Urteil
Aufnahme eines Diabetiker-Spezialschuhs (Marke LucRo) in das Hilfsmittelverzeichnis

Gericht:

SG Düsseldorf 8. Kammer


Aktenzeichen:

S 8 KR 302/04


Urteil vom:

07.12.2006


Tenor:

Die Beklagten werden unter Aufhebung des Bescheides vom 06.05.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.08.2004 verurteilt, das Produkt "Spezialschuh für Diabetiker der Marke LucRo" für die Indikation "Sensibilitätsausfall an den Füßen bei nervaler Versorgungsstörung und/oder Durchblutungsstörung in den Beinen infolge Diabetes mellitus und zusätzlich stattgehabtem abgeheilten Ulcus" in das Hilfsmittelverzeichnis aufzunehmen und dies im Bundesanzeiger bekannt zu machen. Den Beklagten werden die Verfahrenskosten auferlegt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Aufnahme des von der Klägerin hergestellten Diabetiker-Spezialschuhs der Marke LucRo in das Hilfsmittelverzeichnis.

Die Klägerin stellt unter anderem die Spezialschuhe für Diabetiker der Marke LucRo (LucRo-Spezialschuh) her. Dieser Spezialschuh soll mit seiner besonderen Zurichtung vorbeugend kleine und kleinste Fußverletzungen verhindern, die bei Diabetikern nach langjähriger Erkrankung im Rahmen des sogenannten diabetischen Fußsyndroms zu Ulcera (Geschwüren) führen können. Und zwar soll das Zusammenspiel von Bodenbau und Schaftkonstruktion das Ulcus-Risiko und Druckschäden deutlich reduzieren und verhindern. Hierzu sind die Spezialschuhe mit einer starren Laufsohle versehen, die im Vorfußbereich mit einer das Abrollen des Fußes erleichternden Ballenrolle ausgestattet sind. Der Schuhboden besteht aus einer versteiften Brandsohle mit einer EVA-Zwischensohle und einem Luftkammersystem in einem Keilabsatz. Sie enthalten eine standardisierte, mehrschichtige und stoßabsorbierende Diabetiker-Einlegesohle, die eine hohe Rückstellkraft hat, wodurch eine ungewollte Veränderung der Oberfläche (Auftrittsfläche Fuß) verhindert wird. Um eine größere Zehenfreiheit zu erhalten und auf diese Weise Verletzungsgefahren zu vermeiden, fehlt die Vorderkappe vollständig. Die Hinterkappe hingegen ist auf beiden Seiten verlängert, damit die Ferse sicher und stabil geführt werden kann. Auf diese Weise soll der Druck auf der Fußsohle möglichst gleichmäßig verteilt werden und einer Schwielenbildung als Vorausbildung der Geschwürsbildung vorgebeugt werden. Eine weite Schaftöffnung soll den Einstieg in den Schuh erleichtern. Die Leistenform ist aufnahmefähig für diabetesadaptierte Einlagen. Schaftabschlusspolster sollen Druckschmerzen im Knöchelbereich vermeiden. Das aus atmungsaktivem Alcantara bestehende textile Innenfutter ist sowohl im Vorfuß- als auch im Rückfußbereich nahtfrei gefertigt, um nahtbedingte Druckpunkte zu vermeiden. Das Obermaterial besteht aus handschuhweichem Leder.

Der von der Klägerin hergestellte LucRo-Spezialschuh ist ein konfektionierter Spezialschuh und als anerkanntes Medizinprodukt der Klasse I im Sinne des Gesetzes über Medizinprodukte (MPG) mit einer CE-Kennzeichnung versehen.

Am 20.09.2002 beantragte die Klägerin die Aufnahme des LucRo-Spezialschuhs in das Hilfsmittelverzeichnis. Unter anderem berief sie sich hinsichtlich des medizinischen Nutzens dieses Schuhs auf die von Busch et al. im Jahr 2002 veröffentlichte kontrollierte Kohortenstudie, in der der von ihr hergestellte LucRo-Spezialschuh zum Einsatz kam.

Die Beklagten lehnten die Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis mit Bescheid vom 06.05.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.08.2004 ab. Im Wesentlichen wurde ausgeführt, dass der therapeutische Nutzen des LucRo- Spezialschuhs nicht ausreichend nachgewiesen sei. Insoweit seien hinsichtlich etwaiger Studien dieselben Anforderungen wie an den Wirksamkeitsnachweis gemäß § 135 SGB V zu stellen. Diesen Anforderungen werde die Studie Busch et al. nicht gerecht. Darüber hinaus sei auch die Funktionstauglichkeit des Spezialschuhs nicht mittels Studien belegt.

Die Klägerin hat gegen die ablehnende Bescheide Klage erhoben, mit der sie die Aufnahme ins Hilfsmittelverzeichnis weiterverfolgt. Sie führt im Wesentlichen aus, dass es sich bei dem Spezialschuh nicht um einen Gegenstand des täglichen Lebens handele, da die Hauptfunktion des Produktes medizinisch geprägt sei. Da der Spezialschuh bereits die CE- Kennzeichnung nach dem MPG erhalten habe, sei die Funktionstauglichkeit nachgewiesen und bedürfe keiner wiederholten Prüfung durch die Beklagte. Darüber hinaus sei mit der CE-Kennzeichnung auch von der erforderlichen Qualität und dem therapeutischen Nutzen des LocRo-Spezialschuhs auszugehen. Insoweit komme der CE-Kennzeichnung Tatbestandswirkung zu, so dass eine zusätzliche Prüfung und weitergehende Anforderungen der Beklagten rechtswidrig seien. Sie seien auch als Verstoß gegen den Grundsatz des freien Warenverkehrs europarechtswidrig. Darüber hinaus sei der therapeutische Nutzen des Spezialschuhs durch die Studie Busch et al. belegt. Der Spezialschuh erfülle auch die Voraussetzungen der Wirtschaftlichkeit. Er stelle insgesamt eine wirtschaftliche Maßnahme dar, da bei der Verhinderung von Fußulcera weitaus teurere Behandlungen vermieden würden (nach internationalen Zahlen koste ein primäres Abheilen einer Wunde ohne stationäre Behandlung zwischen 7.000 und 17.500,00 US-###). Darüber hinaus sei auch im Verhältnis zu einzelnen, die Schuhe betreffenden Hilfsmitteln zur Behandlung eines diabetischen Fußsyndroms der Erwerb eines konfektionierten Diabetesschuhs wirtschaftlich. Denn im Hilfsmittelverzeichnis aufgeführte Einlagen würden je nach Bundesland 250,00 bis 300,00 Euro pro Paar kosten, Abrollsohlen und Pufferabsätze ca. 180,00 Euro. Hingegen koste die Versorgung mit dem LucRo-Spezialschuh nur einen Krankenkassenanteil von 140,00 Euro pro Paar inklusive einer Standardeinlage. Damit sei die paarweise Zurichtung von Konfektionsschuhwerk mit Abrollhilfen, Pufferabsätzen und einer Sohlenversteifung deutlich teurer als der Erwerb des LucRo- Spezialschuhs. Darüber hinaus sei Konfektionsschuhwerk in der Regel nicht aufnahmefähig für 12-mm-starke Einlegesohlen. Auf die weitergehenden Ausführungen der Klägerin in ihren Schriftsätzen und die vorgelegten Unterlagen wird Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,

den Bescheid der Beklagten vom 06.05.2004 in der Fassung des Wider- spruchsbescheides vom 26.08.2004 aufzuheben und die Beklagten zu verurteilen, das Produkt "Spezialschuh für Diabetiker der Marke LucRo" in das Hilfsmittelverzeichnis nach § 128 SGB V einzutragen und dies im Bundesanzeiger bekannt zu machen.

Die Beklagten beantragen schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Sie halten die angefochtenen Bescheide aus den dort aufgeführten Gründen für rechtmäßig. Es stelle sich bereits die Frage, ob es sich bei dem LucRo-Spezialschuh nicht um einen Bedarfsgegenstand des alltäglichen Lebens gemäß § 33 SGB V handele. Der Spezialschuh sei zwar behinderungsgerecht verändert, jedoch nicht individuell auf den einzelnen Diabetes-Patienten zugeschnitten. Dagegen hätten Diabetiker individuell unterschiedliche Fußleiden/-formen, deren vielfältigen Ausprägungen nur die im Hilfsmittelverzeichnis aufgeführten individuellen Maßnahmen und gegebenenfalls Maßanfertigungen gerecht würden. Darüber hinaus sei die Biokompatibilität des LucRo-Spezialschuhs nicht ausreichend für alle verwendeten Materialien nachgewiesen. Ebenso fehle es am ausreichenden Nachweis des therapeutischen Nutzens des LucRo- Spezialschuhs. So ergebe sich aus der von der Klägerin in erster Linie herangezogenen Studie Busch et al. nicht, ob bei den untersuchten Patienten ein vergleichbarer Schulungs- und Beratungsstand hinsichtlich der Pflege eines diabetischen Fußsyndroms gegeben sei und ob diejenigen mit dem Erleiden eines Ulcusrezidivis nicht an einem schlechter eingestellten Diabetes mellitus gelitten hätten als diejenigen ohne Ulcusrezidiv. So sei auch nicht gewährleistet, dass die Patienten der Studie zur Vorbeugung bzw. Behandlung eines diabetischen Fußsyndroms ein optimales Verhaltensmuster eingehalten hätten und so die Vergleichsgruppe z. B. optimales Konfektionsschuhwerk getragen habe. In der Studie Busch et al. hätten zudem unterschiedliche Beobachtungszeiten der Vergleichsgruppen vorgelegen. Die Studienautoren hätten darüber hinaus selber angegeben, dass bezüglich eines Patientenstamms ohne vorhergehende Fußulceration noch weitere Untersuchungen durchzuführen seien. Des Weiteren habe eine ebenfalls im Jahr 2002 veröffentlichte Studie (Reiber et al.) ergeben, dass eine Beobachtung von Patienten, die einerseits mit therapeutischen Schuhen und andererseits mit handelsüblichem Schuhwerk versorgt worden seien, zu keinen signifikanten Unterschieden hinsichtlich der Zahl der Ulcera und Ulcusepisoden geführt hätte. Entgegen dem Standpunkt der Klägerin sei allein die CE-Kennzeichnung nach dem MPG als Nachweis der Qualitätsvoraussetzungen gemäß § 139 Abs. 2 SGB V nicht ausreichend. Vielmehr würden die Anforderungen des SGB V über diejenigen des MPG hinausgehen und z. B. die Wirtschaftlichkeit des Hilfsmittels stärker berücksichtigen. Soweit das Bundessozialgericht (BSG) in seinem Urteil vom 16.09. 2004 - B 3 KR 15/04 R - von geringeren Anforderungen an den Qualitätsnachweis eines Hilfsmittels ausgegangen ist, sei dies nur beim Behinderungsausgleich eines Hilfsmittels anwendbar, dagegen nicht - wie vorliegend - bei der Sicherung des Behandlungserfolgs durch ein Hilfsmittel. Der Diabetes-Spezialschuh entspreche auch nicht den im Hilfsmittelverzeichnis aufgeführten Qualitätskriterien. Die von der Klägerin geäußerten europarechtlichen Bedenken seien nicht durchgreifend, da Europarecht bei der vorliegenden rein nationalen Angelegenheit nicht anwendbar sei. Auf die weitergehenden Ausführungen der Beklagten in ihren Schriftsätzen und die vorgelegten Unterlagen wird Bezug genommen.

Rechtsweg:

LSG NRW - 16 KR 243/06 -

Quelle:

Justizportal des Landes NRW

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet.

Die angefochtenen Bescheide haben sich als rechtswidrig erwiesen. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Aufnahme des Diabetes- Spezialschuh der Marke LucRo ins Hilfsmittelverzeichnis zu, § 139 SGB V, § 128 SGB V.

1. Beim LucRo-Spezialschuh handelt es sich um ein Hilfsmittel im Sinne des § 33 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches
(SGB V), ohne dass er einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens darstellt.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist zur Ermittlung des Vorliegens der Eigenschaft eines Hilfsmittels allein auf die Zweckbestimmung des Gegenstands abzustellen, die einerseits aus der Sicht des Herstellers, andererseits aus der Sicht der tatsächlichen Benutzer zu bestimmen ist: Geräte, die für die speziellen Bedürfnisse kranker oder behinderter Menschen entwickelt sowie hergestellt worden sind und die ausschließlich oder ganz überwiegend auch von diesem Personenkreis benutzt werden, sind nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen (BSG, Urteil vom 16.09.1999 - B 3 KR 1/99 R -). Vorliegend ist nach der Darlegung der Klägerin der LucRo- Spezialschuh nach empirischer Grundlage zum diabetischen Schuh (insbesondere nach den Ausführungen des Autors U) entworfen und aufgrund von Erfahrungen mit früheren diabetischen Schuhen weiterentwickelt worden. Anhaltspunkte dafür, dass ein erheblicher Personenkreis Schuhe der Marke LucRo trägt, ohne an Diabetes mellitus und dem diabetischen Fußsyndrom erkrankt zu sein, sind nicht ersichtlich und auch von der Beklagten nicht vorgetragen worden. Vielmehr geht auch sie von einer behinderungsgerechten Zurichtung des Schuhs aus.

Der LucRo-Spezialschuh ist auch nicht mit einem sogenannten Bequem- oder Komfortschuh und damit einem Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens gleichzustellen, da er sich gegenüber diesem Schuhwerk durch zusätzliche Merkmale wie dem Fehlen der Vorderkappe, dem mehrschichtigen EVA-Sohlenaufbau, dem nahtfreien Vor- und Rückfußbereich sowie der Leistenform, die aufnahmefähig für diabetesadaptierte Einlagen ist, unterscheidet. Auch der Autor Busch hat im Rahmen seiner Veröffentlichung zu der 2002 durchgeführten Kohortenstudie die Unterschiede zwischen dem LucRo-Spezialschuh und Bequemschuhen dargestellt (Punkt 3.2.3, letzter Absatz der Veröffentlichung = Anlage K 5 zur Klageschrift).

Für eine Qualifizierung des LucRo-Spezialschuhs als Hilfsmittel und nicht als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens spricht darüber hinaus, dass dieser Schuh zumindest mit der starren Laufsohle, der Ballenrolle und dem Absatz mit Luftkammersystem Elemente beinhaltet, die bereits als Einzelteile im Hilfsmittelverzeichnis aufgenommen sind.

Darüber hinaus wäre zu berücksichtigen, dass der LucRo-Spezialschuh ein anerkanntes Medizinprodukt im Sinne des MPG darstellt und damit bereits von der Begriffsbestimmung des § 3 MPG her einen Gegenstand darstellt, der vom Hersteller zum Zwecke der Verhütung, Behandlung oder Behinderungen von Krankheiten zu dienen bestimmt ist. Ob die Anerkennung als Medizinprodukt damit bereits durch eine entsprechende Tatbestandswirkung die Eigenschaft als allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens ausschließt, kann dahingestellt bleiben, da zur Überzeugung des Gerichts aus den bereits ausgeführten Gründen der LucRo-Spezialschuh kein Gegenstand des täglichen Lebens ist.

2. Auch die Voraussetzungen der Funktionstauglichkeit und des therapeutischen Nutzen des Hilfsmittels sowie seine Qualität sind nachgewiesen, § 139 Abs. 2 Satz 1 SGB V.

Von der Funktionstauglichkeit und der Qualität des Hilfsmittels ist bereits aufgrund der Konformitätserklärung und der
CE-Kennzeichnung gemäß dem MPG auszugehen. Entgegen dem Standpunkt der Beklagten ist das Gericht insoweit der Entscheidung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 20.09.2005 - L 5 KR 35/02 - gefolgt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die überzeugende Begründung der Entscheidung mit der darin erfolgten Auseinandersetzung und Darlegung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und Angabe weiterer Entscheidungen Bezug genommen. Diese rechtliche Wertung ist zwischenzeitlich vom Bundessozialgericht bestätigt worden (Urteil vom 28.09.2006 -
B 3 KR 28/05 R -; Rn. 37).

Entgegen der Ansicht der Beklagten ist das Gericht auch vom Nachweis des therapeutischen Nutzens des Spezialschuhs ausgegangen. Dieser hat sich zur Überzeugung des Gerichts aus der von der Klägerin in Bezug genommenen Studie Busch et al. ergeben: Im Rahmen dieser Studie wurden an diabetes mellitus erkrankte Patienten untersucht, die darüber hinaus bereits an einem Fußulcus erkrankt waren und bei denen eine Polyneuropathie und/oder eine periphere arterielle Verschlusskrankheit vorlag. An dieser Studie nahmen insgesamt 92 Patienten einer Diabetesschwerpunktpraxis in E teil, von denen 60 mit dem
LucRo-Spezialschuh versorgt wurden (Prüf-Intervention) und 32 ihr bisheriges Schuhwerk beibehielten
(Vergleichs-Intervention). Allen 92 an der Studie beteiligten Diabetes-Patienten, die wegen Fußulcera behandelt wurden, wurde vom behandelnden Arzt der LucRo-Spezialschuh verschrieben. Die Zugehörigkeit zur Prüf- oder Vergleichsgruppe ergab sich später daraus, ob die jeweilige Krankenkasse die Kosten für die Versorgung mit dem Spezialschuh übernahm oder nicht. Nach der Darstellung der Klägerin wurden im Vorfeld der Verordnung sämtliche Patienten eingehend von ihrem behandelnden Arzt darüber aufgeklärt, dass die diabetische Podopathie in ihrem Gefährdungspotenzial wesentlich vom Schuhwerk beeinflusst wird, insbesondere darüber, dass es das handelsübliche, "normale" Schuhwerk ist, dass an nahezu 80 % aller Fußläsionen beteiligt ist. Sämtlichen Patienten wurde daher deutlich dazu geraten, das Risiko des Neuauftretens von Fußulcera dadurch zu minimieren bzw. zu vermeiden, dass regelmäßig Spezialschuhe getragen würden. Darüber hinaus wurde allen Patienten die podologische Behandlung durch Praxispersonal angeboten. Die Durchführung dieser Studie ergab nach einer Beobachtungsdauer von 5 Monaten bis zu 42 Monaten bei den Teilnehmer der Interventionsgruppe eine Rezidivquote, d. h. ein wiederholtes Auftreten eines Fußulcus, von 20 %, während in der Vergleichsgruppe 78 % an einem Ulcusrezidiv erkrankten.

Entgegen dem Standpunkt der Beklagten erscheint diese Studie ausreichend für den Nachweis des therapeutischen Nutzens. Entgegen den Einwänden der Beklagten ist aufgrund der Darlegung der Klägerin zur Vorberatung aller Patienten von einem einheitlichen Schulungs- und Beratungsstand auszugehen. Diese Angaben der Klägerin sind nachvollziehbar und glaubhaft, da bereits die Umstände der Behandlung in einer Diabetesschwerpunktpraxis und das Angebot einer podologischen Behandlung eine entsprechende Beratung über geeignetes Schuhwerk nahelegen (Schriftsatz vom 24.05.2006, MDS-Gutachten vom 18.08.2006, S.8, Bl. 181R GA). Die von den Beklagten und dem Medizinischen Dienst der Spitzenverbände der Krankenkassen e.V. (MDS) gerügte unterschiedliche Beobachtungsdauer der beiden Gruppen (Prüfgruppe: durchschnittlich 19 Monate, Vergleichsgruppe: durchschnittlich 5 Monate) stand der Überzeugungsbildung der Kammer nicht entgegen, da sich die längere Beobachtungsdauer in der Prüfgruppe nur zu Lasten der klägerischen Interessen hätte auswirken können, da im Laufe einer längeren Beobachtungsdauer der (Prüf-) Gruppe mit Schuhversorgung die Gefahr eines Ulcusrezidivs zunahm, was gegen den therapeutischen Nutzen des Spezialschuhs gesprochen hätte. Die vom MDS in seinem Gutachten vom 18.08.2006 angesprochene Möglichkeit einer Weichbettung als Anpassung des Konfektionsschuhwerks im Rahmen der Studie stand ebensowenig der Verwertung der Studie noch der Entscheidung der Kammer entgegen wie das Argument der Beklagten, dass die Versorgung mit konfektioniertem Schuhwerk den individuellen Fußformen von Diabetes-Erkrankten nicht gerecht werde. Denn die Möglichkeit, Versicherte anstatt mit den konfektionierten LucRo-Schuhwerk mit angepassten Einzelteilen (z. B. Möglichkeit einer Weichbettung) zu versorgen, stellt einen Wirtschaftlichkeitsaspekt dar, der nach der Aufnahme im Hilfsmittelverzeichnis im Rahmen der Begründetheit von Einzelverordnungen zu berücksichtigen ist (so nun auch: BSG, Urteil vom 28.9.2006, a.a.O., Rn. 39 ff.). Darüber hinaus wäre der Vortrag der Klägerin zu bedenken, dass Konfektionsschuhwerk in der Regel aus Raumgründen nicht in der Lage ist, eine ausreichende Weichbettung (von 12 mm Dicke) aufzunehmen. Soweit die Beklagten und der MDS einwenden, dass aufgrund des Studiendesigns nicht erkennbar sei, dass beide Gruppen tatsächlich gleich behandelt worden seien bzw. einen vergleichbaren gesundheitlichen Zustand hatten, kann dieses ebenfalls der Verwertung der Studie als Nachweis nicht entgegenstehen. Denn entgegen der Ansicht der Beklagten ist der Nachweis gemäß § 139 Abs. 2 Satz 1 SGB V nach den Ausführungen des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen nicht entsprechend den Maßstäben des § 135 SGB V erforderlich, auch nicht bei Hilfsmitteln, die den Behandlungserfolg sichern (Urteil vom 20.09.2005; a. a. O.; mittlerweile bestätigt durch BSG, Urteil vom 28.09.2006, a.a.O., Rn. 32). Vorliegend handelt es sich beim Einsatz des streitgegenständlichen Hilfsmittels mit der bezweckten Druckentlastung beim diabetischen Fußsyndrom um keine neue Behandlungsmethode, wie sich bereits aus der Aufnahme der entsprechenden Einzelteile (z.B. Abrollhilfe, Pufferabsatz) in der Hilfsmittelliste ergibt. Nach den zitierten Ausführungen des Landessozialgerichts NRW ist in solch einem Fall für den Nachweis des therapeutischen Nutzens nach dem Maßstab des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Kenntnisse ausreichend, und damit ein Konsens in einschlägigen Fachkreisen, wissenschaftlich einwandfrei geführte Statistiken oder Unterlagen der bestvorliegenden Evidenz. Insoweit kommt hinzu, dass auch die Arbeitsgemeinschaft Diabetischer Fuß in der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG) e.V. für bestimmte Risikogruppen nicht nur fußgerechte Konfektionsschuhe, sondern ausdrücklich einen Diabetesschutzschuh empfiehlt, und zwar für die Risikogruppen II (Diabetes mellitus mit Sensibilitätsverlust durch PNP/pAVK) und III (Z. n. plantarem Ulcus).

Insgesamt ergibt sich der therapeutische Nutzen des Diabetes-Spezialschuhs auch aus der Überlegung, dass er aus Teilen zusammengesetzt ist, die bereits anerkanntermaßen zur Behandlung eines diabetischen Fußsyndroms eingesetzt werden und im Hilfsmittelverzeichnis aufgeführt sind. Aus diesem Grund wäre auch ein fehlender Nachweis gegenüber der Verwendung von Bequem- oder Komfortschuhen - anstatt von konventionellem Schuhwerk im Sinne von Modeschuhen - unerheblich (vgl. MDS vom
18.08.2006 zur Studie von Veitenhansl et al., Bl. 183 GA).

Der Entscheidung der Kammer stand nicht die von den Beklagten angeführte Studie von Veitenhansl et al. (Anlage B 3 zum Schriftsatz der Beklagten vom 30.03.2006, = Bl. 137 ff. GA) entgegen. Die Autoren dieser Studie befürworten als Ergebnis der Studie die Verwendung von Diabetesschuhen, da sich die Verwendung sowohl des Diabeticus-Schuhwerks der Firma U als auch der G D-Schuhe der Firma X (sog. "Bequemschuhe") zur Ulcusprophylaxe als wirksam erwiesen hätten. Dass der Diabeticus-Schuh der Firma U hinsichtlich der Ulcusrezidive nicht signifikant besser abgeschlossen hat als der G D-Schuh, stand der Einschätzung der Kammer zum Nachweis des therapeutischen Nutzens des LucRo-Spezialschuhs nicht entgegen, da die Studie Busch et al. mit dem Einschlusskriterium eines bereits stattgehabten Fußulcus schärfere Einschlusskriterien festgelegt hatte als die Studie von Veitenhansl, die lediglich Risikofaktoren wie z. B. Hyperkeratosen, trockene Haut, beginnende Zehenfehlstellung und insbesondere eine abgeheilte Fußläsion für die Entwicklung von Ulcerationen definierte. Darüber hinaus erfolgte im Rahmen dieser Studie bei ca. 40 % der betroffenen Gruppe aus anatomischen Gründen ein Wechsel vom Comfort-Schuh zum Diabeticus-Schuh (Von 68 ausgewerteten Patienten wechselten 13 vom Comfort-Schuh zum Diabeticus-Schuh. Nimmt man an, dass von den 68 Patienten die Hälfte in die Gruppe des Comfort-Schuhs gelost worden sind, stellen 13 von 34 Patienten ca. 40 % dar).

Auch die von den Beklagten und dem MDS angeführte Studie von Reiber et al. von 2002 (Anlage B 4 zum Schriftsatz der Beklagten vom 05.07.2006 und Anlage B 5 zum Schriftsatz vom 25.08.2006; Bl. 154 ff. und 168 ff. GA) stand dem Nachweis des therapeutischen Nutzens durch die Studie Busch et al. nicht entgegen. Im Rahmen dieser Studie wurde nicht der streitgegenständliche LucRo-Spezialschuh, sondern ein anderes Produkt der Untersuchung unterzogen, dessen genaue Eigenschaften nicht bekannt sind. Darüber hinaus sind die gewählten Einschlusskriterien mit denen der Studie Busch et al. nicht vergleichbar, da im Rahmen der Studie Busch et al. Patienten mit Polyneuropathie oder Durchblutungsstörungen der Beine teilnahmen, was im Rahmen der Studie Reiber et al. nicht der Fall war und damit das Erkrankungsrisiko nicht vergleichbar ist.

Aufgrund der erfolgten Auswertung der zitierten Studien kann dahingestellt bleiben, ob es nach der zwischenzeitlich ergangenen Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 28.09.2006 überhaupt einer klinischen Prüfung des streitgegenständlichen Hilfsmittels bedarf oder ob es ausreichend ist, dass der LucRo-Spezialschuh als Alternative zu bereits gelisteten Hilfsmitteln (z.B. Abrollhilfe, Sohlenversteifung, Pufferabsatz) in ausreichender Weise den gleichen therapeutischen Nutzen aufweist (a.a.O., Rn 33). In diesem Fall wäre auch ein fehlender Nachweis gegenüber der Verwendung von Bequem- oder Komfortschuhen unerheblich.

Weitergehende im Hilfsmittelverzeichnis aufgeführte Qualitätskriterien stehen der Aufnahme des Diabetes-Spezialschuhs ebenfalls nicht entgegen bzw. sind solche nicht ersichtlich. Aus den ausgeführten Gründen ist der Diabetes-Spezialschuh nicht als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens zu bewerten. Soweit er den Gebrauch eines Schuhs als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens mitumfasst, ist diese Leistung der Krankenkasse durch den zu berücksichtigenden Eigenanteil der Versicherten abgegolten und steht der grundsätzlichen Aufnahme ins Hilfsmittelverzeichnis nicht entgegen.

Soweit die Beklagten auf das Kriterium der Wirtschaftlichkeit hinweisen, führt die Klägerin zu Recht aus, dass z. B. orthopädische Maßschuhe in vielen Fällen (noch) nicht medizinisch notwendig sind und darüber hinaus höhere Kosten verursachen würden. Inwieweit im Einzelfall die Verordnung eines Diabetes-Spezialschuhs wirtschaftlich ist oder die Schuhversorgung des Versicherten mit einfacheren Mitteln bzw. einzelnen Elementen erreicht werden kann, obliegt der späteren überprüfbaren Einzelverordnung des behandelnden Arztes. Insoweit wäre gegebenenfalls zu berücksichtigen, dass gemäß der Darstellung der Klägerin bereits eine Ausstattung von Konfektionsschuhwerk mit einer Abrollhilfe, Pufferabsätzen und einer Sohlenversteifung deutlich teurer ist als das Tragen des LucRo-Spezialschuhs. Des Weiteren wird auch hier auf die Ausführungen des Bundessozialgerichts vom 29.09.2006 Bezug genommen (a.a.O., Rn. 33).

Unter Berücksichtigung des Umfangs des Nachweises zum therapeutischen Nutzen sowie des klägerischen Vortrages waren die Beklagten zu der - im Tenor aufgeführten - indikationsbezogenen Aufnahme des LucRo-Spezialschuhs ins Hilfsmittelverzeichnis zu verurteilen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), § 154 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Referenznummer:

R/R2739


Informationsstand: 09.08.2007