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Urteil
Kein Anspruch auf vorläufige Bewilligung eines WC-Aufsatzes mit Wascheinrichtung durch die Krankenkasse - Selbständige Lebensführung - Anordnungsgrund

Gericht:

LSG Sachsen-Anhalt 4. Senat


Aktenzeichen:

L 4 KR 20/07 ER


Urteil vom:

23.03.2007


Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 28. Februar 2007 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben sich auch im Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die vorläufige Bewilligung eines WC-Aufsatzes mit Wascheinrichtung WC-VAmat für die Antragstellerin (ASt).

Die am ... 1931 geborene ASt ist bei der Antagsgegnerin (Ag) gesetzlich krankenversichert. Bereits am 5. September 2005 wurde bei ihr vom Landesversorgungsamt H. ein Grad der Behinderung von 100 sowie die Merkzeichen B, H, G, aG und RF festgestellt. Der Facharzt für Allgemeinmedizin Dipl.-Med. C. verordnete unter dem 7. August 2006 für die ASt einen WC-VAmat, d.h. einen Toilettenaufsatz mit einer Warmwasser-Unterdusche und einer Trocknungsvorrichtung. Dieses Gerät ist in dem Hilfsmittelverzeichnis der gesetzlichen Krankenversicherungen unter der Positionsnummer 33.40.05.0001 unter der Beschreibung "WC-Aufsätze mit Wascheinrichtung" aufgeführt und nach der dortigen Produktbeschreibung für Krankheitsbilder oder Behinderungen mit erheblichen funktionellen Defiziten der oberen Extremitäten, die der Ohnhändigkeit gleichkommen, vorgesehen.

Die Pflegekasse der Ag holte wegen eines weiteren Antrages der ASt auf Höherstufung nach dem Sozialgesetzbuch Elftes Buch - Soziale Pflegeversicherung - (SGB XI) ein Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit von der Fachärztin für Anaesthesie und Allgemeinmedizin Dr. F. und Schwester Katrin vom sozialmedizinischen Dienstes vom 12. September 2006 ein. Dr. F. diagnostizierte: vaskuläre Demenz mit HOPS (hirnorganischem Psychosyndrom), Stuhlinkontinenz bei rezidivierender Diarrhoe sowie eine Harnblasenentleerungsstörung mit Anlage eines suprapubischen Katheters, Resthemiparese links nach Apoplex (1989), medikamentös gut kompensierter Morbus Parkinson, gemischte Angst und depressive Störung, degenerative Wirbelsäulen und Gelenkveränderungen, Herzinsuffizienz mit Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit. Hiernach habe die ASt einen Hilfsmittelbedarf von 5 bis 7 Windelhosen pro Tag. Die ASt müsse in Begleitung aus dem und in das Bett sowie zum WC/Toilettenstuhl gebracht werden und bedürfe beim Ein- und Aussteigen aus der Badewanne Hilfe. Sie schlafe nicht durch, stehe alleine auf und sei dann orientierungslos. Ca. zwei Mal pro Nacht gehe sie auf den Toilettenstuhl, so dass die Windeln zwei Mal gewechselt werden müssen. Sie bedürfe, abhängig von der jeweiligen Tagesform einer Motivationshilfe zur Durchführung alltäglicher Verrichtungen Hilfe und neige zu Fehlhandlungen. Zusammenfassend habe sich der Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege wegen einer fortschreitenden Cerebralsklerose (Verhärtung der Gehirnsubstanz) erhöht. Es bestehe jedoch weiterhin die Pflegebedürftigkeit der Stufe II.

In einem weiteren Schreiben vom 12. September 2006 an die Ag gab Dr. F. vom Sozialmedizinischen Dienst der Ag an, das verordnete Hilfsmittel eines WC-VAmat sei nach ihrer Ansicht nicht notwendig. Es bestehe nur eine linksseitige Kraftminderung bei uneingeschränkter Beweglichkeit der rechten oberen Extremität, die mit einer dafür erforderlichen Ohnhändigkeit nicht gleichgesetzt werden könne.

Mit Bescheid vom 14. September 2006 lehnte die Ag den Antrag ab. Hiergegen erhob die ASt am 22. September 2006 Widerspruch, der von der Ag mit Widerspruchsbescheid vom 30. November 2006 zurückgewiesen wurde. Die ASt hat am 18. Dezember 2006 Klage beim Sozialgericht Halle unter dem Aktenzeichen S 17 KR 350/06 erhoben und ihr Begehren weiterverfolgt: Bei ihr bestehe nach einer Krebsbehandlung im Afterbereich eine sog. Strahlencolitis und Stuhlinkontinenz mit chronischen Durchfällen mit Stuhlabgängen von 5 bis 20 Mal täglich. Sie sei nicht mehr in der Lage, den Stuhl unabhängig von Konsistenz oder Menge zu halten, so dass dieser unkontrolliert abgehe. Es erfolge ein Mal täglich eine Ganzkörperwäsche und fünf bis sechs Mal täglich ein Windelwechsel nach Stuhlgang. Die vorliegenden Behinderungen seien daher der Ohnhändigkeit gleichzustellen. Am 9. Februar 2007 sei sie nach einer akuten Zystitis (Entzündung der Harnblase) stationär in die Universitätsklinik und Poliklinik für Urologie der Martin-Luther-Universität H.-W. aufgenommen worden. Infolge ihrer Stuhlinkontinenz sei es durch Kolibakterien zu einer Entzündung der Harnwege gekommen. Es bestehe die Gefahr eines akuten Nierenversagens, so dass wegen Lebensgefahr eine sofortige Entscheidung zu erfolgen habe.

Auf gerichtliche Nachfrage hat die ASt diesen Antrag im Sinne einer einstweiligen Anordnung konkretisiert und eine fachärztliche Stellungnahme vom Facharzt für Urologie Dr. H. unter dem 21. Februar 2007 und der Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe Dipl.-Med. B. vom 26. Februar 2007 vorgelegt. Nach Dr. H. sei die Versorgung mit einem WC-VAmat zu befürworten. Bei der Klägerin bestehe eine Stuhlinkontinenz (Windelträgerin) bei häufigen Durchfällen sowie ein suprapubischer Katheter. Durch das begehrte Hilfsmittel sei das Risiko einer Zystitis zu vermeiden oder wesentlich zu verringern. Nach Dipl.-Med. B. sei das beantragte Hilfsmittel dringend zu empfehlen.

Das Sozialgericht hat Befunde von Facharzt für Allgemeinmedizin Dipl.-Med. C. vom 23. Februar 2007 und von Assistenzarzt Dr. H. von der Universitätsklinik und Poliklinik für Urologie der Martin-Luther-Universität H.-W. vom 22. Februar 2007 eingeholt. Dipl.-Med. C. berichtete über eine totale Inkontinenz von Stuhl und Urin. Dr. H. diagnostizierte u.a. eine Blasenentleerungsstörung und eine Stuhlinkontinenz (Windelträgerin) mit häufigen Durchfällen.

Mit Beschluss vom 28. Februar 2007 hat das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Der begehrte WC-Aufsatz mit Wascheinrichtung sei für die ASt nicht erforderlich. Dies wäre nur dann anzunehmen, wenn der Einsatz des Hilfsmittels zur Lebensbetätigung im Rahmen eines allgemeinen Grundbedürfnisses benötigt werden würde. Das Hilfsmittel könne jedoch wegen der bestehenden Stuhlinkontinenz einen derartigen Behinderungsausgleich nicht herbeiführen, da es lediglich dazu dienen würde, die ASt zu reinigen. Sie sei demgegenüber auch durch das Hilfsmittel nicht in der Lage, die Toilette wie ein Gesunder zu nutzen. Auch ein Anordnungsgrund könne nicht bejaht werden. Wesentliche Nachteile bestünden nicht, da die Sicherstellung der Körperpflege durch die ASt oder die Pflegeperson gewährleistet sei.
Die Beklagte hat am 1. März 2007 eine Stellungnahme des Sozialmedizinischen Dienstes von der Fachärztin für Innere Medizin, Angiologie und Sozialmedizin Dr. M. und Dr. F. vom 23. Februar 2007 vorgelegt. Hiernach sei die ASt am 7. September 2006 und am 13. Februar 2007 während eines Hausbesuchs untersucht worden. Sie sei wegen eingeschränkter Alltagskompetenz nicht in der Lage, die Gebrauchsvorteile des begehrten Hilfsmittels eigenständig zu nutzen, so dass unverändert ein Hilfebedarf im Grundpflegebedarf bestehe. Der Gebrauchsvorteil des WC-Aufsatzes stehe in keinem Verhältnis zum Anschaffungspreis. Auch sei nicht davon auszugehen, dass bei antibiotikainduzierter Diarrhoe und Stuhlinkontinenz rezivierende Harnwegsinfekte vermieden oder ein Erkrankungsrisiko vermieden werden könne.

Die ASt hat am 1. März 2007 Beschwerde gegen den Beschluss eingelegt, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat: Entgegen der Auffassung der Ag sei sie in der Lage, das beantragte Hilfsmittel zu bedienen, was sich bereits aus dem Gutachten vom 13. Februar 2007 ergebe. Sie sei in der Lage, ihre Ausscheidungen auf der Toilette bzw. dem Toilettenstuhl vorzunehmen und daher nicht ausschließlich auf Windeln angewiesen. Zudem leide sie an einer akuten Zystitis, die mit der oralen Gabe von Antibiotika nicht mehr behandelt werden könne. Dies habe auch zur stationären Aufnahme zur Durchführung einer venösen Antibiose geführt. Es sei widersprüchlich, wenn im Gutachten von Dr. F. auf der einen Seite ihre eingeschränkte Alltagskompetenz zur Ablehnung des beantragten Hilfsmittels herangezogen werde und auf der anderen Seite die teilweise selbstständige Nutzung der Toilette durch sie gutachterlich bestätigt werde. Die Notwendigkeit der Gewährung des Hilfsmittels werde zudem in zahlreichen ärztlichen Stellungnahmen der behandelnden Ärzte befürwortet. Mit ihr sei zudem ein sog. Toilettentraining begonnen worden, in dem sie zu festen Zeiten zur Toilette geführt werde. Dies habe dazu geführt, dass sie zum Mittagsschlaf und teilweise ganze Vormittage keine Windeln mehr benötige.
Die ASt hat eine Notfallbescheinigung über einen liegenden Krankentransport der Praktischen Ärztin Dipl.-Med. M. vom 25. Februar 2007 und einen Entlassungsbericht der Universitätsklinik und Poliklinik für Urologie der Martin-Luther-Universität H.-W. vom 7. März 2007 vorgelegt. Nach dem Entlassungsbericht sei die stationäre Aufnahme vom 25. Februar 2007 bis 7. März 2007 bei reduziertem Allgemeinzustand und anhaltener Diarrhoe und laufender oraler Antibiose wegen einer akuten Harnwegsinfektion erfolgt. Als Quelle der nachgewiesenen Kolibakterien seien Hygieneprobleme bei Stuhlinkontinenz möglich. Nach intravenöser Antibiose habe sich der Zustand gebessert.
In einem Erörterungstermin am 14. März 2007 in der Wohnung der ASt hat diese angegeben, es sei nicht richtig, dass sie tagsüber noch Windeln trage. Zur Toilette werde sie von ihrem Sohn begleitet. Sie habe in der rechten Hand keine Kraft mehr und könne sich selbst nicht mehr sauber machen. Nachts trage sie noch Windeln, wobei sie von ihrem Sohn begleitet werde. Sie versuche sich selbst zu reinigen, weil es ihr unangenehm sei, wenn dies ihr Sohn machen müsse. Das beantragte Hilfsmittel würde sie gebrauchen können. Der Sohn und Prozessvertreter der ASt hat angegeben, seit der akuten Blasenentzündung habe die ASt abgelehnt, weiter Windeln zu tragen. Die Windeln habe sie zuvor auch nur zur Sicherheit getragen. Es habe nur ab und zu durchfallbedingte Verschmutzungen der Windeln gegeben. Die ASt gehe am Tag und in der Nacht selbstständig zur Toilette. Aufgrund des geschädigten Arms reinige sie sich von hinten nach vorne, was wiederholt zu Verschmutzungen des Scheidenbereichs geführt habe und die Zystitis verursacht habe. Auf Nachfrage hat sich die ASt den Ausführungen ihres Sohnes angeschlossen und angegeben, sie benutze die Spülung der Toilette allein.

Die ASt beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 28. Februar 2007 aufzuheben und die Ag zu verpflichten, ihr vorläufig bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache einen WC-Aufsatz mit Wascheinrichtung (WC-VAmat) zur Verfügung zu stellen.

Die Ag beantragt sinngemäß,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Angaben der ASt, sie sei nur noch selten inkontinent, stehe im Widerspruch zu den bisherigen ärztlichen Feststellungen. Die Ag hat das Deckblatt einer Klageschrift der ASt vom 11. März 2007 vorgelegt, die nach dem Eingangsstempel am 9. März 2007 beim Sozialgericht Halle eingegangen ist. Hiernach begehrt die ASt die Einstufung in die Pflegestufe III und trägt vor, sie sei nicht mehr voll orientiert und nicht mehr in der Lage allein in der Wohnung zu laufen. Darüber hinaus hat die Ag ein Gutachten vom 20. Februar 2007 zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit von dem Arzt für Allgemeinmedizin und Sozialmedizin Dr. S. sowie Schwester B. U. vorgelegt. Nach diesem Gutachten habe der Sohn der ASt den Höherstufungsantrag mit der Zunahme der psychischen Defekte und einem gestörten Tag- Nacht- Rhythmus begründet. Die ASt habe häufigen Stuhldrang und bedürfe der Nachkontrolle. Die Toilette werde zum Teil noch selbst genutzt. Es bestehe ein nächtlicher Grundpflegebedarf mit Windelwechsel.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Beschwerdeakte, die Hauptsacheakte S 17 KR 350/06 und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. Die Akten haben bei der Beratung vorgelegen.

Rechtsweg:

SG Halle (Saale), Beschluss vom 28. Februar 2007 - S 17 KR 42/07 ER

Quelle:

Sozialgerichtsbarkeit BRD

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der ASt ist zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Das Sozialgericht hat ihr nicht abgeholfen (§ 174 SGG). Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet, weil die ASt den von ihr behaupteten Anspruch auf die vorläufige Gewährung eines WC-Aufsatzes mit Wascheinrichtung nicht hinreichend glaubhaft machen konnte.

Eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis (Regelungsanordnung) ist zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG). Das ist etwa dann der Fall, wenn der ASt ohne eine solche Anordnung schwere oder unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so Bundesverfassungsgericht (BVerfG) BVerfGE 79, 69 (74); 46, 166 (179)).

Eine solche Regelungsanordnung setzt zudem voraus, dass die ASt Tatsachen zum Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und zum Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch - gemäß § 86b Abs. 2 Sätze 2, 4 SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft machen kann (Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage 2005, § 86b Rdnr. 41). Unter Glaubhaftmachung ist die Beweisführung aufgrund überwiegender Wahrscheinlichkeit zu verstehen, was anstelle des Vollbeweises einen geringeren Wahrscheinlichkeitsgrad zulässt (vgl. dazu näher Zöller/ Greger, ZPO, 25. Auflage 2005, § 294, Rdnr. 1, 6).

Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern (1. Alternative), einer drohenden Behinderung vorzubeugen (2. Alternative) oder eine Behinderung auszugleichen (3. Alternative), soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind.
Der hiermit nur unvollständig umschriebene Begriff des Hilfsmittels wird in § 31 Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) konkretisiert, der die "Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen" betrifft und auch für die Krankenkassen als Rehabilitationsträger gilt. Danach umfasst die Versorgung mit Hilfsmitteln (Körperersatzstücke sowie orthopädische und andere Hilfsmittel) iS des § 26 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX (Leistungen zur medizinischen Rehabilitation behinderter und von Behinderung bedrohter Menschen) die technischen Hilfen, die von den Leistungsempfängern getragen oder mitgeführt oder bei einem Wohnungswechsel mitgenommen werden können und unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls erforderlich sind, um einer drohenden Behinderung vorzubeugen (Nr. 1), den Erfolg einer Heilbehandlung zu sichern (Nr. 2) oder eine Behinderung bei der Befriedigung von Grundbedürfnissen des täglichen Lebens auszugleichen (Nr. 3), soweit sie nicht allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens sind.

Der begehrte WC-Aufsatz ist kein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Vielmehr handelt es sich um ein Gerät, dass speziell für die Bedürfnisse kranker und behinderter Menschen entwickelt und hergestellt worden ist. Es ist auch nicht durch Rechtsverordnung als Hilfsmittel ausgeschlossen. Im Hilfsmittelverzeichnis der Spitzenverbände der Krankenkassen gemäß § 128 SGB V sind WC-Aufsätze mit Spülung in die Produktgruppe 33 (Toilettenhilfe) unter der weiteren Ziffer 40.05.0001 aufgeführt und einzuordnen. Dies wird auch von der Ag nicht bestritten. Bei dem WC-Aufsatz mit Wascheinrichtung - WC-VAmat - handelt es sich daher um ein Hilfsmittel im Sinne des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V, das dazu dient, eine Behinderung bei der Befriedigung von Grundbedürfnissen des täglichen Lebens auszugleichen.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) umfasst die Leistungspflicht der Krankenkassen bei Hilfsmitteln nicht alle Gegenstände, die, neben anderen Zwecken, auch dem Ausgleich einer Behinderung dienen. Besteht der Verwendungszweck eines Gegenstandes ganz überwiegend darin, die Durchführung der Pflege zu ermöglichen oder zu erleichtern, so begründet allein die Tatsache, dass er auch dem Behinderungsausgleich dient, nicht automatisch die Leistungspflicht der Krankenkasse (vgl. BSG, Urteil vom 28.5.2003 - B 3 KR 30/02, zitiert nach Juris).

Zu den allgemeinen Grundbedürfnissen im Sinne des § 33 SGB V zählt auch die eigenständige Durchführbarkeit der Verrichtung Blasen- und Darmentleerung. Gerade bei solch intimen Verrichtungen, die im Ablauf des täglichen Lebens anfallen, ist das Selbstbestimmungsrecht betroffen und damit eine Rechtsposition, deren Stellenwert bei der Rehabilitation von Behinderten der Gesetzgeber durch das SGB IX in jüngster Zeit nochmals besonders verdeutlicht hat. § 1 SGB IX bezeichnet die Förderung der Selbstbestimmung behinderter Menschen und ihrer gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gesellschaft als wesentliches Ziel der Leistungen zur Rehabilitation. Diese Vorgabe ist auch bei der Hilfsmittelversorgung behinderter Menschen zu beachten. Auch wenn ein Behinderungsausgleich keinen vollständigen Ausgleich der Einschränkungen voraussetzt, ist gleichwohl erforderlich, das das begehrte Hilfsmittel zu einem gewissen Maß an Selbständigkeit und zu einem damit verbundenen entscheidenden Gewinn bei der Erschließung eines gewissen Freiraums führen kann (BSG a.a.O).
Der Zuwachs an Selbstständigkeit in den Grundverrichtungen des täglichen Lebens durch das zu prüfende Hilfsmittel ist nach objektiven Maßstäben und nicht nach dem Maß des persönlichen Zugewinns für den Behinderten zu bewerten. Dies folgt daraus, dass die Erforderlichkeit am Hilfsmittel selbst ansetzt, nicht aber an dem Zugewinn der Selbstständigkeit für den Versicherten (so zutreffend Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 15.3.2005 - L 5 KR 105/03, zitiert nach Juris).
Die ASt begründet die Erforderlichkeit des WC-Aufsatzes mit Reinigungsvorrichtung im Wesentlichen damit, dass sie die Verrichtung der "Blasen- und Darmentleerung" eigenständig durchführen will und kann. Nur mit Hilfe dieses Gerätes könne sie auf die ihr unangenehme Unterstützung ihres Sohnes bei der Reinigung im Intimbereich verzichten und sei keinen weiteren Infektionsrisiken durch die von ihr krankheitsbedingt fehlerhaft durchgeführte Reinigung im Intimbereich mehr ausgesetzt.

Der Senat vermag einen vorläufigen Anspruch auf Gewährung eines WC-Aufsatzes mit Reinigungsvorrichtung nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit festzustellen. Es fehlt an entsprechenden Glaubhaftmachungen der ASt, in welcher Weise sie ihre Grundverrichtung "Blasen und Darmentleerung" überhaupt noch selbstständig bewältigen kann. Zudem erweist sich ihr Sachvortrag in dieser Frage als nicht widerspruchsfrei und damit wenig nachvollziehbar. Die ASt behauptete im Erörterungstermin vom 14. März 2007, sie müsse Windeln nur noch nachts tragen und könne den begehrten WC-Aufsatz uneingeschränkt eigenständig bedienen. Der von ihr Bevollmächtigte stützte diese Aussage und gab zudem an, die ASt suche jeweils selbstständig den Toilettenbereich auf und sei in der Lage, die Toilettenvorrichtungen zweckentsprechend zu bedienen. Allein ihre durch die Armschwäche bedingte fehlerhafte Reinigung führe zu den gefährdenden Kotverschmutzungen im Intimbereich und den damit verbundenen Infektionsrisiken. Diese angeblich verbesserte Selbstständigkeit im Grundverrichtungsbereich "Blasen-und Darmentleerung" wird durch die vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen nicht bestätigt. Bereits im Gutachten des Sozialmedizinischen Dienstes vom 12. September 2006 finden sich deutliche Hinweise auf einen ganz erheblichen Pflegebedarf der ASt im Bereich der Grundpflege und einer fehlenden Fähigkeit zur Bewältigung alltäglicher Verrichtungen.

Auch die Feststellung eines Grades der Behinderung von 100 und die Zuerkennung der genannten Merkzeichen deutet auf ganz erhebliche Einschränkungen hin. Selbst nach den von der ASt vorgelegten ärztlichen Unterlagen finden sich nur Hinweise auf eine unkontrollierbare Stuhlinkontinenz mit häufigem Durchfall. So hat Dr. H. noch unter dem 21. Februar 2007 für die ASt eine Stuhlinkontinenz mit häufigen Durchfällen und dem Erfordernis, Windeln zu tragen, beschrieben. Dies bestätigt auch das Gutachten des Sozialmedizinischen Dienstes vom 20. Februar 2007. Nach allen vorliegenden ärztlichen Unterlagen finden sich keinerlei Hinweise, die auf eine behauptete Verbesserung der Stuhlinkontinenz und eine hohe Selbstständigkeit in diesem Bereich auch nur hindeuten könnten. Die gutachterlich bestätigte Fähigkeit der ASt, teilweise die Toilette noch selbst aufsuchen zu können, ist mit einer vom BSG gemeinten weitgehend vollständigen Selbständigkeit bei der Wahrnehmung der jeweiligen Grundverrichtung nicht einfach gleichzusetzen.

In diesem Zusammenhang kommt bei der ASt auch der Demenz mit Orientierungsstörungen eine erhebliche Bedeutung zu. Gerade die von ihr selbst behauptete Zunahme der psychischen Defekte war Hintergrund der Erstattung des Gutachtens vom 20. Februar 2007. Dies bestätigt sie im Übrigen auch in ihrer auf die Pflegestufe III gerichteten Klageschrift vom 11. März 2007, in der sie eine weitere Verschlechterung auf diesem Gebiet behauptet hat. Hiernach könne sie nicht mehr ohne fremde Hilfe in der Wohnung herumlaufen und sei desorientiert, was auf eine weitere Erhöhung des Pflegebedarfs und damit Verringerung der eigenen Selbständigkeit hindeuten würde. Es ist daher nicht recht nachvollziehbar, warum es trotz dieser von ihr selbst behaupteten Erhöhung des Pflegebedarfs und der Verschlechterung ihrer Orientierungsfähigkeiten gerade im Bereich der "Blasen- und Darmentleerung" zu einer durchgreifenden Verbesserung der Selbständigkeit gekommen sein soll. Schließlich setzt eine Blasen- und Darmschulung gerade eine bewusste, zielgerichtete und kontinuierliche geistige Mitarbeit des Anzulernenden voraus.
Die von der ASt und ihrem Bevollmächtigten im Erörterungstermin behaupteten Verbesserungen in der Beherrschung der Stuhlkontinenz sind daher weder ärztlich bestätigt noch von der ASt und ihrem Vertreter plausibel begründet worden. Es bestehen daher durchgreifende Zweifel, ob die ASt im Bereich der Körperhygiene und des Toilettengangs gerade wegen ihrer verschlechterten geistigen Erkrankung überhaupt noch die vom BSG vorausgesetzte wesentliche Selbstständigkeit erreichen kann. Objektivierbare Anhaltspunkte, die für eine erfolgreiche Schulung der ASt und eine Verbesserung ihrer Selbstständigkeit bei der Durchführung dieser Grundverrichtung sprechen könnten, finden sich jedenfalls nicht. Die vorliegenden Umstände sprechen vielmehr eher dafür, dass die ASt in sehr wesentlichem Umfang auf die Hilfe von Pflegekräften angewiesen ist und auch unter Einsatz des WC-Aufsatzes kein erhebliches Maß an Selbständigkeit mehr erreichen dürfte. Selbst wenn der Senat, entgegen der Behauptung des Sohnes der ASt in der Anhörung vom 14. März 2007, davon ausgehen würde, dass sie zwar nur mit Hilfe Dritter die Toilette aufsuchen kann, jedoch selbst noch in der Lage wäre, zumindest einen WC-Aufsatz mit Reinigungseinrichtung eigenständig zu bedienen, vermag dies nicht zum Erfolg der Beschwerde führen. Ob die bloße Fähigkeit zur Betätigung eines derartigen Hilfsmittels allein bei der im Übrigen bereits bestehenden und nachgewiesenen sehr erheblichen Pflegebedürftigkeit überhaupt noch dem vom BSG geforderten "gewissen Maß an Selbständigkeit entspricht und damit bei der ASt zu einem damit verbundenen entscheidenden Gewinn bei der Erschließung eines gewissen Freiraums führen könnte, erscheint sehr zweifelhaft.
Nach dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht gemäß Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG steht der autonome Bereich privater Lebensgestaltung und die Wahrung der Intimsphäre unter dem besonderen staatlichen Schutz (vgl. dazu Jarass/Pieroth, GG-Kommentar, 8. Auflage 2006 zu Art. 2 Rdnr. 38 ff.). Gerade die eigenständige und unbeobachtete Durchführung einer Blasen- und Stuhlentleerung eines Menschen betrifft daher den Kernbereich dieses Grundrechts. Der Senat hat deshalb zu Gunsten der ASt erwogen, den Begriff der Erforderlichkeit einer Gewährung des Hilfsmittels im Sinne des § 33 Abs. 1 SGB V im vorliegenden Fall verfassungskonform sehr weit auszulegen.
Doch selbst wenn auf diesem Wege, unter Zurückstellung der bereits genannten erheblichen rechtlichen Bedenken und der fehlenden hinreichenden Glaubhaftmachung, ein derartiger Anspruch bejaht werden würde, fehlt es im vorliegenden Fall jedenfalls an den Voraussetzungen eines Anordnungsgrundes. Die Behauptung der ASt, allein ihre krankheitsbedingte, fehlerhafte Reinigung nach einer Darmentleerung habe zu der lebensgefährdenden akuten Zystitis geführt, kann allenfalls als möglich, nicht jedoch als wahrscheinlich angesehen werden. In dem Entlassungsbericht der Universitätsklinik und Poliklinik für Urologie der Martin-Luther-Universität H.-W. vom 7. März 2007 wird nur angegeben, dass die Infektion der ASt mit Kolibakterien möglicherweise durch Hygieneprobleme bei Stuhlinkontinenz verursacht worden sein könnte. Es ist daher auch möglich, dass die akute Infektion andere Ursachen hatte oder sogar durch die bloße Verschmutzung der Windeln entstanden ist. Nach den derzeitigen ärztlichen Unterlagen bestehen auch keine Anhaltspunkte für eine akute Infektionsgefahr in diesem Bereich. Dass die vorläufige Gewährung des begehrten Hilfsmittels daher zur Abwendung wesentlicher Nachteile dienen kann, d.h. der Gefahr der Entstehung einer weiteren akuten Zystitis tatsächlich entgegenwirken könnte, kann auf dieser Grundlage keineswegs mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit angenommen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

Referenznummer:

R/R5860


Informationsstand: 07.08.2013