Der Kläger begehrt von der Beklagten die Versorgung mit einem Dusch- bzw Toilettenrollstuhl, der mit höhenverstellbarem Sitz und Handbremse ausgerüstet ist.
Der 1933 geborene, bei der Beklagten krankenversicherte Kläger ist beidseitig unterschenkelamputiert. Er ist erheblich pflegebedürftig (Pflegestufe I) und erhält Leistungen der Pflegeversicherung bei vollstationärer Unterbringung in einem Pflegeheim. Im Januar 2000 beantragte er bei der Beklagten unter Vorlage einer Verordnung seiner Hausärztin
Dr. L. einen fahrbaren Nachtstuhl mit Sitzerhöhung und Bremsen am Griff. Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 27. Januar 2000 ab, weil der Kläger Heimbewohner sei. Auch ein weiterer Antrag vom 2. Oktober 2000, dem eine erneute Verordnung der Hausärztin zu Grunde lag, wurde von der Beklagten unter Hinweis auf die Zuständigkeit des Pflegeheims abgelehnt. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos ( Widerspruchsbescheid vom 18. Dezember 2000).
Das Sozialgericht (SG) holte im nachfolgenden Klageverfahren Auskünfte der Hausärztin
Dr. L. und der Leiterin des Pflegeheims ein. Letztere gab an, zur Nutzung der vom Pflegeheim zur Verfügung gestellten Toilettenrollstühle benötige der Kläger die Hilfe des Pflegepersonals. Dies bereite dem Kläger ebenso Probleme wie die Nutzung eines Toilettenrollstuhls, der auch von anderen Heimbewohnern benutzt werde. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 21. Juni 2001). Die Berufung blieb erfolglos (Beschluss des Landessozialgerichts (
LSG) vom 8. November 2001). Zur Begründung hat das
LSG im Wesentlichen angegeben, auch wenn die Versorgung mit dem begehrten Hilfsmittel erforderlich sei, falle sie in den Verantwortungsbereich des Pflegeheims, in dem der Kläger stationär untergebracht sei.
Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 33 Abs 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) sowie des § 1 Abs 1 Satz 2 und des § 2 Abs 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB I) und des Art 1 Grundgesetz (
GG). Er, der Kläger, benötige die Versorgung mit dem beantragten Toilettenrollstuhl zur Sicherstellung einer menschenwürdigen Lebensqualität. Die Inanspruchnahme von weiblichem Pflegepersonal bei der Benutzung des heimeigenen Toilettenrollstuhls lehne er ab, weil er es als peinlich empfinde, sich von einer Frau beim Toilettengang helfen lassen zu müssen. Nur mit Hilfe des seiner Behinderung angepassten Toilettenrollstuhls könne er zudem selbst bestimmen, zu welchem Zeitpunkt er die Toilette benutze.
Der Kläger beantragt,
den Beschluss des
LSG Baden-Württemberg vom 8. November 2001, das Urteil des SG Stuttgart vom 21. Juni 2001 sowie den Bescheid der Beklagten vom 4. Oktober 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Dezember 2000 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Kläger mit einem Toilettenrollstuhl SOPUR Delphin (Überfahrtshöhe über 50
cm, große Räder, Handbremse) zu versorgen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend.
die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) einverstanden erklärt.
Die Revision ist im Sinn der Zurückverweisung des Rechtsstreits an das
LSG begründet. Es fehlen Feststellungen zu der Frage, ob der Kläger in der Lage wäre, den von ihm begehrten Toilettenrollstuhl ohne Hilfe durch Pflegepersonen eigenständig zu benutzen. Darüber hinaus steht nicht fest, ob die angestrebte Selbstständigkeit bei der Toilettenbenutzung nicht - im Vergleich zu dem vom Kläger konkret beantragten Toilettenrollstuhl - mit geringerem Aufwand zu erreichen ist.
Die Beklagte ist der Verordnung des vom Kläger begehrten Toilettenrollstuhls durch die behandelnde Ärztin nicht wegen fehlender medizinischer Erforderlichkeit entgegen getreten; sie hat zudem auch die konkrete Ausführung nicht als unwirtschaftlich angesehen. Sie begründet ihre Leistungsverweigerung vielmehr allein damit, dass auch bei bestehender medizinischer Notwendigkeit die Leistungspflicht der Krankenkasse (KK) entfalle, weil es sich um ein Hilfsmittel handele, das von dem Pflegeheim vorzuhalten sei, um seiner Verpflichtung nachkommen zu können, eine dem allgemein anerkannten Stand medizinisch-pflegerischer Erkenntnisse entsprechende Pflege zu erbringen. Die Beklagte hat sich mit der Frage einer Umrüstung vorhandener Rollstühle nicht befasst, weil sie davon ausgeht, dass sich der Kläger auf die Benutzung eines herkömmlichen Toilettenrollstuhls verweisen lassen und die hierbei zwangsläufig erforderlich werdende Hilfe durch das überwiegend weibliche Pflegepersonal des Heims in Kauf nehmen muss.
Dieser Auffassung steht § 33 Abs 1 Satz 1
SGB V entgegen. Nach dieser Vorschrift haben Versicherte einen Anspruch gegen ihre KK ua auf Versorgung mit orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs 4
SGB V durch
Rechtsverordnung ausgeschlossen sind. Hier geht es um ein "anderes Hilfsmittel", das erforderlich ist, um eine Behinderung auszugleichen. Der streitige Toilettenrollstuhl ist weder ein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, noch ist er durch
Rechtsverordnung als Hilfsmittel ausgeschlossen; im Hilfsmittelverzeichnis der Spitzenverbände der KKn gemäß § 128
SGB V sind Toilettenrollstühle in Produktgruppe 18 (Krankenfahrzeuge) Untergruppe 2 ausdrücklich aufgeführt.
Der Anspruch des Klägers ist auch nicht von vornherein deshalb ausgeschlossen, weil das Hilfsmittel bei ständigem Aufenthalt in einem Pflegeheim begehrt wird. Der Senat hat in den Urteilen zur Versorgung von Pflegebedürftigen in stationären Einrichtungen mit Rollstühlen (Urteile vom 10. Februar 2000, vgl vor allem BSGE 85, 287 = SozR 3-2500 § 33 Nr 37), Ernährungspumpen (Urteile vom 6. Juni 2002, vgl zB
B 3 KR 67/01 R = BSGE 89, 271, 274 = SozR 3-2500 § 33 Nr 43) und Wechseldruckmatratzen (Urteile vom 24. September 2002, vgl zB
B 3 KR 15/02 R = SozR 3-2500 § 33 Nr 47) bereits deutlich gemacht, dass die Pflicht der KK zur Leistung von Hilfsmitteln, die der Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung oder dem Behinderungsausgleich dienen, - entgegen dem früheren Recht - grundsätzlich nicht schon deshalb ausgeschlossen ist, weil sich der Versicherte dauerhaft in einer Pflegeeinrichtung aufhält.
Die Leistungspflicht der KK umfasst allerdings, wie der Senat in den aufgeführten Entscheidungen ebenfalls ausgeführt hat, nicht alle Gegenstände, die - neben anderen Zwecken - auch dem Ausgleich einer Behinderung dienen. Andernfalls müsste auch typisches Inventar von Pflegeeinrichtungen als von der KK zu leistendes Hilfsmittel angesehen werden. Besteht der Verwendungszweck eines Gegenstands ganz überwiegend darin, die Durchführung der Pflege zu ermöglichen oder zu erleichtern, so begründet allein die Tatsache, dass er auch dem Behinderungsausgleich dient, nicht die Leistungspflicht der KK. Als Beispiel für diese Kategorie von Gegenständen wurde bereits im Urteil vom 6. Juni 2002 (B 3 KR 67/01 R, aaO) ausdrücklich der einfache Schieberollstuhl, der primär Transportfunktionen innerhalb des Heimes erfüllt, genannt. Die vom Kläger angestrebte Hilfsmittelversorgung soll aber gerade nicht allein dem Ziel dienen, den Kläger stets dorthin zu bringen, wo die verschiedenen Pflegeleistungen erbracht werden oder soziale Betreuung stattfindet. Der Kläger begründet die Erforderlichkeit des an seine Behinderung angepassten Toilettenrollstuhls vielmehr damit, dass er vor allem die Verrichtung "Blasen- und Darmentleerung" eigenständig durchführen will, ohne auf die Unterstützung durch das Heimpersonal angewiesen zu sein, wobei es ihm auch darum geht, die Verrichtung jederzeit durchführen zu können, ohne auf die Verfügbarkeit einer Pflegekraft warten zu müssen. Mit diesem Wunsch zielt der Kläger nicht nur, wie die Beklagte meint, auf eine komfortablere Form der Hilfe ab. Die vom Kläger angestrebte Selbstständigkeit bei solch intimen Verrichtungen, die im Ablauf des täglichen Lebens anfallen, betrifft vielmehr das Selbstbestimmungsrecht und damit eine Rechtsposition, deren Stellenwert bei der Rehabilitation von Behinderten der Gesetzgeber durch das
SGB IX in jüngster Zeit nochmals besonders verdeutlicht hat. § 1
SGB IX bezeichnet die Förderung der Selbstbestimmung behinderter Menschen und ihrer gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gesellschaft als wesentliches Ziel der Leistungen zur Rehabilitation. Diese Vorgabe ist auch bei der Hilfsmittelversorgung behinderter Menschen in stationären Pflegeeinrichtungen zu beachten. Dies würde die Leistungspflicht der Beklagten für das begehrte Hilfsmittel begründen, wenn nur hierdurch die Sicherstellung der vom Kläger angestrebten Selbstständigkeit zu erreichen ist.
Soweit der Senat im Hinblick auf die dem Behinderungsausgleich dienenden Hilfsmittel im Urteil vom 10. Februar 2000 (
B 3 KR 26/99 R = BSGE 85, 287 = SozR 3-2500 § 33 Nr 37, sog Rollstuhl-Urteil) besonders herausgestellt hat, dass sich die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung auch bei Pflegebedürftigen in stationären Einrichtungen auf individuell angepasste Hilfsmittel erstreckt, die ihrer Natur nach nur für den einzelnen Versicherten bestimmt und grundsätzlich nur für ihn verwendbar sind (zB Brillen, Hörgeräte, Prothesen), ist dies im Sinne von "in jedem Fall" zu verstehen. Hieraus kann jedoch nicht der Schluss gezogen werden, nicht individuell anzupassende Hilfsmittel müssten bei Verwendung innerhalb eines Pflegeheims stets vom Heimträger gestellt werden. Der Senat hat bereits im Urteil vom 6. Juni 2002 (B 3 KR 67/01 R, aaO) deutlich gemacht, dass der Begriff "Heimsphäre" nicht in diesem räumlichen Sinn zu verstehen ist (BSGE 89, 271, 275 = SozR 3-2500 § 33 Nr 43).
Hilfsmittel, die der Befriedigung von allgemeinen Grundbedürfnissen dienen, fallen auch bei Benutzung innerhalb des Pflegeheims in die Leistungspflicht der KK, wenn der Behinderungsausgleich im Vordergrund steht und gegenüber pflegerelevanten Zielen, etwa der Erleichterung oder Ermöglichung von Pflegemaßnahmen, überwiegt (vgl insoweit Urteile vom 24. September 2002, SozR 3-2500 § 33 Nr 47). Zu den allgemeinen Grundbedürfnissen zählt auch die eigenständige Durchführbarkeit der Verrichtung Blasen- und Darmentleerung.
Auf der Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen kann jedoch nicht entschieden werden, ob das Ziel, das der Kläger mit dem von ihm begehrten Rollstuhl erreichen will, nur mit diesem Gerät erreicht werden kann oder ob eine selbstbestimmte Durchführung der Verrichtung Blasen- und Darmentleerung auch mit einer kostengünstigeren Lösung - etwa der Herrichtung eines herkömmlichen Toilettenrollstuhls - möglich ist. Zwar macht der Kläger geltend, wegen der Größe der Räder könne er einen herkömmlichen Toilettenrollstuhl nicht allein bewegen und wegen der niedrigen Sitzhöhe nicht über Toilettenbecken fahren. Dieser Frage sind die Vorinstanzen allerdings nicht nachgegangen.
Fraglich ist zudem, ob demgegenüber der hier streitige Toilettenrollstuhl geeignet ist, die vom Kläger angestrebte Selbstständigkeit zu erreichen. Denn nur wenn er auch beim "Besteigen" dieses Hilfsmittels keine fremde Hilfe benötigte, wäre es geboten, ihn nicht auf die Benutzung eines herkömmlichen Toilettenrollstuhls zu verweisen. Zwar geht der Kläger offensichtlich davon aus, das ihm dies gelinge. Die Auskünfte seiner Hausärztin
Dr. L. und der Leiterin des Pflegeheims sind dagegen insoweit nicht eindeutig.
Dr. L. bezieht sich nur auf das eigenständige "Bedienen", und die Leiterin des Pflegeheims gibt lediglich an, der Toilettenrollstuhl müsse zur selbstständigen Nutzung individuell angepasst werden. Diese Angaben lassen nicht erkennen, ob der Kläger mit Hilfe des begehrten Toilettenrollstuhls die Blasen- und Darmentleerung vollkommen eigenständig durchführen kann. Kein entscheidender Gewinn an Selbstständigkeit wäre es, wenn der Kläger weiterhin die Hilfe von Pflegekräften benötigt, um den Toilettenrollstuhl überhaupt benutzen zu können. Allein die Möglichkeit, die Wegstrecke zwischen dem jeweiligen Aufenthaltsort im Pflegeheim und der Toilette selbstständig zurücklegen zu können, würde die Ausrüstung mit einem besonderen Toilettenrollstuhl nicht rechtfertigen. Soweit es nur um diese Möglichkeit geht, kann der Kläger die Hilfsmittelversorgung auch nicht unter dem Gesichtspunkt der exklusiven Nutzung beanspruchen. Es ist nicht zu erkennen, dass die Benutzung der vom Heimträger bereit gestellten Toilettenstühle durch mehrere Heimbewohner bei Anwendung üblicher hygienischer Maßnahmen unzumutbar ist. Auch das durch § 9
SGB IX gestärkte Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten findet seine Grenzen in der Angemessenheit der Inanspruchnahme gegenüber der Solidargemeinschaft.
Das
LSG wird nach Durchführung der erforderlichen Feststellungen auch über die Kosten abschließend zu entscheiden haben.