II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der ASt ist zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (
SGG). Das Sozialgericht hat ihr nicht abgeholfen (§ 174
SGG). Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet, weil die ASt den von ihr behaupteten Anspruch auf die vorläufige Gewährung eines WC-Aufsatzes mit Wascheinrichtung nicht hinreichend glaubhaft machen konnte.
Eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis (Regelungsanordnung) ist zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86 b
Abs. 2 Satz 2
SGG). Das ist etwa dann der Fall, wenn der ASt ohne eine solche Anordnung schwere oder unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so Bundesverfassungsgericht (
BVerfG) BVerfGE 79, 69 (74); 46, 166 (179)).
Eine solche Regelungsanordnung setzt zudem voraus, dass die ASt Tatsachen zum Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und zum Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch - gemäß § 86b
Abs. 2 Sätze 2, 4
SGG i.V.m. §§ 920
Abs. 2, 294
Abs. 1 Zivilprozessordnung (
ZPO) glaubhaft machen kann (Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer,
SGG, 8. Auflage 2005, § 86b
Rdnr. 41). Unter Glaubhaftmachung ist die Beweisführung aufgrund überwiegender Wahrscheinlichkeit zu verstehen, was anstelle des Vollbeweises einen geringeren Wahrscheinlichkeitsgrad zulässt (
vgl. dazu näher Zöller/ Greger,
ZPO, 25. Auflage 2005, § 294,
Rdnr. 1, 6).
Nach
§ 33 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (
SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern (1. Alternative), einer drohenden Behinderung vorzubeugen (2. Alternative) oder eine Behinderung auszugleichen (3. Alternative), soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach
§ 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind.
Der hiermit nur unvollständig umschriebene Begriff des Hilfsmittels wird in
§ 31 Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) konkretisiert, der die "Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen" betrifft und auch für die Krankenkassen als Rehabilitationsträger gilt. Danach umfasst die Versorgung mit Hilfsmitteln (Körperersatzstücke sowie orthopädische und andere Hilfsmittel) iS des
§ 26 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX (Leistungen zur medizinischen Rehabilitation behinderter und von Behinderung bedrohter Menschen) die technischen Hilfen, die von den Leistungsempfängern getragen oder mitgeführt oder bei einem Wohnungswechsel mitgenommen werden können und unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls erforderlich sind, um einer drohenden Behinderung vorzubeugen (
Nr. 1), den Erfolg einer Heilbehandlung zu sichern (
Nr. 2) oder eine Behinderung bei der Befriedigung von Grundbedürfnissen des täglichen Lebens auszugleichen (
Nr. 3), soweit sie nicht allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens sind.
Der begehrte WC-Aufsatz ist kein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Vielmehr handelt es sich um ein Gerät, dass speziell für die Bedürfnisse kranker und behinderter Menschen entwickelt und hergestellt worden ist. Es ist auch nicht durch
Rechtsverordnung als Hilfsmittel ausgeschlossen. Im Hilfsmittelverzeichnis der Spitzenverbände der Krankenkassen gemäß
§ 128 SGB V sind WC-Aufsätze mit Spülung in die Produktgruppe 33 (Toilettenhilfe) unter der weiteren Ziffer 40.05.0001 aufgeführt und einzuordnen. Dies wird auch von der Ag nicht bestritten. Bei dem WC-Aufsatz mit Wascheinrichtung - WC-VAmat - handelt es sich daher um ein Hilfsmittel im Sinne des § 33
Abs. 1 Satz 1
SGB V, das dazu dient, eine Behinderung bei der Befriedigung von Grundbedürfnissen des täglichen Lebens auszugleichen.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (
BSG) umfasst die Leistungspflicht der Krankenkassen bei Hilfsmitteln nicht alle Gegenstände, die, neben anderen Zwecken, auch dem Ausgleich einer Behinderung dienen. Besteht der Verwendungszweck eines Gegenstandes ganz überwiegend darin, die Durchführung der Pflege zu ermöglichen oder zu erleichtern, so begründet allein die Tatsache, dass er auch dem Behinderungsausgleich dient, nicht automatisch die Leistungspflicht der Krankenkasse (
vgl. BSG, Urteil vom 28.5.2003 -
B 3 KR 30/02, zitiert nach Juris).
Zu den allgemeinen Grundbedürfnissen im Sinne des § 33
SGB V zählt auch die eigenständige Durchführbarkeit der Verrichtung Blasen- und Darmentleerung. Gerade bei solch intimen Verrichtungen, die im Ablauf des täglichen Lebens anfallen, ist das Selbstbestimmungsrecht betroffen und damit eine Rechtsposition, deren Stellenwert bei der Rehabilitation von Behinderten der Gesetzgeber durch das
SGB IX in jüngster Zeit nochmals besonders verdeutlicht hat.
§ 1 SGB IX bezeichnet die Förderung der Selbstbestimmung behinderter Menschen und ihrer gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gesellschaft als wesentliches Ziel der Leistungen zur Rehabilitation. Diese Vorgabe ist auch bei der Hilfsmittelversorgung behinderter Menschen zu beachten. Auch wenn ein Behinderungsausgleich keinen vollständigen Ausgleich der Einschränkungen voraussetzt, ist gleichwohl erforderlich, das das begehrte Hilfsmittel zu einem gewissen Maß an Selbständigkeit und zu einem damit verbundenen entscheidenden Gewinn bei der Erschließung eines gewissen Freiraums führen kann (
BSG a.a.O).
Der Zuwachs an Selbstständigkeit in den Grundverrichtungen des täglichen Lebens durch das zu prüfende Hilfsmittel ist nach objektiven Maßstäben und nicht nach dem Maß des persönlichen Zugewinns für den Behinderten zu bewerten. Dies folgt daraus, dass die Erforderlichkeit am Hilfsmittel selbst ansetzt, nicht aber an dem Zugewinn der Selbstständigkeit für den Versicherten (so zutreffend Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 15.3.2005 -
L 5 KR 105/03, zitiert nach Juris).
Die ASt begründet die Erforderlichkeit des WC-Aufsatzes mit Reinigungsvorrichtung im Wesentlichen damit, dass sie die Verrichtung der "Blasen- und Darmentleerung" eigenständig durchführen will und kann. Nur mit Hilfe dieses Gerätes könne sie auf die ihr unangenehme Unterstützung ihres Sohnes bei der Reinigung im Intimbereich verzichten und sei keinen weiteren Infektionsrisiken durch die von ihr krankheitsbedingt fehlerhaft durchgeführte Reinigung im Intimbereich mehr ausgesetzt.
Der Senat vermag einen vorläufigen Anspruch auf Gewährung eines WC-Aufsatzes mit Reinigungsvorrichtung nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit festzustellen. Es fehlt an entsprechenden Glaubhaftmachungen der ASt, in welcher Weise sie ihre Grundverrichtung "Blasen und Darmentleerung" überhaupt noch selbstständig bewältigen kann. Zudem erweist sich ihr Sachvortrag in dieser Frage als nicht widerspruchsfrei und damit wenig nachvollziehbar. Die ASt behauptete im Erörterungstermin vom 14. März 2007, sie müsse Windeln nur noch nachts tragen und könne den begehrten WC-Aufsatz uneingeschränkt eigenständig bedienen. Der von ihr Bevollmächtigte stützte diese Aussage und gab zudem an, die ASt suche jeweils selbstständig den Toilettenbereich auf und sei in der Lage, die Toilettenvorrichtungen zweckentsprechend zu bedienen. Allein ihre durch die Armschwäche bedingte fehlerhafte Reinigung führe zu den gefährdenden Kotverschmutzungen im Intimbereich und den damit verbundenen Infektionsrisiken. Diese angeblich verbesserte Selbstständigkeit im Grundverrichtungsbereich "Blasen-und Darmentleerung" wird durch die vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen nicht bestätigt. Bereits im Gutachten des Sozialmedizinischen Dienstes vom 12. September 2006 finden sich deutliche Hinweise auf einen ganz erheblichen Pflegebedarf der ASt im Bereich der Grundpflege und einer fehlenden Fähigkeit zur Bewältigung alltäglicher Verrichtungen.
Auch die Feststellung eines Grades der Behinderung von 100 und die Zuerkennung der genannten Merkzeichen deutet auf ganz erhebliche Einschränkungen hin. Selbst nach den von der ASt vorgelegten ärztlichen Unterlagen finden sich nur Hinweise auf eine unkontrollierbare Stuhlinkontinenz mit häufigem Durchfall. So hat
Dr. H. noch unter dem 21. Februar 2007 für die ASt eine Stuhlinkontinenz mit häufigen Durchfällen und dem Erfordernis, Windeln zu tragen, beschrieben. Dies bestätigt auch das Gutachten des Sozialmedizinischen Dienstes vom 20. Februar 2007. Nach allen vorliegenden ärztlichen Unterlagen finden sich keinerlei Hinweise, die auf eine behauptete Verbesserung der Stuhlinkontinenz und eine hohe Selbstständigkeit in diesem Bereich auch nur hindeuten könnten. Die gutachterlich bestätigte Fähigkeit der ASt, teilweise die Toilette noch selbst aufsuchen zu können, ist mit einer vom
BSG gemeinten weitgehend vollständigen Selbständigkeit bei der Wahrnehmung der jeweiligen Grundverrichtung nicht einfach gleichzusetzen.
In diesem Zusammenhang kommt bei der ASt auch der Demenz mit Orientierungsstörungen eine erhebliche Bedeutung zu. Gerade die von ihr selbst behauptete Zunahme der psychischen Defekte war Hintergrund der Erstattung des Gutachtens vom 20. Februar 2007. Dies bestätigt sie im Übrigen auch in ihrer auf die Pflegestufe III gerichteten Klageschrift vom 11. März 2007, in der sie eine weitere Verschlechterung auf diesem Gebiet behauptet hat. Hiernach könne sie nicht mehr ohne fremde Hilfe in der Wohnung herumlaufen und sei desorientiert, was auf eine weitere Erhöhung des Pflegebedarfs und damit Verringerung der eigenen Selbständigkeit hindeuten würde. Es ist daher nicht recht nachvollziehbar, warum es trotz dieser von ihr selbst behaupteten Erhöhung des Pflegebedarfs und der Verschlechterung ihrer Orientierungsfähigkeiten gerade im Bereich der "Blasen- und Darmentleerung" zu einer durchgreifenden Verbesserung der Selbständigkeit gekommen sein soll. Schließlich setzt eine Blasen- und Darmschulung gerade eine bewusste, zielgerichtete und kontinuierliche geistige Mitarbeit des Anzulernenden voraus.
Die von der ASt und ihrem Bevollmächtigten im Erörterungstermin behaupteten Verbesserungen in der Beherrschung der Stuhlkontinenz sind daher weder ärztlich bestätigt noch von der ASt und ihrem Vertreter plausibel begründet worden. Es bestehen daher durchgreifende Zweifel, ob die ASt im Bereich der Körperhygiene und des Toilettengangs gerade wegen ihrer verschlechterten geistigen Erkrankung überhaupt noch die vom
BSG vorausgesetzte wesentliche Selbstständigkeit erreichen kann. Objektivierbare Anhaltspunkte, die für eine erfolgreiche Schulung der ASt und eine Verbesserung ihrer Selbstständigkeit bei der Durchführung dieser Grundverrichtung sprechen könnten, finden sich jedenfalls nicht. Die vorliegenden Umstände sprechen vielmehr eher dafür, dass die ASt in sehr wesentlichem Umfang auf die Hilfe von Pflegekräften angewiesen ist und auch unter Einsatz des WC-Aufsatzes kein erhebliches Maß an Selbständigkeit mehr erreichen dürfte. Selbst wenn der Senat, entgegen der Behauptung des Sohnes der ASt in der Anhörung vom 14. März 2007, davon ausgehen würde, dass sie zwar nur mit Hilfe Dritter die Toilette aufsuchen kann, jedoch selbst noch in der Lage wäre, zumindest einen WC-Aufsatz mit Reinigungseinrichtung eigenständig zu bedienen, vermag dies nicht zum Erfolg der Beschwerde führen. Ob die bloße Fähigkeit zur Betätigung eines derartigen Hilfsmittels allein bei der im Übrigen bereits bestehenden und nachgewiesenen sehr erheblichen Pflegebedürftigkeit überhaupt noch dem vom
BSG geforderten "gewissen Maß an Selbständigkeit entspricht und damit bei der ASt zu einem damit verbundenen entscheidenden Gewinn bei der Erschließung eines gewissen Freiraums führen könnte, erscheint sehr zweifelhaft.
Nach dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht gemäß
Art. 2
Abs. 1 Grundgesetz (
GG)
i.V.m. Art. 1
Abs. 1
GG steht der autonome Bereich privater Lebensgestaltung und die Wahrung der Intimsphäre unter dem besonderen staatlichen Schutz (
vgl. dazu Jarass/Pieroth,
GG-Kommentar, 8. Auflage 2006 zu
Art. 2
Rdnr. 38
ff.). Gerade die eigenständige und unbeobachtete Durchführung einer Blasen- und Stuhlentleerung eines Menschen betrifft daher den Kernbereich dieses Grundrechts. Der Senat hat deshalb zu Gunsten der ASt erwogen, den Begriff der Erforderlichkeit einer Gewährung des Hilfsmittels im Sinne des § 33
Abs. 1
SGB V im vorliegenden Fall verfassungskonform sehr weit auszulegen.
Doch selbst wenn auf diesem Wege, unter Zurückstellung der bereits genannten erheblichen rechtlichen Bedenken und der fehlenden hinreichenden Glaubhaftmachung, ein derartiger Anspruch bejaht werden würde, fehlt es im vorliegenden Fall jedenfalls an den Voraussetzungen eines Anordnungsgrundes. Die Behauptung der ASt, allein ihre krankheitsbedingte, fehlerhafte Reinigung nach einer Darmentleerung habe zu der lebensgefährdenden akuten Zystitis geführt, kann allenfalls als möglich, nicht jedoch als wahrscheinlich angesehen werden. In dem Entlassungsbericht der Universitätsklinik und Poliklinik für Urologie der Martin-Luther-Universität H.-W. vom 7. März 2007 wird nur angegeben, dass die Infektion der ASt mit Kolibakterien möglicherweise durch Hygieneprobleme bei Stuhlinkontinenz verursacht worden sein könnte. Es ist daher auch möglich, dass die akute Infektion andere Ursachen hatte oder sogar durch die bloße Verschmutzung der Windeln entstanden ist. Nach den derzeitigen ärztlichen Unterlagen bestehen auch keine Anhaltspunkte für eine akute Infektionsgefahr in diesem Bereich. Dass die vorläufige Gewährung des begehrten Hilfsmittels daher zur Abwendung wesentlicher Nachteile dienen kann, d.h. der Gefahr der Entstehung einer weiteren akuten Zystitis tatsächlich entgegenwirken könnte, kann auf dieser Grundlage keineswegs mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit angenommen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG.
Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177
SGG).