beklagte in ihrer Funktion als Krankenversicherer an den Kosten beteiligen.

Mit Schreiben vom 15.6. und 23.11.2000 sowie weiterem Schreiben vom 2.2.2001 lehnte die Beklagte eine Beteiligung an den Kosten ab. Der Stehtrainer sei kein Hilfsmittel im Sinne ihrer allgemeinen Versicherungsbedingungen. Er sei nur im Hilfsmittelverzeichnis der gesetzlichen Krankenversicherung aufgeführt und deshalb - wenn überhaupt - in jenem Versicherungszweig zu erbringen. Der Stehtrainer sei auch kein Pflegehilfsmittel, denn er erleichtere die Pflege in keiner Weise; es handele sich vielmehr um ein Trainingsgerät, das der medizinischen Therapie diene.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 2.10.2002), das Landessozialgericht (LSG) die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 21.12.2005): Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Zahlung von 969,94 Euro als Zuschuss für den Stehtrainer. Nach dem eingeholten Sachverständigengutachten diene dieser ganz wesentlich der Behandlungspflege. Dazu gehörten alle Pflegemaßnahmen, die nur durch eine bestimmte Krankheit verursacht werden, speziell auf den Krankheitszustand des Versicherten ausgerichtet sind und dazu beitragen, die Krankheit zu lindern, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu verhindern oder zu lindern. In diesem Sinne fördere das Aufrichten in die stehende Position die Mobilisation des Sohnes der Klägerin, weil vorhandene Spastiken gelöst würden und Kontrakturen und Muskelabbau vorgebeugt werde; des Weiteren werde der Kreislauf stabilisiert. Die Beklagte sei auch nicht ausnahmsweise deshalb leistungsverpflichtet, weil sie im konkreten Fall entsprechende Leistungen aufgrund des Krankenversicherungsvertrages nicht zu erbringen habe. Eine Versorgungslücke der privaten Krankenversicherung sei nicht durch das Eintreten der privaten Pflegeversicherung zu schließen (Verweis auf Urteil des Senats vom 10.11.2005, SozR 4-3300 § 40 Nr 2).

Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung der §§ 23 Abs 3 Satz 2, 23 Abs 1 Satz 2 und 40 Abs 1 Satz 1 SGB XI. Der Stehtrainer sei zwar nicht im Pflegehilfsmittelverzeichnis der Beklagten aufgeführt. Jedoch habe sie einen Gleichwertigkeitsanspruch aus § 23 Abs 3 Satz 2 iVm Abs 1 Satz 2 SGB XI, wonach eine Leistung der privaten Pflegeversicherung dem Maßstab der gesetzlichen Pflegeversicherung gemäß § 40 Abs 1 Satz 1 SGB XI entsprechen müsse. Diese Abwägung sei fehlerhaft vorgenommen worden. Der Stehtrainer diene schwerpunktmäßig der Erleichterung der Pflege. Hilfsweise sei die Beklagte aus dem privaten Krankenversicherungsvertrag leistungspflichtig. Dieser Vertrag biete beihilfeberechtigten Personen einen Sonderstatus, der mit der gesetzlichen Krankenversicherung gleichzusetzen sei. Ansprüche hieraus seien daher nicht auf dem ordentlichen Rechtsweg, sondern auf dem Sozialrechtsweg geltend zu machen. Denn wäre ihr Sohn gesetzlich krankenversichert, hätte er einen Anspruch auf Versorgung mit einem Stehtrainer gemäß § 33 SGB V. Als familienversichertes Mitglied habe er wegen seiner Behinderungen zudem faktisch keine Möglichkeit, eine andere Krankenkasse zu wählen, die die für ihn notwendigen Leistungen erbringe.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 21.12.2005 und den Gerichtsbescheid des SG Braunschweig vom 2.10.2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr 969,94 Euro für den Stehtrainer zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil als zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung nach den §§ 165, 153 Abs 1, 124 Abs 2 SGG einverstanden erklärt.

Rechtsweg:

SG Braunschweig Urteil vom 2.10.2002 - S 13 P 4/01 - LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 21.12.2005 - L 14 P 3/03 -

Quelle:

Sozialgerichtsbarkeit BRD

Kurzbeschreibung:

Umstritten war die Frage der Versorgung mit einem Stehtrainer (Freistehbarren) zu Lasten der Kranken- oder Pflegeversicherung.

Das BSG entschied, dass zwischen der Krankenversicherung und der Pflegeversicherung kein Vorrang-Nachrang-Verhältnis in der Weise bestehe, dass ein Bereich subsidiär eintrete, wenn aus dem anderen Bereich kein Versicherungsschutz bestehe. Vielmehr komme nur die Zuständigkeit des einen oder des anderen Leistungsträgers in Betracht. Welcher Leistungsträger im Einzelnen für Hilfsmittel zuständig sei, richte sich im Zweifel nach dem Schwerpunkt der Zweckbestimmung. Nach den Feststellungen des LSG ständen bei einem Stehtrainer die Verhütung der Verschlimmerung von Krankheitsbeschwerden und damit Versorgungsziele im Vordergrund, für die nach § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB XI i.V.m. § 33 Abs. 1 S. 1 SGB V vorrangig die Krankenversicherung einzustehen habe. Um ein reines Pflegehilfsmittel, das der gesetzlichen Krankenversicherung nicht zugerechnet werden könne, würde es sich nur dann handeln, wenn es im konkreten Fall allein oder jedenfalls schwerpunktmäßig der Erleichterung der Pflege diene.

(Quelle: Die Krankenversicherung 05/2008, S. 144)


Tenor:

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 21. Dezember 2005 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.


Sachverhalt:

I

Streitig ist die Verpflichtung des beklagten privaten Krankenversicherungsunternehmens, anteilige Kosten für einen sog Stehtrainer zu übernehmen.

Die Klägerin ist bei der Beklagten privat kranken- und pflegepflichtversichert. In den Versicherungsschutz einbezogen sind in Höhe von 20 % Leistungen für ihren im Jahre 1981 geborenen Sohn, solange für ihn Anspruch auf Beihilfe besteht. Dieser ist aufgrund einer Cerebralparese geistig und körperlich stark behindert. Unter anderem leidet er unter massiven Beugespastiken der Arme und Beine sowie unter Krampfanfällen. Ohne fremde Hilfe kann er weder sitzen noch stehen.

Die Klägerin beantragte im März 2000 bei der Beklagten die anteilige Übernahme der Kosten eines Stehtrainers, der ihrem Sohn zuvor ärztlich verordnet worden war und unter elektronischer Unterstützung dazu dient, in eine aufrechte Position zu gelangen und in dieser zu verbleiben. Sie machte geltend, der Stehtrainer sei im Hilfsmittelverzeichnis der Spitzenverbände der sozialen Pflegeversicherung aufgeführt. Ihr Sohn werde durch die Ablehnung der anteiligen Kostenerstattung in Höhe von 969,94 Euro im Vergleich zu den gesetzlich Versicherten unverhältnismäßig benachteiligt. Ihm würden Hilfen zur Mobilitätsförderung vorenthalten, die Versicherten der sozialen Pflegeversicherung zustünden. Hilfsweise müsse sich die Beklagte in ihrer Funktion als Krankenversicherer an den Kosten beteiligen.

Mit Schreiben vom 15.6. und 23.11.2000 sowie weiterem Schreiben vom 2.2.2001 lehnte die Beklagte eine Beteiligung an den Kosten ab. Der Stehtrainer sei kein Hilfsmittel im Sinne ihrer allgemeinen Versicherungsbedingungen. Er sei nur im Hilfsmittelverzeichnis der gesetzlichen Krankenversicherung aufgeführt und deshalb - wenn überhaupt - in jenem Versicherungszweig zu erbringen. Der Stehtrainer sei auch kein Pflegehilfsmittel, denn er erleichtere die Pflege in keiner Weise; es handele sich vielmehr um ein Trainingsgerät, das der medizinischen Therapie diene.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 2.10.2002), das Landessozialgericht (LSG) die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 21.12.2005): Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Zahlung von 969,94 Euro als Zuschuss für den Stehtrainer. Nach dem eingeholten Sachverständigengutachten diene dieser ganz wesentlich der Behandlungspflege. Dazu gehörten alle Pflegemaßnahmen, die nur durch eine bestimmte Krankheit verursacht werden, speziell auf den Krankheitszustand des Versicherten ausgerichtet sind und dazu beitragen, die Krankheit zu lindern, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu verhindern oder zu lindern. In diesem Sinne fördere das Aufrichten in die stehende Position die Mobilisation des Sohnes der Klägerin, weil vorhandene Spastiken gelöst würden und Kontrakturen und Muskelabbau vorgebeugt werde; des Weiteren werde der Kreislauf stabilisiert. Die Beklagte sei auch nicht ausnahmsweise deshalb leistungsverpflichtet, weil sie im konkreten Fall entsprechende Leistungen aufgrund des Krankenversicherungsvertrages nicht zu erbringen habe. Eine Versorgungslücke der privaten Krankenversicherung sei nicht durch das Eintreten der privaten Pflegeversicherung zu schließen (Verweis auf Urteil des Senats vom 10.11.2005, SozR 4-3300 § 40 Nr 2).

Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung der §§ 23 Abs 3 Satz 2, 23 Abs 1 Satz 2 und 40 Abs 1 Satz 1 SGB XI. Der Stehtrainer sei zwar nicht im Pflegehilfsmittelverzeichnis der Beklagten aufgeführt. Jedoch habe sie einen Gleichwertigkeitsanspruch aus § 23 Abs 3 Satz 2 iVm Abs 1 Satz 2 SGB XI, wonach eine Leistung der privaten Pflegeversicherung dem Maßstab der gesetzlichen Pflegeversicherung gemäß § 40 Abs 1 Satz 1 SGB XI entsprechen müsse. Diese Abwägung sei fehlerhaft vorgenommen worden. Der Stehtrainer diene schwerpunktmäßig der Erleichterung der Pflege. Hilfsweise sei die Beklagte aus dem privaten Krankenversicherungsvertrag leistungspflichtig. Dieser Vertrag biete beihilfeberechtigten Personen einen Sonderstatus, der mit der gesetzlichen Krankenversicherung gleichzusetzen sei. Ansprüche hieraus seien daher nicht auf dem ordentlichen Rechtsweg, sondern auf dem Sozialrechtsweg geltend zu machen. Denn wäre ihr Sohn gesetzlich krankenversichert, hätte er einen Anspruch auf Versorgung mit einem Stehtrainer gemäß § 33 SGB V. Als familienversichertes Mitglied habe er wegen seiner Behinderungen zudem faktisch keine Möglichkeit, eine andere Krankenkasse zu wählen, die die für ihn notwendigen Leistungen erbringe.


Die Klägerin beantragt,

das Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 21.12.2005 und den Gerichtsbescheid des SG Braunschweig vom 2.10.2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr 969,94 Euro für den Stehtrainer zu erstatten.


Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil als zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung nach den §§ 165, 153 Abs 1, 124 Abs 2 SGG einverstanden erklärt.

Referenznummer:

R/R2918


Informationsstand: 27.03.2008