Urteil
Beihilfefähigkeit von Fußeinlagen

Gericht:

VG Gießen


Aktenzeichen:

4 K 3571/14.GI | 4 K 3571.14.GI


Urteil vom:

03.03.2017


Grundlage:

  • HBeihVO § 6

Orientierungssatz:

Zur Frage der Anerkennung von Fußeinlagen bei der beamtenrechtlichen Beihilfe.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Rechtsprechungsdatenbank Hessen

Tenor:

Der Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 30. Juli 2014 und des Widerspruchsbescheides vom 17. Oktober 2014 verpflichtet, der Klägerin Beihilfe für die mit Antrag vom 16. Juli 2014 geltend gemachten Aufwendungen in Höhe von 202,80 Euro zu gewähren.

Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Prozesszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19. November 2014 zu zahlen.

Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten der Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.

Tatbestand:

Die Klägerin beantragt die Gewährung von beamtenrechtlicher Beihilfe für Hilfsmittel.

Die Klägerin ist als Beamtin des Landes Hessen Beihilfeberechtigte im Sinne des § 80 Abs. 1 Nr. 1 Hessisches Beamtengesetz (HBG); zum Zeitpunkt der Leistungserbringung wurde ihr eine Beihilfe zu 60 % gewährt. Sie hat zwei beihilfeberechtigte Kinder. Die Ärztin Dr. C. verschrieb am 7. Juli 2014 dem Sohn D. ein Paar "sensomotorisch perzeptive Einlagen nach Maß", der Tochter E. "Weichschaumeinlagen nach Maß". Für D. und E. bestellte die Klägerin daraufhin Einlagen bei dem Unternehmen "G.", die jeweils 169 Euro kosteten.

Nach dem Kauf dieser Einlagen reichte die Klägerin mit Antrag vom 16. Juli 2014 die Belege bei der Beihilfestelle des Beklagten mit der Bitte um Erstattung ein. Mit Bescheid vom 30. Juli 2014 lehnte der Beklagte die Erstattung ab. Hiergegen erhob die Klägerin am 8. August 2014 Widerspruch. Daraufhin forderte das Regierungspräsidium Kassel bei der Klägerin eine Bescheinigung des Herstellers der Einlagen an, aus denen sich ergeben sollte, dass es sich nicht um sensomotorische Einlagen handeln würde. Dem kam die Klägerin unter Hinweis auf die Anlage 3 zur Beihilfenverordnung nicht nach. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 17. Oktober 2014 zurück. Zur Begründung führte er aus, es handele sich bei sensomotorischen Einlagen um wissenschaftlich nicht allgemein anerkannte Hilfsmittel. Nach ihrer Grundidee stimulierten sie durch kleine Druckpolster gezielt Muskelgruppen, wohingegen konventionelle orthopädische Einlagen das Fußskelett stützen. Für die sensomotorischen Einlagen würde keine Beihilfe geleistet. Der Widerspruchsbescheid wurde der Klägerin am 21. Oktober 2014 zugestellt.

Am 19. November 2014 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie trägt vor, der Begriff "sensomotorisch" sei indifferent. Jede Einlage bewirke gewisse Reflexe des Nutzers. Die Kosten solcher Einlagen des Unternehmens G. seien auch nicht höher als die "normaler" Einlagen. Im Fall der Einlagen ihrer Kinder seien orthopädische Fußeinlagen nach Maß gefertigt worden.


Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 30. Juli 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Oktober 2014 zu verpflichten, der Klägerin eine Beihilfe in Höhe von 202,80 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu gewähren.


Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist er auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid und trägt ergänzend vor, die für die Kinder der Klägerin angefertigten Einlagen seien in der Beihilfe nicht berücksichtigungsfähig.

Das Gericht hat Beweis erhoben über die Beschaffenheit der für die Kinder der Klägerin angefertigten Einlagen durch uneidliche Vernehmung des sachverständigen Zeugen M S und Inaugenscheinnahme der Einlagen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Verhandlungsniederschrift Bezug genommen.

Gegenstand der mündlichen Verhandlung ist die Behördenakte gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist bezogen auf die Hauptforderung als Verpflichtungsbegehren (§ 42 Abs. 1 VwGO), hinsichtlich der Prozesszinsen als Leistungsklage statthaft, auch im Übrigen zulässig und begründet. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Gewährung von Beihilfe - vgl. § 1 Abs. 2 Satz 1 Hessische Beihilfenverordnung (HBeihVO) - für die streitbefangenen Einlagen ihrer Kinder zu, so dass die Ablehnung des Antrag rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 und 5 VwGO).

Die ablehnende Entscheidung des Regierungspräsidiums Kassel vom 30. Juli 2014 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, soweit mit ihr die Gewährung einer Beihilfe zu den Aufwendungen für die Fußeinlagen abgelehnt wurde.

1. Für die rechtliche Beurteilung beihilferechtlicher Streitigkeiten ist grundsätzlich maßgeblich die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen, für die Beihilfen verlangt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.12.2005 - 2 C 35.04 -, BVerwGE 125, 21). Hinsichtlich der hier anzuwendenden Bestimmungen hat der Beklagte keine abweichenden Regelungen getroffen. Danach ist die HBeihVO in der Fassung vom 5. Dezember 2001 (GVBl. I S. 482), zuletzt geändert durch Verordnung vom 25. Juni 2012 (GVBl. S. 182), anzuwenden. Der Text entspricht indes der aktuellen Version. Grundlage der Verordnung ist § 80 Abs. 5 HBG.

2. Die Beihilfefähigkeit von Hilfsmitteln richtet sich nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 HBeihVO. Diese Vorschrift verweist zu Voraussetzungen und Umfang der Beihilfefähigkeit auf die Anlage 3, die wiederum unter der Nummer 1 eine so genannte Positivliste enthält, in der Gegenstände aufgezählt werden, bei denen die Beihilfefähigkeit im Grundsatz gegeben ist. In der so genannten Negativliste unter der Nummer 9 der Anlage 3 finden sich hingegen Gegenstände, die nicht beihilfefähig sind.

In der so genannten Positivliste unter Nummer 1 der Anlage 3 zu § 6 Abs. 1 Nr. 4 HBeihVO sind Fußeinlagen explizit aufgeführt. Was eine Fußeinlage ist, ergibt sich nicht allein aus dem Sprachgebrauch, der nahe am Begriff der Schuheinlage liegt. Unstreitig ist jedoch zwischen den Beteiligten, dass mit dem Begriff nur Fußeinlagen zur Korrektur von gesundheitlichen Beeinträchtigungen erfasst werden sollen, nicht jedoch andere in Schuhen zu tragende Einlagen.

Nach dem von der Klägerin vorgelegten GKV-Hilfsmittelverzeichnis, Weiterführende Informationen, findet sich unter "Definition" die folgende Angabe:

"Einlagen sind funktionale Orthesen zur Korrektur, Stützung oder Bettung von Fußdeformitäten, zur Entlastung oder Lastumverteilung der Fußweichteile, der Bein- oder auch Wirbelsäulengelenke. Sie werden aus Kork, Leder, thermoplastischen Kunststoffen und/oder Metall gefertigt.

Konfektionierte lose Fußstützen, die den Fuß polstern oder stützen, überflüssigen Raum im Schuh ausfüllen oder als Kälteschutz dienen, sind keine Leistungen der Gesetzen Krankenversicherung."

Das Gericht folgt dieser Definition, die ausreichend ist, den streitigen Begriff der Fußeinlage zu umschreiben und gleichzeitig eine Abgrenzung zu anderen Produkten zu ermöglichen, die im medizinischen Sinne keine Fußeinlagen darstellen. Danach sind die streitbefangenen Einlagen, die für die Kinder der Klägerin angefertigt wurden, durch die Anlage 3 Nr. 1 erfasst.

Ein Ausschluss der Beihilfefähigkeit ergibt sich auch nicht aus der so genannten Negativliste in Nummer 9 der Anlage. Danach gehören zu den Hilfsmitteln nicht Gegenstände, die im Rahmen der allgemeinen Lebenshaltung benutzt werden oder die einen Gegenstand der allgemeinen Lebenshaltung ersetzen können. Wie der in Nummer 9 beispielhaft aufgeführte Katalog zeigt, erfasst der Ausschlusstatbestand "Gebrauchsgüter des täglichen Lebens", die typischerweise auch von Gesunden zur Vorbeugung gegen eine etwaige Erkrankung bzw. zur Erhaltung des Wohlbefindens, zur Erleichterung von Unbequemlichkeiten oder ohne zwingenden Bezug zu einer Erkrankung nutzen (vgl. Nitze, Hessische Beihilfenverordnung, Erläuterungen zu § 6 Abs. 1 Nr. 4). Diese Kriterien treffen auf individuell angefertigte Einlagen in der Regel aber nicht zu. Ohne das Ziel der Erleichterung des Laufens bei bestehenden Problemen im Fußbereich oder anderweitigen Beschwerden wird ein gesunder Mensch keine Einlagen erwerben oder nutzen, für die ein derartiger Aufwand erforderlich ist. Tauglich ist insoweit lediglich eine Abgrenzung zu Schuheinlagen, die gewöhnlich in Schuhgeschäften zum Zwecke der Bequemlichkeit ("Mooseinlagen") oder des Schutzes vor Kälte ("Wärmeeinlagen") u.ä. dienen und nicht individuell angefertigt werden.

Damit ist bei Beachtung des Wortlauts der Vorschrift die Beihilfefähigkeit von Fußeinlagen zu medizinischen Zwecken dem Grunde nach zu bejahen. Eine solche allgemeine Anwendbarkeit wird im vorliegenden wie in zahlreichen anderen vergleichbaren Fällen von dem Beklagten jedoch unter Hinweis auf die Bestimmung in § 6 Abs. 2 HBeihVO dann bestritten, wenn es sich um sogenannte sensomotorische Einlagen handeln soll. Ob dabei alle Fußeinlagen des im Tatbestand benannten Unternehmens explizit ausgeschlossen oder anderweitige Produkte anerkannt werden, ist dabei nicht entscheidend. Der Beklagte führt im Widerspruchsbescheid und im Klageverfahren nämlich aus, die in Nr. 1 der Anlage 3 aufgeführten Fußeinlagen müssten in Anwendung des Gedankens des § 6 Abs. 2 HBeihVO - dort für ärztliche Behandlungen oder Behandlungen gebraucht - dem Erfordernis einer wissenschaftlich anerkannten Methode bzw. Wirkung genügen. Dies sei im Fall von sogenannten sensomotorischen Einlagen nicht der Fall.

Mit dieser Argumentation macht der Beklagte Einschränkungen der vom Landesverordnungsgeber vorgegebenen Regelungen geltend, die nicht auf die allgemein anerkannten Auslegungsgrundsätze gestützt werden können. Zudem ist die Fixierung der Ablehnung auf den Begriff der sensomotorischen Einlagen verfehlt.

Ausgehend vom Wortlaut der Normen ist nämlich festzustellen, dass der Verordnungsgeber in § 6 Abs. 2 HBeihVO ausdrücklich die Unterscheidung zwischen Aufwendungen für (ärztliche) Untersuchungen oder Behandlungen und Arzneimittel getroffen hat. Nicht aufgenommen hat er an dieser Stelle die Hilfsmittel, die in Absatz 1 Nr. 4 der Vorschrift erwähnt sind. Durch den insoweit klaren und eindeutigen Wortlaut ist eine erweiternde Auslegung des Textes von § 6 Abs. 2 HBeihVO auf Hilfsmittel daher in keiner Weise indiziert. Hierfür wäre nach Ansicht des Gerichts nur dann Raum, wenn der Verordnungsgeber sich unklar ausgedrückt haben sollte, was nicht der Fall ist. Daher folgt das Gericht der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 26. Februar 2015 (Az. 3 K 949/14.WI, juris) nicht, das eine Gleichbehandlung der Hilfsmittel mit Untersuchungen oder Behandlungen angenommen hat. Bei der Herstellung und dem Verkauf einer individuell angepassten Fußeinlage handelt es sich nicht um eine Behandlungsmethode, sondern um ein Hilfsmittel und die Gleichsetzung der verschiedenen Gruppen ist nicht möglich.

Für eine unbeabsichtigte Regelungslücke, die gegebenenfalls durch gerichtliche Feststellung könnte geschlossen werden, ist ebenfalls kein Anhaltspunkt ersichtlich. Es bestehen keine Hinweise darauf, dass der Verordnungsgeber nicht erkannt oder schlicht übersehen haben könnte, dass auch Hilfsmittel in den Regelungskreis des § 6 Abs. 2 HBeihVO hätten einbezogen werden sollen. Da die Verordnung nach Landesrecht in periodischen Abständen einer Überprüfung unterzogen wurde - erst die Änderung der Verordnung vom 25. Juni 2012 beseitigte die zuvor in § 21 enthaltene Regelung des Außerkrafttretens - hätte der Verordnungsgeber seit Neubekanntmachung der Verordnung bereits mehrfach die Gelegenheit gehabt, nicht beabsichtigte Auslassungen zu füllen. Auch in den Verwaltungsvorschriften zur HBeihVO finden sich zu den konkreten Fragestellungen keine Ausführungen, so dass die Frage nach deren Bindungskraft unbeantwortet bleiben kann.

Eine erweiternde Auslegung des § 6 Abs. 2 HBeihVO nach Sinn und Zweck der Norm oder der Systematik des Regelungssystems kommt ebenfalls nicht in Betracht. Angesichts der Vielfalt der Differenzierung von dem Grunde nach berücksichtigungsfähigen Aufwendungen im Krankheitsfall durch § 6 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 12 HBeihVO mit teilweise beachtlich detaillierten Rückausnahmen ist eine vereinheitlichende und über den Wortlaut hinausgehende Anwendung des § 6 Abs. 2 HBeihVO abzulehnen, da sie das vom Verordnungsgeber vorgenommene System unterschiedlicher Fallgestaltungen negieren würde. Auch insoweit wird dadurch, dass der Verordnungsgeber in § 6 Abs. 2 HBeihVO nur drei Unterfälle (Untersuchungen, Behandlungen, Arzneimittel) benennt, deutlich, dass insoweit eine Sonderstellung beabsichtigt wurde.

Soweit daher der behandelnde Arzt die (Fuß-) Einlagen verschreibt - auf diese Voraussetzung kann allerdings nicht verzichtet werden - ist nach der HBeihVO eine Erstattungsfähigkeit dem Grunde nach gegeben.

3. Auch der Grundsatz der angemessenen und anerkannten Maßnahmen widerspricht der Beihilfefähigkeit der konkret in Streit stehenden Einlagen nicht.

Unter Berücksichtigung der Regelung des § 80 Abs. 3 HBG werden Beihilfen u.a. in Krankheitsfällen und für Maßnahmen zur Gesundheitsvorsorge gewährt. Beihilfefähig sind nach Satz 2 die Aufwendungen für Maßnahmen, die medizinisch notwendig und in ihrer Wirksamkeit nachgewiesen sind, bei denen die Leistungserbringung nach einer wissenschaftlich allgemein anerkannten Methode erfolgt und die wirtschaftlich angemessen sind. Daneben kann durch Rechtsverordnung nach Abs. 5 die Beihilfefähigkeit vom Vorliegen bestimmter medizinischer Indikationen abhängig gemacht werden. Letzteres ist bezüglich der Hilfsmittel durch die HBeihVO indes nicht geschehen.

Soweit der Beklagte seine Begründung für den generellen Ausschluss von Fußeinlagen einer bestimmten Art oder eines bestimmten Anbieters nicht auf die Verordnung, sondern auf das Hessische Beamtengesetz stützen will, bringt das den Anspruch ebenfalls nicht zum Erlöschen. Wie der Beklagte nachvollziehbar darlegt, kann eine völlig schrankenlose Gewährung von Beihilfe in Extremsituationen zu einer Fehlleitung öffentlicher Gelder führen, die dem Gebot einer sparsamen Haushaltsführung widersprechen würde. Die Beihilfefähigkeit der Einlagen der Kinder der Klägerin ist jedoch auch dann zu bejahen, wenn - wie der Beklagte behauptet - die Anwendung des Gedankens aus § 6 Abs. 2 HBeihVO auf Hilfsmittel wegen der Vorgaben in § 80 Abs. 3 Satz 3 HBG möglich wäre, denn im vorliegenden Fall liegt ein Grund für den Ausschluss nicht vor. Der Beklagte geht davon aus, dass die von dem Unternehmen "G." gefertigten Schuh- oder Fußeinlagen allesamt nicht zu den medizinisch allgemein anerkannten Maßnahmen einer orthopädisch gebotenen Behandlung zu rechnen seien. Die durchgeführte Beweisaufnahme hat indes zum Ergebnis, dass die Einlagen, die von dem Unternehmen nach ärztlicher Verordnung und individuell gefertigt werden, sich nicht derart von anderen "klassischen" Fußeinlagen unterscheiden, dass ihnen eine Beihilfefähigkeit generell abgesprochen werden kann.

Für die Frage der Beihilfefähigkeit unschädlich ist, dass das Unternehmen die von ihm vertriebenen Einlagen bewirbt und auf dem Markt auch für Personen anbietet, die keine ärztlichen Verordnungen vorweisen können oder wollen. Das werbende Auftreten eines Unternehmens ist kein Zeichen dafür, dass die Produkte keine medizinische Wirkung hätten oder unangemessen teuer wären. Bereits der Vergleich mit den starken und permanenten Werbeauftritten von Optikern zeigt, dass das Merkmal der Werbung nicht geeignet ist, die Eigenschaft des sinnvollen Hilfsmittels (im Fall der Optiker von Sehhilfen) zu negieren. Nichts anderes kann für orthopädische Hilfsmittel gelten.

Dass die Aufwendungen für die Anschaffung von Fußeinlagen im vorliegenden Fall dem Grunde nach medizinisch notwendig i.S.d. § 6 HBeihVO waren, ist nicht etwa deshalb zweifelhaft, weil die ärztlichen Verordnungen bezüglich beider Kinder der Klägerin unterschiedlich formuliert sind. Dies unterfällt der ärztlichen Expertise.

Ob Aufwendungen notwendig sind, richtet sich danach, ob sie im konkreten Fall medizinisch geboten sind. Dies richtet sich in der Regel nach der Beurteilung des behandelnden Arztes, da dieser über die erforderliche Sachkunde verfügt (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. März 2008 - 2 C 19.06 - NVwZ-RR 2008, 713). Insoweit bestimmt auch § 6 Abs. 1 Nr. 4 HBeihVO, dass das jeweilige Hilfsmittel - hier Fußeinlagen - vom Arzt schriftlich verordnet sein muss. Dies ist im vorliegenden Fall mittels der ärztlichen Verordnungen der Ärztin Dr. G. vom 7. Juli 2014 erfolgt. Allerdings gilt es, die Besonderheit zu vermerken, dass die behandelnde Ärztin bei dem Sohn K. nicht einfach nur Fußeinlagen, sondern eine spezielle Art von Fußeinlagen, nämlich "sensomotorisch perzeptive Einlagen nach Maß" und bei der Tochter K. "Ein Paar Weichschaumeinlagen nach Maß" verordnet hat. Während herkömmliche Einlagen (Passiveinlagen) vorwiegend stützend auf die knöchernen Strukturen wirken, sollen die propriozeptiven/sensomotorischen Einlagen (Aktiveinlagen) auch auf Muskeln, Sehnen und Weichteile Einfluss nehmen. Diesem Konzept liegt die Überzeugung zugrunde, dass mit Hilfe gezielter Stimulation eine gestörte Bewegungskoordination verbessert werden kann. Es soll die Aktivität einzelner Muskeln oder Muskelgruppen beim Gehen, Laufen oder Stehen zielgerichtet verändert werden, indem die Muskelspannung erhöht oder vermindert wird (vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 04.02.2015 - 26 K 2233/14 -). Ein Problem dürfte jedoch darin liegen, dass unter den genannten Begriff eine Vielzahl an unterschiedlichen Einlagenkonzepten subsumiert wird, die sich in der Art der - auch handwerklichen - Fertigung und in der behaupteten Wirkungsweise unterscheiden.

Die durchgeführte Beweisaufnahme hat für das Gericht ergeben, dass die Einlagen, die für die Kinder der Klägerin angefertigt worden sind, nichts mit obskuren oder unseriösen Gesundheitsversprechen zu tun haben. Die Einlagen sind aus einem Kunststoff aufgebaut, entsprechen in der Form und dem Gebrauch aber klassischen Fußeinlagen mit der Abweichung, dass das Material nachgiebig ist. Die Verwendung herkömmlicher Einlagen aus Leder, Kork oder anderen festen Materialien zur Versorgung von Fußerkrankungen oder Fehlstellungen wird nicht in Zweifel gezogen. Wichtig ist im Allgemeinen, dass der Fuß durch Abstützung an bestimmten, individuell festgestellten Stellen, gestützt wird. Nichts anderes ergibt sich für das Gericht aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme auch für die vorgelegten Einlagen, die für die Kinder der Klägerin gefertigt wurden.

Wie sich aus den von der Klägerin vorgelegten Unterlagen des Weiteren ergibt, bestehen für die Anerkennung der gefertigten Fußeinlagen im Rahmen der Leistungserbringung für die gesetzlichen Krankenkassen (Produktgruppe 08 - Einlagen - ) Vorgaben an die Qualität der Produkte und ihre Funktionsweise. Wie der sachverständige Zeuge glaubhaft bestätigt hat, erfüllen die von dem Unternehmen "G." hergestellten Einlagen diese Anforderungen und werden deshalb im Bereich der Versorgung von Patienten von den Krankenkassen anerkannt. So seien u.a. nachzuweisen die schalenförmige Fassung des Fußes sowie die abstützende und sichernde Wirkung auf den belasteten Fuß (vgl. GKV-Hilfsmittelverzeichnis, Anforderungen unter III.1 Indikations-/einsatzbezogene Qualitätsanforderungen). Wichtig sind bei den streitbefangenen Einlagen die individuelle Anfertigung und Anpassung an den jeweiligen Fuß und die für notwendig erkannte Ausgleichsfunktion.

4. Die Aufwendungen sind im vorliegenden Fall auch (wirtschaftlich) angemessen. Alle Aufwendungen, die unter den Katalog des § 6 HBeihVO fallen, sind nur unter dem - vom Gesetzgeber bereits in § 80 Abs. 3 HBG zum Ausdruck gebrachten und vom Verordnungsgeber in Nr. 1 der Anlage 3 der HBeihVO wiederholten - Grundsatz beihilfefähig, dass die notwendigen Aufwendungen in angemessenem Umfange erfolgten. Bei dem Kriterium der Angemessenheit handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der in jedem einzelnen Beihilfefall einer Konkretisierung bedarf. Hierbei ist der Festsetzungsstelle weder ein Ermessen noch ein gerichtlicher Kontrolle teilweise entzogener Beurteilungsspielraum eröffnet. Vielmehr richtet sich die Frage, ob Aufwendungen im Einzelfall einen unangemessenen Umfang haben, im Wesentlichen nach objektiven Maßstäben, die vom Verwaltungsgericht gleichermaßen angewendet werden können wie von der Festsetzungsstelle. Daher ist der Rechtsbegriff der Angemessenheit im Beihilfenrecht gerichtlich voll überprüfbar (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.05.1996 - 2 C 10.95 -, DVBl. 1996, 1150).

Die Angemessenheit der Aufwendungen für Hilfsmittel bestimmt sich grundsätzlich ebenfalls nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 HBeihVO i.V.m. Anlage 3 zu dieser Verordnung. In dieser Anlage sind aber beihilferechtliche Höchstbeträge nur für wenige Hilfsmittel, wie Perücken (Nr. 8), Brillen (Nr. 11) oder Hörgeräte (Nr. 13) festgesetzt. Im Hinblick auf Fußeinlagen befinden sich darin indes keine Festsetzungen.

Geben die Regelungen der Beihilfenverordnung keine konkreten Anhaltspunkte dafür, nach welchem Maßstab der angemessene Umfang der Kosten für die Anschaffung von Fußeinlagen zu bestimmen ist, so lässt sich dieser Maßstab jedoch durch einen Rückgriff auf den rechtlichen Charakter der Beihilfe gewinnen (vgl. VG Düsseldorf, Urt. vom 04.02.2015 - 26 K 2233/14 -) . Die Beihilfe ergänzt die Besoldung und Versorgung bezüglich derjenigen auf den Beamten und seine Familie zukommenden notwendigen Lebensbedürfnisse, die wegen ihrer Unvorhersehbarkeit nicht mit der Besoldung und Versorgung generell und in vollem Umfang im Voraus abgedeckt werden können (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.02.1966 - VIII C 276.63 -, BVerwGE 23, 288).

Das Alimentationsprinzip, welches der Gesetzgeber nach Maßgabe des Art. 33 Abs. 5 GG zu beachten hat, verpflichtet den Dienstherrn, den Beamten und seine Familie lebenslang angemessen zu alimentieren und ihm nach seinem Dienstrang, nach der mit seinem Amt verbundenen Verantwortung und nach der Bedeutung des Berufsbeamtentums für die Allgemeinheit entsprechend der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse und des allgemeinen Lebensstandards einen angemessenen Lebensunterhalt zu gewähren (vgl. BVerfG, Beschluss vom 02.10.2007 - 2 BvR 1715/03 u.a. -, NVwZ 2008, 27).

An diesem Maßstab hat sich auch die für die Gewährung von Beihilfen maßgebliche Fürsorgepflicht zu orientieren. Die Fürsorgepflicht fordert, dass der Dienstherr den angemessenen Lebensunterhalt der Beamten und ihrer Familien auch in besonderen Belastungssituationen wie Krankheit oder Pflegebedürftigkeit sicherstellt. Der Dienstherr muss dafür Sorge tragen, dass Beamte in diesen Lebenslagen nicht mit erheblichen finanziellen Aufwendungen belastet bleiben, die sie nicht mehr in zumutbarer Weise aus ihrer Alimentation bestreiten können. Dies ist auf der Grundlage des gegenwärtig praktizierten "Mischsystems" zu beurteilen, in dem zur Eigenvorsorge der Beamten durch Abschluss einer auf die Beihilfevorschriften abgestimmten Versicherung die ergänzende Beihilfegewährung tritt. Die verfassungsrechtliche Fürsorgepflicht verlangt aber weder, dass Aufwendungen der Beamten in Krankheitsfällen durch Leistungen einer beihilfekonformen Krankenversicherung und ergänzende Beihilfen vollständig gedeckt werden, noch dass die von der Beihilfe nicht erfassten Kosten in vollem Umfang versicherbar sind. Es gilt der beihilferechtliche Grundsatz, dass der Dienstherr nicht verpflichtet ist, den Beamten von sämtlichen Behandlungskosten im Krankheitsfall freizustellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 05.05.2010 - 2 C 12.10 -, ZBR 2011, 126). Diesem Gebot der teilweisen Unterstützung entsprechen die Regelungen für Sehhilfen oder Hörgeräte in Nr. 11 und Nr. 13 der Anlage 3.

In Anwendung dieser Grundsätze erweist sich im vorliegenden Fall die Anerkennung der beihilferechtlichen Aufwendungen für die Anschaffung von Fußeinlagen in Höhe von 169 Euro unter Berücksichtigung von § 287 ZPO noch als angemessen. Der Beamte darf sich allerdings unter verschiedenen geeigneten und (grundsätzlich) beihilfefähigen Hilfsmitteln nicht für das von der Ausstattung her aufwändigste und teuerste Produkt entscheiden (OVG NRW, Beschluss vom 17.12.2010 - 3 A 747/08 -, juris). Im vorliegenden Fall hat der Beklagte aber nicht substantiiert vorgetragen noch sind dem Gericht Anhaltspunkte dafür bekannt, dass die Höhe der Kosten als unangemessen eingestuft werden könnte. Das VG Düsseldorf hat in seinem Urteil vom 4. Februar 2015 (a.a.O.) zwar eine Grenze von 80 Euro angenommen. Es ist aber kein nachvollziehbarer Vergleichsmaßstab vorhanden, der es nahelegen würde, diese Grenze als sachgerecht anzusetzen. Wenn sich der Verordnungsgeber nicht, wie bei Seh- oder Hörhilfen, für eine Obergrenze der berücksichtigungsfähigen Aufwendungen entscheidet, kann eine behördliche wie gerichtliche Festsetzung dies nicht ersetzen. Abzulehnen sind daher nur extreme und offensichtlich unverhältnismäßige Ausgaben, die nach Treu und Glauben (in Anwendung der Grundsätze von §§ 242, 138 BGB, § 287 ZPO) den Patienten direkt oder den Beklagten mittelbar unangemessen belasten. Ebenso würde ein kollusives Zusammenwirken des Beihilfeberechtigten mit dem Leistungserbringer zu Lasten des Beklagten zum Ausschluss führen. Diese beiden Ausnahmen sind im vorliegenden Fall nicht erkennbar.

5. Der Klägerin steht auch der Anspruch auf Zahlung von Prozesszinsen gemäß § 90 VwGO i. V. m. §§ 291 und 288 Abs. 1 Satz 2 BGB zu. Diese sind zu gewähren, soweit das materielle Recht nichts Spezielleres regelt (vgl. BVerwG, Urteil v. 09.11.1976 - 3 C 56.75 -, BVerwGE 51, 287). Materiellrechtlich ist ein Zinsbegehren des jeweiligen Klägers im Verwaltungsprozess regelmäßig vorrangig nach den speziellen Zinsregelungen im materiellen öffentlichen Recht und nur hilfsweise in entsprechender Anwendung der allgemeinen Regeln des BGB über Prozesszinsen zu prüfen. Aufgrund des Anspruchs des Beihilfeberechtigten auf die Beihilfe ist ein solcher Anspruch auf Prozesskosten zu bejahen, da das einschlägige Fachrecht (wie hier) keine anderweitige Regelung trifft.

6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Zulassung der Berufung gemäß § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO kommt nicht in Betracht, da die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 2 bis Nr. 4 VwGO nicht vorliegen.

Referenznummer:

R/R7344


Informationsstand: 12.07.2017