Die zulässige Berufung ist unbegründet. Streitgegenstand dieses Verfahrens ist der Bescheid vom 4. Mai 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Dezember 2009 insoweit, als der Beklagten eine Aufnahme der ® in die Produktart 23.04.03.3 abgelehnt hat. Hilfsweise begehrt die Klägerin die Kreierung einer neuen Produktart durch den Beklagten.
Die Klage war als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zulässig, soweit die Klägerin geltend macht, ihr Produkt, die Orthese ® sei in die Produktart 23.04.03.3 einzugruppieren. Die Ablehnung dieses Antrags war Gegenstand des angegriffenen Bescheides vom 4. Mai 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Dezember 2009 (
vgl. BSG, Urteil vom 8. Juli 2015 - Az.:
B 3 KR 6/14 R, Rn. 10, nach juris). Der Eingruppierung in die Produktart 23.04.03.2 hat die Klägerin widersprochen und die Listung ihres Produkts in dieser Produktart bisher auch nicht in Anspruch genommen.
Die Berufung ist unbegründet. Die Voraussetzungen für eine Eingruppierung der ® in die Produktart 23.04.03.3 des
HMV liegen nicht vor.
Nach
§ 139 SGB V in der Fassung des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (
GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz -
GKV-WSG vom 26. März 2007 (BGBl I Seite 378) gültig ab 1. Juli 2008) erstellt der Spitzenverband Bund der Krankenkassen nach Absatz 1 ein systematisch strukturiertes Hilfsmittelverzeichnis, in dem von der Leistungspflicht umfasste Hilfsmittel aufzuführen sind; es ist im Bundesanzeiger bekannt zu machen. Nach Absatz 2 können dort indikations- oder einsatzbezogene besondere Qualitätsanforderungen für Hilfsmittel festgelegt werden, soweit dies zur Gewährleistung einer ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung erforderlich ist (Satz 1). Besondere Qualitätsanforderungen nach Satz 1 können auch festgelegt werden, um eine ausreichend lange Nutzungsdauer oder in geeigneten Fällen den Wiedereinsatz von Hilfsmitteln bei anderen Versicherten zu ermöglichen (Satz 2). Im Hilfsmittelverzeichnis können auch die Anforderungen an die zusätzlich zur Bereitstellung des Hilfsmittels zu erbringenden Leistungen geregelt werden (Satz 3). Nach Absatz 3 erfolgt die Aufnahme eines Hilfsmittels in das Hilfsmittelverzeichnis auf Antrag des Herstellers (Satz 1); über sie entscheidet der Spitzenverband Bund der Krankenkassen, der vom Medizinischen Dienst prüfen lassen kann, ob die Voraussetzungen nach Absatz 4 erfüllt sind (Satz 2). Das Hilfsmittel ist aufzunehmen, wenn der Hersteller die Funktionstauglichkeit und Sicherheit, die Erfüllung der Qualitätsanforderungen nach Absatz 2 und, soweit erforderlich, den medizinischen Nutzen nachgewiesen hat und es mit den für eine ordnungsgemäße und sichere Handhabung erforderlichen Informationen in deutscher Sprache versehen ist (Absatz 4). Nach Absatz 5 gilt für Medizinprodukte im Sinne des § 3
Nr. 1 des Medizinproduktegesetzes der Nachweis der Funktionstauglichkeit und der Sicherheit durch die CE-Kennzeichnung grundsätzlich als erbracht (Satz 1). Das Hilfsmittelverzeichnis ist nach Absatz 8 regelmäßig fortzuschreiben (Satz 1). Die Fortschreibung umfasst die Weiterentwicklung und Änderungen der Systematik und der Anforderungen nach Absatz 2, die Aufnahme neuer Hilfsmittel sowie die Streichung von Produkten, deren Aufnahme zurückgenommen oder nach Absatz 6 Satz 5 widerrufen wurde (Satz 2). Vor einer Weiterentwicklung und Änderungen der Systematik und der Anforderungen nach Absatz 2 ist den Spitzenorganisationen der betroffenen Hersteller und Leistungserbringer unter Übermittlung der hierfür erforderlichen Informationen innerhalb einer angemessenen Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben; die Stellungnahmen sind in die Entscheidung einzubeziehen (Satz 3).
Die Orthese ® war im
HMV bis zur Bekanntmachung der früheren Spitzenverbände der Krankenkassen über die Erstellung der Produktgruppe 23 "Orthesen/Schienen" vom 2. Juni 2008 (Bundesanzeiger
Nr. 90) in der Produktgruppe 05 "Bandagen" in der Produktart 05.04.02.2 019 "Bandagen mit Flexions-/Extensionsbegrenzung" gelistet. Die Beschreibung dieser Produktgruppe lautete: "Kniebandagen mit Flexions-/Extensionsbegrenzung sind Bandagen, die durch seitliche Schienen, fest oder gelenkig miteinander verbunden, das Kniegelenk stabilisieren. Sie sind meistens aus elastischem Trägermaterial gefertigt und müssen zirkuläre, unelastische Gurte aufweisen. Flexions- und Extensionsradius sind einstellbar, um Fehlbeanspruchungen der Kreuzbänder zu verhindern. Als Indikationen waren angegeben: geringe Seitenbandinsuffizienz, traumatische oder degenerative Kniegelenksveränderung." Mit der Bekanntmachung der Spitzenverbände der Krankenkassen über die Erstellung der Produktgruppe 23 vom 2. Juni 2008 wurden bestimmte Bandagen, die Stabilisierungselemente aufweisen, in der von dem Beklagten erstellten Produktgruppe 23 "Orthesen" übernommen (
vgl. https://gkv-spitzenverand.de/media/dokumente/krankenversicherung1/ hilfsmittel/ fortschreibungen aktuell/Hilfsmittel Fortschreibung-Produktgruppe 23, Stichwort: Querverweise).
In der Produktgruppe 23 Orthesen/Schienen (Version: 06.03.04) werden diese als funktionssichernde, körperumschließende oder körperanliegende Hilfsmittel, die von ihrer physikalischen/mechanischen Leistung konstruktiv - stabilisieren, - immobilisieren, - mobilisieren, - entlasten, - korrigieren, - retinieren, - fixieren
bezeichnet.
Hinsichtlich der Indikationen wird in der Bekanntmachung auf die Produktarten verwiesen.
Die Untergruppe 23.04.03 "Knieorthesen zur Führung und Stabilisierung" umfasst vier Produktarten: 23.04.03.0 Knieführungsorthesen ohne Extensions-/Flexionsbegrenzung 23.04.03.1 Knieführungsorthesen mit Extensions-/Flexionsbegrenzung 23.04.03.2 Knieführungsorthesen mit 4-Punkt-Prinzip und Extensions-/ Flexionsbegrenzung 23.04.03.3 Rahmenorthesen zur Führung und Stabilisierung des Kniegelenks mit Extensions-/Flexionsbegrenzung
Die Produktart 23.04.03.2 wird wie folgt beschrieben: "Orthesen zur Sicherung der physiologischen, zweidimensionalen Führung des Kniegelenks und Entlastung/Schutz des Gelenkapparates in einstellbaren Bewegungsumfängen.
Die Orthesen bestehen meist aus einem textilen Trägermaterial, in das Führungsschienen mit Gelenken eingearbeitet sind. Sie umfassen den Ober- und Unterschenkel und werden mit Gurtbändern verschlossen und sind nach dem 4-Punkt-Stabilisierungs-Prinzip konstruiert. Der Bewegungsumfang des Kniegelenkes kann in Extension und Flexion limitiert werden."
Indikationen: Alle Indikationen, bei denen eine Sicherung der physiologischen Führung des Kniegelenks und/oder Entlastung des Gelenkapparates notwendig ist, wie
z.B.:
- mittlere Instabilität des Kniegelenks - Meniskusverletzungen - Genu recurvatum.
In der Produktart 23.04.03.2 werden als zusätzliche Qualitätsanforderungen genannt:
- Stabilisierende oder selbsttragende Elemente - Physiologische Gelenkführung - 4-Punkt-Stabilisierungssystem - Einstellbare Flexions-/Extensionsbegrenzung - Unelastische Zugelemente
Nachzuweisen ist der medizinische Nutzen bei der Produktart 23.04.03.2 bezüglich der/des
- Sicherung der physiologischen Gelenkführung in definierten Bewegungsumfängen - Entlastung/Schutz des Gelenkapparates - Zweidimensionale Führung des Kniegelenks - Hyperextensionsschutz und Bewegungslimitierung,
Die Produktart 23.04.03.3 wird wie folgt beschrieben:
"Orthesen zur mindestens zweidimensionalen Führung und Stabilisierung des Kniegelenkes, mit selbsttragender Rahmenkonstruktion nach dem 4-Punkt-Stabilisierungsprinzip aus festem Material (
z.B. Aluminium oder Kunststoff) mit einstellbaren Gelenken.
Die Orthesen umfassen den Ober- und Unterschenkel und den Unterschenkel frontal oder dorsal sowie seitlich und werden mit Gurtbändern verschlossen. Die Orthesen sind nach dem 4-Punkt-Stabilisierungsprinzip konstruiert. Der Bewegungsumfang kann in Extension und Flexion limitiert werden. Indikationen: Alle Indikationen, bei denen eine physiologische Führung und Stabilisierung des Kniegelenks und/oder Entlastung des Gelenkapparates in mind. 2 Ebenen notwendig ist, wie
z.B.:
- schwere und/oder komplexe Instabilität des Kniegelenks - Meniskusverletzungen - Genu recurvatum - funktionelle prä- und/oder postoperative Versorgung von Bandrupturen.
Qualitätsanforderungen bestehen in der Produktgruppe 23.04.03 u.a. dahingehend, dass die indikations-/einsatzbezogenen Eigenschaften des angemeldeten Hilfsmittels für die beanspruchte(n) Produktart/Indikation(en) im allgemeinen Lebensbereich/häuslichen Bereich durch: -Herstellererklärung und - indikations-/einsatzbezogene Prüfungen bei geschlossenen, körperteilumfassenden Konstruktionen entsprechend dem Forschungsvorhaben AiF-
Nr. 11283 "Grundsatzuntersuchung zur physiologischen Funktion von medizinischen Bandagen und Er-stellung eines Anforderungsprofils an die dazu verwendeten Textilien" oder durch andere, mindestens gleichwertige Prüfungen durch ein unabhängiges Prüfinstitut
und
- durch Vorlage eines Produktmusters
nachgewiesen sein müssen.
In der Produktart 23.04.03.3 werden als zusätzliche Qualitätsanforderungen genannt:
- Selbsttragende Rahmenkonstruktion - Physiologische Gelenkführung - 4-Punkt-Stabilisierungssystem - Einstellbare Flexions-/Extensionsbegrenzung
Nachzuweisen ist der medizinische Nutzen bei der Produktart 23.04.03.3 bezüglich der/des
- Entlastung/Schutz des Gelenkapparates - Mindestens zweidimensionale Führung und Stabilisierung des Kniegelenks - Hyperextensionsschutz und Bewegungslimitierung
Die Festlegung besonderer Qualitätsanforderungen beruht auf § 139
Abs. 2
SGB V. An der Festlegung dieser Qualitätsanforderungen war der Spitzenverband der Hersteller entsprechend
§ 139 Abs. 8 SGB V beteiligt. Dies hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 13. September 2010 vorgetragen und wird von der Klägerin nicht bestritten. Maßgebend waren die auf dem Markt befindlichen Produkte, die sich durch ihre Konstruktion unterscheiden. Vertreter der Klägerin hatten danach die hier streitgegenständliche Orthese selbst als Beispiel für die Produktart 23.04.03.2 aufgeführt, während sie andere Orthesen - mit Rahmenkonstruktion - aus ihrer Produktpalette als Beispiele für die Produktart 23.04.03.3 nannten. Soweit die Klägerin mit Schriftsatz vom 9. März 2011 eingewandt hat, dass die damalige Beschreibung dieser Produktart nur die Aufnahme von Orthesen mit einem vektororientierten und mithin stabilisierenden Trägermaterial vorgesehen habe, überzeugt dies insoweit nicht, als die dort beispielhaft genannten Indikationen ebenfalls lauteten: mittlere Instabilität des Kniegelenks, Meniskusverletzungen, Genu recurvatum. Die Qualitätsanforderung der selbsttragenden Rahmenkonstruktion erfüllt die Orthese ® nicht.
Sie ist aber auch unabhängig davon nach der oben genannten Definition nicht in die Produktart 23.04.03.3 einzuordnen, weil es sich eindeutig nicht um eine Rahmenorthese handelt. Dies wird auch von der Klägerin nicht behauptet. Eine Systematik des
HMV nach Indikationen oder Stabilisierungsgraden ist entgegen der Ansicht der Klägerin nicht erfolgt. Oberbegriff sind Orthesen/Schienen. In den Untergruppen wird nach dem Einsatzort unterschieden, bei den Knieorthesen wiederum zwischen Knieführungsorthesen mit/ohne Extensions-/Flexionsbegrenzung und schließlich zwischen Knieführungsorthesen mit 4-Punkt-Prinzip und Extensions-/ Flexionsbegrenzung und den Rahmenorthesen. Es muss sich bei allen Produktarten um Knieorthesen zur Führung und Stabilisierung handeln, die Knieorthesen der Produktarten 23.04.03.2 und 23.04.03.3 müssen mindestens zur zweidimensionalen Führung des Kniegelenkes in der Lage sein. Erst danach werden die Indikationen genannt, wobei für beide Produktarten grundsätzlich alle Indikationen, bei denen eine physiologische Führung und Stabilisierung des Kniegelenks und/oder Entlastung des Gelenkapparates, bei der Produktart 24.04.03.3 in mindestens zwei Ebenen, in Betracht kommen. Soweit in der Produktart 23.04.03.2 eine mittlere Instabilität des Kniegelenks und in der Produktart 23.04.03.3 eine schwere und/oder komplexe Instabilität des Kniegelenks genannt wird, handelt es sich ausdrücklich nur um Beispiele.
Selbst wenn der Senat diesen beispielhaft aufgeführten Indikationen (bei der Produktart: 23.04.03.2: u.a. mittlere Instabilität des Kniegelenks, bei der Produktart 23.04.03.3: u.a. schwere und/oder komplexe Instabilität des Kniegelenks) im
HMV eine marktsteuernde Wirkung (
vgl. BSG, Urteil vom 31. August 2000 - Az.:
B 3 KR 21/99 R, nach juris) zumessen würde, liegt kein Nachweis dafür vor, dass die Orthese ® für alle Indikationen von Knieinstabilitäten einen medizinischen Nutzen hat.
Die Einteilung einer Gelenksinstabilität erfolgt nach dem Ausmaß der Bandnachgiebigkeit. Beim Kniegelenk beinhaltet die Basisdiagnostik der Bandstabilität die Prüfung des Innen- und des Außenbands jeweils in Streckstellung und 30°-Anbindung, den Lachmann-Test und die vordere und hintere Schublade in 90° Beugestellung. Hierzu wird folgende Tabelle verwendet (
vgl. Grosser in: K.-D. Thomann F. Schröter V. Grosser, Orthopädisch-unfallchirurgische Begutachtung Handbuch der klinischen Begutachtung, 2. Auflage 2013, Seite 24, Tab. 3.4):
Stabilität Ausmaß der Bandnachgiebigkeit 0 0-2mm (+) Grenzwertiger Befund + 3-5 mm ++ 6-10 mm +++ )10 mm
Allerdings hängt die funktionelle Auswirkung von Bandinstabilitäten nicht allein vom Ausmaß der Bandnachgiebigkeit ab, sondern auch von der muskulären Kompensierbarkeit. Als Richtschnur gilt, dass bei gleichem Ausmaß der Bandnachgiebigkeit die muskuläre Kompensierbarkeit umso besser ist, je besser die stabilisierende Muskulatur ausgebildet ist (
vgl. Grosser in: K.-D. Thomann F. Schröter V. Grosser, Orthopädisch-unfallchirurgische Begutachtung Handbuch der klinischen Begutachtung, 2. Auflage 2013, Seite 24, Tab. 3.4). Bedeutung hat auch die neuromuskuläre Koordination. Stabilität gewinnt das Kniegelenk durch ein Zusammenspiel von Minisken, Bändern, Kapseln, Kniescheibe und knieumgreifender Muskulatur. Einen wichtigen Beitrag leisten die Bänder, die Extrembewegungen begrenzen und das Knie auch ohne zusätzliche muskuläre Anspannung stabilisieren (
vgl. Thormann in: K.-D. Thomann F. Schröter V. Grosser, Orthopädisch-unfallchirurgische Begutachtung Handbuch der klini-schen Begutachtung, 2. Auflage 2013, Seite 147). Das Kniegelenk ist stabiler, je besser die Muskulatur entwickelt ist. Deshalb kann eine sehr gut auftrainierte Muskulatur eine Insuffizienz einzelner Bandstrukturen zumindest zu einem wesentlichen Teil kompensieren. Sie und das Zusammenspiel zwischen Nerven und Muskulatur wirken sich auf die Funktion des Gelenkes aus. Die Stabilität des Kniegelenks kann durch Verletzungen des vorderen und hinteren Kreuzbands beeinträchtigt werden. Typische Verletzungsmechanismen der vorderen und hinteren Kreuzbeinruptur sind (
vgl. Thormann unter Hinweis auf Hertel in: K.-D. Thomann F. Schröter V. Grosser, Orthopädisch-unfallchirurgische Begutachtung Handbuch der klinischen Begutachtung, 2. Auflage 2013, Seite 148): als Folge eines Außenrotations-/Abduktionsmechanismus eine Innenbandruptur, vordere Kreuzbandruptur, Knieluxation, als Folge eines Valgusmechanismus eine Innenbandruptur, dorsale Kapselruptur, hintere Kreuzbandruptur, vordere Kreuzbandruptur, Knieluxation, als Folge eines Varusmechanismus eine Ruptur des Außenbandkomplexes, Traktusruptur, Popliteussehnenruptur, vordere Kreuzbandruptur, hintere Kreuzbandruptur, Knieluxation. Als Folge einer Kreuzbandruptur vergrößert sich das Gelenkspiel der Oberschenkelrollen auf dem Schienbeinkopf, die ligamentäre Führung der Oberschenkelrollen verschlechtert sich. Die Instabilität erhöht das Verletzungsrisiko. Teilweise versagt das Kniegelenk bei stärkerer Belastung (sog. Giving-way-Phänomen). Kreuzbandverletzungen sind häufig - allerdings nicht immer - mit Läsionen des Innen- und/oder Außenbands sowie des Meniskus verbunden. Sind alle drei Strukturen betroffen, wird von einer "Unhappy Triad" gesprochen (
vgl. Thormann in: K.-D. Thomann F. Schröter V. Grosser, Orthopädisch-unfallchirurgische Begutachtung Handbuch der klinischen Begutachtung, 2. Auflage 2013, Seite 149). Zudem kommen Verletzungen der Seitenbänder, meist im Rahmen von Komplexverletzungen des Kniegelenks, sowie Verletzungen und Erkrankungen der Minisken in Betracht.
Der Nachweis des medizinischen Nutzens - hier zur Stabilisierung aller oben genannten Kniegelenkverletzungen bis zur Instabilität +++ - hat die Klägerin zu erbringen. Sie geht über die durch die CE-Kennzeichnung hinaus, die die Orthese ® erhielt und die Funktionstauglichkeit und Sicherheit nachweist. In seinem Urteil vom 23. Juni 2016 - Az.:
B 3 KR 20/15 R führt das
BSG aus: " Diese Grundsätze gelten in gleicher Weise für den Widerruf und die Streichung eines Hilfsmittels aus dem
HMV. Dies ergibt sich aus § 139
Abs. 6 Satz 5
SGB V. Danach ist die Aufnahme zu widerrufen, wenn die Anforderungen nach § 139
Abs. 4
SGB V nicht mehr erfüllt sind. Die Vorschrift ist im Zusammenhang mit der Fortschreibungspflicht des
HMV nach § 139
Abs. 8
SGB V zu lesen, der ausdrücklich auf den Widerruf der Aufnahme nach § 139
Abs. 6 Satz 5
SGB V Bezug nimmt. Der Gesetzgeber hat damit ausschließlich dem Hersteller die Aufgabe zugewiesen zu den von ihm hergestellten Produkten ausreichende und nachvollziehbare Unterlagen beizubringen. Dies ist im Hinblick auf die Kenntnisse zu technischen Details und Wirkprinzipien der Produkte und unter Berücksichtigung des Betriebsgeheimnisses sachgerecht. Produktprüfungen zum Nachweis der Qualitätsanforderungen oder des medizinischen Nutzens sind daher weder vom Beklagten noch von den Tatsachengerichten zu verlangen. Vielmehr ist § 139
SGB V in seiner heutigen Fassung (durch das
GKV-WSG vom 26.3.2007 - BGBl I 378) eine klare Trennung der Verantwortungsbereiche zu entnehmen. Der Beklagte erstellt ein systematisches und strukturiertes
HMV und legt indikations- oder einsatzbezogen besondere Qualitätsanforderungen für Hilfsmittel fest, soweit dies zur Gewährleistung einer ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung erforderlich ist, oder um eine ausreichend lange Nutzungsdauer oder in geeigneten Fällen den Wiedereinsatz von Hilfsmitteln bei anderen Versicherten zu ermöglichen oder Anforderungen zur Regelung von zusätzlich zur Bereitstellung des Hilfsmittels zu erbringenden Leistungen. Diese Qualitätsanforderungen sind produktübergreifend und gelten - bei rechtmäßiger Festsetzung - für alle Hilfsmittel in dem jeweiligen Indikations- und Einsatzbereich. Die für diese Festsetzung erforderlichen Voraussetzungen unterliegen der gerichtlichen Prüfung, für die die Grundsätze der Amtsermittlung gelten. Den Nachweis dafür, dass ein bestimmtes Produkt die so festgesetzten Qualitätsanforderungen erfüllt und dem auf diese Weise spezifizierten medizinischen Nutzen gerecht wird, hat demgegenüber allein der Hersteller zu erbringen. Er trägt das Risiko unvollständiger Produktunterlagen." Dem schließt sich der Senat an.
Damit unterfallen alle Darlegungs- und Beweispflichten im Zusammenhang mit der Behauptung der Klägerin, die Orthese ® sei auch zur Stabilisierung des schwer und/oder komplex instabilen Kniegelenkes geeignet, allein deren Verantwortungsbereich.
In ihrem Prospekt aus dem Jahr 2010 nennt die Klägerin für die Orthese ® nicht die Indikation einer komplexen Instabilität. Auch in dem später korrigierten Prospekt werden ihr nicht die gleichen Indikationen zugeordnet wie der Rahmenorthese MOS Genu®.
Bei Antragstellung auf Eingruppierung in die Produktart 23.04.03.3 legte die Klägerin den Abschlussbericht des Instituts M. vom 2. April 1998 (
Dipl.-Ing. L.) und im Widerspruchsverfahren dem
MDS drei Studienberichte vor. Dieser weist in seinem Gutachten vom 14. Dezember 2009 zu Recht darauf hin, dass bei der undatierten Studie von , B. BD
et al. Bezugsrahmen die Behandlung einer vorderen Kreuzbandinstabilität bei seitlicher Stabilität ist, bei den Studien , B. BD
et al. Februar 1 - 4 und B.
et al. vom 1. Juli 1998 ebenfalls die Behandlung von Kreuzbandinstabilitäten bei seitlicher Stabilität sind. Bei dieser Erkrankung erscheint es nach neueren medizinischen Erkenntnissen zweifelhaft, ob der Einsatz einer mechanisch stabilisierenden Orthese sinnvoll ist.
Im Klageverfahren hat die Klägerin weitere Studienergebnisse vorgelegt. Dem vom Gericht beauftragten Sachverständigen
Prof. Dr. S. hat sie ein Gutachten des
Prof. Dr. H. und des
Dr. Sch. vom 9. Dezember 2010 übersandt, in die die Studie des Instituts für Sport und Sportwissenschaft, K. Institut für Technologie (KIT - Sch., H.,
S.,
S., St., G.) eingebettet ist.
Prof. Dr. S. hat diese Unterlagen im Gutachten vom 22. Dezember 2011 einer Bewertung unterzogen, der sich der Senat anschließt. Danach handelt es sich bei dem Gutachten des
Prof. Dr. H. und des
Dr. Sch. nicht um ein Gutachten im Sinne einer unabhängigen wissenschaftlichen Stellungnahme zur Bewertung der Orthese ® ... Die Verfasser haben keine eigenen Untersuchungen durchgeführt. Die dort genannte "komplexe vordere Instabilität am Kniegelenk" er-fordert neben dem vorderen Kreuzband mindestens die Beeinträchtigung einer weiteren we-sentlichen Bandstruktur - mediales oder laterales Seitenbandsystem, hinteres Kreuzband -. Das Gutachten geht zudem überwiegend auf Literatur ein, die über zehn Jahre alt ist; neuere Literatur wurde nicht einbezogen. Die dort zitierte Studie der Universität K. (KIT) bezog sich auf eine einfache vordere Instabilität ) 3 mm in Folge veralteter oder frischer vorderer Kreuzbandruptur und insbesondere nicht auf komplexe vordere Instabilitäten wie sie in der Definition von L. benannt werden. In der Studie erfolgte keine Untersuchung zum Seitenband, sondern nur der vorderen Schublade. Insoweit kann das Gutachten den angedachten Ansatz der Klägerin für die Umgruppierung in die Produktgruppe 23.04.03.3 nicht unterstützen. Bereits aus den Ausschlusskriterien der KIT-Studie ergibt sich, dass Verletzungen des hinteren Kreuzbandes zum Ausschluss führten, eingeschlossen wurden lediglich frische oder alte und bilaterale nicht versorgte vordere Kreuzbandrupturen.
Bei der Studie von Sch.
et al. handelt es sich laut
Prof. Dr. S. nur um einen Neuabdruck der bekannten Untersuchung (KIT), die bereits im Gutachten von
Prof. Dr. H. und
Dr. Sch. vom 9. Dezember 2010 herangezogen wurde. Zudem fehlt es bisher an einer Untersuchung der Rotationsebene bei der eine passive Schädigung der Bandstruktur durch die ® möglich ist. Alle von der Klägerin vorgelegten Studien beschäftigten sich durchgängig nur mit der vorderen Instabilität nach Kreuzbandverletzung, die wiederum keine mittlere oder komplexe Instabilität des Kniegelenks ist. Wie bereits der
MDS in seinem Gutachten vom 14. Dezember 2009 ausführt, ist es bei dieser Erkrankung grundsätzlich fraglich, ob der Einsatz einer Orthese medizinisch sinnvoll ist (
vgl. auch http://www.awmf.org Stichwort: vordere Kreuzbandruptur, aktueller Stand: 6/2014, 7.4 - funktionelle Orthese nur bei zusätzlicher Seitenbandinstabilität). Die Versorgung einer einfachen Kniegelenkinstabilität infolge einer Ruptur des vorderen Kreuzbandes mit einer Hartrahmenorthese stellt aus medizinischer Sicht jedenfalls eine Fehlversorgung dar. Zusammenfassend führt der Sachverständige aus, dass eine feste Indikation für die Versorgung mit der Orthese ® nicht vorgegeben werden kann, weil diese von den individuellen Gegebenheiten beim verletzten Patienten und dem geplanten Rehabilitationsverlauf in einer interdisziplinären Führung mit dem Operateur und dem Rehabilitationsmediziner bewertet werden muss. Sei das medizinische Ziel eine gute propriozeptive Unterstützung mit physiologischem Gangbild, sollte allerdings auf eine Hartrahmenorthese verzichtet werden, weil die flexible 4-Punkt-Stabilisierung mit dem Vektorgestrick der ® dieses physiologische Gangbild erhalten kann.
Der Einwand der Klägerin gegen das Gutachten des
Prof. Dr. S., der Sachverständige interpretiere bei der Indikationsbeschreibung nicht die Stabilisierungsnotwendigkeit des Kniegelenks in zwei Ebenen, sondern rücke die in der Produktgruppe 24.04.03.3 lediglich als Beispiel angegebene "schwere und/oder komplexe Instabilität des Kniegelenks" in den Vordergrund und greife hierbei auf ein überholtes Verständnis von L. aus dem Jahr 2002 zurück, überzeugt nicht. Wie bereits ausgeführt, setzt auch die Produktart 24.04.03.2 eine mindestens zweidimensionale Führung und Stabilisierung des Kniegelenks voraus. Die von der Klägerin favorisierte Produktart 24.04.03.3 unterscheidet sich außer durch die Konstruktion der Orthese als Hartrahmenorthese einschließlich der an sie zu stellende Qualitätsanforderungen vor allem dadurch, dass sie beispielhaft die Indikation "schwere und/oder komplexe Knieinstabilität" nennt. Dieser Unterschied ist Grundlage für die Führung des Rechtsstreits durch die Klägerin. Da der Beklagte die Orthese ® in die Produktart 24.04.03.2 eingeordnet hat, ist nicht streitig, dass die Orthese ® hierfür geeignet ist. Soweit die Klägerin vorträgt, bei einer vorderen Kreuzbandruptur und somit auch bei der der KIT-Studie zu Grunde liegenden vorderen Kreuzbandruptur handle es sich immer um eine schwere Verletzung, weil es immer zur Mitverletzung von anderen Strukturen komme, wird dem nicht gefolgt. Isolierte vordere Kreuzbandrupturen können bei Extensions- und Innenrotationsmechanismus sowie bei Hyperflexionsmechanismus mit Quadrizepssehnenanspannung entstehen (
vgl. Thormann in: K.-D. Thomann F. Schröter V. Grosser, Orthopädisch-unfallchirurgische Begutachtung Handbuch der klinischen Begutachtung, 2. Auflage 2013, Seite 148). Welche Instabilität des Kniegelenks hieraus folgt, ist nach den oben genannten Kriterien zu ermitteln (
vgl. auch: http://www.awmf.org Stichwort: vordere Kreuzbandruptur, aktueller Stand: 6/2014). Insbesondere ist auch nicht ersichtlich, dass der KIT-Studie eine vordere Kreuzbandruptur mit weiteren Strukturverletzungen zu Grunde lag, die schwere und/oder komplexe Instabilitäten entsprechend der oben genannten Einteilung zur Folge hatten.
Das Gutachten des
Prof. Dr. N. vom 6. Januar 2013 überzeugt nicht. Sein Fazit, die Orthese ® habe nicht nur mechanisch ebenbürtige Qualitäten, sondern dank einer wesentlich besseren Propriozeption zur sensormotorische Steuerung und Kräftigung der Muskulatur, überlegene Vorteile gegenüber Hartrahmenorthesen, gleichzeitig würden - soweit erforderlich - Begleitverletzungen von Kapsel-Band-Strukturen, kontusionierten Knochen, Menisken, Seitenbändern und des M. popliteus mit behandelt, sowohl in der prä- als auch in der postoperativen Phase, ist aus den bereits genannten Gründen nicht nachvollziehbar.
Den Hilfsantrag zu 2. hat das SG zu Recht als unzulässig abgewiesen. Die Berufung ist auch insoweit unbegründet. Der Beklagte entscheidet lediglich über den Antrag auf Aufnahme
bzw. Streichung eines Produktes aus dem
HMV durch Verwaltungsakt, der dementsprechend der Anfechtung durch den Betroffenen - wie hier - unterliegt (
vgl. BSG, Urteil vom 24. Januar 2013 - Az.:
B 3 KR 22/11 R, nach juris). Hinsichtlich des Antrags der Klägerin, den Beklagten zu verpflichten, hilfsweise eine neue Produktart zu kreieren, hat er keine Verwaltungsentscheidung getroffen. Ein solcher Antrag war weder Gegenstand ihres Antrags im Verwaltungsverfahren noch des angefochtenen Bescheids. Eine Entscheidung durch Verwaltungsakt müsste im Übrigen auch nicht ergeben, weil der Beklagte über die Fortschreibung und Weiterentwicklung des
HMV mangels Rechtsgrundlage gerade nicht durch Verwaltungsakt entscheidet. Nach § 139
Abs. 1 und
Abs. 8
SGB V obliegt die Erstellung des
HMV sowie dessen Fortschreibung dem Beklagten. Die Fortschreibung umfasst u.a. die Weiterentwicklung und Änderungen der Systematik. Beteiligt hieran ist in Form einer Möglichkeit zur Stellungnahme u.a. die Spitzenorganisation der Hersteller. Die Klägerin ist als Herstellerin eines Hilfsmittels an diesem Verfahren somit nicht beteiligt. Dann kann sie keinen einklagbaren individuellen Anspruch darauf haben, dass das
HMV in ihrem Sinne erweitert oder fortgeschrieben wird.
Eine Zurückverweisung an das SG kommt mangels Vorliegens der Voraussetzungen in § 159 des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) nicht in Betracht.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 197a
Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 3
SGG i.V.m. § 154
Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO).
Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 160
Abs. 2
Nr. 1
SGG zugelassen.