Urteil
Versorgung mit einem Mollii suit - Kostenübernahme

Gericht:

SG Potsdam 3. Kammer


Aktenzeichen:

S 3 KR 255/21


Urteil vom:

15.02.2024


Tenor:

1. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 10. Februar 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juli 2021 verurteilt, die Klägerin entsprechend eines aktuellen Kostenvoranschlags der Firma S GmbH & Co. KG mit einem Mollii suit zu versorgen.

2. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des erstinstanzlichen Rechtsstreits zu erstatten.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

JURIS-GmbH

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Versorgung mit einem Mollii suit.

Die 1977 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Sie leidet unter

• Multipler Sklerose mit Schüben

als Defekte der Erkrankung bestehen:

• Spastische rechts- und beinbetonte Paraparese

• Gangataxie, Rumpfataxie, mit Sturzgefahr

• Gehfähigkeit am Rollator 200 m,

• Schlaffe Fußheberparese rechts

• Instabilität im Kniegelenk rechts

• Feinmotorikstörung der Hände

• körperliche und geistige Fatigue

• neuropatisches Schmerzsyndrom

• Blasenentleerungsstörung und Inkontinenz

• EDSS 5.0

• Restless-Legs-syndrom

• Baker Zyste rechtes Knie.

Mit Verordnung durch Herrn A (Facharzt für Neurologie) vom 7. Dezember 2020 beantragte die Klägerin bei der Beklagten unter Beifügung eines Kostenvoranschlags vom 26. Januar 2021 durch die Firma S GmbH & Co. KG die Kostenübernahme für einen Mollii suit.

Mit Bescheid vom 10. Februar 2021 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Sie legte dar, es handele sich um eine Behandlungsmethode die nicht zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig sei. Eine Kostenübernahme könne nicht erfolgen. Es gebe anerkannte und verordnungsfähige Elektrostimulationstherapien, die im Hilfsmittelverzeichnis gelistet seien.

Die Klägerin erhob mit Schreiben vom 5. März 2021 Widerspruch. Es handele sich beim Mollii suit nicht um eine Behandlungsmethode sondern um ein Hilfsmittel. Durch die MS sei ihre Gehstrecke (ca. 250 m) stark reduziert. Trotz Hilfsmitteln bestehe eine erhöhte Sturzgefahr. Ihr Gleichgewichtssinn sei sehr stark beeinträchtigt. Vor allem bei schnellen Bewegungsabläufen falle es ihr schwer das Gleichgewicht zu halten. Die Grob- und Feinmotorik der oberen Extremität sei durch die ständige Unruhe stark eingeschränkt. Ihr Körper sei ständig in Bewegung. Dadurch würden selbst einfachste alltägliche Dinge zu großen Herausforderungen im Sinne der Aktivitäten des täglichen Lebens. Nach der Probeversorgung mit dem Mollii suit sei ihr Körper „heruntergefahren“. Sie habe sich sehr entspannt und ruhig gefühlt. Die Standsicherheit und das Gleichgewichtsgefühl hätten sich nachweislich anhand der ICF-gestützten Protokollierung verbessert. Alltagssituationen seien ihr viel einfacher gefallen. Die Klägerin hat Unterlagen über die Probeversorgung mit dem Mollii suit eingereicht. Wegen des Inhalts wird auf Blatt 6 bis 1 der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 28. Juli 2021 als unbegründet zurück. Sie verwies im Wesentlichen darauf, dass neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zulasten der Krankenkassen nur erbracht werden dürften sofern der Gemeinsame Bundesausschuss eine positive Empfehlung abgegeben habe. Dies sei für den beantragten Mollii suit nicht der Fall.

Mit ihrer bei dem Sozialgericht Potsdam am 10. August 2021 eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren fort. Der Mollii suit stelle ein Hilfsmittel im Sinne von § 33 SGB V und keine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode dar. Das begehrte Hilfsmittel stehe nicht in einem engen Zusammenhang mit der Krankenbehandlung und könne mangels therapeutischer Zielsetzung keinen patientenrelevanten Nutzen in dem für eine Empfehlung nach § 135 Absatz 1 S. 1 SGB V erforderlichen Sinn entfalten. Es werde mit dem Hilfsmittel gerade kein therapeutischer Erfolg angestrebt. Ihr gehe es um den Behinderungsausgleich beim Gehen und nicht um die Behandlung ihrer Grunderkrankung. Es bedürfe auch keines zugrunde liegenden Behandlungskonzepts von dem der Einsatz des Hilfsmittels nicht zu trennen sein könnte. Gleiches gelte auch für einen irgendwie gearteten ärztlichen Therapieplan. Dies sei nicht erforderlich. Vielmehr solle der Mollii suit lediglich verkrampfte Muskeln infolge spastischer Lähmungen und anderer neurologischer Bewegungsstörungen lösen und so unterstützend bei der Beweglichkeit wirken. Er ziele auf zwar noch vorhandene, aber fehlgebildete bzw. geschädigte Muskulatur ab. Im Schwerpunkt handele es sich daher um eine gewöhnliche Orthese im Sinne eines Hilfsmittels gemäß § 33 SGB V. Ein besonderer Nachweis eines medizinischen Nutzens sei daher nicht geboten. Denn der Mollii suit solle insbesondere Folgen u.a. bei multipler Sklerose ausgleichend mobilisieren. Er sei daher als orthopädisches Hilfsmittel zu qualifizieren. Diese sollten in der Regel eine orthopädische Behandlung sichern, fördern oder unterstützen bzw. stabilisieren. Der Mollii suit löse verkrampfte Muskeln mit elektrischen Impulsen. Damit könnten Menschen mit Spastiken mobilisiert werden, was ein unabhängigeres Leben ermögliche. Durch die Elektrostimulation entspanne der Mollii suit die verspannte und schmerzende Muskulatur. Er werde auf ihre individuellen Bedürfnisse eingestellt und könne verschiedene Formen der Muskelverkürzung und Muskelsteifigkeit vorbeugen. Demnach werde die Körperfunktionen soweit möglich ausgeglichen. Die vorhandene, aber fehlgebildete und sonst wie geschädigte Muskulatur bzw. Nervenaktivität werde gefördert, unterstützt und stabilisiert. Sie könne so ein selbstständigeres Leben führen und die Anforderungen des Alltags meistern. Auf die Entscheidung des LSG Baden- Württemberg vom 19. Juli 2018 (Aktenzeichen: L 11 KR 1996/17) Bezug genommen. Auch der Mollii suit setze unmittelbar an der durch Lähmung ausgefallenen Körperfunktion an.


Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin unter Aufhebung der Entscheidung vom 10. Februar 2021 in Gestalt der Widerspruchsentscheidung vom 28. Juli 2021 entsprechend eines aktuellen Kostenvoranschlags der Firma S GmbH & Co. KG mit einem Mollii suit zu versorgen.


Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es komme allein der Behinderungsausgleich nach § 33 Absatz 1 S. 1 3. Variante SGB V zum Tragen. Der Produktbeschreibung sei zu entnehmen, dass es sich bei dem Mollii suit um ein Medizinprodukt handele, dass für die transkutane Niederfrequenz-Ganzkörper-Elektrostimulation verwendet werde, um typische Folgeerkrankungen neurologischer Erkrankungen, wie z.B. multipler Sklerose, zu verringern. So diene es z.B. der Entspannung der von Spastiken betroffenen Muskeln. Damit dürfte es sich um ein Hilfsmittel zur mittelbaren und nicht zum unmittelbaren Behinderungsausgleich handeln. Die Klägerin sei mit einer Fußheberorthese, einer Kniegelenksorthese, einem Leichtgewichtsrollstuhl und einem Rollator versorgt. Mit diesen Hilfsmitteln sei eine ausreichende und zweckmäßige Versorgung im Rahmen des mittelbaren Behinderungsausgleich sichergestellt. Bei dem Mollii suit seien im Anzug 58 Elektronen so angeordnet, dass bis zu 40 Muskeln damit stimuliert werden könnten. Nach aktueller Studienlage gebe es keine evidenzbasierten Wirksamkeitsbelege für diesen Anzug. Alternativen, die eine Stimulation von bis zu 40 Muskeln bewirken könnten, könne sie nicht benennen.

Frau B hat im Gutachten für den MDK am 27. Juni 2022 mitgeteilt, dass nach der Herstellerinformation der Einsatzbereich für die transkutane unterschwellige Ganzkörper-Elektrostimulation verwendet werde. Der Anzug werde nur für 1 Stunde täglich oder alle 2 Tage getragen werden muss, da die Wirkung bis zu 48 Stunden anhalte und sich im Verlauf der Zeit sogar verlängere. Damit handele es sich nicht um ein dauerhaft einzusetzendes, jederzeit mitzuführendes Hilfsmittel im Sinne des unmittelbaren Behinderungsausgleichs, das beantragte Produkt komme gemäß Herstellerzweckbestimmung vielmehr im Sinne der Krankenbehandlung (§ 33 Abs. 1 S. 1 1. Alt. SGB V) zum Einsatz. Klinische Studien von medizinisch-wissenschaftlicher Aussagekraft, die die Wirkung des beantragten Produkts, belegen, fehlen bisher. Allein die Tatsache, dass hier, wie in anderen medizinischen Anwendungen, elektrischer Strom – hier im Sinne einer Latenz-Therapie – zum Einsatz komme, könne nicht begründen, dass es sich hier um eine etablierte Behandlungsmethode handele. Eine Behandlungsmethode sei durch die Verfahrensschritte/den Stoff und die Indikation und die Anwendungsmodalitäten (wie Dosis/Intensität, Anwendungsanzahl/-Dauer, Applikationsart) definiert. Bei Veränderungen eines der Bestandteile müsse von einer neuen Methode ausgegangen werden und eine neue Bewertung erfolgen. Der MDK verweist auf das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 20. Januar 2022 (Aktenzeichen S 31 KR 1648/21). Wegen des Inhalts des Gutachtens von Frau B vom 27. Juni 2022 wird auf Bl. 59 bis 68 der Gerichtsakte Bezug genommen.

Das Gericht hat Beweis erhoben und einen Befundbericht des verordneten Arztes Herrn Dr. A vom 7. Mai 2023 angefordert. Der Mediziner hat zusammenfassend mitgeteilt, dass der Mollii suit zum Ausgleich der erkrankungsbedingten körperlichen Defizite verordnet worden sei. Die Verordnung sei aufgrund der Gang- und Rumpfataxie notwendig. Unter dem Probe-Einsatz des Mollii suit waren die Symptome für die Zeitdauer der Anwendung gebessert. Der Mollii suit sei daher zum Ausgleich des Funktionsdefizits geeignet. Er hat verneint, dass er den Mollii suit als Untersuchungs- bzw. Behandlungsmethode verordnet habe und dargelegt, dieser stelle kein Reha/Funktionsübungsgerät dar, sondern diene ähnlich einer Orthese dem Behinderungsausgleich. Als positive gesundheitliche Auswirkungen habe sich bei der Klägerin unter der Testung ergeben, dass die Klägerin weniger rumpf- und gangataktisch gewesen sei. Die Klägerin sei zwar mit Hilfsmitteln wie Rollator und Kniegelenksorthese rechts und Fußheberorthesen rechts versorgt, trotzdem komme es aufgrund der Rumpf- und Gangataxie zu Stürzen mit Verletzung. Die Gangataxie sei unter der Anwendung des Mollii suit deutlich rückläufig gewesen. Die Argumentation des Gutachtens des MDK von Frau B sei nachvollziehbar, aber im Grundsatz falsch, da es sich nach seinem Ermessen bei Mollii suit um ein direktes Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich handele. Alternativen seien ihm nicht bekannt. Zum Inhalt des Befundberichts von Dr. A wird auf Bl. 94 der Gerichtsakte Bezug genommen.

Die Beklagte hat eine weitere Begutachtung durch den MD veranlasst. Frau Dr. V hat in dem Gutachten vom 11. September 2023 dargelegt, die Muskelstimulation zur Linderung von Spastiken sei aus medizinischer Sicht als Krankenbehandlung einzustufen, wenngleich im Nebeneffekt möglicherweise durch Verbesserung der Gehfähigkeit auch ein gewisser Behinderungsausgleich erreicht werden kann. Der wissenschaftliche Nachweis sei bisher nicht erbracht. In Sequenzen der vergleichenden Videodokumentation nach Stimulation trete das Phänomen, dass der linke Fuß der Klägerin umkehrt und statisch korrigiert werden muss und dass der Gang unsicher sei, etwas weniger auf, was insgesamt zu einer gewissen Stabilisierung des Gangbildes führe. Eine wesentliche oder aber maßgebliche Verbesserung könne aber nicht erkannt werden. Eine verbesserte Stabilität in den Sprunggelenken würde über propriozeptive Effekte nämlich auch zur Verbesserung der Rumpfstabilität führen. Die von der Klägerin mitgeteilte subjektive Verbesserung der Muskelverkrampfungen sei letztlich schlecht objektivierbar und hinsichtlich des Gebrauchsvorteils nicht zu beurteilen. Der Zustand der Muskelanspannung und gegebenenfalls vorliegenden Spastik unterliege vielfältigen Einflussfaktoren (unter anderem Temperatur, Gemütszustand usw.), sodass eine Objektivierung der Wirksamkeit des Anzug auf einen Gebrauchsvorteile nicht erfolgen könne. Wegen des Inhalts des Gutachtens von Frau Dr. V wird auf 142-155 der Gerichtsakte Bezug genommen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstands sowie des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die vorgelegen hat und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, sowie auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß Klage ist zulässig. Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 10. Februar 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juli 2021 verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Versorgung mit einem Mollii suit.

Die die Beklagte hat zu Unrecht die Versorgung mit dem begehrten Mollii suit abgelehnt.

Nach §§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, 33 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) haben Versicherte im Rahmen der Krankenbehandlung Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Nach § 12 Abs. 1 Satz 1 SGB V müssen die von der gesetzlichen Krankenkasse zu erbringenden Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen (§ 12 Abs. 1 Satz 2 SGB V).

Bei der begehrten Ganzkörperorthese Mollii suit handelt es sich um eine sächliche medizinische Leistung und damit um ein Hilfsmittel. Es besteht kein Ausschluss als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens oder durch Rechtsverordnung nach § 34 Abs. 4 SGB V.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG bestimmt sich der Umfang des von der gesetzlichen Krankenversicherung durch Hilfsmittel zu gewährenden Behinderungsausgleichs danach, ob eine Leistung des unmittelbaren oder des mittelbaren Behinderungsausgleichs beansprucht wird. Bei Prothesen handelt es sich um Fälle des unmittelbaren Behinderungsausgleichs, da mit diesen die ausgefallene Körperfunktionen des Stehens, Gehens und Rennens als solche wiederhergestellt werden sollen und nicht nur die Kompensation der Folgen des Ausfalls in Frage stehen wie etwa bei einem Rollstuhl. Im Rahmen des unmittelbaren Behinderungsausgleichs schuldet die gesetzliche Krankenversicherung einen möglichst vollständigen Ausgleich der Behinderung im Sinne eines Gleichziehens des behinderten Menschen mit den Fähigkeiten eines gesunden Menschen. Die Grenze der Leistungsverpflichtung wird erst erreicht, wenn weitere Gebrauchsvorteile zwar noch möglich sind, sie aber nicht mehr wesentlich erscheinen.

Bei der Klägerin liegt eine Behinderung durch die Folgen der Multiplen Sklerose mit Schüben vor. Die Klägerin leidet unter einer spastischen rechts- und beinbetonten Paraparese, einer Gangataxie, einer Rumpfataxie mit Sturzgefahr. Ihre Gehfähigkeit am Rollator beträgt lediglich 200 m. Darüber hinaus leidet sie an einer schlaffen Fußheberparese rechts, einer Instabilität im Kniegelenk rechts, an einer Feinmotorikstörung der Hände sowie einer körperlichen und geistigen Fatigue, einem neuropatischen Schmerzsyndrom, einer Blasenentleerungsstörung und Inkontinenz, EDSS 5.0, einem Restless-Legs-syndrom.

Aufgrund der vorgenannten Gesundheitsstörungen bei bestehender Gang- und Rumpfataxie soll der begehrte Mollii suit dem Behinderungsausgleich der Klägerin beim Gehen dienen. Er soll nach dem Befundbericht des Facharztes für Neurologie Herrn Dr. A vom 7. Mai 2023 eine verbesserte Gangfähigkeit und Verringerung der Rumpfataxie zu einem besseren Gehen und zur Verhinderung von Stürzen mit Verletzung aufgrund der Rumpf- und Gangataxie dienen.

Ziel der Versorgung behinderter Menschen mit Hilfsmitteln ist die Förderung ihrer Selbstbestimmung und ihrer gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft (§ 1 Satz 1 SGB IX). Die sich daraus ergebende Frage, welche Qualität und Ausstattung ein Hilfsmittel haben muss, um als geeignete, notwendige, aber auch ausreichende Versorgung des Versicherten gelten zu können (§§ 2 Abs. 4, 12 Abs. 1 und 33 Abs. 1 SGB V), beantwortet sich danach, welchem konkreten Zweck die Versorgung im Einzelfall dient. Soll ein Hilfsmittel die Ausübung einer beeinträchtigten Körperfunktion unmittelbar ermöglichen, ersetzen oder erleichtern (z.B. Prothesen), ist grundsätzlich ein Hilfsmittel zu gewähren, das die ausgefallene bzw. gestörte Funktion möglichst weitgehend kompensiert, also den umfassendsten Gebrauchsvorteil bietet (BSG vom 06.06.2002, B 3 KR 68/01 R zum C-Leg). Qualität und Wirksamkeit der Leistungen müssen insoweit dem allgemein anerkannten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entsprechen und den medizinischen Fortschritt berücksichtigen (§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V) (vgl. z. B. Urteil LSG Baden-Württemberg vom 12. Juli 2006 L 5 KR 5148/05).

Unter Berücksichtigung dieser Kriterien führt die Versorgung mit dem begehrten Mollii suit nach dem Ergebnis der Ermittlungen im gerichtlichen Verfahren aber zu wesentlichen Gebrauchsvorteilen für die Klägerin.

Hierzu hat insbesondere der verordnende Mediziner Herr Dr. A in seinem Befundbericht vom 7. Mai 2023 mitgeteilt, dass bei der bestehenden Gang- und Rumpfataxie unter dem Probeeinsatz des Mollii suit die Symptome für die Zeitdauer der Anwendung gebessert waren. Die bei der Klägerin bestehende ataxiebedingte Sturzneigung/Gangstörung ließe sich aus Sicht des Mediziners Herrn Dr. A verbessern, denn die Ataxie war unter der Anwendung des Mollii suit deutlich rückläufig gewesen. Darüber hinaus hat der behandelnde Facharzt für Neurologie Dr. A mitgeteilt, dass die Klägerin zwar mit Hilfsmitteln wie Rollator, Kniegelenksorthese rechts und Fußheberorthesen rechts versorgt ist, es aber trotzdem aufgrund der Rumpf- und Gangataxie zu Stürzen mit Verletzung kommt und ihm kein entsprechendes anderes anwendbares Hilfsmittel bekannt ist.

Die erkennende Kammer konnte den Mitteilungen des behandelnden Facharztes für Neurologie Herrn Dr. A folgen. Zunächst hat auch die Beklagte auf gerichtliche Nachfrage mitgeteilt, dass ihr – obwohl sie dies im ablehnenden Bescheid so dargelegt hat – kein entsprechendes anderes Hilfsmittel zur entsprechenden Elektrostimulation bekannt ist. Auch der MDK hatte in beiden Gutachtern keine entsprechende Alternative benannt.

Maßgeblich ist für die erkennende Kammer jedoch, dass auch bei Einsicht der Kammer in die übersandte Videosequenz der Probe-Versorgung mit dem begehrten Mollii suit anschaulich ein wesentlicher Gebrauchsvorteil für die Klägerin erreicht worden ist.

Anhand der Videodokumentation war für die Beurteilung der erkennenden Kammer ersichtlich, dass die Klägerin mit dem gewünschten Mollii suit zu einer verbesserten Standsicherheit, einer Verbesserung des Gangbildes und einer Besserung des physiologischen Bewegungsablaufs gelangte. Insgesamt wirkte die Klägerin mit der begehrten Versorgung deutlich weniger unsicher beim Laufen und Überwinden von Hindernissen als ohne die gewünschte Versorgung.

Denn nachdem die Elektrostimulation bei dem Mollii suit eingeschaltet wurde, konnte die Klägerin zügiger und sicherer laufen. Eine Fallneigung war nicht nachweisbar. Das Gangbild war mehr nicht mit einer Unsicherheit im Sinne einer Sturzgefahr verbunden. Die Klägerin konnte auch ohne die Gefahr des Umkippens rückwärts laufen. Auch das (fiktive) Überwinden einer Treppenstufe gelang wesentlich zügiger und sicherer. Zusammenfassend ergibt sich daher, dass durch den Mollii suit bei der Klägerin die eingeschränkte Mobilität verbessert werden konnte. Die vorliegende Gangunsicherheit und Sturzneigung konnte durch die Elektrostimulation deutlich verbessert werden. Insbesondere beim Laufen und beim Treppensteigen zeigte sich eine vermehrte Sicherheit. Der physiologischere Bewegungsablauf war mit dem Mollii suit anhand der Videodokumentation für die Kammer erkennbar und nachvollziehbar, sodass hier wesentliche Gebrauchsvorteile für die Klägerin festzustellen waren.

Diese Einschätzung der erkennenden Kammer findet die Kammer selbst bestätigt in dem MDK Gutachten durch Frau Dr. V vom 11. September 2023, die ebenfalls die vergleichende Videodokumentation eingesehen hat.

Frau Dr. V hat mitgeteilt, dass das bei der Klägerin bestehende Phänomen, dass der linke Fuß umkehren und statisch korrigiert werden müsse und dass der Gang unsicher sei, nach der Stimulation etwas weniger auftrat, sodass sie darlegte, dass dies insgesamt zu einer gewissen Stabilisierung des Gangbildes führe. Entgegen der Auffassung von Frau Dr. V konnte die erkennende Kammer in der vergleichenden Auswertung der Videosequenzen darin jedoch einen wesentlichen und maßgeblichen Gebrauchsvorteil – wie oben dargelegt – erkennen.

Die Kammer berücksichtigt dabei auch die bereits im Verwaltungsverfahren mitgeteilte subjektive Verbesserung der Muskelverkrampfungen durch die Klägerin. Darüber hinaus hat die Klägerin für die erkennende Kammer glaubwürdig auf gerichtliche Nachfrage in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht Potsdam mitgeteilt, dass die innere Unruhe und die angespannten Muskeln nicht so angespannt waren wie sonst. Die Klägerin hat mitgeteilt, sie konnte auch viel entspannter gehen und habe sich auch entspannter gefühlt. Dadurch war das Gehen auch besser, weil es eben nicht mehr so verkrampft und angespannt gewesen ist. Genau diesen Erfolg konnte die erkennende Kammer auch anhand der Videodokumentation im Rahmen der Probe-Versorgung mit dem Mollii suit erkennen.

Damit ist jedoch ein wesentlicher Gebrauchsvorteil und eine deutliche Verbesserung hinsichtlich der bestehenden Behinderung der Klägerin gegeben.

Gestützt wird diese Einschätzung auch durch die Mitteilung des zum Termin der mündlichen Verhandlung anwesenden Herrn F vom Leistungserbringer der Firma S GmbH & Co. KG. Herr F hat auf Nachfrage der Beklagten glaubwürdig für die erkennende Kammer erklärt, dass sofern dem Patienten der Mollii suit nach Tragefrequenz wieder weggenommen wäre, es so wäre, als würde man der Klägerin den Rollator wegnehmen.

Daher ist es nach den erfolgten Ermittlungen für die erkennende Kammer auch unerheblich, dass der Mollii suit in den Frequenzen von einem, zwei oder drei Tagen für ein bis 2 Stunden getragen wird und nicht permanent an der Klägerin eingesetzt wird.

Es handelt sich daher vorliegend um ein Hilfsmittel zum unmittelbaren Behinderungsausgleich, sodass eine fehlende positive Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses keine Sperrwirkung gemäß § 135 SGB V entfalten kann.

Wird ein Hilfsmittel als untrennbarer Bestandteil einer neuen vertragsärztlichen Behandlungs- oder Untersuchungsmethode eingesetzt, hat zwar die Krankenkasse die Kosten hierfür grundsätzlich erst zu übernehmen, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss die Methode positiv bewertet hat (Landessozialgericht Berlin- Brandenburg, Urteil vom 24. Oktober 2019; Aktenzeichen: L 1 KR 15/18 mit weiteren Nachweisen auf die höchstrichterliche Rechtsprechung, Rz. 37; zitiert nach www.juris.de).

Ein Hilfsmittel dient dem Versorgungsziel des Erfolgs der Krankenbehandlung dann, wenn es spezifisch im Rahmen der ärztlich verantworteten Krankenbehandlung eingesetzt wird, um den mit ärztlicher Behandlung und weiteren Therapien erreichten Zustand zu unterstützen oder zu sichern (vgl. BSG, Urteil vom 8. Juli 2015 - B 3 KR 5/14 R - juris, Rn. 20, m.w.N.). Dies ist hier nicht der Fall. Denn es ist nicht erkennbar, dass das Tragen des Mollii suit im Rahmen einer ärztlich verantworteten Krankenbehandlung eingesetzt werden soll.

Denn die Verordnung des Mollii suit erfolgte nicht zu Therapiezwecken. Auch hierzu bezieht sich die erkennende Kammer auf den Befundbericht von Herrn Dr. A, der in seinem Befundbericht vom 7. Mai 2023 mitgeteilt hat, dass der Mollii suit kein Reha/Funktionsübungsgerät darstellt sondern ähnlich einer Prothese dem Behinderungsausgleich dient. Dies hat der Mediziner aufgrund der gerichtlichen Frage, ob der Mollii suit als Untersuchungs- bzw. Behandlungsmethode verordnet worden ist, angegeben. An den Äußerungen von Herrn Dr. A ergeben sich keinerlei Zweifel.

Ausgehend davon ist die Klägerin mit dem begehrten Mollii suit zu versorgen. Die Klage hatte daher Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Referenznummer:

R/R9849


Informationsstand: 07.05.2025