Urteil
Mobile Ausstattung mit technischen Arbeitshilfen für die Berufsschule - Zuständiger Leistungsträger - Kostenerstattungsanspruch

Gericht:

VG Ansbach 14. Kammer


Aktenzeichen:

AN 14 K 05.02742 | 14 K 05.02742


Urteil vom:

31.07.2008


Grundlage:

  • SGB X § 102 |
  • SGB X § 114 |
  • VwGO § 40 |
  • VwGO § 188 S 1 |
  • SGG § 51 Abs 1 Nr 7 |
  • SchwbG § 31 |
  • SGB III § 97 |
  • SGB III § 98 Abs 1 |
  • SGB III § 100 |
  • SGB III § 114 |
  • SchulG BE § 10a Abs 6 |
  • SchulG BE § 10a Abs 8 S 2 |
  • RehaAnglG § 5 Abs 2 |
  • RehaAnglG § 12 Nr 7 |
  • RehaAnglG § 20 |
  • SGB X § 111 |
  • SGB X § 113

Tenor:

1. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die Kosten der mit Bescheiden vom 5. Juli 2000 und 8. September 2000 an die Schwerbehinderte ... gewährten Leistungen für technische Arbeitshilfen in Höhe von insgesamt 27.924,13 EUR (55.224,20.*) DM) zu erstatten.
*) berichtigt durch Beschluss vom 12. August 2008 auf 54.614,85 DM.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist für den Kläger vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 31.000 EUR.

Tatbestand:

Der Kläger macht im Verfahren gegenüber der Beklagten einen Kostenerstattungsanspruch in Höhe von 27.924,13 EUR nach §§ 102 SGB X, 97, 114 a.F. SGB III geltend. Es handelt sich dabei um Kosten für technische Arbeitshilfen, die der Schwerbehinderten ... mit Bescheiden vom 5. Juli 2000 und 8. September 2000 aus Mitteln der Ausgleichsabgabe gemäß § 31 SchwbG von der Hauptfürsorgestelle ... gewährt wurden.

Die schwerbehinderte Hilfeempfängerin wurde mit Abhilfebescheid des Versorgungsamtes II ... vom 8. April 1993 wegen Blindheit als Schwerbehinderte mit einem Grad der Behinderung von 100 mit den Merkzeichen B, G, H, Bl, RF, VKS anerkannt.

Die Schwerbehinderte beantragte am 22. Januar 2000 beim Arbeitsamt ... die erforderlichen Leistungen für ihre berufliche Rehabilitation und gab an, sie strebe eine Berufsausbildung zur Reno-Gehilfin oder im Mittleren nicht technischen Dienst an, wobei eine integrierte, duale Ausbildung gewünscht werde. Zur Vorbereitung einer Entscheidung über die Gewährung von berufsfördernder Bildungsmaßnahmen wurde ein ärztliches Gutachten vom 16. März 2000 erstellt, das für die Behinderte auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt überwiegend eine vollschichtig leichte bis mittelschwere Arbeit für möglich hielt, entsprechend der Sehbehinderung, sowie ein psychologisches Gutachten vom 2. März 2000, das zu dem Ergebnis kam, dass einer Berufsausbildung Vorrang vor dem Besuch einer weiterführenden Schule eingeräumt werden sollte und prinzipiell eine Mindesteignung für kaufmännische und verwaltende Berufe gegeben sei. Auf Grund der gesundheitlichen Einschränkungen seien jedoch spezielle blindentechnische Hilfsmittel notwendig, so dass die besonderen Bedingungen eines Berufsbildungswerkes für Blinde und Sehbehinderte ratsam erscheinen würden. Schließlich wurde eine Stellungnahme des technischen Beraters des Arbeitsamtes vom 11. April 2000 eingeholt. Danach benötigt die Schwerbehinderte im Rahmen der Anpassung des Arbeits-Ausbildungsplatzes im anfangs bevorzugten Ausbildungsbetrieb ... GmbH:

einen leistungsfähigen PC mit
Scanner, Braille-Zeile, Texterkennungssoftware (Kurzweil)
Software für Braille- und Sprachausgabe (JawsNT)

sinnvoll wäre außerdem:

Korpussoftware (Duden, Lexikon) für Blinde
Braille-Schreibmaschine Elotype 4 zur Beschriftung von Akten und Ordnern
ein mobiles Notizgerät Braille-Lite 40 für Gesprächsnotizen, als Terminkalender,
Taschenrechner und Timer

Bildschirm, Drucker und Büro-Software könne von dem Arbeitgeber bereitgestellt werden. Die ... GmbH (der von der Schwerbehinderten zunächst bevorzugte Ausbildungsbetrieb) sei eine Ausbildungsstätte für EDV-Berufe und verfüge daher über eine umfangreiche PC-Ausstattung einschließlich Vernetzung und Internetanbindung.

Zur Theorieausbildung in der Berufsschule (... = ...) sei darüber hinaus eine mobile Ausstattung erforderlich:

Notebook mit
transportabler Braille-Zeile,
ISDN- und Netzwerkkarte
Scanner
ein einfacher Drucker

der Einsatz eines digitalen Voicerecorders als Diktier- und Speichergerät sei aus technischer Hinsicht dagegen nicht begründet.

Mit Teilbewilligungsbescheid vom 15. Juni 2000 entschied sich die Beklagte - entgegen dem Rat im psychologischen Gutachten - für die Förderung einer betrieblichen Ausbildung mit normalem Ausbildungsvertrag (kein Sonderprogramm) im dualen System, stellte fest, dass die Aussichten der Behinderten auf Grund der Art und Schwere ihrer Behinderung beruflich eingegliedert zu werden wesentlich gemindert seien und sie daher besonderer Hilfe bedürfe. Folgende technische Arbeitshilfen wurden gewährt:

PC-Pentium III: 3.198,00 DM
Etherlink III: 149,00 DM
Scanner HP ScanJat: 850,00 DM
Einzelblatteinzug: 385,00 DM
Kurzweil (Texterkennungssoftware): 2.900,00 DM
JAWS für Win NT 4.0: 4.390,00 DM
Braillex EL 80: 24.900,00 DM
Korpussoftware: 179,00 DM
Vorinstallation im Werk: 890,00 DM
Auslieferung/Inbetriebnahme: 1.390,00 DM
Einweisung zwei Tage á 1.390 DM: 2.780,00 DM
JAWS Basisschulung: 1.390,00 DM
Mehrwertsteuer 16 %: 5.944,16 DM

Summe: 50.345,16 DM

Elotype 4 (Punktschriftmaschine) 3.700,00 DM
Mehrwertsteuer 7 % 259,00 DM

Summe: 3.959,00 DM

Gesamtsumme: 54.304,16 DM

Die Beklagte versagte jedoch entgegen der ausdrücklichen technischen Empfehlung die Kostenübernahe für die mobile Ausstattung für das ... mit einem Notebook und Zubehör. Für die stationäre Ausstattung im Ausbildungsbetrieb ... GmbH wurde ein Bildschirm, der Drucker und Bürosoftware nicht übernommen mit der Begründung des technischen Beraters, der Ausbildungsbetrieb stelle diese Dinge zur Verfügung.

Zur Begründung der Ablehnung der Kostenübernahme für die mobile Ausstattung für das ... wurde darauf hingewiesen, dass § 10 a SchulG ... die Schulbehörden in die Pflicht nehme. Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift solle zur Durchsetzung der Integration in der Sekundarstufe II jedem Schüler die erforderliche Hilfe zur Verfügung gestellt werden. Dies gelte auch für die berufliche Bildung.

Gegen den Teilbewilligungsbescheid vom 15. Juni 2000 erhob die Schwerbehinderte Widerspruch mit Schreiben vom 18.6.2000 und führte aus, dass ohne eine mobile Schulausstattung die Aufnahme einer dualen Ausbildung ab 1. September 2000 unmöglich sei. Zwar habe die Beklagte auf den Antrag auf Ausbildungsförderung vom 19. Januar hin von Beginn an geäußert, dass bei einer dualen Berufsausbildung die Kosten für die Arbeitsplatzausstattung im Ausbildungsbetrieb und im ... übernommen würden. Es sei daher vollkommen unverständlich, wie erst einige Wochen vor Beginn der Ausbildung die Kostenübernahme insoweit abgelehnt werden könne. Der Ablehnungsgrund, der sich auf § 10 a SchulG ... beziehe, sei unvertretbar. Das gesetzgebende Organ habe mit dieser Vorschrift nicht bewirken wollen, dass jede Schule, an der ein Blinder integrativ beschult werden solle, mit blindengerechten PC-Schularbeitsplatzausstattungen ausgerüstet werde. Es habe bis heute im Land ... keine einzige dementsprechende Leistung in Berufsbildenden Schulen gegeben. Zudem handele es sich bei der Vorschrift um keine rechtsverpflichtende Vorschrift, im Gesetzestext heiße es nur, es "solle" die erforderliche Hilfe zur Verfügung gestellt werden. Die mobile Schulausstattung sei auch vom technischen Berater und den Reha-Beratern empfohlen worden. Der Schulrektor des ..., Herr ..., habe bereits betont, dass ihm keinerlei Mittel zur blindengerechten Arbeitsplatzausstattung zur Verfügung stünden. Nach seinen Aussagen verfüge die Schule nicht einmal über ausreichende Finanzen zur Beschaffung von Unterrichtsmitteln. Hingewiesen werde auch darauf, dass im Ausbildungsbetrieb ein tragbares Blindenschreib- bzw. Datenbankgerät, wie es mit dem Braille-Lite angeboten werde, zwingend notwendig sei. Telefonmitschriften, Zwischendurchnotizen, Mitschriften in anderen Zimmern und Objekten des Ausbildungsbetriebes seien ohne ein tragbares Schreibgerät nicht möglich. Ein Blinder könne nämlich nicht auf einen kostengünstigen Kugelschreiber zurückgreifen. Bei der teilbewilligten stationären Ausstattung könnten außerdem die peripheren blindenspezifischen Geräte und Softwareprogramme ohne PC-Betriebssystem mit Office-Paket nicht von der ...-Firma ... installiert und konfiguriert werden. Das bedeute, dass weder das Braille-Display noch die Sprachausgabe und die Texterkennung nutzbar seien. Es sei daher zwingend eine benutzergebundene Lizenz erforderlich und darüber hinaus ergebe sich die Frage, wie ein Ausbilder einen blinden Auszubildenden ohne Vorhandensein eines Monitors am PC betreuen solle.

Neben dem Widerspruchsverfahren verfolgte die Schwerbehinderte ihr Anliegen, für die Berufsausbildungsstelle ab 1. September 2009 im nötigen Umfang ausgestattet zu sein, weiter. Mit Schreiben vom 25. Mai 2000 übersandte auch die Beklagte den Vorgang ... "zuständigkeitshalber" an die Hauptfürsorgestelle ... mit der Bitte, die weiteren, nicht durch sie getragenen Kosten zu übernehmen. Unter Berücksichtigung des kurz bevorstehenden Ausbildungsbeginns, zunächst beabsichtigt bei der Firma ... GmbH, Niederlassung ..., nach Stornierung des Ausbildungsvertrages aber tatsächlich bei der ... und Bildung g. ..., gewährte die Hauptfürsorgestelle ... mit Bescheiden vom 5. Juli 2000 und 8. September 2000 aus Mitteln der Ausgleichsabgabe technische Arbeitshilfen in Höhe von 31.328,20 DM und 23.896 DM.

Mit Bescheid vom 5. Juli 2000 wurde gewährt:

VGA-Monitor: 420,00 DM
ISDN-Karte: 161,00 DM
Laserdrucker HP Laserjet 1100: 839,00 DM
HBS 6.0 Kurzschriftprogramm: 950,00 DM
Notebook ACR Travelmate 730: 5.640,00 DM
Zusatzakku: 320,00 DM
PCMCIA-Card: 289,00 DM
Fritz-Card: 525,00 DM
Scanner: 850,00 DM
Tintenstrahldrucker HP DeskJet 710 C: 395,00 DM
Braillex EL 40 Portable: 14.900,00 DM

Zwischensumme incl. Mehrwertsteuer: 29.335,24 DM

MS Windows Software 349,00 DM
MS Office 2000 Small Business 627,00 DM

Zwischensumme incl. Mehrwertsteuer: 30.467,40 DM

Akku-Steckerladegerät: 114,50 DM brutto
Akku: 27,80 DM brutto
Digital-Notizrekorder: 599,00 DM brutto
Sprechender Taschenrechner: 119,15 DM brutto
Gesamtsumme mit Mehrwertsteuer 31.328,20 DM

Auf Grund einer Kostenminderung wurden von den 31.328,20 DM nur 30.718,85 DM ausgezahlt.

Mit Bescheid vom 8. September 2000 wurde außerdem ein Zuschuss bewilligt zur Beschaffung eines Braille-Druckers (INDEX Everest mit Schalldämmbox) und eines Blindenschreibgerätes Braille-Lite in Höhe von insgesamt 23.896 DM. Zusammen somit 54.614,85 DM (= 27.924,13 EUR).

Mit Widerspruchsbescheid vom 6. Oktober 2000 lehnte der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch vom 8. Juni 2000 ab. Auf die Begründung wird Bezug genommen. Der Bescheid wurde bestandskräftig.

Mit Schreiben vom 22. August 2000 machte die Hauptfürsorgestelle gegenüber der Beklagten einen Erstattungsanspruch gemäß § 31 Abs. 5 SchwbG geltend.

Mit Schreiben vom 14. September 2000 und 20. September 2000 teilte die Beklagte mit, dass sie für die beantragten Leistungen nicht zuständig gemäß SGB III sei, sondern die "für das Schulgesetz des Landes ... richtige Stelle des Bezirksamts". Im Übrigen begründete sie ihren Standpunkt wie schon gegenüber der schwer behinderten Hilfeempfängerin.

Hierauf folgte ein weiterer Schriftwechsel zwischen der Hauptfürsorgestelle und der Beklagten, in dem die Hauptfürsorgestelle weiterhin unter Hinweis auf §§ 97, 114 a.F. SGB III um nochmalige Prüfung des Erstattungsanspruchs bat und das Arbeitsamt zunächst wiederum auf ihre angeblich fehlende Zuständigkeit verwies, später das Arbeitsamt ... die Sache an das Arbeitsamt ... abgab und das Arbeitsamt ... schließlich auf mehrfache Fristsetzungen mit Klageandrohung überhaupt nicht mehr antwortete. Schließlich wurde mit Schreiben vom 25. April 2000 Klage zum Verwaltungsgericht Berlin erhoben mit dem Antrag, die Beklagte zu verurteilen an das Land ... 27.924,13 EUR zu zahlen.

Der Kläger führte in seiner Klageschrift vom 25. April 2002 aus, dass sich der Rechtsweg zum Verwaltungsgericht für den geltend gemachten Anspruch aus § 102 SGB X i.V.m. § 114 SGB X ergebe (vgl. BVerwG vom 12.9.1991 - 5 C 42/87 und vom 26.9.1991 - 5 C 24/89). Der Hilfeanspruch der behinderten Hilfeempfängerin habe unstreitig bestanden, was sich aus den Feststellungen des Technischen Beratungsdienstes ergebe und vom Beklagten auch nicht bestritten worden sei. Dass es sich bei den zu leistenden technischen Hilfsmitteln um Leistungen zur beruflichen Rehabilitation handele, dürfe ebenfalls außer Zweifel stehen. Eine Leistungszuständigkeit des Klägers als Integrationsamt - damals Hauptfürsorgestelle - habe nicht bestanden. Der Kläger habe vielmehr eine Vorleistung erbracht, zu der er nach der zu dieser Zeit geltenden Rechtslage gemäß § 31 SchwbG berechtigt und auch verpflichtet gewesen sei. Diese Regelung solle verhindern, dass der Zuständigkeitsstreit auf dem Rücken der Betroffenen ausgetragen werde. Durch die Vorschrift wachse der Hauptfürsorgestelle bzw. Integrationsamt der Sache nach ein staatliches Wächteramt gegenüber dem zuständigen Rehabilitationsträger zu (BVerwG vom 26.9.1991 a.a.O.), der die begehrte Leistung aus materiell-rechtlichen Gründen abgelehnt habe. Entsprechend sei die Hauptfürsorgestelle für den zuständigen Leistungsträger (die Beklagte) eingesprungen. Die Beklagte müsse sich daher darauf verweisen lassen, dass die diesbezügliche Zuständigkeit der Hauptfürsorgestelle insgesamt - unbeschadet der Vorleistungsbefugnis nach § 31 Abs. 5 S. 1 SchwbG - subsidiär sei gegenüber der Zuständigkeit der Rehabilitationsträger, zu denen das Integrationsamt im Gegensatz zur Beklagten gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 SGB IX (vorher § 2 RehaAnglG) nicht gehöre (VGH Baden-Württemberg vom 4.6.1996 - 7 S 2557/94 - m.w.N.). Die Leistungsverpflichtung der Beklagten ergebe sich aus §§ 97, 114 SGB III a.F., § 114 Nr. 4 SGB III a.F. regele u.a. als sonstige Hilfen die Kostenübernahme für technische Arbeitshilfen, die wegen Art oder Schwere der Behinderung zur Berufsausübung erforderlich seien. Für die Gewährung komme es darauf an, dass die technischen Arbeitshilfen ausschließlich am Arbeits- oder Ausbildungsplatz benutzt würden (vgl. Lauterbach in Gagel, SGB III, München 2001, § 114 RdNr. 42). Das duale Ausbildungssystem der Bundesrepublik bringe es mit sich, dass der Ausbildungsplatz von Azubis geteilt sei in einen betrieblichen und einen schulischen. Da die technischen Arbeitshilfen aber die behinderungsbedingten Nachteile am Arbeits- oder Ausbildungsplatz ausgleichen sollten, sei darauf abzustellen, wo die Ausbildung des Berechtigten jeweils stattfinde. Dies seien beim Auszubildenden zwei Stellen, die in der Ausbildungssituation untrennbar verbunden seien. Beide Stellen seien mit den erforderlichen technischen Arbeitshilfen auszustatten, denn der Berechtigte könne andernfalls nur einen Teil der Ausbildung ableisten. Mit einem Teil - nur dem praktischen wie etwa die Beklagte meine - könne aber keine Ausbildung absolviert werden. Die gesamte berufliche Rehabilitation schlage in diesem Fall fehl. Die Beklagte habe also letztlich mit ihrer Teilbewilligung das Fehlschlagen der Ausbildung riskiert. Aus der vorliegenden Fallkonstellation ergebe sich daher, dass der zuständige Leistungsträger umfassende Hilfe zu leisten habe. Dies habe zur Zeit der Leistungserbringung auch dem im § 5 Abs. 2 RehaAnglG Normierten entsprochen, wonach jeder Träger die nach Lage des Einzelfalls erforderlichen Leistungen so vollständig und umfassend zu erbringen hatte, dass Leistungen eines anderen Trägers nicht erforderlich würden. Noch umfassender seien diese Grundsätze jetzt in §§ 10 - 12 SGB IX geregelt, wonach die Leistungsträger die gewährten Leistungen so koordinieren müssten, dass diese zügig und vollständig an den Leistungsberechtigten erfolgten und Abgrenzungsfragen einvernehmlich geklärt werden könnten. Dem sei die Beklagte durch ihr bisheriges Verhalten in keiner Weise gerecht geworden, insbesondere nicht, in dem sie die Kosten für mobile Arbeitshilfen "zuständigkeitshalber" zuerst an den Kläger und dann an den Schulträger weiterzureichen versuchte. Die Beklagte riskiere mit ihrer Auffassung daher nicht nur den Rehabilitationserfolg, sondern handle auch der gesetzlichen Regelung zuwider. Die betroffene Hilfeempfängerin habe daher Anspruch auf umfassende Ausstattung mit technischen Arbeitshilfen am Ausbildungsplatz und im .... Es habe auch keine anderweitige Kostenzuständigkeit vorgelegen. Die Bundesanstalt für Arbeit - vorher Arbeitsamt ... und jetzt Arbeitsamt ... - habe wiederholt sowohl gegenüber dem Kläger als auch gegenüber der betroffenen Hilfeempfängerin die Ansicht vertreten, dass für die Leistungen zur mobilen Ausbildungsplatzausstattung die Schulverwaltung zuständig sei. Dies ergebe sich aus § 10 a Abs. 6 SchulG mit der Formulierung: "Zur Durchsetzung der Integration in der Sekundarstufe II soll jedem Schüler und jeder Schülerin die erforderliche Hilfe zur Verfügung gestellt werden. Dies gilt auch für die berufliche Bildung." Diese Ansicht gehe fehl. Durch die zitierte Vorschrift werde zunächst schon keine Anspruchsgrundlage normiert, die ein subjektives Recht verschaffen würde (vgl. zur vergleichbaren Vorschrift in Niedersachsen OVG Lüneburg vom 29.11.1996 - 13 M 4539/96 in NJW 1997, 1087 f. m.w.N.). Es handle sich um eine Sollvorschrift. Des Weiteren sei die Schulverwaltung, ebenso wie das Integrationsamt des Klägers, kein Rehabilitationsträger im Sinne von § 6 SGB IX (vorher § 2 RehaAnglG). Leistungen zur beruflichen Rehabilitation seien niemals gegen die Schulverwaltung zu richten. Eine Überleitung der durch die Hauptfürsorgestelle vorfinanzierten Rehabilitationsleistungen auf den Schulträger sei schon begrifflich nicht möglich (§§ 102 ff. SGB X: Erstattung von Leistungsträgern). Die Gewährung der Leistungen nach § 114 a.F. SGB III stünden auch nicht im Ermessen der Beklagten. Die Ermessenseröffnung durch § 97 SGB III werde im Falle der besonderen Leistungen durch § 3 Abs. 5 SGB III beschränkt. Nach dieser Vorschrift seien die besonderen Leistungen zur beruflichen Eingliederung keine Ermessensleistungen. Dies ergebe sich im Übrigen auch aus § 102 SGB III, wonach die besonderen Leistungen bei Vorliegen der Voraussetzungen zu erbringen seien (Zum Ganzen Lauterbach, a.a.O., § 97 RdNr. 41). Dass die Voraussetzungen des § 102 SGB III bei der berechtigten Hilfeempfängerin vorlägen, sei angesichts ihrer Erblindung und dem festgestellten Grad der Behinderung von 100 unzweifelhaft. Im Übrigen könnte die Beklagte dem Erstattungsanspruch des Klägers auch ein Ermessen nicht entgegenhalten. Der Zahlungsanspruch sei ein Anspruch auf Kostenausgleich in Bezug auf die Sozialleistung, die die Berechtigte erhalten habe und die das ausgleichsberechtigte Integrationsamt wegen der Weigerung des an sich zuständigen Sozialleistungsträgers als Vorleistung habe erbringen müssen. Bei dieser Sach- und Rechtslage könne der an sich zuständige Leistungsträger dem aus der Vorleistungspflicht resultierenden Kostenausgleichsanspruch des Integrationsamtes allenfalls evidente Ermessensgründe entgegenhalten, auf Grund derer eine Ablehnung der Kann-Leistung in Frage gekommen wäre (BVerwG vom 26.9.1991 - 5 C 24/89 - unter Verweis auf die gleichlautende BSG-Rechtsprechung). Ein evidenter Ermessensfehler des Integrationsamtes liege schon nicht vor, weil es sich bei der Entscheidung auf die Begutachtung durch den Technischen Beratungsdienst der Beklagten gestützt habe. Dem Erstattungsanspruch des Klägers stehe schließlich auch nicht die Bestandskraft der Ablehnungsbescheide entgegen. Denn die Erstattungsansprüche nach den §§ 102 f. SGB X seien keine von der Rechtsposition des Berechtigten abgeleitete, sondern eigenständige Ansprüche (BVerwG vom 12.9.1991 - 5 C 42/87 und 26.9.1991 - 5 C 24/89). Entsprechend habe sich das Bundesverwaltungsgericht die ständige Judikatur des Bundessozialgerichts (etwa BSGE 62, 118 [123]; 58, 119 [126]; 52, 117 [121] usw.) zu eigen gemacht und festgestellt, dass in Erstattungsstreitigkeiten die Geltendmachung von verwaltungsverfahrensrechtlichen Einwendungen aus dem Sozialleistungsverhältnis abzulehnen sei. Die materielle Bestandskraft der Ablehnungsbescheide gegenüber der Hilfeempfängerin hindere danach nicht das Erstattungsbegehrten des Klägers. Die Ablehnungsbescheide entfalteten im vorliegenden Verfahren keine Tatbestandswirkung.

Die Beklagte nahm mit Schriftsatz vom 22. Oktober 2002 Stellung zur Klage des Klägers vom 25. April 2002 und führte im Wesentlichen aus, dass der Hilfeempfängerin bereits mit Antragstellung am 19. Januar 2000 technische Arbeitshilfen für eine beabsichtigte Ausbildung als Industriekauffrau bewilligt worden seien. Ab 1. September 2000 habe die Ausbildung bei der ... & ... GmbH, ..., ..., begonnen. Für die auszubildende Hilfeempfängerin sei durch den Ausbildungsbetrieb ein Antrag auf Gewährung eines Zuschusses zur Ausbildungsvergütung nach § 237 SGB III wegen Mehraufwand der Ausbildung auf Grund der Art und Schwere ihrer Behinderung bewilligt worden. Ebenso sei für die Hilfeempfängerin die Bewilligung von Leistungen gemäß § 97 SGB III in Verbindung mit § 114 a.F. SGB III erfolgt. Diese Leistung sei eine Kann-Leistung, auf die kein Rechtsanspruch bestehe. Auf dieser Grundlage sei die technische Ausstattung und Durchführung der Ausbildung am Arbeitsplatz gesichert. Mit dem Gesetz (zu Artikel 11 der Verfassung von Berlin) zur Herstellung gleichwertiger Lebensbedingungen von Menschen mit und ohne Behinderung vom 17. Mai 1999 sei in diesem Zusammenhang auch das ... Schulgesetz in der Fassung vom 12. März 1997 dahingehend geändert worden, dass gemäß § 10a Abs. 6 zur Durchsetzung der Integration auch Schülern der beruflichen Bildung die erforderliche Hilfe zur Verfügung zu stellen sei. Damit habe der Kläger die Verantwortung für die behindertengerechte Ausstattung der schulischen Ausbildung übernommen. Hieraus abgeleitet erkenne die Beklagte nicht, dass der Kläger, hier vertreten durch das Landesamt für Gesundheit und Soziales, eine Vorleistung gewährt habe, vielmehr sei durch den Kläger die zu erbringende Leistung erfolgt.

Mit Beschluss vom 24. August 2005 erklärte sich das Verwaltungsgericht Berlin für örtlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht Ansbach.

In der mündlichen Verhandlung vom 31. Juli 2008 ist für den Kläger niemand erschienen. Die Vertreterin der Beklagten führte aus, dass die mit Bescheid vom 5. Juli 2000 gewährten Hilfsmittel lediglich hinsichtlich des Notebooks, des Scanners, des Tintenstrahldruckers und des Braillex EL 40 portable für erforderlich gehalten würden, wie sich aus dem Technischen Gutachten der Beklagten ergebe. Die anderen Gegenstände seien von der Beklagten nicht geprüft worden und würden nicht für erforderlich gehalten, insbesondere nicht die im Bescheid vom 8. September 2000 bewilligten Leistungen. Die Vertreterin der Beklagten beantragte Klageabweisung.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die von den Beteiligten beigezogenen Akten, die Gerichtsakte und die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

BAYERN.RECHT

Entscheidungsgründe:

Für die zulässige Leistungsklage ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Gemäß § 114 Satz 1 SGB X ist für den Erstattungsanspruch derselbe Rechtsweg wie für den Anspruch auf die Sozialleistung gegeben. Nach Satz 2 der Vorschrift ist im Falle des § 102 SGB X der Anspruch gegen den vorleistenden Leistungsträger maßgebend. Der Kläger hat vorläufige Leistungen nach § 31 Abs. 5 Satz 2 SchwbG (BGBl I 1986, 1421, 1550, aufgehoben zum 30.6.2001 BGBl I 2001, 1046) erbracht. Bei Rechtsstreitigkeiten in Angelegenheiten der Schwerbehindertenfürsorge handelt es sich um öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art, die nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind und daher dem Verwaltungsrechtsweg unterfallen. Dies ergibt sich aus § 40 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 188 Satz 1 VwGO und § 51 Abs. 1 Nr. 7 SGG, wonach die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit nur über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in diesen Angelegenheiten entscheiden soweit die Feststellung von Behinderungen und ihrem Grad sowie weiterer gesundheitlicher Merkmale, ferner der Ausstellung, Verlängerung, Berichtigung und Einziehung von Ausweisen nach § 69 SGB IX betroffen sind.

Die Leistungsklage ist auch begründet. Dem Kläger steht der begehrte Kostenerstattungsanspruch für die nach § 31 Abs. 5 SchwbG vorläufig erbrachten Leistungen der beruflichen Rehabilitation in Form einer mobilen technischen Blindenausstattung für die sehbehinderte ... zur Ermöglichung der theoretischen Ausbildung im ... gemäß § 102 Abs. 1 SGB X in der geforderten Höhe von 27.924,13 EUR zu. Der Umfang der Erstattung richtet sich dabei nach dem Recht des vorleistenden Rechtsträgers (§ 102 Abs. 2 SGB X). Nach § 31 Abs. 5 SchwbG, gültig ab 1. August 1986 bis 30. Juni 2001, soll die Hauptfürsorgestelle vorläufig Leistungen gewähren, wenn ungeklärt ist, welcher Träger Leistungen zur begleitenden Hilfe im Arbeits- und Berufsleben zu gewähren hat oder die unverzügliche Einleitung der erforderlichen Maßnahmen aus anderen Gründen gefährdet ist. Hat die Hauptfürsorgestelle Leistungen erbracht, für die ein anderer Träger zuständig ist, so hat dieser die Leistungen zu erstatten. Der Erstattungsanspruch verjährt in zwei Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem zuletzt vorläufig Leistungen erbracht worden sind.

Es bestehen keine ernsthaften rechtlichen Zweifel daran, dass die Beklagte zuständiger Träger für Leistungen zur beruflichen Rehabilitation für die schwerbehinderte ... in Form einer berufsfördernden Bildungsmaßnahme war. Mit Teilbewilligungsbescheid vom 15. Juni 2000 hat die Beklagte ihre Zuständigkeit selbst angenommen. Die Beklagte hat sich - entgegen der Empfehlung in dem von ihr in Auftrag gegebenen psychologischen Gutachten - für die Förderung einer Berufsausbildung der Schwerbehinderten außerhalb eines Berufsbildungswerkes für Blinde und Sehbehinderte im dualen System mit einer praxisbezogenen Ausbildung im Ausbildungsbetrieb und einer theoretischen Ausbildung an einer herkömmlichen Berufsschule (...) entschieden. Im psychologischen Gutachten wurde darauf hingewiesen, dass auf Grund der besonderen gesundheitlichen Einschränkungen und der Notwendigkeit spezieller blindentechnischer Hilfsmittel die besonderen Bedingungen eines Berufsbildungswerkes für Blinde und Sehbehinderte ratsam erscheinen. Diese duale Berufsausbildung hat die Beklagte mit Bewilligungsbescheid vom 15. Juni 2000 auch durch die Gewährung von Leistungen zur Förderung der Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben in Form sonstiger Hilfen nach § 114 Nr. 4 a.F. SGB III gefördert sowie durch Arbeitshilfen für Behinderte an den Arbeitgeber nach § 237 SGB III. Hat sich die Beklagte aber entschieden, eine Berufsausbildung im dualen System an einer herkömmlichen, nicht auf die Behinderung eingestellten Berufsschule zu fördern und gleichzeitig bei der Bewilligung der technischen Arbeitshilfen für den Ausbildungsbetrieb nicht dafür Sorge zu tragen, dass diese technischen Arbeitshilfen auch mobil einsetzbar und verwendbar sind, war die Beklagte verpflichtet, zur Ermöglichung der von ihr dem Grunde nach geförderten Maßnahme zusätzlich die blindentechnischen Arbeitshilfen für die Berufsschule zur Verfügung zu stellen. Andernfalls musste es sich ihr aufdrängen, dass sie dadurch den Erfolg der von ihr selbst geförderten Leistung in Frage stellt, soweit - worauf später noch eingegangen werden wird - die technischen Arbeitshilfen nicht von der Schule zur Verfügung gestellt werden oder werden müssen. Die Beklagte hat daher gesetzwidrig die von ihr geförderte Berufsausbildungsmaßnahme auf die Ausstattung der Arbeits- und Ausbildungsplatzes im Ausbildungsbetrieb beschränkt, die Leistungen für die Ausstattung der Berufsschule jedoch versagt. Nach §§ 97 Abs. 1, 98 Abs. 1, 100 Nr. 2 und 5 SGB III kann die Beklagte behinderten Menschen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben Leistungen erbringen, die wegen der Art und Schwere erforderlich sind, um ihre Erwerbsfähigkeit zu erhalten, zu bessern oder herzustellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben zu sichern. Als allgemeine Leistungen, die im Ermessen der Beklagten stehen, können Maßnahmen zur Verbesserung der Aussichten auf die Teilhabe am Arbeitsleben oder die Förderung der Berufsausbildung gewährt werden. Besondere Leistungen nach § 102 SGB III stehen nach § 3 Abs. 5 SGB III nicht im Ermessen der Beklagten und sind anstelle der allgemeinen Leistungen insbesondere zur Förderung der beruflichen Aus- und Weiterbildung einschließlich der Berufsvorbereitung sowie blindentechnischer und vergleichbarer spezieller Grundausbildungen zu erbringen, u.a., wenn die allgemeinen Leistungen, die wegen Art oder Schwere der Behinderung erforderlichen Leistungen nicht oder nicht im erforderlichen Umfang vorsehen. Als sonstige Hilfen konnten nach § 114 Nr. 4 SGB III a.F. u.a. erbracht werden die Kostenübernahme für technische Arbeitshilfen, die wegen Art oder Schwere der Behinderung zur Berufsausübung erforderlich sind.

Die Begründung im Teilbewilligungsbescheid vom 15. Juni 2000 für die Versagung der Kostenübernahme für die mobile Ausstattung im ... stellt den Kostenerstattungsanspruch nicht in Frage. Hier wird insbesondere auf § 10 a SchulG Berlin Bezug genommen und die Ansicht vertreten, die Schulverwaltung sei für die Ausstattung mit den blindentechnischen Arbeitshilfen verantwortlich.

Diese Vorschrift lautet in Absatz 6: "Zur Durchsetzung der Integration (Anmerkung: von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf) in der Sekundarstufe II soll jedem Schüler die erforderliche Hilfe zur Verfügung gestellt werden. Dies gilt auch für die berufliche Bildung".

Absatz 8 Satz 2 der Vorschrift lautet: "Die Beschulung von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf in der allgemeinen Schule erfordert eine personelle, räumliche und sachliche Ausstattung und steht unter dem Vorbehalt, dass der Haushaltsplan dafür entsprechende Stellen und Mittel vorsieht". Die Beklagte hat im Bescheid vom 15. Juni 2000 und im Verfahren nicht dargelegt, dass in der Berufsschule (...) eine solche sachliche und technische Ausstattung vorhanden war, die Schule eine solche Ausstattung angeboten hätte oder Haushaltsmittel dafür ausgewiesen waren. Demgegenüber hat die Behinderte mit Schreiben vom 18. Juni 2000 unwidersprochen vorgetragen, dass der Schulrektor des ..., Herr ..., betont habe, dass ihm keinerlei Mittel zur blindengerechten Arbeitsplatzausstattung zur Verfügung stünden. Die Schule verfüge nicht einmal über ausreichende Finanzen zur Beschaffung von Unterrichtsmitteln. Diesen Ausführungen hat die Beklagte im Verfahren nicht widersprochen. Eine Verweigerung der erforderlichen Ausstattung der Schwerbehinderten mit einer technischen Ausrüstung, die ihr erst den theoretischen Schulbesuch ermöglicht, war daher unter Hinweis auf ein Gesetz, das ersichtlich eine Sollbestimmung enthält, die zudem unter einem Finanzierungsvorbehalt steht, nicht rechtmäßig. Jeder Rehabilitationsträger hat die erforderlichen Leistungen so vollständig und umfassend zu erbringen, dass Leistungen eines anderen (weiteren) Trägers nicht erforderlich werden. Dieser Rechtsgedanke findet sich in § 5 Abs. 2 RehaAnglG in der Fassung vom 16. Dezember 1997, gültig bis 30. Juni 2001. Diese Konzentrationsmaxime schließt es im Einzelfall natürlich nicht aus, nach der Leistungserbringung aus einer Hand Erstattungsansprüche gegenüber anderen Trägern (etwa den Schulbehörden) zu prüfen. Vermieden werden soll aber durch diese Vorschrift ersichtlich, dass ein an sich zuständiger Leistungsträger die Leistung so unvollständig erbringt, dass ein anderer für ihn vorläufig einspringen muss, um zu gewährleisten, dass der Rehabilitationserfolg sich einstellen kann. Vielmehr soll der zuständige Rehabilitationsträger die Leistungen nicht nur vollständig und umfassend erbringen, sondern auch sonstige Leistungen erbringen, die erforderlich sind, um das Ziel der Rehabilitation zu erreichen und zu sichern (§§ 12 Nr. 7, 20 RehaAnglG).

Wegen dieser Verweisung der Schwerbehinderten auf offenbar nicht realisierbare Ansprüche gegen Schulbehörden war die Hauptfürsorgestelle nach den für sie geltenden Vorschriften (§ 31 Abs. 5 SchwbG) gehalten, vorläufige Leistungen zu erbringen, um den Zweck der von der Beklagten bewilligten Rehabilitationsmaßnahme, die zeitlich unmittelbar bevorstand, nicht in Frage zu stellen. Der Beklagte hat daher nach §§ 31 Abs. 5 Satz 2 SchwbG, 102 Abs. 1 SGB X die vorläufig erbrachten Leistungen zu erstatten.

Der Erstattungsanspruch ist auch nicht nach § 31 Abs. 5 Satz 3 SchwbG verjährt, da die Leistung im Juli 2000 gewährt wurde und die Klage im April 2002 erhoben wurde.

Der Anspruch auf Erstattung ist auch nicht ausgeschlossen nach § 111 SGB IX, da die Hauptfürsorgestelle bereits mit Schreiben vom 22. August 2000 einen Erstattungsanspruch gemäß § 31 Abs. 5 SchwbG gegenüber der Beklagten geltend gemacht hat.

Dem Erstattungsanspruch steht auch nicht im Wege, dass die Beklagte hinsichtlich der von der Hauptfürsorgestelle bewilligten Arbeitshilfen von dem ihr eingeräumten Ermessen in § 97 Abs. 1 SGB III bzw. 114 a.F. SGB III hätte Gebrauch machen und diese Leistung ablehnen können. Zum einen ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass sich die Beklagte, obwohl andere Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung standen, für die Förderung einer beruflichen Rehabilitation in Form einer herkömmlichen Berufsausbildung im dualen System entschieden hat und damit ihren Ermessensspielraum hinsichtlich der technisch notwendigen Blindenausstattung des ... selbst beschränkt hat. Zum anderen bestimmt § 102 Abs. 2 SGB X, dass sich der Umfang des Erstattungsanspruchs nach den für den vorleistenden Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften richtet. Die Prüfungen und Entscheidungen der Hauptfürsorgestelle, die der vorläufigen Leistungsgewährung vorangegangen ist und bei der sowohl der Bericht der Technischen Beratung des Arbeitsamtes berücksichtigt wurde als auch fundierten Einwendungen der Familie ... ist zu entnehmen, dass die bewilligten technischen Arbeitshilfen für unumgänglich gehalten wurden, um das Ausbildungsziel der Schwerbehinderten nicht zu gefährden und sie in die Lage zu versetzen, auch in der Berufsschule mitzuarbeiten, sich selbst Notizen anzufertigen und ohne Unterbrechung einer angefangenen Arbeit am Computer Rechenfunktionen durchführen zu können. Dies gilt auch für den mit Bescheid vom 8. September 2000 nachträglich genehmigten Braille-Drucker und das Blindenschreibgerät Braille-Lite. Bei dieser Sach- und Rechtslage kann der an sich zuständige Leistungsträger dem aus der Vorleistungspflicht resultierenden Kostenausgleichsanspruch allenfalls evidente Ermessensgründe entgegenhalten, auf Grund deren eine Versagung der Kannleistung in Frage gekommen wäre (BSGE 66, 174, 177). Solche Gründe sind hier aber nicht erkennbar und wurden auch nicht vorgetragen. Vielmehr erscheint die teilweise Versagung als evidenter Ermessensfehler, da hierdurch der Erfolg der bewilligten Rehabilitationsmaßnahme insgesamt in Frage gestellt wurde.

Auch die bestandskräftige Ablehnung des Widerspruchs der Behinderten gegen den Teilbewilligungsbescheid der Beklagten (Bescheid vom 15.6.2000, Widerspruch vom 18.6.2000 und Widerspruchsbescheid vom 6.10.2000) steht dem Erstattungsbegehren nicht im Wege.

Die Erstattungsansprüche sind keine vom Hilfeempfänger abgeleiteten Ansprüche, sondern eigenständige Ansprüche (BSGE 61, 66, 68). Verwaltungsverfahrensrechtliche Einwendungen aus dem Sozialleistungsverhältnis sind im Erstattungsverfahren daher ausgeschlossen (BayVGH vom 15.6.2007 - 12 BV 05.2577 -; BSGE 58, 119, 126; 62, 113, 123;).

Auch aus dem Rechtsinstitut der Tatbestandswirkung von Verwaltungsakten ergibt sich nichts anderes. Ablehnenden Sozialverwaltungsakten kommt eine Tatbestandswirkung in dem Sinne, dass der Inhalt des Ablehnungsbescheides von anderen Sozialleistungsträgern in anderen Verwaltungsverfahren hinzunehmen wäre, grundsätzlich nicht zu (Urteil des Bundessozialgerichts vom 24.7.1986 - 7 RAr 13/85 -).

Anderes folgt auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Regelungsbefugnis des zuständigen Sozialleistungsträgers in einem gegliederten, auf dem Prinzip der Aufgabenteilung beruhenden Sozialleistungssystem, die von anderen Leistungsträgern - auch inhaltlich - zu akzeptieren sei mit der Folge, dass jeder Leistungsträger primär die Entscheidung des anderen zu respektieren und seinen Entscheidungen zugrunde zu legen habe (so: BSGE 57, 146, 149). Diese Entscheidungen betrafen nämlich Erstattungsansprüche nach §§ 103, 104 SGB X und es wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass dies nur gelte, soweit nicht das Gesetz ausdrücklich etwas anderes anordne. Eine solche Anordnung besteht aber im vorliegenden Fall mit § 31 Abs. 5 Satz 2 SchwbG und § 102 Abs. 2 SGB X.

Dem Erstattungsanspruch kann auch nicht entgegengehalten werden, der Kläger habe in eigener Zuständigkeit gehandelt und Leistungen nach § 31 Abs. 1 bis 3 SchwbG erbracht. Bereits die Aufgabenbeschreibung für die hier in Frage kommende begleitende Hilfe im Arbeits- und Berufsleben nach § 31 Abs. 1 Nr. 3 SchwbG zeigt zwar weitgehende Überschneidungen mit den Leistungen zur Rehabilitation, die die Beklagte zu erbringen hat, auf. Wenn es dort heißt, die nachgehende Hilfe im Arbeitsleben solle u.a. dahin wirken, dass die Schwerbehinderten durch Leistungen der Rehabilitationsträger befähigt werden, sich am Arbeitsplatz und im Wettbewerb mit Nichtbehinderten zu behaupten, so liegt dem erkennbar die Vorstellung zugrunde, dass in diesem Bereich der Sicherung des Rehabilitationserfolges sich Leistungen der Rehabilitationsträger und der Hauptfürsorgestellen weitgehend decken. Jedoch weist § 31 Abs. 4 SchwbG auf die vorrangige Leistungspflicht der Rehabilitationsträger hin: Leistungen der Rehabilitationsträger dürfen nicht deshalb versagt werden, auch wenn auf sie ein Rechtsanspruch nicht besteht, weil nach dem Schwerbehindertengesetz entsprechende Leistungen vorgesehen sind; eine Aufstockung durch Leistungen der Hauptfürsorgestelle findet nicht statt. Schließlich macht § 31 Abs. 5 SchwbG klar, dass ein Erstattungsanspruch besteht, wenn ein anderer Träger für die erbrachten Leistungen zuständig ist.

An der Zuständigkeit der Beklagten für die berufliche Rehabilitationsmaßnahme (bestanden) und bestehen jedoch keine Zweifel. Bei der schwerbehinderten ... handelt es sich um einen behinderten Menschen im Sinne des § 19 Abs. 1 SGB III. Mit Abhilfebescheid des Versorgungsamtes II Berlin vom 8. April 1993 wurde für Frau ... wegen Blindheit ein Grad der Behinderung von 100 festgesetzt und die Merkzeichen B, G, H, Bl, RF, VKS. Unzweifelhaft haben verschiedentliche Begutachtungen ergeben, dass auf Grund der Art und Schwere ihrer Behinderung die Aussichten der Behinderten beruflich eingegliedert zu werden, wesentlich gemindert sind, so dass sie besonderer Hilfe bedarf. Die Gutachten haben weiter ergeben, dass die Behinderte für kaufmännische und verwaltende Berufe prinzipiell eine Mindesteignung aufweist und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt überwiegend eine vollschichtig leichte bis mittelschwere Arbeit mit verschiedentlichen Einschränkungen verrichten kann. Soweit im Bewilligungsbescheid vom 15. Juni 2000 der Beklagten die Entscheidung getroffen wurde, der Schwerbehinderten eine Berufsausbildung im dualen System zu ermöglichen und die technische Ausstattung am Arbeitsplatz zu gewährleisten, ist diese Entscheidung im Ergebnis rechtlich nicht zu beanstanden. Die Beklagte war daher zuständiger Rehabilitationsträger und nach dem Grundsatz der umfassenden Leistungsverpflichtung des zuständigen Rehabilitationsträgers, der in §§ 5 Abs. 2, 12 Nr. 7, 20 RehaAnglG zum Ausdruck gebracht wurde, verpflichtet, alle erforderlichen Leistungen so vollständig und umfassend zu erbringen, dass Leistungen eines anderen (weiteren) Trägers nicht erforderlich werden. Der Träger der beruflichen Rehabilitation ist zudem angehalten, auch sonstige Leistungen zu erbringen, die erforderlich sind, um das Ziel der Rehabilitation zu erreichen oder zu sichern.

Dem Erstattungsanspruch steht auch nicht entgegen, dass durch die vorläufige Leistung die Hauptfürsorgestelle faktisch in die Lage versetzt wird, unrichtige Entscheidungen des Rehabilitationsträgers durch eine vorläufige Leistungsgewährung zu revidieren. Es liegt hier keine gesetzwidrige Umgehung der Entscheidungsbefugnisse des Beklagten vor. Der Gesetzgeber hat die Hauptfürsorgestellen zum Schutz der Schwerbehinderten eingerichtet. Das Schwerbehindertengesetz ist in erster Linie "Fürsorgegesetz". Dieser Zielsetzung entspricht es, der Hauptfürsorgestelle eine Kontrollfunktion einzuräumen, um sicherzustellen, dass dem Schwerbehinderten die vom Gesetz zugedachte Hilfe möglichst effektiv, bedarfsgerecht und zeitnah zukommt. Eine Einmischung der Hauptfürsorgestelle wird daher vom Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen und resultiert in der Vorleistungspflicht des § 31 Abs. 5 SchwbG (vgl. dazu Urteil des BVerwG vom 26.9.1991 - 5 C 24/89).

Die Beklagte kann schließlich nicht einwenden, es wäre die Zuständigkeit des Krankenversicherungsträgers (§ 33 SGB V) gegeben. Die von der Vertreterin in der mündlichen Verhandlung zitierten Entscheidungen des BSG (8 RKn 13/88 vom 15.11.1989; 3 RK 29/87 vom 12.10.1988; 11 RAr 115/93 vom 26.7.1994 und 3 RK 13/89) vom 8. März 1990 betreffen die Befriedigung elementarer Grundbedürfnisse des Menschen am Beispiel von Schutzbrillen, Schalenstühlen, Arbeitssicherheitsschuhen und Arbeitsrollstühlen.

Die Schwerbehinderte hatte schon während ihrer Schulausbildung technische Hilfen im häuslichen Bereich genutzt (PC und Lese-Vox), die ihr u.a. von der Krankenkasse zur Verfügung gestellt worden waren. Sie hatte daher schon vor der streitigen Leistungsgewährung die Möglichkeit elementare Grundbedürfnisse des täglichen Lebens, wie Kommunikation und Information zu befriedigen.

Im vorliegenden Fall wurden die technischen Arbeitshilfen für das ... erforderlich, nachdem die Schwerbehinderte von der Oberstufe Gymnasium abgegangen war und mit Billigung der Beklagten eine Berufsausbildung im herkömmlichen dualen System angestrebt hat. Maßnahmen der beruflichen Eingliederung sind jedoch keine den Krankenkassen obliegenden Leistungen der Krankenpflege oder medizinischen Rehabilitation (BSG vom 12.10.1988 - 3 RK 29/87).

Zudem ist die zusätzliche Ausstattung mit technischen Arbeitshilfen für die Berufsschule nur dadurch erforderlich geworden, dass die Berufsausbildung im herkömmlichen dualen System an einer Berufsschule, die nicht auf die besonderen (technischen) Bedürfnisse von Sehbehinderten und Blinden eingerichtet war und nicht etwa - wie in dem von der Beklagten in Auftrag gegebenen psychologischen Gutachten empfohlen - in einem Berufsbildungswerk für Blinde und Sehbehinderte gefördert wurde.

Es bleibt daher bei der Zuständigkeit der Beklagten.

Der Klage war daher in vollem Umfang stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 1 VwGO.

Das Verfahren ist gemäß § 188 Satz 2 2. Halbsatz VwGO nicht gerichtskostenfrei. Die Berufung war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht §§ 708 Nr. 11, 709 ZPO.


Beschluss

Der Streitwert wird auf 27.924,13 EUR festgesetzt (§ 52 Abs. 3 GKG).

Beschluss

Das Urteil vom 31. Juli 2008 wird in Ziffer 1 des Urteilstenors wie folgt berichtigt:

Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die Kosten der mit Bescheiden vom 5. Juli 2000 und 8. September 2000 an die Schwerbehinderte Daniela Röhle gewährten Leistungen für technische Arbeitshilfen in Höhe von insgesamt 27.924,13 EUR (54.614,85 DM) zu erstatten.

Gründe:

Die Berichtigung beruht auf § 118 Abs. 1 VwGO. Versehentlich wurde ein vom Klageantrag abweichender und mit dem tenorierten Euro-Betrag nicht übereinstimmender DM-Betrag im Tenor aufgenommen. Aus der Begründung des Urteils ergibt sich zweifelsfrei, dass der Anspruch in Höhe des geforderten Betrages von 54.614,85 DM zugesprochen werden sollte.

Referenznummer:

R/R5486


Informationsstand: 10.01.2013