Urteil
Anspruch auf Kostenerstattung für einen Arthrodesenstuhl im Rahmen einer Tätigkeit in einer Werkstatt für behinderte Menschen - Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben

Gericht:

SG Landshut 1. Kammer


Aktenzeichen:

S 1 KR 132/11 ES


Urteil vom:

24.11.2011


Tenor:

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Verfahrenskosten zu tragen.
III. Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der klagende Sozialhilfeträger begehrt Erstattung der Kosten in Höhe von 1696,49 Euro, die er für die Beschaffung eines Arthrodesenstuhls für den beigeladenen (A. / Beigeladener) aufgewendet hat.

Der Beigeladene arbeitet seit 01.09.1993 in einer Werkstatt für behinderte Menschen in Passau. Er leidet u.a. an einer ausgeprägten spastischen Lähmung der Beine und geringer auch im Bereich der Arme sowie an einer Hüftkontraktur.

Gestützt auf entsprechende Stellungnahmen des behandelnden Orthopäden sowie des Betriebsarztes beantragte der Träger der Behindertenwerkstätte zunächst bei der Deutschen Rentenversicherung Bayern Süd die Versorgung mit dem Arthrodesenstuhl Ergonom (Modell 800170). Der Rentenversicherungsträger verneinte seine Zuständigkeit und leitete den Antrag nach § 14 Abs.1 SGB IX an das Landratsamt Passau weiter. Von dort wurde der Antrag an den klagenden Bezirk als überörtlichen Träger der Sozialhilfe abgegeben.

Mit Bescheid vom 24.09.2010 bewilligte der Kläger die Anschaffung eines Arthrodesenstuhls "Ergonom" und meldete am 02.12.2010 bei der Beklagten Kostenerstattung nach §§ 102 f SGB X an. Die Beklagte lehnte die Anerkennung eines Kostenerstattungsanspruches mit der Begründung ab, dass sie für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht zuständig sei.

Mit der vorliegenden Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Zur Begründung wurde u.a. vorgetragen, es sei seit jeher eine Aufgabe der Krankenversicherung, die durch Krankheit oder körperlicher Behinderung beeinträchtigte Arbeitsfähigkeit herzustellen und zu erhalten. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei im Rahmen der Hilfsmittelgewährung die Möglichkeit der Herstellung und Erhaltung der Arbeitsfähigkeit zu berücksichtigen. Der Arthrodesenstuhl werde zur Befriedigung elementarer Grundbedürfnisse benötigt. Er soll dem Leistungsempfänger nicht nur die Ausübung eines bestimmten Berufes ermöglichen, sondern ihn in die Lage versetzen, überhaupt einer sinnvollen Tätigkeit nachzugehen. Nachdem eine Werkstatt für behinderte Menschen aufgrund bestehender Vereinbarungen keine Arthrodesenstühle vorzuhalten hat und Herr A. ohne diesen keiner Arbeitstätigkeit mehr nachkommen könne, seien die Voraussetzungen des § 33 SGB V erfüllt und es bestehe ein vorrangiger Kostenerstattungsanspruch gegenüber der Beklagten.

In ihrer Klageerwiderung verneinte die Beklagte eine Leistungspflicht:
Nach Aktenlage sei eine Sitzhilfe ausschließlich zur Nutzung in einer Werkstätte für behinderte Menschen in Passau erforderlich. Bei dem Arthrodesenstuhl handle es sich um ein Hilfsmittel gem. § 31 Abs. 1 SGB IX i.V.m. § 33 Abs. 3 Nr. 1 und Nr.6 SGB IX. Die Kosten dieses Hilfsmittels zählten zu den Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, die wegen Art und Schwere der Behinderung zur Berufsausübung erforderlich sind. Rehaträger für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben seien die Bundesanstalt für Arbeit, die Träger der öffentlichen Jugendhilfe und die Träger der Sozialhilfe. Die AOK Bayern sei als gesetzliche Krankenversicherung für diese Hilfsmittelversorgung nicht zuständig.

Mit Schreiben vom 01.07.2011 wies der Kläger darauf hin, dass der Arthrodesenstuhl laut Verordnung wegen "Tetraspastik, Skoliose BWS/LWS, Lumbalgie" und der damit verbundenen Beschwerden erforderlich sei. Es handle sich vorliegend um ein Hilfsmittel im Rahmen des sogenannten mittelbaren Behinderungsausgleichs, für dessen Beschaffung die Beklagte zuständig sei. Zu den allgemeinen Grundbedürfnissen gehöre nicht nur die Gesunderhaltung, sondern auch die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben einschließlich des Arbeitslebens.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung teilte der Beklagtenvertreter mit, dass, abgesehen von Gehstöcken, weitere Hilfsmittel vom Beigeladenen bisher nicht beantragt worden seien.

Der Kläger stellte den Antrag,

die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger die für den beigeladenen A. übernommenen Kosten für einen Arthrodesenstuhl in Höhe von 1696,49 Euro zu erstatten.

Der Beklagtenvertreter stellte den Antrag,

die Klage abzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf den wesentlichen Inhalt der beigezogenen Akten des Klägers sowie des Beklagten sowie auf die im Klageverfahren zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Sozialgerichtsbarkeit BRD

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten, die ihm durch die Versorgung des Beigeladenen mit einem Arthrodesenstuhl entstanden sind. Nachdem der Kläger zuständiger Leistungsträger ist, besteht weder ein Kostenerstattungsanspruch gem. § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX noch nach den §§ 102 ff SGB X.

Die Entscheidung der Kammer ergibt sich im Wesentlichen aus folgenden Erwägungen:

1. Arthrodesenstühle sind nach der Definition des Hilfsmittel/Pflegehilfsmittelverzeichnisses mit Rollen ausgestattete, gepolsterte Sitzhilfen, mit denen die Oberschenkel durch einstellbare Vorrichtungen getrennt voneinander abgesenkt und angehoben werden können; sie ermöglichen Versicherten mit schwerwiegenden Bewegungseinschränkungen des Hüft- und/oder Kniegelenkes ein behinderungsadaptiertes Sitzen.

2. Es bedarf keiner Vertiefung, dass ein Arthrodesenstuhl sowohl Hilfsmittel im Sinne des § 33 SGB V als auch Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben im Sinne des § 33 Abs. 1, Abs. 3 Ziff. 1 bzw. Ziff. 6, Abs. 8 Ziffer 4 SGB IX sein kann.
Entscheidend ist die Zweckbestimmung im konkreten Fall.

3. Der von den Krankenkassen im Rahmen des § 33 SGB V geschuldete Behinderungsausgleich bemisst sich nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts entscheidend danach, ob eine Leistung des unmittelbaren oder des mittelbaren Behinderungsausgleichs beansprucht wird (vgl. BSG SozR 4-2500 § 36 Nr.2). Während im Bereich des unmittelbaren Behinderungsausgleichs die Hilfsmittelversorgung grundsätzlich von dem Ziel eines vollständigen funktionellen Ausgleichs geleitet ist, schulden die Krankenkassen im Bereich des mittelbaren Behinderungsausgleichs lediglich einen Basisausgleich, soweit allgemeine Grundbedürfnisse des täglichen Lebens betroffen sind. Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung ist allein die medizinische Rehabilitation (vgl. § 1 SGB V sowie § 6 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 5 Nr. 1 und 3 SGB IX), also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktionen einschließlich der Sicherungen des Behandlungserfolges, um ein selbständiges Leben führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Eine darüber hinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitation ist Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme. Ein Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich ist von der GKV nur deshalb nur dann zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderungen im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft (LSG Essen, Urteil vom 20.01.2011, Az L 16 KR 32/09).

4. Ausgangspunkt des jetzigen Verfahrens waren die Beschwerden und gesundheitlichen Probleme des Beigeladenen bei der Verrichtung der ihm aufgetragenen Montagetätigkeiten in der Behindertenwerkstätte. In seiner betriebsärztlichen Stellungnahme vom 07.07.2010 kam Dr. G. zu dem Ergebnis, dass aufgrund der vorliegenden schwerwiegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen zum Ausführen jeglicher Montagearbeiten ein spezieller Arbeitsstuhl erforderlich sei und befürwortete die Versorgung des Beigeladenen mit dem Arthrodesenstuhl Ergonom.

5. Zur Überzeugung der Kammer steht damit fest, dass der streitige Arthrodesenstuhl im Fall des Beigeladenen nicht erforderlich ist, um den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, sondern um ihm die konkrete berufliche Tätigkeit in der Behindertenwerkstätte zu ermöglichen. Damit ist nicht die Beklagte leistungspflichtig, sondern gem. § 42 Abs. 2 Ziff. 4 SGB IX der Kläger.

6. Die Leistungspflicht der Beklagten wird auch nicht durch die vertragsärztliche Verordnung des Dr. B. begründet. Die Versorgung mit Hilfsmitteln setzt zwar eine ärztliche Verordnung voraus, der Rechtsanspruch des Versicherten entsteht jedoch erst durch die Bewilligungsentscheidung der Krankenkasse (s. BSG SozR
3-2500 § 33 Nr.25).

Die Klage war daher abzuweisen.

Der Streitwert wird auf 1696,49 Euro festgesetzt (§ 52 Abs.3 GVG).

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus den §§ 197 a SGG i.V.m. § 154 Abs.2 VwGO.

Gründe für die Zulassung der Berufung liegen nicht vor.

Referenznummer:

R/R3999


Informationsstand: 19.09.2012