Die gemäß §§ 143 und 144 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) statthafte Berufung ist zulässig; sie ist insbesondere form- und fristgerecht gemäß § 151
Abs. 1
SGG eingelegt worden.
Die Berufung der Beklagten ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat mit dem angefochtenen Urteil im Ergebnis zu Recht die Beklagte verurteilt, der Klägerin die Kosten für die Beschaffung der Hörgeräte HÖ1 micro Power V 300 dAZ abzüglich des von der Beigeladenen zu 1. übernommenen Anteils zu erstatten. Anspruchsgrundlage ist allerdings
§ 13 Abs. 3 SGB V i.V.m. § 15 SGB IX, deren Voraussetzungen erfüllt sind, wie dies die ergänzenden Beweiserhebungen durch den Senat ergeben haben.
Soweit es sich mithin dem Grunde nach um einen krankenversicherungsrechtlichen Anspruch
bzw. Anspruch auf Leistung zur medizinischen Rehabilitation mit Zuständigkeit der gesetzlichen Krankenkasse handelt, ist im Hinblick auf den Hilfsantrag der Beklagten festzustellen, dass eine Verurteilung der Beigeladenen zu 1. im vorliegenden Berufungsverfahren zwar an sich in Betracht gekommen wäre. Voraussetzung ist insoweit u.a., dass im Verhältnis des Klägers zum Beigeladenen eine Klage noch möglich und der Bescheid, der den streitigen Sachverhalt regelt, noch nicht bindend geworden ist (so auch
LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 11. Oktober 2011,
L 11/12 AL 79/08). Dies ist hier der Fall. Die Beigeladene zu 1. hat auf den am 29. Oktober 2007 gestellten Leistungsantrag mit Bescheid vom 12. November 2007 Erstattung im Rahmen der Festbetragsregelung in Höhe von 828,88
EUR abzüglich 20,00
EUR Zuzahlung geregelt, den die Klägerin mit am 30. November 2007 erhobenen Widerspruch angefochten hat. Die Beigeladene zu 1. hat das Widerspruchsverfahren bis zur Entscheidung des Klageverfahrens gegen die Beklagte des vorliegenden Verfahrens ruhend gestellt, so dass im Ergebnis noch kein bindender Bescheid der Beigeladenen zu 1. vorliegt.
Die mit dem Hilfsantrag erstrebte Verurteilung der Beigeladenen zu 1. scheitert jedoch daran, dass die Beklagte - unabhängig von der heranzuziehenden materiellen Rechtslage - zuständiger Leistungsträger ist und auch bleibt und sie lediglich von der Beigeladenen zu 1. Erstattung verlangen kann (
§ 14 Abs. 4 S. 1 SGB IX). Nach § 14
Abs. 1
S. 1 und 2 sowie
Abs. 2
S. 1
SGB IX hat ein Träger innerhalb von zwei Wochen nach Eingang eines Leistungsantrages seine Zuständigkeit zu prüfen und, sofern er den Antrag nicht weiterleitet, den Rehabilitationsbedarf unverzüglich festzustellen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der der Senat insoweit folgt, hat der erstangegangene Leistungsträger, sofern er einen Antrag auf Leistungen zur Teilhabe nicht unverzüglich nach Ablauf der Zweiwochenfrist an den seiner Meinung nach zuständigen Träger weitergibt, Leistungen aufgrund aller Rechtsgrundlagen zu erbringen, die in dieser Bedarfssituation für behinderte Menschen vorgesehen sind. Die ("formelle") Zuständigkeit des erstangegangenen Trägers ändert sich auch nicht dadurch, dass dieser das Verwaltungsverfahren durch Erlass eines - und sei es bindenden - Verwaltungsakts abschließt. Er bleibt vielmehr auch für ein mögliches Verfahren nach § 44 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (
SGB X) zuständig (
vgl. zu allem
BSG, Urteile vom 21. August 2008,
B 13 R 33/07 R u. 20. Oktober 2009,
B 5 R 5/07 R).
Davon ausgehend sind hier die Voraussetzungen des § 14
Abs. 2
S. 1
SGB IX erfüllt. Zunächst geht es bei der Versorgung der Klägerin mit Hörgeräten um Leistungen zur Teilhabe, die sich auf die Versorgung mit Hilfsmitteln erstrecken (
§§ 4,
31 und
33 Abs. 3 Nr. 6, Abs. 8 S. 1 Nr. 4 SGB IX).
Die Beklagte ist auch der erstangegangene Leistungsträger, denn der erste Teilhabeantrag ist dort am 11. April 2007 gestellt worden, der erste Leistungsantrag gegenüber der Beigeladenen zu 1. dagegen am 29. Oktober 2007. Hierbei ist unbeachtlich, dass die Beklagte fälschlich das Ablehnungsschreiben vom 11. Juni 2007 nicht als Verwaltungsakt angesehen und den dagegen erhobenen Widerspruch unzutreffend als unzulässig verworfen hat. Insoweit erfüllt das Schreiben vom 11. Juni 2007 alle Anforderungen, die an einen Verwaltungsakt zu stellen sind (§ 31
S. 1
SGB X). Aus dem Schreiben geht die Entscheidung der Beklagten hervor, die beantragte Leistung unter Hinweis auf fehlende Zuständigkeit abzulehnen. Sie hat mithin eine Entscheidung als Einzelfallregelung im Sinne des § 31
S. 1
SGB X getroffen, ohne dass es auf die äußere Form des Schreibens sowie den Umstand ankommt, dass dem Schreiben keine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt war. Dies hat zur Folge, dass der zweite Leistungsantrag vom 15. November 2007 als Überprüfungsantrag nach § 44
SGB X zu werten und das zweite Ablehnungsschreiben vom 22. November 2007 als Überprüfungsbescheid anzusehen ist. In diesem Schreiben hat die Beklagte im Übrigen der Klägerin mitgeteilt, es bleibe bei der getroffenen "Entscheidung" aus den "in dem Ablehnungsbescheid vom 11. Juni 2007" erläuterten Gründen. Mithin hat sie das vorangegangene Ablehnungsschreiben selbst als Verwaltungsakt gewertet. Nichts anderes kann für das Schreiben vom 22. November 2007 gelten. Der dagegen am 29. November 2007 erhobene Widerspruch (auf den kein Widerspruchsbescheid, sondern der Bescheid vom 12. Dezember 2007 erfolgte) ist wiederum als Überprüfungsantrag zu werten, so dass der Bescheid vom 12. Dezember 2007 einen weiteren Überprüfungsbescheid darstellt. Dieser Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Februar 2008 ist Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Nach allem ist die Beklagte erstangegangener Leistungsträger und sie bleibt für Verfahren nach § 44
SGB X zuständig. Eine andere Beurteilung ergäbe sich im Übrigen auch nicht unter Zugrundelegung der Auffassung der Beklagten, die Schreiben vom 11. Juni 2007 und 22. November 2007 stellten keine Bescheide dar. In diesem Fall wäre der am 11. April 2007 gestellte Antrag erstmals mit dem im vorliegenden Verfahren angefochtenen Bescheid vom 12. Dezember 2007 beschieden worden. Auch wenn die Klägerin einen weiteren Antrag am 16. November 2007 gestellt hat, ändert dies nichts daran, dass der erste Antrag bis zu dem genannten Bescheid unbeschieden und das entsprechende Antragsverfahren bis dahin noch offen war. Insofern kann ein durch einen Leistungsantrag eröffnetes Verwaltungsverfahren nicht durch formlose Schreiben beendet werden. Mithin ist die Beklagte unter jedem Gesichtspunkt der erstangegangene Leistungsträger.
Weiter ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte den Antrag vom 11. April 2007 an die Beigeladene zu 1. weitergeleitet hat. Hierzu enthält die Akte der Beigeladenen zu 1. nichts, lediglich das zweite Ablehnungsschreiben der Beklagten vom 22. November 2007 befindet sich in der Akte, allerdings vorgelegt von der Klägerin. Soweit die Akte der Beklagten zwar ein Vordruckschreiben vom 21. November 2007 enthält, mit dem diese offenbar nach Prüfung der Zuständigkeit gemäß § 14
Abs. 1
SGB IX im Falle von Anträgen auf Teilhabe am Arbeitsleben diese an die zuständige Krankenkasse weiterleitet, ist das Schreiben jedoch nicht adressiert, in den Lücken wurden keine auf das Verfahren bezogene konkrete Daten eingefügt und im Übrigen ist der Vermerk "Entwurf" angebracht. Dies gilt entsprechend für ein Schreiben, ebenfalls mit Datum vom 21. November 2007, das die Beklagte offenbar in vergleichbaren Fällen an den Antragsteller sendet. Eine Absendung der beiden Schreiben ist damit nicht ersichtlich. Davon abgesehen beziehen sie sich auf den zweiten Leistungsantrag vom 15. November 2007, was aus dem zeitlichen Zusammenhang geschlossen werden kann. In der Folge des ersten Leistungsantrages vom 11. April 2007 finden sich im Übrigen keine entsprechenden Schreiben in der Verwaltungsakte der Beklagten. Damit hat es dabei zu verbleiben, dass die Beklagte den Antrag der Klägerin vom 11. April 2007 nicht weitergeleitet hat mit der Folge, dass sie für Leistungen aufgrund aller in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen zuständig bleibt, unabhängig davon, ob sie hierfür überhaupt "formell" zuständig ist.
Soweit das Sozialgericht einen Anspruch der Klägerin im Rahmen beruflicher Teilhabeleistungen gemäß § 33
Abs. 3
Nr. 6,
Abs. 8
S. 1
Nr. 4
SGB IX i.V.m. § 97
Abs. 1 und 2
SGB III (in der bis zum 31. März 2012 geltenden Fassung) - für die die Beklagte originär zuständig ist - bejaht und die Beklagte entsprechend verpflichtet hat, vermag der Senat dem jedoch nicht zu folgen. Die Voraussetzungen für berufliche Teilhabeleistungen sind eng gefasst, hierunter fallen nur solche Hilfsmittel, die zum Ausgleich einer Behinderung für eine bestimmte Berufsausübung erforderlich sind und nicht (wie Hörhilfen) generell für alle beruflichen Tätigkeiten benötigt werden - oder sogar auch für Teilnahme am gesellschaftlichen Leben überhaupt (so
BSG vom 21. August 2008 a.a.O.
m.w.N.). Dies kann bereits dem Wortlaut von § 33
Abs. 8
S. 1
Nr. 4
SGB IX entnommen werden, wonach "Hilfsmittel, die wegen Art oder Schwere der Behinderung zur Berufsausübung, zur Teilnahme an einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben oder zur Erhöhung der Sicherheit auf dem Weg von und zum Arbeitsplatz und am Arbeitsplatz erforderlich sind" erfasst werden. Davon ausgehend unterfallen die von der Klägerin angeschafften Hörgeräte nicht beruflichen Teilhabeleistungen, denn die Klägerin wäre auch in anderen beruflichen Tätigkeiten auf die Hörgeräte angewiesen. Darüber hinaus bewirken die Geräte einen Behinderungsausgleich auch im Alltagsleben
bzw. im Rahmen der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben, was noch auszuführen sein wird. Soweit die abweichende Beurteilung des Sozialgerichts auf den Ausführungen des Sachverständigen
Prof. Dr. WW. im Gutachten vom 24. Oktober 2008
bzw. seiner ergänzenden Stellungnahme vom 20. April 2009 beruht, hat dieser zwar in den Vordergrund gestellt, dass ein Verständigungsgewinn insbesondere bei Auftreten von Störschall zu erzielen ist und wegen der am Arbeitsplatz vorhandenen Störgeräusche gerade für die Arbeitssituation die Versorgung mit digitalen Hörgeräten deutliche Vorteile bringe. Insoweit ergebe die Ausstattung mit dem angeschafften Hörgerätesystem eine deutliche Verbesserung der Verständigungssituation am Arbeitsplatz. Diese Beurteilung schließt jedoch nicht aus, dass das von der Klägerin gewählte digitale Hörgerätesystem wesentliche Vorteile auch bei der Ausübung einer anderen beruflichen Tätigkeit und im Alltagsleben erbringt. Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Leistung von Hilfsmitteln im Rahmen von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nachrangig ist, was sich aus § 33
Abs. 8
S. 1
Nr. 4
SGB IX ergibt, wonach die Leistungen sich auf Kosten für Hilfsmittel erstrecken können, "es sei denn, dass ... solche Leistungen als medizinische Leistung erbracht werden können". Ist damit bereits unter Berücksichtigung der Äußerungen des Sachverständigen im erstinstanzlichen Verfahren die Erfüllung der Voraussetzungen des § 33
Abs. 3
Nr. 6,
Abs. 8
S. 1
Nr. 4
SGB IX zumindest zweifelhaft, hat
Prof. Dr. WW. auf Nachfrage des Senats im Berufungsverfahren durch ergänzende Stellungnahme vom 28. Juni 2011 nunmehr klargestellt, dass sich das - nach dem Ergebnis der von dem Hörgeräteakustiker EE. vorgenommenen Vergleichsmessungen - mit den Hörgeräten der Klägerin verbesserte Sprachverstehen um 20 % wesentlich auch im Alltagsleben auswirkt. Er hat insoweit ausgeführt, soweit die Messungen ergeben hätten, dass das verordnete Hörsystem gegenüber einem System der Festbetragsregelung seinen Vorteil insbesondere in einer mit Störgeräusch belasteten Umgebung erziele und hierbei das Sprachverstehen um 20 % erhöht werde, ergebe sich die Situation der Störgeräusche nicht nur im beruflichen Bereich, sondern auch im Alltagsleben. Insoweit würden die Vorteile des höherwertigen Systems in vielen Situationen zum Tragen kommen. Es liegt auf der Hand, dass vielfältige Alltagssituationen von Störgeräuschen geprägt sind (Straßenverkehr, Einkäufe, Menschenansammlungen, Gesprächsrunden
etc.), in denen die Klägerin von den selbst beschafften Hörgeräten aufgrund der Störschallunterdrückung mit einer Verbesserung des Sprachverstehens im genannten Umfang profitiert. Für den Senat ist deshalb die Beurteilung des Sachverständigen
Prof. Dr. WW., wie er sie in der ergänzenden Stellungnahme vom 28. Juni 2011 erläutert hat, schlüssig und gut nachvollziehbar, so dass kein Anlass besteht, die Beurteilung in Zweifel zu ziehen. Davon ausgehend können die Voraussetzungen von § 33
Abs. 3
Nr. 6,
Abs. 8
S. 1
Nr. 4
SGB IX für die Hilfsmittelerbringung im Rahmen von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht bejaht werden.
Der Anspruch der Klägerin ist jedoch aus § 13
Abs. 3
S. 1 u. 2
SGB V i.V.m. § 15
Abs. 1
S. 3 u. 4
SGB IX begründet. Wie bereits ausgeführt, ist die Beklagte hier als erstangegangener Träger in Anwendung von § 14
Abs. 2
S. 1
SGB IX für Leistungen aller Anspruchsgrundlagen zuständig, mithin auch für einen Kostenerstattungsanspruch gemäß § 13
Abs. 3
SGB V i.V.m. § 15
Abs. 1
SGB IX. Dessen Voraussetzungen sind auch erfüllt.
Nach § 13
Abs. 3 Satz 1
SGB V haben Versicherte Anspruch auf Erstattung der Kosten, die ihnen für die Selbstbeschaffung einer Leistung entstanden sind, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. Eine nahezu wortidentische Regelung enthält § 15
Abs. 1
S. 4
SGB IX.
Hier sind die Voraussetzungen der zweiten Alternative des § 13
Abs. 3 Satz 1
SGB V bzw. § 15
Abs. 1
S. 4
SGB IX erfüllt, denn die Beklagte hat die am 11. April 2007 beantragte Leistung durch Bescheid vom 11. Juni 2007 und auch mit den folgenden Überprüfungsbescheiden vom 22. November 2007 und 12. Dezember 2007 zu Unrecht abgelehnt. Eine Ablehnung hinsichtlich Leistungen über den Festbetrag hinaus erfolgte im Übrigen auch durch die Beigeladene zu 1. mit Bescheid vom 12. November 2007. Erst danach - im Verlauf des erstinstanzlichen Klageverfahrens - hat sich die Klägerin die Hörgeräte selbst beschafft, wie dies ihrem Schreiben an das Sozialgericht vom 5. Mai 2008 zu entnehmen und von ihr in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nochmals bestätigt worden ist. Die Selbstbeschaffung erfolgte zu dem Betrag entsprechend dem Kostenvoranschlag der Firma HÖ2 Hörgeräte vom 27. September 2006.
Anspruchsgrundlage für das streitige Hilfsmittel ist § 33
Abs. 1
S. 1
SGB V in der bis zum 31. Dezember 2009 geltenden und hier anzuwendenden Fassung (a.F.). Danach haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach
§ 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Wählen Versicherte Hilfsmittel oder zusätzliche Leistungen, die über das Maß des Notwendigen hinausgehen, haben sie die Mehrkosten und die dadurch bedingten höheren Folgekosten selbst zu tragen (§ 33
Abs. 1
S. 5
SGB V). Weiter ist im Rahmen der Leistung von Hilfsmitteln - wie auch bei allen übrigen Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung - das Wirtschaftlichkeitsgebot des
§ 12 SGB V zu beachten. Danach müssen die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Gegenüber diesen Regelungen des
SGB V enthält das
SGB IX im Wesentlichen inhaltsgleiche Regelungen (
§§ 26 Abs. 2 Nr. 6,
31 Abs. 1 u. 3 SGB IX). Sofern im Übrigen für eine Leistung ein Festbetrag festgesetzt wurde, erfüllt die Krankenkasse ihre Leistungspflicht mit der Zahlung des Festbetrages (§ 12
Abs. 2
SGB V). Im Rahmen der sich aus § 36
Abs. 1
SGB V (in der bis zum 30. Juni 2008 geltenden Fassung) ergebenden Ermächtigung haben die Spitzenverbände der Krankenkassen (jetzt: Spitzenverband Bund der Krankenkassen) Festbeträge für Hörhilfen bestimmt (Beschluss der Spitzenverbände der Krankenkassen über die Festsetzung von Festbeträgen für Hörhilfen vom 23. Oktober 2006).
In seiner richtungweisenden Entscheidung vom 17. Dezember 2009 (
B 3 KR 20/08 R) hat der 3. Senat des Bundessozialgerichts zum Anspruch auf Hörgeräteversorgung von Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung und zur Reichweite von Festbetragesregelungen ausgeführt, der von den Krankenkassen geschuldete Behinderungsausgleich bemesse sich danach, ob eine Leistung des unmittelbaren oder des mittelbaren Behinderungsausgleichs beansprucht werde. Im Bereich des unmittelbaren Behinderungsausgleichs sei die Hilfsmittelversorgung grundsätzlich von dem Ziel eines vollständigen Ausgleichs der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktionen geleitet. Davon sei auszugehen, wenn das Hilfsmittel die Ausübung der beeinträchtigten Körperfunktionen selbst ermögliche, ersetze oder erleichtere. Für diesen unmittelbaren Behinderungsausgleich gelte das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits unter Berücksichtigung des aktuellen medizinischen und technischen Fortschritts. Dies diene in aller Regel ohne gesonderte weitere Prüfung der Befriedigung eines Grundbedürfnisses des täglichen Lebens
i.S.v. § 31
Abs. 1
Nr. 3
SGB IX. Beschränkter sei die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung, wenn die Erhaltung
bzw. Wiederherstellung der beeinträchtigten Körperfunktionen nicht oder nicht ausreichend möglich sei und deshalb Hilfsmittel zum Ausgleich von direkten und indirekten Folgen der Behinderung benötigt würden (sog. mittelbarer Behinderungsausgleich). In diesem Fall seien die Krankenkassen nur für einen Basisausgleich eintrittspflichtig, denn der mittelbare Behinderungsausgleich erstrecke sich nicht auf einen Ausgleich im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten Möglichkeiten eines gesunden Menschen. Ein Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich sei von der gesetzlichen Krankenversicherung nur dann zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitige oder mildere und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betreffe. Bei der Versorgung mit Hörgeräten gehe es um einen unmittelbaren Behinderungsausgleich, denn diese seien unmittelbar auf die mindestens teilweise Wiederherstellung des körpereigenen Hörvermögens und nicht lediglich auf den Ausgleich mittelbarer Behinderungsfolgen ausgerichtet. Dementsprechend sei in aller Regel ohne besondere weitere Prüfung immer ein Grundbedürfnis des täglichen Lebens betroffen und Erforderlichkeit i.
S. von § 33 Abs 1
S. 1
SGB V - begrenzt durch das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12
Abs. 1
SGB V - zu bejahen. Ziel der Versorgung mit Hörgeräten sei die Angleichung an das Hörvermögen hörgesunder Menschen im Sinne eines vollständigen Gleichziehens. Dementsprechend reiche eine Versorgung mit Hörgeräten, die lediglich eine Verständigung beim Einzelgespräch unter direkter Ansprache ermöglichten, nicht aus. Vielmehr sei Teil des von den Krankenkassen geschuldeten - möglichst vollständigen - Behinderungsausgleich, hörbehinderten Menschen im Rahmen des Möglichen auch das Hören und Verstehen in größeren Räumen und bei störenden Umgebungsgeräuschen zu öffnen und ihnen die dazu nach dem Stand der Gerätetechnik (
§ 2 Abs. 1 S. 3 SGB V) jeweils erforderlichen Geräte zur Verfügung zu stellen. Begrenzt sei der Anspruch allerdings durch das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12
Abs. 1
SGB V mit der Folge, dass die Krankenkasse nicht verpflichtet sei, teure Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen, wenn eine kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleichs funktionell ebenfalls geeignet sei. Keine Leistungspflicht bestehe für solche Innovationen, die nicht die Funktionalität betreffen würden, sondern in erster Linie die Bequemlichkeit und den Komfort bei der Nutzung des Hilfsmittels. Eingeschlossen in den Versorgungsauftrag der gesetzlichen Krankenversicherung sei dagegen eine kostenaufwändige Versorgung dann, wenn diese einen wesentlichen Gebrauchsvorteil gegenüber einer kostengünstigeren Alternative biete. Das Bundessozialgericht hat in der genannten Entscheidung weiter ausgeführt, dass die Festbetragsregelungen lediglich eine Ausprägung des Wirtschaftlichkeitsgebotes darstellen und nicht zu grundsätzlichen Einschnitten in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung berechtigen, sondern zu Leistungsbegrenzungen nur im Hinblick auf die kostengünstigste Art der Versorgung. Mit der Ermächtigung zur Festsetzung von Festbeträgen habe der Gesetzgeber das Sachleistungsprinzip nicht aufgegeben und der Versicherte müsse sich nicht mit einer Teilkostenerstattung zufrieden geben. Dies entspreche der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Hinweis auf das Urteil vom 17. Dezember 2002,
1 BvL 28/95, 1 BvL 29/95 u. 1 BvL 30/95 = BVerfGE 106, 275 bis 310 u. SozR 3-2500 § 35 Nr 2). Davon ausgehend bewirke ein Hilfsmittelfestbetrag keine Leistungsbegrenzung, soweit er für den Ausgleich der konkret vorliegenden Behinderung objektiv nicht ausreiche (Hinweis auf
BSG, Urteil vom 23. Januar 2003,
B 3 KR 7/02 R = BSGE 90, 220, 224 u. SozR 4-2500 § 33 Nr 1 RdNr 13). Dementsprechend bleibe es bei der Verpflichtung der Krankenkasse zur - von Zuzahlungen abgesehen - kostenfreien Versorgung der Versicherten, soweit der Festbetrag für den Behinderungsausgleich objektiv nicht ausreichend sei.
Unter Anwendung dieser von dem Bundessozialgericht entwickelten Grundsätze steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Versorgung der Klägerin mit Hörgerätesystemen entsprechend der Festbetragsregelung nicht zu dem möglichen und - gemessen an dem Ziel eines vollständigen Gleichziehens mit einem hörgesunden Menschen - gebotenen Behinderungsausgleich führt. Vielmehr ist nach dem Ergebnis der vorzunehmenden Einzelfallprüfung die Versorgung der Klägerin mit den selbst angeschafften Hörgeräten HÖ1 micro Power V 300 dAZ erforderlich, die das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Auszugehen ist nach den Ausführungen des HNO-ärztlichen Sachverständigen
Prof. Dr. WW. in seinem Gutachten vom 24. Oktober 2008 von den Diagnosen einer hochgradigen kombinierten Schwerhörigkeit rechts (Hörverlust 80 %) und einer mittel- bis hochgradigen kombinierten Schwerhörigkeit links (Hörverlust 60 %) bei chronischer Mittelohrentzündung und Zustand nach mehrfachen Operationen. Hieraus ergibt sich für die Klägerin das Erfordernis, beidseits Hörgeräte zu tragen. Wie die Messungen im Rahmen des Zusatzgutachtens (Stellungnahmen des Hörgeräteakustik-Meisters EE., eingegangen am 16. Februar 2009 und 26. März 2009) ergeben haben, war mit dem selbst beschafften Hörsystem HÖ1 micro Power V 300 dAZ (16-kanaliges Hörsystem) gegenüber den in die Vergleichsmessungen einbezogenen Festbetrags-Hörsystemen (HÖ3 213 und HÖ4, jeweils 2-kanalig) bei einem Nutzsignal von vorne von 65
dB und einem Störgeräusch von hinten von 60
dB ein um 20 % verbessertes Sprachverstehen erreichbar. Lediglich ohne Störgeräusch (Nutzsignal von vorne von 65
dB) ergaben sich nahe beieinander liegende Messergebnisse von 80 %
bzw. 90 %. Die besseren Messergebnisse unter Störschall beruhen darauf, dass die von der Klägerin angeschafften Hörgeräte neben der digitalen 16-kanaligen Signalverarbeitung mit einer Rückkopplungsauslöschung sowie einer Störgeräuschunterdrückung einschließlich Digital Audio Zoom (Mehrmikrofontechnologie) und einer Programmautomatik ausgestattet sind. Die in die Messungen einbezogenen Festbetragsgeräte verfügen zwar auch über eine digitale Signalverarbeitung (2-kanalig), jedoch nicht über die genannten Zusatzausstattungen. Bei dem Hörgewinn unter Störgeräusch von 20 % handelt es sich nicht lediglich um eine geringfügige Verbesserung, sondern um einen wesentlichen Gebrauchsvorteil. Dies gilt grundsätzlich und im Fall der Klägerin im besonderen Maße, weil die Messergebnisse mit Störgeräusch im unteren Bereich lagen (Festbetragsgeräte 25 % und selbst beschaffte Geräte 45 %). Es liegt auf der Hand, dass die Erhöhung des Sprachverstehens von 25 % auf 45 % eine gewichtigere Verbesserung darstellt gegenüber einer Erhöhung
bspw. von 70 % auf 90 %. Ein weiterer wesentlicher Gebrauchsvorteil für die Klägerin besteht zudem darin, dass die von ihr angeschafften Geräte aufgrund der Ausstattung mit Rückkopplungsauslöschung eine offenere Versorgung zulassen, was nach den Ausführungen des Sachverständigen EE. insbesondere im Hinblick auf die mehrmaligen Operationen am linken Ohr wichtig ist. Insoweit ist eine gute Belüftung von Vorteil. Soweit die Sachverständigen
Prof. Dr. WW. und EE. im Gutachten
bzw. ihren Stellungnahmen hervorgehoben haben, dass die Hörgeräte HÖ1 micro Power V 300 dAZ Vorteile insbesondere in der Arbeitssituation der Klägerin erzielen, beruht dies auf einer entsprechenden zielgerichteten Fragestellung des Sozialgerichts mit der Beweisanordnung vom 1. September 2008. Im Berufungsverfahren hat der Sachverständige
Prof. Dr. WW. - wie ausgeführt - mit seiner ergänzenden Stellungnahme vom 28. Juni 2011 für den Senat nachvollziehbar klargestellt, dass sich das um 20 % verbesserte Sprachverstehen wesentlich auch im Alltagsleben auswirkt, weil vielfältige Situationen denkbar sind, in denen ebenso Störgeräusche auftreten.
Im Ergebnis ist davon auszugehen, dass es vorliegend um einen unmittelbaren Behinderungsausgleich geht mit dem Ziel eines möglichst vollständigen Ausgleichs. Betroffen ist ein Grundbedürfnis der Klägerin des täglichen Lebens, das sich auch auf das Hören und Verstehen in größeren Räumen und bei störenden Umgebungsgeräuschen erstreckt. Hörgeräte entsprechend der Festbetragsregelung ermöglichen der Klägerin eine ausreichende Kommunikation lediglich in ruhiger Umgebung, nicht jedoch auch in Alltagssituationen mit Störgeräuschen. Dementsprechend erstreckt sich die Verpflichtung der Krankenkasse - nachdem auch keine atypische Versorgungslage (
vgl. BSG vom 17. Dezember 2009 a.a.O.) ersichtlich ist - auf die kostenfreie Versorgung der Klägerin mit den Hörgeräten HÖ1 micro Power V 300 dAZ
bzw. nach Selbstbeschaffung auf eine entsprechende Kostenerstattung. Diese Verpflichtung hat die Beklagte als erstangegangener Leistungsträger mangels Weiterleitung des Antrags in Anwendung von § 14
Abs. 2
S. 1
SGB IX zu erfüllen.
Die Höhe des Kostenerstattungsanspruches der Klägerin beläuft sich auf 3.631,12
EUR. Die Rechnung
bzw. der Kostenvoranschlag der Firma HÖ2 vom 27. September 2006 weist zwar 4.440,00
EUR aus, hierbei sind jedoch bereits Zuzahlungen in Höhe von 2 x 10,00
EUR abgezogen, so dass die Geräte ohne diesen Abzug insgesamt 4.460,00
EUR gekostet haben. Die Beigeladene zu 1. hat 828,88
EUR abzüglich 20,00
EUR Zuzahlung geleistet, wie sich dies aus ihrer Verwaltungsakte ergibt. Unter Berücksichtigung der Zuzahlung verbleibt ein offener Kostenerstattungsanspruch in Höhe von 3.631,12
EUR.
Die Berufung der Beklagten war zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG.
Die Revision war mangels Vorliegen der Voraussetzungen des § 160
Abs. 2 Nrn. 1 und 2
SGG nicht zuzulassen.