Urteil
Vorläufige Versorgung mit orthopädischen Schuhen - Einstweiliger Rechtsschutz

Gericht:

LSG Sachsen-Anhalt 4. Senat


Aktenzeichen:

L 4 KR 5/13 B ER


Urteil vom:

09.04.2013


Tenor:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller und Beschwerdeführer (im Folgenden: Antragsteller) begehrt im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Versorgung mit orthopädischen Schuhen.

Der im Januar 1960 geborene Antragsteller ist bei der Antragsgegnerin krankenversichert. Am 4. Juni 2012 verordnete die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. H. ihm ein Paar orthopädische Schuhe und gab als Diagnose eine Sprunggelenkfraktur an. Er reichte die Verordnung zusammen mit einem Kostenvoranschlag des Orthopädie-Schuhtechnik-Mechanikers H. über 1.293,23 EUR am 5. Juni 2012 bei der Antragsgegnerin ein. Diese beauftragte den Sozialmedizinischen Dienst (SMD) mit einer Stellungnahme zu der Frage, ob die verordneten orthopädischen Schuhe erforderlich seien oder ob eine Versorgung mit konfektionierten Spezialschuhen, eventuell in Verbindung mit geeigneten Bettungen in Betracht komme.

Zur Untersuchung durch den SMD am 17. Juli 2012 übergab der Antragsteller ein Schreiben mit gleichem Datum, in dem er ausführte, eine ärztliche Untersuchung durch den SMD erübrige sich, da es sich um eine Weiterversorgung handele. Das Hilfsmittel sei ihm bereits im November 2006 von der AOK Baden-Württemberg bewilligt worden. Die Unterlagen müsse die Antragsgegnerin mit dem Krankenkassenwechsel erhalten haben. Eine erneute ärztliche Untersuchung sei nur notwendig, wenn die zu Grunde liegende Erkrankung nicht dauerhaft sei. Er fügte verschiedene Auszüge aus Reha-Entlassungsberichten bei.

In der Stellungnahme des SMD vom 24. Juli 2012 ist ausgeführt, der Antragsteller sei in Konfektionsschuhen zur Untersuchung gekommen und habe angegeben, bis Ende des vergangenen Jahres orthopädische Schuhe getragen zu haben. Diese habe er inzwischen entsorgt. Er benutze beim Laufen einen Gehstock, auf den er aber aus medizinischer Sicht nicht zwingend angewiesen sei. Er laufe sicher. Linksseitig sei die Abrollbewegung unauffällig, rechtsseitig leicht eingeschränkt. Nach Operation des rechten Sprunggelenks bestünden reizlose Narbenverhältnisse, keine Entzündungszeichen, keine Schwellung. Er habe keine Krallenzehen, keinen relevanten Hallux valgus und die Fußlängsgewölbe seien beidseits erhalten. Die Fußquergewölbe seien beidseits abgeflacht, jedoch noch in einem geringen Grad ausgeprägt. Es lägen beidseits Senk-/Spreizfüße vor, ohne Schwielenbildung unter den Metatarsalköpfchen (Mittelfußknochen). Weitere Fußdeformitäten beständen nicht. Der Antragsteller könne die Füße heben und senken, habe aber nach der Fraktur im rechten Sprunggelenk endgradige Bewegungseinschränkungen. In den Reha-Entlassungsberichten finde sich kein Hinweis auf orthopädische Schuhe. Das Gangbild werde dort als unauffällig, mit flüssigem Abrollen der Füße und ungehindertem Zehenspitzen-, Fersen- und Einbeinstand beschrieben. Die Versorgung mit Einlagen beidseits sei indikationsgerecht, orthopädische Maßschuhe seien nicht zu befürworten. Die angegebenen Beschwerden im Bereich des rechten Sprunggelenks könnten durch eine stabilisierende Bandage positiv beeinflusst werden.

Mit Bescheid vom 31. Juli 2012 lehnte die Antragsgegnerin die Versorgung mit orthopädischen Straßenschuhen unter Hinweis auf dieses Gutachten ab und empfahl dem Antragsteller eine Verordnung über die empfohlenen Weichpolstereinlagen sowie für die stabilisierende Bandage rechts einzuholen.

Dagegen legte der Antragsteller am 14. August Widerspruch ein. Er verwies nochmals auf die Verordnung orthopädischer Straßenschuhe im November 2006 durch den behandelnden Orthopäden Dr. S. Die empfohlenen Einlagen habe er bereits getragen. Diese hätten weitere erhebliche Beschwerden verursacht. Das Material der Bandagen, welche die Antragsgegnerin ebenfalls übernommen habe, gebe bereits nach zweimaligem Tragen so weit nach, dass die Bandage nicht mehr geeignet sei.

Am gleichen Tag hat er beim Sozialgericht Magdeburg den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Er hat vorgetragen: Die begutachtende Ärztin habe erklärt, dass sie die Verordnung befürworte, wenn er die alten orthopädischen Straßenschuhe vorzeige, denn eine Prüfung der Versorgungen durch die vorherige Krankenkasse sei nicht möglich. Daher müsse davon ausgegangen werden, dass auf Kosten seiner Gesundheit gespart werde. Die alten orthopädischen Straßenschuhe könnten nicht mehr in Stand gesetzt werden, so dass er jetzt einen Gehstock benutzen müsse. Das Widerspruchsverfahren werde mehr als drei Monate in Anspruch nehmen. Die orthopädischen Straßenschuhe seien jedoch dringend erforderlich. Zudem habe der SMD verschiedene Vorerkrankungen, die ebenfalls für die Verordnung ausschlaggebend gewesen seien, nicht aufgeführt. Der Ablauf der Aufbewahrungsfrist von Unterlagen könne ihm nicht zur Last gelegt werden. Diese sei außerdem zum Zeitpunkt des Kassenwechsels noch nicht abgelaufen gewesen. Die zur Begutachtung eingesetzten Ärzte verfügten über keine ausreichende fachliche Kompetenz. Die verordneten orthopädischen Straßenschuhe dienten nicht der Stützung des Sprunggelenks, sondern seien aufgrund der inkompletten Hemiparese rechts zur Stützung des rechtsseitigen Bewegungsapparates verordnet worden. Die Gehhilfe benötige er zusätzlich. Er würde gerne wieder ungehindert umherlaufen können, die Antragsgegnerin schiebe jedoch die Entscheidung immer wieder hinaus und weigere sich, im Rahmen des trägerübergreifenden persönlichen Budgets Sachleistungen zu bewilligen. Die orthopädischen Straßenschuhe seien erforderlich, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern und eine bestehende Behinderung auszugleichen. Er hat einen Bescheid vorgelegt, in welchem ein Grad der Behinderung von 60 seit Juli 2004 festgestellt wurde. Des Weiteren hat er ärztliche Unterlagen vorgelegt. Nach einem Befundbericht von Dr. S. vom 21. April 2008 wirkt sich die posttraumatische OSG-Arthrose (obere Sprunggelenkarthrose) auf die Gehfähigkeit des Antragstellers aus; die Veränderungen an der Lendenwirbelsäule und an den Kniegelenken wirkten sich nur leicht auf seine Gehfähigkeit aus.

Mit Widerspruchsbescheid vom 20. September 2012 wies der Widerspruchsausschuss der Antragsgegnerin den Widerspruch zurück. Nach einer erneuten Stellungnahme durch den SMD werde weiterhin keine Indikation zur Versorgung mit orthopädischen Straßenschuhen gesehen.

Darüber hinaus hat die Antragsgegnerin ausgeführt: Ein Eilbedürfnis sei nicht zu erkennen. Der Antragsteller sei in der Lage gewesen, mit Konfektionsschuhen die Geschäftsstelle in Magdeburg sowie den SMD aufzusuchen. Die beschriebenen Diagnosen führten zu keiner massiven Wegstreckenbeschränkung. Zudem würde bei einer positiven Entscheidung im Eilverfahren die Hauptsache vorweggenommen. Nach Rücksprache mit der AOK Nordschwarzwald sei die Aufbewahrungsfrist von fünf Jahren abgelaufen, so dass über die Verordnung orthopädischer Straßenschuhe keine Unterlagen mehr vorhanden seien. Nach einer Rechnung vom 13. Dezember 2005 sei aber ein Betrag in Höhe von 1108,92 EUR für orthopädische Schuhe angewiesen worden. Die Antragsgegnerin hat noch eine Stellungnahme des SMD vom 13. September 2012 beigefügt. Hierauf wird Bezug genommen.

Das Sozialgericht Magdeburg hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit Beschluss vom 27. November 2012 abgelehnt und zur Begründung ausgeführt: Der Antragsteller habe gegen den Widerspruchsbescheid vom 20. September 2012 keine Klage erhoben, so dass dieser bestandskräftig geworden sei. Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz könnte jedoch zulässig sein, wenn der Widerspruchsbescheid keine Rechtsmittelbelehrung enthalte. Der Antrag sei aber jedenfalls unbegründet, da kein Anordnungsgrund vorliege. Der Antragsteller habe ein Eilbedürfnis nicht glaubhaft gemacht. Er habe keine Gründe dafür vorgetragen, dass das Hauptsacheverfahren nicht abgewartet werden könne. Insbesondere habe er keine schweren und unzumutbaren, nicht anders abwendbaren Nachteile dargelegt. Gegen ein besonderes Eilbedürfnis spreche auch, dass er gegen den ablehnenden Widerspruchsbescheid keine Klage erhoben habe. Die Gutachterin des SMD habe mit nachvollziehbaren Argumenten angezweifelt, dass er mangels orthopädischer Schuhe auf einen Gehstock angewiesen sei.

Gegen den dem Antragsteller am 5. Dezember 2012 zugestellten Beschluss hat er am 19. Dezember 2012 Beschwerde erhoben. Zur Begründung hat er vorgetragen: Der MDK habe die sich aus den Reha-Entlassungsberichten ergebenden Diagnosen der OP eines thorakalen Bandscheibenvorfalls BWK 8/9 sowie des Insults im Gyrus precentralis (Schlaganfall mit inkompletter Hemiparese rechts) jeweils im Juni 1997 unberücksichtigt gelassen, obwohl diese Vorerkrankungen für die Verordnung der orthopädischen Straßenschuhe ausschlaggebend gewesen seien. Durch die Verweigerung der orthopädischen Straßenschuhe habe er inzwischen erneut erhebliche Probleme im Bereich der Lendenwirbelsäule. Er habe den dringenden Verdacht, dass nur noch im Sinne der Antragsgegnerin entschieden werde. Insgesamt sei inzwischen von einer vorsätzlichen schweren Körperverletzung sowohl durch die Antragsgegnerin als auch durch die Sozialgerichtsbarkeit auszugehen.

Der Antragsteller beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 27. November 2012 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihn im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes mit den ärztlich verordneten orthopädischen Schuhen zu versorgen.

Die Antragsgegnerin beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hat auf ihr bisheriges Vorbringen Bezug genommen.

Einen ihm vom Senat übersandten Vordruck für eine Erklärung über die Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht sowie einen Fragebogen bezüglich der Ärzte und Krankenhäuser, von denen er seit 2012 behandelt wird, hat der Antragsteller nicht zurückgesandt und telefonisch hierzu ausdrücklich mitgeteilt, er werde die Vordrucke nicht ausfüllen.

Die Verwaltungsakte der Antragsgegnerin hat vorgelegen und ist Gegenstand der Entscheidungsfindung geworden. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Sachvortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend Bezug genommen.

Rechtsweg:

SG Magdeburg Urteil vom 27.11.2012 - S 17 KR 403/12

Quelle:

Sozialgerichtsbarkeit BRD

II.

Die statthafte Beschwerde ist form- und fristgerecht gemäß §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingelegt und auch im Übrigen zulässig.

Sie ist aber unbegründet, denn der Antragsteller hat keinen Anspruch auf vorläufige Versorgung mit orthopädischen Straßenschuhen. Deshalb konnte offen bleiben, ob der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz mangels Klageerhebung gegen den Widerspruchsbescheid bereits unzulässig ist. Zwar enthält der Widerspruchsbescheid eine Rechtsmittelbelehrung, der Senat musste aber bei der gegebenen Sachlage nicht nachprüfen, ob der Antragsteller tatsächlich in der Hauptsache eine Klage erhoben hat.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind nach Abs. 2 Satz 2 der Norm auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Da der Antragsteller geltend macht, ohne die einstweilige Anordnung drohten ihm wesentliche Nachteile, begehrt er den Erlass einer Regelungsanordnung im Sinne von § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG. Die Regelungsanordnung kann vom Gericht erlassen werden, wenn der Antragsteller glaubhaft macht (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Zivilprozessordnung [ZPO]), dass ein geltend gemachtes Recht gegenüber der Antragsgegnerin besteht (Anordnungsanspruch) und er ohne den Erlass der begehrten Anordnung, insbesondere bei Abwarten einer Entscheidung in der Hauptsache, wesentliche Nachteile im Sinne von § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG erleiden würde (Anordnungsgrund).

Der Anordnungsanspruch bezieht sich auf das materielle Recht des Antragstellers. Eine einstweilige Anordnung kann nicht ergehen, wenn die Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist, weil dann ein im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens schützenswertes Recht des Antragstellers nicht vorhanden ist. Der Anordnungsgrund setzt voraus, dass dem Antragsteller bei Abwägung seiner Interessen gegen die Interessen des Antragsgegners nicht zugemutet werden kann, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (vgl. zum Ganzen: Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage, § 86b Rdnr. 29 ff. mit weiteren Nachweisen).

Die in tatsächlicher (Glaubhaftmachung) wie in rechtlicher Hinsicht (summarische Prüfung) herabgesetzten Anforderungen für die Annahme eines Anordnungsanspruchs korrespondieren dabei mit dem Gewicht der glaubhaft zu machenden wesentlichen Nachteile. Drohen im Einzelfall ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, dürfen sich die Gerichte nur an den Erfolgsaussichten orientieren, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist. Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen (st. Rspr., vgl. BVerfG, Beschl. v. 12. Mai 2005 - 1 BVR 569/05 - BVerfGK 5, 237).

In Anwendung dieser Grundsätze erweist sich das Begehren des Antragstellers als unbegründet. Der Antragsteller hat weder einen Anordnungsanspruch (hierzu 1.) noch einen Anordnungsgrund (hierzu 2.) hinreichend glaubhaft gemacht.

1. Nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen ist die Versorgung des Antragstellers mit orthopädischen Straßenschuhen derzeit medizinisch nicht erforderlich.

Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) in der gegenwärtig geltenden Fassung des Art. 1 Nr. 17a Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung - GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) vom 26.03.2007 (BGBl. I S. 378) haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Dabei besteht ein Anspruch auf Versorgung im Hinblick auf die "Erforderlichkeit im Einzelfall" nur, soweit das begehrte Hilfsmittel geeignet, ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich ist und das Maß des notwendigen nicht überschreitet; darüber hinausgehende Leistungen darf die Krankenkasse gemäß § 12 Abs. 1 SGB V nicht bewilligen.

Der Leistungsumfang, den die Gesetzliche Krankenversicherung als Rehabilitationsträger nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) in Bezug auf Hilfsmittel schuldet, geht nicht darüber hinaus.

Nach § 31 Abs. 1 SGB IX umfassen Hilfsmittel (Körperersatzstücke sowie orthopädische und andere Hilfsmittel) nach § 26 Abs. 2 Nr. 6 die Hilfen, die von den Leistungsempfängern getragen oder mitgeführt oder bei einem Wohnungswechsel mitgenommen werden können und unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls erforderlich sind, um

1. einer drohenden Behinderung vorzubeugen,

2. den Erfolg einer Heilbehandlung zu sichern oder

3. eine Behinderung bei der Befriedigung von Grundbedürfnissen des täglichen Lebens auszugleichen, soweit sie nicht allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens sind.

Der Anspruch umfasst nach seinem Absatz 2 Satz 1 auch die notwendige Änderung, Instandhaltung, Ersatzbeschaffung sowie die Ausbildung im Gebrauch der Hilfsmittel.

Damit hat der Gesetzgeber ersichtlich an den Wortlaut der Vorschrift des § 33 SGB V und die dazu ergangene Rechtsprechung angeknüpft. Nach § 7 Satz 2 SGB IX richten sich die Zuständigkeit und die Voraussetzungen für die Leistungen zur Teilhabe nach den für den jeweiligen Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen. Daher regeln die Vorschriften des SGB IX insbesondere Umgang und Ausführung von Leistungsansprüchen, ohne neue Ansprüche zu begründen (vgl. Welti in HK-SGB IX, 3. Aufl. 2010, § 7 Rn. 13). Aus dem Wortlaut der Regelung des § 31 Abs. 1 SGB IX wird deutlich, dass auch der Anspruchsumfang nicht über das hinausgeht, was die Gesetzliche Krankenversicherung ihren Versicherten nach § 33 Abs. 1 SGB V schuldet.

Die verschiedenen Krankheitsbilder des Antragstellers rechtfertigen nach den bisher vorliegenden medizinischen Unterlagen seine Versorgung mit orthopädischen Straßenschuhen weder zur Sicherung des Erfolgs einer Krankenbehandlung noch zur Vorbeugung einer drohenden Behinderung oder zum Ausgleich einer Behinderung.

Die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. H. hat auf der Verordnung für ein Paar orthopädische Schuhe als Diagnose die Sprunggelenkfraktur angegeben. Nach der Sozialmedizinischen Stellungnahme des SMD vom 24. Juli 2012 finden sich am rechten Sprunggelenk nach der Operation reizlose Narbenverhältnisse ohne Entzündungszeichen oder Schwellung und nur endgradige Bewegungseinschränkungen. Nach Auffassung der begutachtenden Ärzte des SMD ist dadurch die Verordnung von orthopädischen Maßschuhen nicht indiziert. Das stimmt damit überein, dass nach dem Hilfsmittelverzeichnis des GKV-Spitzenverbandes orthopädische Maßschuhe nach dem derzeitigen medizinisch/wissenschaftlichen Kenntnisstand nur in Verbindung von Form- oder Funktionsveränderungen mit folgenden Krankheitsbildern indiziert sind:

1. Hochgradige dekompensierte Valgusstellung der Ferse und Verlust des Längsgewölbes bei Klick-/Plattfüßen, die nicht mehr oder nur teilweise korrekturfähig sind, Plattfüße Schaukelfuß/Tintenlöscherfuß) in Wiegeform.

2. Überlastung der Außenkante des Fußes bei Klumpfüßen.

3. Schmerzhafte Wackelsteife (noch keine komplette Versteifung, hochgradige Bewegungseinschränkung) des oberen Sprunggelenkes (arthrotisch/pseudarthrotisch).

4. Schmerzhafte Funktionsstörungen der Fußwurzelgelenke, auch als Verletzungsfolgen, besonders in Verbindung mit gleichzeitiger Vorfußverformung und bei wesentlicher Störung der Fußabwicklung mit der Notwendigkeit der Stabilisierung des Rückfußes.

5. Beinverkürzungen von mindestens 3,5 cm.

6. Nicht korrigierbare Fußfehlform bei ausgeprägten Lähmungsfüßen.

7. Hochgradige Sprengung des Fußlängsgewölbes bei Ballenhohlfüßen.

8. Fußteilverlust, der eine Stabilisierung im Rückfuß erforderlich macht (in der Regel proximal der transmetatarsalen Amputationslinie).

9. Ausgeprägte angeborene oder erworbene Veränderungen des Fußes (auch der Zehen), bei denen aufgrund der Breite oder der Höhe des Fußes eine anderweitige Versorgung nicht mehr möglich ist.

10. Schmerzhafte Fehlstellung der Zehengelenke bei chronischen Gelenkentzündungen mit wesentlicher Beeinträchtigung der Belastungsfähigkeit (z. B. Rheuma).

11. Über Beinprothesen, wenn die Verwendung von Konfektionsschuhen oder konfektionierten Schulen nicht möglich ist.

12. Andauernde ausgeprägte Schwellungszustände der Füße und der Unterschenkel (z. B. Elephantiasis u. a. vergleichbare Zustände). Im Tagesverlauf auftretende Schwellungen stellen keine Indikation für orthopädische Maßschuhe dar.

Eine solche oder auch nur damit vergleichbare Indikation liegt beim Antragsteller nach allen bisher vorliegenden medizinischen Unterlagen nicht vor. Aufgrund der Sprunggelenkfraktur rechts ist lediglich eine endgradige Bewegungseinschränkung, also eine Bewegungseinschränkung leichteren Grades verblieben. Die Veränderungen an der Lendenwirbelsäule und an den Kniegelenken wirken sich nach dem Befundbericht von Dr. S. vom 21. April 2008 nur leicht auf die Gehfähigkeit des Antragstellers aus. Auch die Diagnosen der Operation eines thorakalen Bandscheibenvorfalls BWK 8/9 sowie des Insults im Gyrus precentralis (Schlaganfall mit inkompletter Hemiparese rechts) indizieren nicht die Verordnung orthopädischer Straßenschuhe, denn damit sind weder weitere Fußdeformitäten noch weitere Bewegungseinschränkungen im Bereich der Füße verbunden. Der Antragsteller kann die Füße nach den Feststellungen des SMD heben und senken, sein Gangbild ist unauffällig. Er kann die Füße flüssig abrollen und ungehindert den Zehenspitzen-, Fersen- und Einbeinstand einnehmen. Das Einholen weiterer medizinischer Unterlagen war dem Senat verwehrt, da der Antragsteller die hierfür erforderliche Erklärung über die Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht nicht unterzeichnet hat.

Unerheblich ist, ob dem Antragsteller früher bereits orthopädische Maßschuhe verordnet und von der Krankenkasse gewährt worden sind. Möglicherweise war die Sprunggelenkfraktur oder die Hemiparese rechts zum Verordnungszeitpunkt noch mit weitergehenden Funktionseinschränkungen verbunden, als dies zum gegenwärtigen Zeitpunkt festzustellen ist. Eine vorhergehende Verordnung oder Bewilligung von orthopädischen Maßschuhen hat keine Auswirkungen auf eine erneute Verordnung und die Entscheidung über deren Bewilligung. Vielmehr ist die Krankenkasse auch bei bereits vorliegenden vorhergehenden Bewilligungen gehalten, nicht nur die Dauerhaftigkeit der zu Grunde liegenden Erkrankung, sondern auch der damit verbundenen Funktionseinschränkungen regelmäßig zu überprüfen. Davon wird nur abgewichen, wenn die Dauerhaftigkeit auch der Funktionseinschränkungen nach ärztlicher Einschätzung feststeht.

Schließlich ist es auch Aufgabe der Krankenkasse und nicht des Antragstellers, darüber zu entscheiden, ob Instandsetzungsarbeiten an einem orthopädischen Maßschuh technisch möglich und wirtschaftlicher sind als eine Ersatzbeschaffung. Schon aus diesem Grund war der Antragsteller gehalten, seine alten orthopädischen Straßenschuhe beim SMD vorzuzeigen und diese nicht ohne Rücksprache eigenmächtig zu entsorgen.

2. Auch die Voraussetzungen für einen Anordnungsgrund sind nicht gegeben, denn der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass ihm bei Abwägung seiner Interessen gegen die Interessen der Antragsgegnerin nicht zugemutet werden kann, ein Hauptsacheverfahren zu führen und die Entscheidung darüber abzuwarten. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen drohen, die durch ein Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären. Für solche Beeinträchtigungen liegen keine Anhaltspunkte vor. Der Antragsteller hat selbst angegeben, die vorher verordneten orthopädischen Schuhe bis Ende des Jahres 2011 getragen zu haben. Eine neue Verordnung über orthopädische Schuhe hat er sich jedoch erst am 4. Juni 2012 und damit fast ein halbes Jahr später ausstellen lassen. Es ist nicht ersichtlich und vom Antragsteller auch nicht vorgetragen, dass es in der Zwischenzeit zu Beeinträchtigungen gekommen sein könnte. Die Annahme des Antragstellers, seine erneuten erheblichen Probleme im Bereich der Lendenwirbelsäule seien auf das Fehlen von orthopädischen Straßenschuhen zurückzuführen, ist weder ärztlich belegt noch nachvollziehbar. Deshalb ist ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache für den Antragsteller zumutbar. Schließlich war auch zu berücksichtigen, dass die vorläufige Versorgung des Antragstellers mit orthopädischen Straßenschuhen eine Hauptsacheentscheidung bereits vorweg nehmen würde, was angesichts der fehlenden Erfolgsaussichten für die Hauptsache nicht gerechtfertigt wäre.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

Referenznummer:

R/R5826


Informationsstand: 18.09.2013