Streitig ist die Erstattung von Kosten für orthopädische Sicherheitsschuhe, die die Klägerin einem Versicherten bewilligt hat.
Seit dem 1.5.2009 zahlt die Klägerin dem Versicherten L. Rente wegen voller Erwerbsminderung. Herr L. ist seit dem 1.12.2009 in der Reha Werkstatt T. tätig; hierbei handelt es sich um eine Werkstatt für behinderte Menschen. Für den Besuch des Arbeitsbereichs dieser Werkstatt bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 26.2.2014 Herrn L. Leistungen der Eingliederungshilfe für die Zeit vom 1.3.2014 - 28.2.2019.
Am 27.7.2017 verordnete der behandelnde Arzt Herrn L. wegen einer beidseitigen Tarsusarthrose ein Paar orthopädische Arbeitsschuhe nach Maß. Nach einem Voranschlag der
S. GmbH (vom 31.7.2017) sollten die Schuhe insgesamt 1.861,05
EUR kosten.
Am 15.8.2017 beantragte die Reha Werkstatt beim Beklagten für Herrn L. die Übernahme der Kosten für die verordneten Schuhe. Sie führte aus, Herr L. sei auf einem Außenarbeitsplatz im Getränkehandel beschäftigt. Dort benötige er Sicherheitsschuhe. Aus medizinischen Gründen müssten die Schuhe orthopädischer Art sein. Vor zwei Jahren habe der Beklagte Herrn L. bereits einmal orthopädische Sicherheitsschuhe bewilligt; nun brauche er neue Schuhe. Ohne die verordneten Schuhe wäre sein Arbeitsplatz gefährdet.
Mit Schreiben vom 22.8.2017 leitete der Beklagte den Antrag unter Hinweis auf
§ 14 SGB IX an die Klägerin weiter. Für die beantragte Leistung sei er nicht zuständig, so der Beklagte.
Mit Bescheid vom 9.11.2017 bewilligte die Klägerin Herrn L. als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben ein Paar Sicherheitsschuhe mit Arthrodesenkappe zum Preis von 1.861,05
EUR. Vom Rechnungsbetrag der
S. GmbH würden 90
EUR als Anteil des Arbeitgebers für Sicherheitsschuhe ohne orthopädische Ausstattung abgezogen; diesen Betrag übernehme der Arbeitgeber.
Mit Schreiben vom 4.1.2018 forderte die Klägerin vom Beklagten Erstattung eines Betrags in Höhe von 1.771,05
EUR. Ihr Erstattungsanspruch beruhe auf § 14
Abs. 4
S. 1
SGB IX, so die Klägerin. Nach Eingliederung in den Arbeitsbereich der Werkstatt für behinderte Menschen sei für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht mehr sie zuständig, sondern derjenige Rehabilitationsträger, der die Kosten für den Arbeitsbereich übernehme - hier also der Beklagte. Dieser sei nach
§ 4 Abs. 2 S. 2,
§ 6 Abs. 1,
§ 33 Abs. 8 Nr. 4 und
§ 42 Abs. 2 SGB IX zu einer vollständigen und umfassenden Leistungserbringung verpflichtet, somit auch zur Versorgung mit orthopädischem Fußschutz.
Mit Schreiben vom 4.4.2018 lehnte der Beklagte die beantragte Erstattung ab, wiederum unter Hinweis auf seine fehlende Zuständigkeit. Da Herr L. Rente wegen voller Erwerbsminderung beziehe, sei für dessen Ausstattung mit orthopädischen Sicherheitsschuhen die Klägerin als gesetzliche Rentenversicherung zuständig, so der Beklagte ergänzend mit Schreiben vom 3.5.2018.
Mit der am 29.10.2018 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihren Erstattungsantrag weiter. Sie wiederholt im Wesentlichen ihre bisherigen Ausführungen.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, ihr 1.771,05
EUR zu erstatten.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er trägt ergänzend vor, gemäß § 2
Abs. 1
SGB XII sei der Sozialhilfeträger nur nachrangig zuständig, also dann, wenn kein anderer Träger leisten muss. Im vorliegenden Fall habe Herr L. indes einen Anspruch gegenüber der Klägerin gehabt: Orthopädische Schuhe, die wie hier ausschließlich am Arbeitsplatz getragen werden, dienten nicht der medizinischen, sondern der beruflichen Rehabilitation. Für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sei in der Regel die Rentenversicherung oder die Agentur für Arbeit zuständig. Da Herr L. Rente wegen voller Erwerbsminderung beziehe, habe gemäß § 16
SGB VI i.V.m. § 49 SGB IX die Klägerin die Leistung erbringen müssen. Die persönlichen Voraussetzungen für einen Anspruch gegenüber der Klägerin habe Herr L. erfüllt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte sowie die Verwaltungsakten der Beteiligten Bezug genommen.
1) Die Klage ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat gegenüber dem Beklagten einen Anspruch auf Erstattung von 1.771,05
EUR.
Wird nach Bewilligung der Leistung durch einen Rehabilitationsträger nach
§ 14 Abs. 1 S. 2 bis 4 SGB IX festgestellt, dass ein anderer Rehabilitationsträger für die Leistung zuständig ist, erstattet dieser dem Rehabilitationsträger, der die Leistung erbracht hat, dessen Aufwendungen nach den für diesen geltenden Rechtsvorschriften (§ 14
Abs. 4
S. 1
SGB IX i.d.F. des Gesetzes vom 23.4.2004, BGBl. I Seite 606 - a.F.). Die Vorschrift schafft einen Ausgleich dafür, dass nach Weiterleitung eines Antrags auf Leistungen zur Teilhabe durch den erstangegangenen Rehabilitationsträger der zweitangegangene Rehabilitationsträger abschließend entscheiden muss - selbst dann, wenn er für die beantragte Leistung eigentlich nicht zuständig ist. Das Regelungskonzept des § 14
SGB IX (a.F.) soll im Interesse des Antragstellers eine rasche Entscheidung ermöglichen. Nicht bezweckt ist hingegen eine Verschiebung von Lasten zwischen den Rehabilitationsträgern. Angesichts dessen begründet § 14
Abs. 4
S. 1
SGB IX (a.F.) einen speziellen Erstattungsanspruch. Er besteht gegenüber demjenigen Rehabilitationsträger, von dem der Antragsteller die bewilligte Leistung richtigerweise hätte beanspruchen können (Joussen in: LPK-SGB IX, 4. Aufl., § 14
Rdnr. 22).
Im vorliegenden Fall hatte die Reha Werkstatt T. für Herrn L. am 15.8.2017 beim Beklagten einen Antrag auf Übernahme der Kosten für orthopädische Sicherheitsschuhe gestellt. Diesen Antrag leitete der Beklagte als erstangegangener Rehabilitationsträger am 22.8.2017 an die Klägerin weiter, also innerhalb von zwei Wochen. Als zweitangegangener Rehabilitationsträger musste die Klägerin über den Antrag auf Leistungen zur Teilhabe entscheiden; eine nochmalige Weiterleitung oder Rückgabe an den Beklagten war nicht möglich (
vgl. Joussen, a.a.O.,
Rdnr. 11). Materiell hatte Herr L. allerdings einen Anspruch auf Versorgung mit orthopädischen Sicherheitsschuhen nicht gegenüber der Klägerin, sondern gegenüber dem Beklagten:
a) Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von
§ 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt sind, erhalten Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalls, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann (
§ 53 Abs. 1 S. 1 SGB XII). Zu den Aufgaben der Eingliederungshilfe gehört es u.a., behinderten Menschen die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen (§ 53
Abs. 3
S. 2
SGB XII). Die Leistungen der Eingliederungshilfe im Sinne des
§ 54 Abs. 1 S. 1 SGB XII i.V.m. § 33 und
§ 41 SGB IX umfassen auch die Hilfe zur Beschaffung von Gegenständen, wenn sie wegen der Behinderung zur Aufnahme oder Fortsetzung einer angemessenen Beschäftigung im Arbeitsleben erforderlich sind (
§ 17 Abs. 1 S. 1 EinglHV). § 41
SGB IX (i.d.F. des Gesetzes vom 27.12.2003, BGBl. I Seite 3022 - a.F.) regelt Leistungen im Arbeitsbereich einer anerkannten Werkstatt für behinderte Menschen. Da die Regelung des § 17
Abs. 1
S. 1 EinglHV ausdrücklich auf § 41
SGB IX (a.F.) Bezug nimmt, zählt zu einer "Beschäftigung im Arbeitsleben" ersichtlich auch eine Tätigkeit im Arbeitsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen.
Herr L. ist seit dem 1.12.2009 dem Arbeitsbereich der Reha Werkstatt T. zugewiesen, einer Werkstatt für behinderte Menschen. Die Reha Werkstatt hatte bei der Antragstellung ausgeführt, Herr L. sei auf einem Außenarbeitsplatz im Getränkehandel tätig; dort benötige er Sicherheitsschuhe. Das erscheint der Kammer nachvollziehbar. Denn nach den Angaben in der Arbeitsplatzbeschreibung vom 6.10.2017 und im ärztlichen Befundbericht vom 9.10.2017 gehörte zu seiner Tätigkeit im Lager eines Getränkehandels die Arbeit mit Paletten; zudem sollten die Schuhe vor Glasscherben schützen. Die Kammer ist auch davon überzeugt, dass die Schuhe orthopädischer Art sein mussten. Denn wie sich aus der Verordnung des behandelnden Arztes vom 27.7.2017 ergibt, leidet Herr L. an einer beidseitigen Tarsusarthrose. Damit liegt auch eine Behinderung im Sinne von
§ 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX vor. Vor diesem Hintergrund war die Ausstattung mit orthopädischen Sicherheitsschuhen behinderungsbedingt erforderlich, damit Herr L. seine Tätigkeit fortsetzen konnte. Dies stellt auch der Beklagte letztlich nicht infrage.
b) Etwaiges Einkommen oder Vermögen des Herrn L. schloss einen Anspruch auf Versorgung mit orthopädischen Sicherheitsschuhen gegenüber dem Beklagten nicht aus.
Zwar wird Eingliederungshilfe nach dem Sechsten Kapitel des
SGB XII (§§ 53
ff.) grundsätzlich nur geleistet, soweit dem Leistungsberechtigten und seinem nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartner die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitels des
SGB XII nicht zuzumuten ist (
§ 19 Abs. 3 SGB XII). Bei Leistungen in anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen nach § 41
SGB IX ist den in § 19
Abs. 3
SGB XII genannten Personen die Aufbringung der Mittel allerdings nur für die Kosten des Lebensunterhalts zuzumuten. Derartige Leistungen sind ohne Berücksichtigung von vorhandenem Vermögen zu erbringen (
§ 92 Abs. 2 S. 1 Nr. 7 und S. 2 SGB XII i.d.F. des Gesetzes vom 24.3.2011, BGBl. I Seite 453).
Durch die Ausstattung mit orthopädischen Sicherheitsschuhen für seine Tätigkeit im Arbeitsbereich der Reha Werkstatt T. hat Herr L. keine Aufwendungen für den häuslichen Lebensunterhalt gespart. Jenseits davon war kein Einkommen oder Vermögen einzusetzen. Angesichts dessen kann dahingestellt bleiben, ob und in welcher Höhe Herr L. (oder ein etwaiger Ehegatte oder Lebenspartner) über Einkommen oder Vermögen verfügte.
c) Zu Unrecht beruft sich der Beklagte auf den allgemeinen Nachranggrundsatz.
Zwar erhält Sozialhilfe nicht, wer die erforderliche Leistung von Trägern anderer Sozialleistungen erhält (§ 2
Abs. 1
SGB XII). Herr L. hatte aber keinen vorrangigen Anspruch gegenüber einem anderen Träger, insbesondere nicht gegenüber der Klägerin. Denn als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben hätte er die orthopädischen Sicherheitsschuhe nicht beanspruchen können:
Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben umfassen auch Kosten für Hilfsmittel, die wegen Art oder Schwere der Behinderung zur Berufsausübung, zur Teilnahme an einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben oder zur Erhöhung der Sicherheit am Arbeitsplatz erforderlich sind (§ 33
Abs. 8
S. 1
Nr. 4
SGB IX i.d.F. des Gesetzes vom 20.12.2011, BGBl. I Seite 2854 - a.F.). Allerdings werden derartige Leistungen nur erbracht, um die Erwerbsfähigkeit behinderter Menschen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wiederherzustellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben möglichst auf Dauer zu sichern (§ 33
Abs. 1
SGB IX a.F.). Die Erwerbsfähigkeit nach dieser Vorschrift bezieht sich auf den allgemeinen Arbeitsmarkt; der besondere, geschützte Arbeitsmarkt einer Werkstatt für behinderte Menschen ist davon hingegen nicht erfasst (Götze in: Hauck/Noftz,
SGB IX, § 49
Rdnr. 11). Hiermit übereinstimmend erbringen die Träger der Rentenversicherung Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben allenfalls im Berufsbildungsbereich der Werkstätten für behinderte Menschen nach § 40
SGB IX, nicht hingegen in deren Arbeitsbereich nach § 41
SGB IX (
vgl. § 16
SGB VI i.d.F. des Gesetzes vom 19.2.2002, BGBl. I Seite 754 einerseits,
§ 42 Abs. 2 SGB IX i.d.F. des Gesetzes vom 27.12.2003, BGBl. I Seite 3022 andererseits).
Im Falle von Herrn L. bestand keine Erwerbsfähigkeit. Bereits seit dem 1.5.2009 bezog er Rente wegen voller Erwerbsminderung. Fast ebenso lange war er in der Reha Werkstatt T. tätig, spätestens seit dem 1.3.2014 im Arbeitsbereich. Angesichts dessen stand im Jahr 2017 nicht zu erwarten, dass Herr L. demnächst wieder unter Wettbewerbsbedingungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt sein würde. Dies war offenkundig auch gar nicht das Ziel der beantragten Leistung - schon deshalb nicht, weil die Erwerbsminderung von Herrn L. nicht orthopädisch begründet war, sondern psychisch. Die Versorgung mit Sicherheitsschuhen kann am psychischen Befund ersichtlich nichts ändern.
2) Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a
Abs. 1
S. 1
SGG i.V.m. § 154
Abs. 1
VwGO.
3) Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt nicht 10.000
EUR. Angesichts dessen ist die Berufung grundsätzlich nicht statthaft (§ 144
Abs. 1
S. 1
Nr. 2
SGG). Es besteht kein Grund, nach § 144
Abs. 2
SGG die Berufung zuzulassen.