Urteil
Gesetzliche Krankenversicherung - Kostenübernahme für ein mobiles Sauerstoffgerät als Hilfsmittel zum Ausgleich einer Behinderung - Umfang der Versorgung - Zuständigkeit der Krankenkasse nach Abgabe einer Leistungsakte an den Rehabilitationsträger

Gericht:

SG Düsseldorf 9. Kammer


Aktenzeichen:

S 9 KR 755/17 ER


Urteil vom:

19.07.2017


Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt. Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt im Rahmen des einstweiligen Rechtschutzes die vorläufige Versorgung mit einem neuen Mobilgerät für Flüssigsauerstoff durch die Antragsgegnerin.

Der am 00.00.1957 geborene Antragsteller leidet an einer sauerstoffpflichtigen resp. Partialinsuffizienz bei COPD III und Zustand nach Lungenembolie. Die Antragsgegnerin hat ihn mit einem Flüssigsauerstofftank inkl. eines mobilen Flüssigsauerstoffgerätes versorgt, das bei einem Flow von 3,5l/min unter Belastung eine Mobilität von 3-4 Stunden gewährleistet. Der Antragsteller hat Pflegestufe II. Nach dem "Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit gemäß SGB XI" vom 02.07.2016 ist der Antragsteller neben der resp. Partialinsuffizienz auch aufgrund einer Osteoporose, einer deutlich degenerativ veränderten Wirbelsäule und einer Polyarthrose in seiner Beweglichkeit, Mobilität und Belastbarkeit eingeschränkt. Er ist bei allen grundpflegerischen Verrichtungen auf Fremdhilfe angewiesen. Auch die Verrichtung der Hauswirtschaft wird vollständig von der Pflegeperson übernommen. Er kann selbständig unter beidhändigem Festhalten an Möbeln stehen und sich mit dem Rollator fortbewegen.

Mit ärztlicher Verordnung vom 21.03.2017, bei der Antragsgegnerin eingegangen am 27.03.2017, beantragte der Antragsteller eine "Umversorgung auf einen mobilen O2-Konzentrator zur Aufrechterhaltung der Mobilität unter 2 l/min und 3,5 l/min unter Belastung on Demand".

Die Antragsgegnerin holte eine telefonische Auskunft bei SH M, dem Anbieter des bei dem Antragsteller vorhandenen mobilen Flüssigsauerstoffgerätes, ein und leitete den Antrag am 28.03.2017 an den Beigeladenen zu 2) unter Hinweis auf § 14 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) weiter. Der Antragsteller sei bereits mit einem Flüssigsauerstofftank inkl. mobilem Flüssigsauerstoffgerät versorgt, womit er unter Belastung 3-4 Stunden mobil sei. Der Antragsteller erhielt eine Nachricht über die Weiterleitung.

Der LVR gab den Antrag mit Schreiben vom 03.04.2017 an die Beigeladene zu 1) weiter, die den Antrag mit Bescheid vom 19.04.2017 ablehnte. Sozialhilfe erhalte nicht, wer sich durch Einsatz seines Einkommens oder Vermögens selbst helfen könne oder wer die erforderliche Leistung von Trägern anderer Sozialleistungen erhalte. Hier sei für die Gewährung von Hilfsmitteln die Antragsgegnerin zuständig, durch die die notwendige Versorgung bereits sichergestellt worden sei. Gegen den Bescheid legte der Kläger mit Schreiben vom 25.04.2017 Widerspruch ein, über den noch nicht entschieden worden ist.

Am 21.06.2017 hat der Antragsteller einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt, mit der er die (vorläufige) Versorgung mit einem anderen Mobilgerät für Flüssigsauerstoff von der Antragsgegnerin begehrt. Das vorhandene Gerät ermögliche ihm lediglich für 3 Stunden außer Haus zu gehen, was bereits bei Arztbesuchen, Familienfeiern und Spaziergängen nicht ausreiche. Er sei auf ein möglichst leichtes Gerät angewiesen, das ihm Mobilität auch oberhalb von 3 Stunden gewährleiste. Es bestehe auch ein Anordnungsgrund, da der Antragsteller nicht in der Lage sei, das Mobilgerät vorzufinanzieren. Er sei schwer krank und wisse nicht, wie viel Lebenszeit er noch zur Verfügung habe, so dass ihm das Abwarten eines Hauptsacheverfahrens nicht zugemutet werden könne. Auf den Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 28.10.2014, L 5 KR 414/14 B ER, dem ein vergleichbarer Sachverhalt zu Grunde gelegen habe, werde verwiesen.

Mit Beschluss vom 05.07.2017 hat das Gericht die Stadt Krefeld (Beigeladene zu 1) und mit Beschluss vom 19.07.2017 den LVR (Beigeladener zu 2) beigeladen.

Der Antragsteller beantragt schriftsätzlich,

die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihn mit einem Mobilgerät für Flüssigsauerstoff (z.B. Modell FreeStyle der Firma HUJ n GmbH) zu versorgen.

Die Antragsgegnerin beantragt schriftsätzlich,

den Antrag abzulehnen.

Sie ist der Ansicht, den Antragsteller durch den vorhandenen Sauerstoffkonzentrator und die mobile Flüssigsauerstoffeinheit ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich versorgt zu haben. Die Gesetzliche Krankenversicherung habe nicht jegliche Behinderungsfolgen in allen Lebensbereichen auszugleichen, sondern dafür zu sorgen, dass die allgemeinen elementaren Grundbedürfnisse eines Menschen erfüllt werden können. Dazu gehöre auch ein gewisser körperlicher Freiraum und damit die Fähigkeit, sich in der eigenen Wohnung zu bewegen, diese für einen kurzen Spaziergang verlassen und Alltagsgeschäfte im Nahbereich erledigen zu können. Bei dem Antragsteller sei ausgehend von einer Schwankungsbreite des Flow zwischen 2 l/min und 3,5 l/min eine Mobilität zwischen 3 und 7 Stunden auch mit der vorhandenen Versorgung sichergestellt.

Die Beigeladene zu 1) stellt keinen Antrag. Sie ist der Auffassung, dass das begehrte Hilfsmittel vorrangig durch die Antragsgegnerin zu gewähren sei. Es handele sich nicht um eine Leistung der Eingliederungshilfe, sondern um eine Leistung der Krankenversicherung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verfahrensakte und die den Antragsteller betreffende Leistungsakte der Antragsgegnerin Bezug genommen, die vorgelegen haben.

Rechtsweg:

LSG NRW, Urteil vom 04.12.2017 - L 11 KR 549/17 B ER

Quelle:

Justizportal des Landes NRW

II.

Der zulässige Antrag ist unbegründet.

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Danach kann das Gericht soweit, wie hier, kein Fall nach § 86b Abs. 1 SGG vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde (§ 86 Abs. 2 Satz 1 SGG). Nach Satz 2 dieser Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung dafür ist das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs (materielles Recht, für das einstweiliger Rechtsschutz begehrt wird) und eines Anordnungsgrundes (Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, wenn ein Abwarten auf eine Entscheidung in der Hauptsache nicht zuzumuten ist). Dabei stehen sich Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert gegenüber; vielmehr besteht zwischen ihnen eine funktionelle Wechselbeziehung insoweit, als die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Eingriffs zu verringern sind.

Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gefüllt. Soweit der Antragsteller ausdrücklich die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur (vorläufigen) Versorgung mit einem anderen als dem bereits vorhandenen mobilen Sauerstoffgerät begehrt, fehlt es an einer Leistungspflicht, da die Antragsgegnerin für diese Leistung nicht (mehr) zuständig ist, nachdem sie den Antrag innerhalb der Frist des § 14 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 SGB IX an den aus ihrer Sicht zuständigen Träger der Eingliederungshilfe weitergeleitet hat. Der Antrag auf ein neues mobiles Flüssigsauerstoffgerät ist am 27.03.2017 bei der Antragsgegnerin eingegangen. Sie hat innerhalb eines Tages ihre Zuständigkeit geprüft, verneint und den Antrag unverzüglich mit Schreiben vom 28.03.2017 an den LVR weitergeleitet zur Prüfung, ob das begehrte Gerät als Teilhabeleistung von dort aus erbracht werden kann. Mit dieser Weiterleitung ist der Sozialhilfeträger als Träger der Eingliederungshilfe für die Entscheidung über das begehrte Gerät zuständig geworden. Er hat über den Antrag nicht nur nach den für ihn geltenden Leistungsgesetzen, sondern auch nach den Leistungsgesetzen aller anderen Rehabilitationsträger zu entscheiden und ggf. Leistungen zu erbringen. Der behinderte Mensch wird so gestellt, als hätte er gleichzeitig bei allen Reha-Trägern einen Antrag gestellt. Er soll aber nur einen Ansprechpartner haben, der alle erforderlichen Maßnahmen aus einer Hand erbringt. Wer letztlich die Kosten der Rehabilitation trägt, ist im Innenverhältnis zwischen den Leistungsträgern zu klären. Dem aufgrund von § 14 SGB IX zuständig gewordenen Träger ist eine erneute Weiterleitung oder Rückgabe des Antrags nicht möglich (vgl. Luik in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 2. Auflage 2015, § 14 SGB IX Rn. 88ff.).

Aus dem gleichen Grund scheitert auch ein denkbarer Anspruch gegen die Beigeladene zu 1). Der Beigeladene zu 2) war nicht berechtigt, den Antrag an die Beigeladene zu 1) weiterzuleiten, denn § 14 SGB IX schließt eine zweite Weiterleitung aus (vgl. BSG, Urteil vom 08.03.2016 - B 1 KR 27/15 R, juris). Das gilt auch, wenn die sachliche oder örtliche Zuständigkeit innerhalb desselben Trägers streitig ist (Luik, aaO, Rn. 54).

Hier ist für die Entscheidung und ggf. Leistungserbringung nur noch der Beigeladene zu 2) zuständig. Der Ablehnungsbescheid der Beigeladenen zu 1) hätte daher nicht ergehen dürfen, weil sie nicht zuständig war. Die Ablehnungsentscheidung genügt überdies auch nicht den Anforderungen, die an die Ablehnung einer Teilhabeleistung zu stellen sind, da die Beigeladene zu 1) nicht sämtliche in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen, hier § 33 SGB V und §§ 53 ff. SGB XII, geprüft hat, sondern lediglich auf die vorrangige Zuständigkeit der Antragsgegnerin verwiesen. Diese Begründung kann auch bei dem nach § 14 SGB IX zuständig gewordenen Träger eine Ablehnungsentscheidung nicht tragen, da an der Zuständigkeit des Trägers, an den weitergeleitet wurde, im Außenverhältnis keine Zweifel bestehen, da diese unabhängig von der materiell-rechtlichen Lage gesetzlich bestimmt ist (vgl. zur aufgedrängten Zuständigkeit: Luik, aaO, Rn. 88).

Aber auch gegen den Beigeladenen zu 2) ist ein Anordnungsanspruch nicht gegeben. Ein Anordnungsanspruch besteht nur dann, wenn das Obsiegen des Antragstellers in der Hauptsache überwiegend wahrscheinlich ist, d.h wenn der zu sichernde Hauptsacheanspruch dem Antragsteller mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zusteht (Krodel/Feldbaum, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 4. Auflage, Rn. 333). Der Anspruch auf Versorgung mit einem neuen, eine mehr als 3- bis 4-stündige Mobilität gewährleistenden mobilen Flüssigsauerstoffgerät kann sich nur auf der Grundlage des § 33 SGB V oder nach §§ 53 ff. SGB XII ergeben. Weitere Anspruchsgrundlagen sind nicht ersichtlich.

Hier liegen die Voraussetzungen des § 33 SGB V nach der im vorläufigen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung nicht vor. Nach dieser Vorschrift haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um u.a. eine Behinderung auszugleichen, soweit sie nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Das Mobilgerät zur Versorgung mit Flüssigsauerstoff kann die aufgrund der Lungenerkrankung bestehende Behinderung des Versicherten nur mittelbar ausgleichen. Eine Leistungspflicht auf der Grundlage des § 33 SGB V kommt bei einem begehrten mittelbaren Behinderungsausgleich nur in Betracht, wenn dieser zur Deckung der allgemeinen Grundbedürfnisse erforderlich ist. Dazu gehört auch die Erschließung eines gewissen körperlichen Freiraums. Er ist dann gewährleistet - im Sinne eines Basisausgleichs der eingeschränkten Bewegungsfähigkeit -, wenn der Versicherte sich in der eigenen Wohnung bewegen und die Wohnung verlassen kann, um bei einem kurzen Spaziergang "an die frische Luft zu kommen" oder um die üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind, nicht aber die Bewegung außerhalb dieses Nahbereichs (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 28.10.2014 - L 5 KR 414/14 B ER mwN, sozialgerichtsbarkeit.de). Zur Erfüllung dieses Grundbedürfnisses ist der Antragsteller bereits durch die Antragsgegnerin mit einem Sauerstoffkonzentrator für die häusliche Versorgung und mit einem mobilen Flüssigsauerstoffgerät mit einer Außer-Haus-Mobilität unter Belastung von jedenfalls 3 Stunden, bei einem Mix aus Ruhe und Belastung von 5 Stunden, versorgt. Ein weitergehender Anspruch ergibt sich auf der Grundlage von § 33 SGB V nicht. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem von dem Antragsteller angeführten Beschluss des LSG Nordrhein-Westfalen vom 28.10.2014 - L 5 KR 414/14 B ER. Denn in dem dort zu Grunde gelegten Sachverhalt bestand für die Antragstellerin gerade keine Möglichkeit mehr, die Wohnung zu verlassen, weil sie nicht in der Lage war, die ihr zur Verfügung stehende mobile Einheit zu transportieren.

Für eine darüber hinaus gehende Mobilität kann sich ein Anordnungsanspruch nur auf §§ 53ff. SGB XII stützen. Aber auch dessen Voraussetzungen sind nach summarischer Prüfung nicht erfüllt. Die Eingliederungshilfe hat nach § 53 Abs. 3 Satz 1 SGB XII u.a. die Aufgabe, die Folgen einer Behinderung zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört nach § 53 Abs. 3 Satz 2 SGB XII insbesondere, dem behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, ihm die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen oder ihn so weit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen. Zur Erfüllung dieser Aufgabe stellt der Träger der Sozialhilfe nach § 58 Abs. 1 SGB XII frühzeitig einen Gesamtplan auf. Das Ziel der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft kann vorliegend mit dem begehrten mobilen Flüssigsauerstoffgerät, das eine Mobilität von mehr als 3 bis 4 Stunden gewährleisten soll, nicht erreicht werden. Denn der Antragsteller hat Pflegestufe II und ist nicht nur aufgrund seiner Lungenerkrankung, sondern auch aus anderen krankheitsbedingten Gründen nur begrenzt zur Teilhabe in der Lage. Aus dem Pflegegutachten vom 02.07.2016 ergibt sich, dass der Antragsteller nur eingeschränkt belastbar und eingeschränkt mobil ist. Er bewegt sich ausschließlich mit einem Rollator und braucht auch dabei aufgrund von Unsicherheiten immer wieder Hilfe. Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung übernimmt die Pflegeperson. Auch bei Gewährung eines mobilen Flüssigsauerstoffgerätes mit einer längeren Versorgungsdauer kann die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft, wie sie durch die Vorschriften über die Eingliederungshilfe definiert ist, nicht verwirklicht werden.

Da ein Anordnungsanspruch nicht gegeben ist, kommt es auf die Frage eines Anordnungsgrundes nicht mehr an.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Referenznummer:

R/R7681


Informationsstand: 19.09.2018