Urteil
Berufsbedingte Optimalversorgung - Kostenübernahme für Hörgerät über den Festbetrag hinaus - Zuständiger Leistungsträger

Gericht:

LSG Rheinland-Pfalz 5. Senat


Aktenzeichen:

L 5 K 18/98


Urteil vom:

04.11.1999


Tenor:

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 10.03.1998 wird zurückgewiesen.

2. Der Bescheid der Beigeladenen zu 2) vom 6.10.1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8.10.1999 wird aufgehoben und die Beigeladene zu 2) verurteilt, der Klägerin die berufsbedingten Mehrkosten der Hörgerätversorgung in Höhe von 3.189, 30 DM zu erstatten.

3. Die Beigeladene zu 2) hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. Im Übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt Erstattung der Kosten für eine beidseitige Versorgung mit Hörgeräten über die krankenversicherungsrechtliche Festbetragsgrenze hinaus.

Die 1958 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Sie leidet an einer im Wesentlichen symmetrischen kombinierten beiderseitigen hochgradigen Schwerhörigkeit und war zuletzt 1988 mit Hörgeräten versorgt worden. Nach längerer Arbeitslosigkeit arbeitet sie seit Oktober 1995 im erlernten Beruf als Sozialarbeiterin im X in X als Betreuerin in einer Tagesförderstätte für schwerstbehinderte Erwachsene. Die Betreuung erfolgt in Kleingruppen mit durchschnittlich zehn Personen in einem Raum. Dort werden Hilfsprogramme in Gruppen- und Einzelarbeit ebenso wie übliche Büroarbeiten durchgeführt. In diesem Umfeld mit vielfältigen akustischen Störgeräuschen kam die Klägerin mit ihrem herkömmlichen Hörgeräten nicht zurecht. Probeweise wurde sie deshalb ab Dezember 1995 vom Hörgeräte-Akustiker mit verschiedenen Hörgeräten ausgestattet, wobei sich die Versorgung mit zwei prozessorgesteuerten Geräten vom Typ Resound BT-2 nach einer Erprobungszeit von über sechs Monaten als am besten geeignet herausstellte; die Geräte ermöglichten ein besseres Sprachverstehen im Störschall insbesondere im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit.

Aufgrund Verordnung des HNO-Arztes Dr. X von 12.6.1996 in Verbindung mit dem Kostenvoranschlag der Firma Hörgeräte X GmbH für zwei Hörgeräte Typ Resound BT-2 zum Preis von insgesamt 5.415,-- DM beantragte die Klägerin daraufhin im Juni 1996 die Kostenübernahme der Beklagten. Diese genehmigte die Versorgung in der Höhe der einschlägigen Festbetragsgruppe 8 und übernahm 2.225,70 DM der entstandenen Kosten. Eine weitergehende Kostenübernahme lehnte sie nach Beteiligung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) - hno-ärztliche Gutachten der Frau Dr. X vom 29.8.1996 und des Dr. X vom 28.10.1996 - jedoch mit Bescheid vom 5.9.1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.2.1997 ab, weil hinsichtlich der krankenversicherungsrechtlich allein maßgeblichen Grundbedürfnisse der Klägerin durch eine Versorgung mit Hörgeräten zum Festbetrag ein ausreichender medizinischer Ausgleich der Hörminderung zu erreichen sei. Für die spezifischen beruflichen Erfordernisse komme eine Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers oder des Arbeitsamtes in Betracht. Aufgrund Rechnung der Firma X vom 30.3.1997 zahlte die Klägerin daraufhin den Restbetrag in Höhe von 3.189,30 DM zunächst selbst.

Die am 24.2.1997 erhobene Klage gegen die Beklagte hat das Sozialgericht X durch Urteil vom 10.3.1998 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, das Gesetz begrenze krankenversicherungsrechtlich die Einstandspflicht für Hilfsmittel, für die ein Festbetrag nach § 36 Fünftes Sozialgesetzbuch (SGB V) festgesetzt sei, auf die Höhe dieses Betrages. Die Wahl einer aufwendigeren Leistung begründe daher keinen Anspruch gegen die Krankenkasse hinsichtlich der Mehrkosten. Nach den Gutachten des MDK sei die Versorgung der Klägerin mit Resound-Hörgeräten zudem für den privaten Bereich nicht erforderlich, weil räumliches Hören auch durch die beidseitige Versorgung mit Festbetragsgeräten ermöglicht werde. Dass das von der Klägerin beschaffte Hörgerät speziell in ihrem beruflichen Bereich ein besseres Hören und eine bessere Verständigung ermögliche, reiche nicht aus, die volle Kostentragung durch die Beklagte zu begründen. Insoweit, komme für die über die Festbeträge hinausgehenden Kosten die Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers oder der Arbeitsverwaltung in Betracht.

Gegen das ihr am 20.3.1998 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 20.4.1998 Berufung eingelegt.

Der Senat hat mit Beschluss vom 15.7.1998 die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte und die Bundesanstalt für Arbeit zum Verfahren beigeladen.

Die Beigeladene zu 1) hat ihre Einstandspflicht für berufsfördernde Leistungen nach § 11 Abs. 1 Sechstes Sozialgesetzbuch
(SGB VI) verneint, weil hierfür die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien; es sei die Zuständigkeit der Beigeladenen zu 2) gegeben (Schriftsatz vom 28.10.1998).

Die Beigeladene zu 2) hat nach Ermittlungen - Einholung von arbeitsamtsärztlichen Gutachten vom 1.10.1998 und 17.9.1999 sowie Stellungnahme des Technischen Beratungsdienstes vom 9.3.1999 und des Berufskundlichen Dienstes vom 20.9.1999 - die Erstattung von beruflich bedingten Mehrkosten der Hörgeräteversorgung mit Bescheid vom 6.10.1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.10.1999 ebenfalls abgelehnt. Die Klägerin habe mit der seit dem Kindergartenalter bestehenden Schwerhörigkeit ihre Ausbildung absolviert und sei nach eigenen Angaben seit 1982, zum Teil ehrenamtlich, in der Sozialarbeit tätig. Es sei davon auszugehen, dass sie in dieser Zeit mit herkömmlichen Hörgeräten ausgestattet gewesen sei. Sie komme also durchaus mit diesen Geräten zurecht. Nunmehr erschwerten zwar die Bedingungen am Arbeitsplatz die Berufsausübung. Die Frage der Arbeitsplatzgestaltung stelle sich jedoch nicht vorrangig wegen der Schwerhörigkeit der Klägerin, weil die Beratung erwachsener körperbehinderter Personen ohnehin einen störungsfreien (diskreten) Raum erfordere. Für die beratungsgerechte Gestaltung des Arbeitsplatzes sei aber der Arbeitgeber zuständig. Bei einer für die Beratungsgespräche zweckmäßigen Umgebung reiche die Versorgung mit den derzeitigen Standardgeräten völlig aus.

Die Klägerin macht geltend, ihr stehe ein weitgehender Kostenübernahmeanspruch gegenüber der Beklagten zu, weil eine Hörgeräteanpassung nur dann sinnvoll sei, wenn eine optimale Versorgung erzielt werde. Das Hilfsmittel, das für Ersatz oder Ausgleich einer ausgefallenen Körperfunktion benötigt werde, sei so zu gewähren, dass es den Funktionsausfall möglichst weitgehend im Rahmen einer normalen Lebensführung ausgleiche. Die Auffassung der Beigeladene zu 2), die von der Krankenkasse verordneten Geräte seien geeignet, auch im beruflichen Bereich die Arbeit vollschichtig zu verrichten, sei nicht zu akzeptieren.

Die Klägerin beantragt nach Aktenlage sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts X vom 10.3.1998 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 5.9.1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.2.1997 zu verurteilen, die Restkosten der Hörgeräteversorgung in Höhe von 3.189, 30 DM zu erstatten,

hilfsweise,

die Beigeladene zu 2) unter Aufhebung des Bescheides vom 6.10.1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8.10.1999 zu verurteilen, die von der Beklagten nicht erstatteten Mehrkosten der Hörgeräteversorgung in Höhe von 3.189.30 DM als berufsfördernde Leistung zur Rehabilitation zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil des Sozialgerichts für zutreffend.

Die Beigeladene zu 2) beantragt,

die Klage gegen ihre Bescheide abzuweisen.

Die Beigeladene zu 1) stellt keinen Sachantrag.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte sowie die Verwaltungsakten der Beklagten und der Beigeladenen verwiesen. Ihr Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Rechtsweg:

SG Trier Urteil vom 10.03.1998 - S 4 K 12/97 -

Quelle:

Rechtsanwälte B. Lindlein & P. Schwager

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg. Die Beklagte hat zu Recht eine Kostenübernahme für die ärztlich verordneten Hörgeräte über den maßgeblichen krankenversicherungsrechtlichen Festbetrag hinaus abgelehnt. Hingegen besteht der geltend gemachte Anspruch der Klägerin gegen die Beigeladene zu 2), so dass der Senat den gemäß § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zum Gegenstand des Berufungsverfahrens gewordenen Bescheid vom 6.10.1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8.10.1999 auf die hiergegen hilfsweise gerichtete Klage aufgehoben und die Beigeladene zur Kostenübernahme verurteilt hat (§ 75 Abs. 5 SGG).

Krankenversicherungsrechtlich ist die Einstandspflicht der Beklagten gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 SGB V auf die Höhe des aufgrund der Regelung des § 36 SGB V festgesetzten Festbetrages für Hörgeräte begrenzt, den die Beklagte gemäß der vorliegenden einschlägigen Festbetragsgruppe 8 fehlerfrei ermittelt hat. Bei Wahl von aufwendigeren Hilfsmitteln, die vom Leistungserbringer nicht zum Festbetrag abgegeben werden, unterfallen die entstehenden Mehrkosten krankenversicherungsrechtlich der Eigenverantwortung des Versicherten. Dies hat das Sozialgericht zu Recht entschieden, der Senat schließt sich dieser Entscheidung gemäß § 153 Abs. 2 SGG an. Entgegen ihrer im Berufsverfahren weiterverfolgten Rechtsauffassung hat die Klägerin insbesondere keinen Anspruch auf eine optimale Versorgung mit den bestmöglichen Hörhilfen. Vielmehr steht ihr im Rahmen des Wirtschaftlichkeitsgebotes nach § 12 SGB V nur eine ausreichende und zweckmäßige Versorgung zu, wobei der Gesetzgeber in Absatz 2 der Vorschrift die Kostentragung der gesetzlichen Krankenversicherung ausdrücklich auf die Höhe eines maßgeblichen Festbetrages begrenzt hat. Dass im privaten Bereich der Klägerin ebenso wie für die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit ein hinreichender Ausgleich der Behinderung mit herkömmlichen (Festbetrags-) Hörgeräten erreicht wird, haben zudem die Gutachten des MDK ergeben und wird durch den Ausbildungs- und Berufsweg der Klägerin belegt.

Bereits der MDK-Arzt Dr. X hat aber zu Recht auf die besonderen audiologischen Anforderungen auf dem von der Klägerin seit Oktober 1995 im X in X innegehabten Arbeitsplatz hingewiesen. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass die Klägerin als Betreuerin einer Gruppe schwerbehinderter Erwachsener in einem Gruppenraum von einer Größe von 30 qm tätig ist, in dem ständig etwa zehn Personen anwesend sind und in dem sie neben der eigentlichen Betreuungsarbeit auch sämtliche Büroarbeiten einschließlich von Telefonaten zu erledigen hat. In Anbetracht gerade dieser schwierigen Arbeitsplatzsituation, die ein möglichst großes Sprachverständnis im Störbereich voraussetzt, ist nach der eindeutigen Beurteilung des von der Beigeladenen zu 2) gehörten Arbeitsamtsarztes Dr. X im Gutachten vom 17.9.1999 die Notwendigkeit der besonderen, d.h. prozessorgesteuerten Hörgeräteversorgung unabweisbar. Denn nur diese Geräte regulieren sich selbsttätig in Klang- und Lautstärke in unterschiedlichen Geräuschsituationen. Die demgegenüber vom Berufskundlichen Dienst der Beigeladenen zu 2) vertretene Auffassung, eine Versorgung mit den Standardgeräten reiche bei einer für Beratungsgespräche zweckmäßigen Umgebung aus, die der Arbeitgeber zur Verfügung stellen müsse, vermag nicht zu überzeugen. Denn es ist von den konkreten Bedingungen des Arbeitsplatzes der Klägerin auszugeben, der nun einmal nicht in einer ausschließlich auf Einzelberatung von Behinderten gerichteten Tätigkeit besteht, sondern vornehmlich in deren Gruppenbetreuung.

Ist mithin vorliegend die Ausstattung mit den prozessorgesteuerten Hörgeräten vom Typ Resound BT-2 gerade wegen der Bedingung des konkreten Arbeitsplatzes der Klägerin erforderlich, so ist die Beigeladene zu 2) hinsichtlich der die krankenversicherungsrechtliche Festbetragsgrenze übersteigenden Kosten in Höhe von 3.189,30 DM gemäß der - wegen der bereits 1996 erfolgten Versorgung vorliegend noch anwendbaren - Regelungen der §§ 56 Abs. 1, 3 Nr. 6, 58 Abs. 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) iVm § 47 Abs. 1 1. Halbsatz Anordnung des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Arbeit über die Arbeits- und Berufsförderung Behinderter (AReha) zur Leistung im Rahmen der berufsfördernden Maßnahmen verpflichtet. Danach übernimmt die Beigeladene zu 2) die Kosten für Hilfsmittel, die wegen der Behinderung für die Berufsausübung erforderlich sind.

Die Beigeladene zu 2) ist nicht lediglich nachrangig zuständig (§ 57 AFG). Denn ein anderer Reha-Träger ist für die berufliche Rehabilitation der körperlich behinderten Klägerin nicht leistungszuständig. Insbesondere für berufsfördernde Leistungen nach § 11 SGB VI durch die Beigeladene zu 1) erfüllte die Klägerin nicht die rentenversicherungsrechtlichen Voraussetzungen.

Dass die Klägerin bei der Beigeladenen zu 2) entgegen § 56 AReha nicht vor Versorgung mit den Hörgeräten einen Antrag auf berufsfördernde Leistungen gestellt hat, ist unschädlich, weil gemäß §§ 4 Abs. 2 Satz 3 des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation (RehaAnglG), 16 Erstes Sozialgesetzbuch (SGB I) der bei der Beklagten als - hinsichtlich der berufsbedingten Mehrkosten der Hörgeräteversorgung - unzuständigem Leistungsträger gestellte rechtzeitige Antrag genügt
(vgl. Niesel, Arbeitsförderungsgesetz, § 56 RdNr. 73). Auch der Umstand, dass die Klägerin in der Lage ist, die für die notwendige Hörgeräteversorgung entstandenen Mehrkosten zunächst selbst zu tragen, ist unerheblich. Denn die Gewährung berufsfördernder Leistungen zur Rehabilitation ist grundsätzlich nicht an die Voraussetzung der Bedürftigkeit geknüpft (BSG 21. Juni 1994 - 11 RAr 89/93 -) und für alle Fälle vorliegender Art auch nicht vorgesehen. Zwar ergibt sich aus § 53 Abs. 3 AFG, auf den die Verweisungsregelung des § 58 Abs. 1 Satz 1 AFG Bezug nimmt, dass Leistungen nach § 53 Abs. 1 und 2 AFG, beispielsweise Zuschuss zu Bewerbungskosten und Zuschuss zu Reise- und Umzugskosten, nur zu gewähren sind, wenn der Antragsteller die erforderlichen Mittel nicht selbst aufbringen kann. Im Rehabilitationsrecht kann der Anordnungsgeber indes das Nähere regeln, was dadurch geschehen ist, dass die AReha für Hilfsmittel keinen Einsatz von Einkommen oder Vermögen des Behinderten verlangt.

Nach alledem erweist sich die Berufung der Klägerin gegen das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Trier als unbegründet, ihre Klage gegen die Beigeladene zu 2) hingegen hat Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Revisionszulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.

Referenznummer:

R/R2794


Informationsstand: 23.11.2007