Urteil
Einstweiliger Rechtsschutz - Leistungserbringung innerhalb des Versorgungsvertrags der Krankenversicherung - vertragsärztliche Verordnung - allgemeiner Unterlassungsanspruch

Gericht:

SG Nürnberg 11. Kammer


Aktenzeichen:

S 11 KR 55/14 ER


Urteil vom:

12.02.2014


Tenor:

I. Der Antragsgegner wird vorläufig verpflichtet, es zu unterlassen,

1. vertragsärztliche Verordnungen bzw. Bescheinigungen von Krankenhäusern oder anderen medizinischen Einrichtungen von Versicherten der Antragstellerin für Hilfsmittel der Produktgruppen 02, 05, 08, 10, 23 und 31 (incl. Beratung und Reparaturen) anzunehmen, soweit und solange er hierüber keinen Versorgungsvertrag mit der Antragstellerin abgeschlossen hat,

2. Hilfsmittel der Produktgruppen 02, 05, 08, 10, 23 und 31 an Versicherte der Antragstellerin abzugeben, die diese durch Vorlage einer vertragsärztlichen Verordnung bzw. Bescheinigung eines Krankenhauses oder einer anderen medizinischen Einrichtung als Sachleistung im Sinne des SGB V beziehen wollen, soweit und solange er hierüber keinen Versorgungsvertrag mit der Antragstellerin abgeschlossen hat,

3. den Versicherten der Antragstellerin die unter 1. und 2. benannten Hilfsmittel und weitere in diesem Zusammenhang erbrachte Leistungen in Rechnung zu stellen.

II. Für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Anordnungen unter I Ziffern 1. bis 3. wird dem Antragsgegner ein Ordnungsgeld bis zu 10.000,00 Euro und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft bis zu sechs Monaten angedroht.

III. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

IV. Der Streitwert des Verfahrens wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsgegner (Ag) ist Orthopädieschuhmachermeister. Am 13.02.2014 stellte die Antragstellerin (Ast) beim Sozialgericht N. (SG) Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz.

Zur Begründung trägt die Ast mit Schriftsätzen vom 13.02.2014, 24.03.2014, 07.04.2014, 16.04.2014 und 02.05.2014 insbesondere Folgendes vor:

Mit Schreiben vom 20.05.2008 sei der Rahmenvertrag über die Versorgung der Anspruchsberechtigten der Krankenkassen durch Orthopädieschuhmacher mit der Landesinnung B. für Orthopädieschuhtechnik (mit Geltung ab 01.11.1981) gegenüber dem Ag gekündigt worden. Das Kündigungsschreiben sei nicht als unzustellbar zurückgekommen. Die Fortgeltung dieses Vertrages habe zum 30.04.2013 geendet, weil sie mit Wirkung vom 01.05.2013 einen Vertrag nach § 127 Abs. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) mit der Landesinnung B. für Orthopädieschuhtechnik über die Versorgung mit Hilfsmitteln mit der Produktgruppe 02 "Adaptionshilfen", 08 "Einlagen", 10 "Gehhilfen" und 31 "Schuhe" durch die Meisterbetriebe des Orthopädie-Schuhmacherhandwerks abgeschlossen habe. Dieser Vertrag sei als sogenannter Beitrittsvertrag auf der Internetseite der Ast "www.aok-gesundheitspartner.de" veröffentlicht worden. Der Ag sei diesem Vertrag nicht beigetreten.

Im Rahmen der üblichen Sachbearbeitung habe sie feststellen müssen, dass der Ag nach dem 30.04.2013 gleichwohl Kostenvoranschläge für Leistungen, die in diesem Vertrag geregelt seien, eingereicht habe. Genehmigungen seien nicht erteilt worden, weil kein wirksames Vertragsverhältnis im Sinne von § 126 Abs. 1 S. 1 SGB V vorgelegen habe. Im Rahmen eines Telefongesprächs (Telefonnotiz vom 04.06.2013) mit der Mitarbeiterin Frau S. habe der Ag angegeben, dass er dem Vertrag nicht beitreten werde, da er nicht über eine Iso-Zertifizierung und eine Präqualifizierung verfüge. Ein Individualvertrag werde nicht angestrebt. Nach einem nachgehenden telefonischen Kontakt, der nicht weiter aktenkundig gemacht worden sei, habe der Ag mit Schreiben vom 25.07.2013 einen von ihm entworfenen Vertrag übersandt und angekündigt, dass er die Unterzeichnung durch die Ast erwarte, ansonsten werde er die Versicherten der Ast wie Privatkunden behandeln. Daraufhin habe sie mit Schreiben vom 09.08.2013 die gesetzlichen und möglichen vertraglichen Grundlagen nochmals erläutert und deshalb eine Verhandlung über den vorgelegten Vertrag abgelehnt, jedoch Vertragsverhandlungen und die Möglichkeit des Vertragsbeitritts nach § 127 Abs. 2 a SGB V ausdrücklich aufrechterhalten. Im Oktober seien bei ihr mehrere Versicherte erschienen, die vom Ag Privatrechnungen über Hilfsmittel, die seit dem 01.05.2013 von diesem erbracht worden seien, erhalten hätten. Diesen Rechnungen habe ein Brief mit folgendem Inhalt beigelegen:

"Liebe Kundin, lieber Kunde!

Wir bedauern es sehr, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Ihre Krankenkasse ihrer Pflicht nicht nachkommt und die Abrechnung des Ihnen verordneten Hilfsmittels mit uns verweigert. Wir sehen uns deshalb gezwungen, Ihnen unsere erbrachte Leistung persönlich in Rechnung zu stellen. Selbstverständlich können Sie diese Rechnung Ihrer Krankenkasse zur Erstattung vorlegen. Für Rückfragen stehen wir Ihnen gerne persönlich oder telefonisch zur Verfügung."

Dies habe sie zum Anlass genommen, mit Schreiben vom 06.11.2013 eine Unterlassungserklärung vom Ag zu fordern. Die Unterlassungserklärung sei vom Ag nicht unterzeichnet worden. Im Nachgang zu der Aufforderung vom 06.11.2013 sei nur noch eine Rechnung bekannt, die jedoch auf den 25.10.2013 datiert gewesen sei. Sie habe daher zunächst davon abgesehen, den Unterlassungsanspruch gerichtlich geltend zu machen. Ihre Versicherten habe sie davon informiert, dass gegen sie ohne privatrechtlichen schriftlichen Vertrag ein Zahlungsanspruch nicht bestehe. Nunmehr habe die Versicherte H. H. unter dem 31.01.2014 vom Ag eine Zahlungserinnerung zur Rechnung vom 25.10.2013 erhalten. Für die Versicherte H. H. habe der Ag auf der Grundlage einer vertragsärztlichen Verordnung vom 29.04.2013 für zwei Paar Schuhe Schuherhöhungen von 4 cm gefertigt. Diese habe er mit Rechnung in Höhe von 227,36 Euro am 25.10.2013 der Versicherten persönlich in Rechnung gestellt. Mit Schreiben vom 31.01.2014 habe er die Bezahlung der Rechnung angemahnt. Daraufhin habe sich die Versicherte an sie gewandt, weil sie keine Privatleistung, sondern eine Kassenleistung gewünscht habe. Diese Zahlungserinnerung habe sie zum Anlass genommen, mit Schreiben vom 06.02.2014 erneut die Abgabe einer Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung unter Fristsetzung bis 12.02.2014 zu fordern. Die Aufforderung sei dem Ag vorab per Fax am 06.02.2014 übermittelt worden. Daraufhin habe der Ag sich telefonisch sehr emotional gegen die Aufforderung zur Unterlassung geäußert und angekündigt, weiterhin Rechnungen und Mahnungen an die Versicherten zu schreiben (Telefonnotiz vom 06.02.2014). Die Zustellung des Schreibens per Einschreiben/Rückschein sei fehlgeschlagen, weil der Ag die Annahme des Schreibens im Original verweigert habe. Eine Erklärung des Ag sei nicht bei ihr eingegangen. Für den Versicherten G. V. habe der Ag auf der Grundlage einer vertragsärztlichen Verordnung vom 20.06.2013 für ein Paar Schuhe Schuherhöhungen von 2 cm recht gefertigt. Dies habe er mit Rechnung in Höhe von 61,84 Euro am 25.10.2013 dem Versicherten persönlich in Rechnung gestellt. Mit Schreiben vom 02.12.2013 habe sie den Ag darauf hingewiesen, dass sie den Versicherten davon informiert habe, dass kein Zahlungsanspruch bestehe. Mit Schreiben vom 31.01.2014 habe der Ag die Bezahlung der Rechnung angemahnt. Daraufhin habe sich der Versicherte wiederum persönlich an sie gewandt, weil er keine Privatleistung, sondern eine Kassenleistung gewünscht habe. Ihr lägen weitere Rechnungen vom 25.10.2013 an verschiedene Versicherte vor. Es sei damit zu rechnen, dass diese auch in den nächsten Tagen Mahnungen vom Ag erhalten werden oder schon erhalten hätten und sich an sie wendeten. Mit Schriftsatz vom 26.02.2014 an das Gericht habe der Ag eingeräumt, dass er von Versicherten der Ast vertragsärztliche Verordnungen zur Versorgung annehme, obwohl er derzeit keinen Vertrag mit der Ast habe. Aus diesem Gesamtablauf sei offensichtlich, dass der Ag nicht darauf verzichten werde, Versicherten, die sich im Glauben, eine Kassenleistung zu erhalten, von ihm insbesondere mit orthopädischen Schuhen und Schuhzurichtungen versorgen ließen, Privatrechnungen zu stellen.

Der Rechtsweg zum Sozialgericht sei nach § 51 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eröffnet. Da sich der hier geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus der Weigerung, ein Vertragsverhältnis gemäß § 69 SGB V einzugehen, ableite, sei er gleichfalls dem öffentlichen Recht zugeordnet. Sollte das Gericht diese Auffassung nicht teilen, bestehe die Zuständigkeit nach § 51 Abs. 2 SGG. Die örtliche Zuständigkeit richte sich nach § 57 Abs. 1 S. 2 SGG. Anträge nach § 86 b SGG seien auch bereits vor Klageerhebung zulässig.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sei auch begründet. Der Anspruch auf Unterlassung beruhe auf der entsprechenden Anwendung des § 1004 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) i. V. m. § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 126 Abs. 1 S. 1 SGB V als Schutzgesetz für die Gewährleistung des Sachleistungsanspruchs des Versicherten und Verpflichtung der Krankenkasse im Rahmen der Hilfsmittelversorgung. Die kostenfreie Zurverfügungstellung von Hilfsmitteln als Sachleistung gehöre als Teil der Verpflichtung, Leistungen nach § 11 SGB V zu gewährleisten, zu ihren zentralen gesetzlichen Aufgaben. Mit seinem Verhalten verhindere der Ag diese Aufgabenerfüllung. Störungshandlungen seien falsche Beratung, gesetzeswidrige Versorgung und finanzielle Inanspruchnahme der Versicherten, soweit sie sich vom Ag als Kassenpatienten versorgen lassen wollten. Nach der rechtswidrigen Versorgung verweise der Ag die Versicherten auf einen Kostenerstattungsanspruch. Die Wahl der Kostenerstattung durch die Versicherten nach § 13 Abs. 2 SGB V berechtige diese weder dazu, ohne Zustimmung der Krankenkasse Leistungen bei nicht vertragsgebundenen Leistungserbringern in Anspruch zu nehmen, noch sei es möglich, die Kostenerstattung nur hinsichtlich einer bestimmten Leistung, hier hinsichtlich eines bestimmten Hilfsmittels, zu wählen. Eine Kostenerstattung nach § 13 Abs. 3 SGB V scheide für die Versicherten bei den hier in Rede stehenden Hilfsmittelversorgungen ebenfalls aus, da die Versicherten jederzeit durch die Vertragspartner der Ast zeitnah und ordnungsgemäß versorgt werden könnten. Allein schon der Hinweis des Ag an die Versicherten über die angeblich bestehenden Kostenerstattungsansprüche gegenüber der Ast sei irreführend.

§ 126 Abs. 1 SGB V solle den einzelnen Versicherten davor schützen, von Lieferanten Leistungen zu erhalten, die keine unmittelbare Abrechnungsbefugnis mit der Krankenkasse hätten, bei der der Versicherte Mitglied sei. Mit der Versorgung durch Dritte erwerbe der Versicherte keinen Sachleistungsanspruch gegenüber seiner Krankenkasse, sondern sehe sich zunächst behaupteten, für ihn unübersehbaren Zahlungsaufforderungen ausgesetzt. Die Norm solle daher unmittelbar die Versicherten vor unberechtigten Forderungen und vor Störungen des gesetzlich im Rahmen der Hilfsmittelversorgung regelhaft vorgegebenen Sachleistungssystems schützen. Daneben solle sie aber auch die Krankenkassen davor schützen, mit unberechtigten Leistungsanforderungen sowohl von Lieferanten als auch von Versicherten überhäuft zu werden. Verträge nach § 127 SGB V hätten neben der Funktion, den Zugang zum Sachleistungssystem zu verschaffen, auch den Sinn, die Versorgung im Massengeschäft der Leistungsbewilligung und -gewährung so zu strukturieren, dass Versicherte die Leistungen schnell und in der gebotenen Qualität unter Beachtung auch formaler Anforderungen sowie des Datenschutzes erhalten könnten und deren Abrechnung den Anforderungen der §§ 284 ff SGB V entsprächen. Zwar sei § 126 Abs. 1 SGB V nicht als Verbot der Abgabe von Hilfsmitteln durch Nichtvertragspartner formuliert. Er enthalte jedoch die Formulierung, dass nur auf der Grundlage von Verträgen nach § 127 SGB V versorgt werden dürfe. Damit sei gleichzeitig auch die Aussage verbunden, dass ohne diese Verträge nicht versorgt werden dürfe. Es handele sich also um eine Verbotsnorm im Sinne des § 134 BGB.

§ 127 Abs. 3 SGB V enthalte keine generelle Erlaubnis, dass sich Leistungserbringer ohne vertragliche Bindung an der Versorgung gesetzlich Versicherter mit Hilfsmitteln beteiligten dürften, sondern erlaube lediglich in dem besonderen Fall, dass eine Versorgung durch vertraglich gebundene Leistungserbringer nicht möglich oder zumutbar sei, eine Vereinbarung im Einzelfall mit einem Leistungserbringer. Dies berechtige Leistungserbringer ohne Vertrag jedoch gerade nicht, jede vertragsärztliche Verordnung anzunehmen, die Versicherten zu versorgen und - wenn die Krankenkasse die Abrechnung mangels Vertrags oder Einzelfallvereinbarung verweigere - die Kosten von den Versicherten zu verlangen. Die Versorgung der Versicherten sei durch die bestehenden Verträge nach § 127 Abs. 2 SGB V vollumfänglich abgesichert, außerdem sei die Versorgung der Versicherten durch Vertragspartner in einer für sie zumutbaren Weise möglich, sodass hier eine Einzelfallentscheidung nach § 127 Abs. 3 SGB nicht in Betracht kommen könne. Da der Ag keinen Vertrag nach § 127 Abs. 2 SGB V oder § 127 Abs. 2 a SGB V mit ihr abgeschlossen habe, habe er die Verpflichtung, den Versicherten mitzuteilen, dass er eine kostenfreie Versorgung auf die vertragsärztliche Verordnung nicht leisten dürfe. Stattdessen nehme er Verordnungen von Versicherten entgegen und stelle im Nachgang an die Versicherten Privatrechnungen. Hilfsmittel dürften jedoch nur von Vertragspartnern abgegeben werden, dem Ag als Nichtvertragspartner sei dies verboten. Dabei begründe der Ag weder mit den Versicherten noch mit der Ast Vertragsbeziehungen. Dies scheitere schon daran, dass der Versicherte keinen Rechtsbindungswillen habe. Unterstelle man diesen Willen, seien etwaig geschlossene Verträge gleichwohl nichtig, weil sie gegen ein gesetzliches Verbot verstießen.

Zwar seien für die Produktgruppen 08 "Einlagen" und 17 (nicht 23) "Kompressionshilfen" Festbeträge (nicht Festpreise) gemäß § 36 SGB V vom GKV-Spitzenverband festgesetzt worden. Festbeträge seien allerdings lediglich die Preisobergrenze und könnten in Verträgen nach § 127 SGB V jederzeit unterschritten werden (vgl. § 127 Abs. 4 SGB V). Festbeträge selbst stellten keine vertragliche Regelung dar. Auch für festbetragsgeregelte Produkte sei eine Versorgung der Versicherten gem. § 126 Abs. 1 SGB V nur auf der Grundlage von Verträgen nach § 127 SGB V möglich.

Ein Anordnungsgrund sei gleichfalls gegeben, weil ein Zuwarten auf eine Entscheidung der Hauptsache nicht zumutbar sei. Hinsichtlich der Rechtsverletzungen drohe Wiederholungsgefahr. Dem Ag sei bereits seit dem 26.03.2013 bekannt, dass ab 01.05.2013 ein neuer Vertrag für die Versorgung der Versicherten der Ast gelten werde. Hierüber sei der Ag mittels Rundschreiben der Landesinnung B. für Orthopädie-Schuhtechnik informiert worden. Zum Zeitpunkt der Annahme der ärztlichen Verordnung für die Versicherte H. H. sei dem Ag also bekannt gewesen, dass er - soweit er die Verordnung nicht vor dem 01.05.2013 ausführen könne - ohne Vertrag nicht mehr abrechnen könne. Im Mai und im Juni 2013 hätten Mitarbeiter der Ast mehrfach Kontakt mit dem Ag gehabt, um den Beitritt zu den bestehenden Verträgen zu klären. Gleichfalls im Juli 2013 habe der Ag mindestens eine Mitteilung zu einem Kostenvoranschlag für orthopädische Zurichtungen an Konfektionsschuhen erhalten, dass eine Genehmigung mangels Vertrags nicht erteilt werden könne (vgl. Gesprächsnotiz vom 04.06.2013). Nach Zugang des Schreibens der Ast vom 06.02.2014 habe sich der Ag per Fax telefonisch gemeldet und geäußert, er habe eine andere rechtliche Auffassung und werde weiterhin Versicherte auch ohne Vertrag versorgen. Die betroffenen Versicherten seien derzeit teilweise noch nicht bekannt, ihre Zahl wachse aber. Sollte der Ag mit seinem Verhalten durchdringen, sei das Sachleistungssystem als Ganzes gefährdet, weil dann auch andere Hilfsmittellieferanten geneigt sein könnten, das Sachleistungssystem zu verlassen. Alle Versicherten, die gutgläubig beim Ag Schuhe oder Schuhzurichtungen als Kassenleistung in Auftrag gegeben hätten oder geben werden, würden fortlaufend mit Rechnungen und Mahnungen überzogen, die offensichtlich rechtswidrig seien. Sollten Versicherte auf die Rechnungen und Mahnungen bezahlen, hätten sie ihr gegenüber keinen Kostenerstattungsanspruch und würden dauerhaft in ihrem Vermögen geschädigt. Es werden durch den Ag also in jedem Einzelfall bereits vollendete Tatsachen geschaffen. Diese durch den Ag verursachten Vermögensverletzungen der Versicherten würden ihr auch in der Außenwirkung zugerechnet, weil der Ag sie durch das verwendete Schreiben an die Kunden für diese Verletzungen des Sachleistungsprinzips verantwortlich mache.

Die Ast beantragt noch (Schriftsatz vom 16.04.2014),

den Ag vorläufig zu verpflichten, es zu unterlassen,

a) vertragsärztliche Verordnungen bzw. Bescheinigungen von Krankenhäusern oder anderen medizinischen Einrichtungen von Versicherten der Ast für Hilfsmittel der Produktgruppen 02, 05, 08, 10, 23 und 31 (incl. Beratung und Reparaturen) anzunehmen, soweit und solange er hierüber keinen Versorgungsvertrag mit der Ast abgeschlossen hat,

b) Hilfsmittel der Produktgruppen 02, 05, 08, 10, 23 und 31 an Versicherte der Ast abzugeben, die diese durch Vorlage einer vertragsärztlichen Verordnung bzw. Bescheinigung eines Krankenhauses oder einer anderen medizinischen Einrichtung als Sachleistung im Sinne des SGB V beziehen wollen,

c) den Versicherten der Ast die unter a) und b) benannten Hilfsmittel und weitere in diesem Zusammenhang erbrachte Leistungen in Rechnung zu stellen,

für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen diese Unterlassungsverpflichtungen Ordnungsgeld bis zu einer in das Ermessen des Gerichts gestellten Höhe, ersatzweise Ordnungshaft in entsprechender Höhe im Falle der Nichtbeitreibbarkeit, festzusetzen.

Demgegenüber beantragt der Ag,

den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Zur Begründung trägt der Ag mit Schriftsätzen vom 26.02.2014, 12.03.2014, 31.03.2014, 25.04.2014 und 07.05.2014 insbesondere vor, dass der Antrag auf Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung weder zulässig noch begründet sei.

Er sei Mitglied der Orthopädie-Schuhtechniker Innung, die mit der Ast einen Rahmenvertrag abgeschlossen habe, der allerdings durch diese gegenüber der Innung bereits im Jahr 2008 gekündigt worden sei. Faktisch sei dieser Rahmenvertrag jedoch durch die Ast und die zuständige Innung weitergeführt worden, jedenfalls habe Einigkeit bestanden, dass die Konditionen dieses Rahmenvertrags weiter gelten sollten, bis ein neuer Vertrag mit den Leistungserbringern geschlossen werde. Dieser neue Vertrag sei zwischen der Ast und der Orthopädie-Schuhtechniker Innung B. für die Zeit ab dem 01.05.2013 geschlossen worden. Unstreitig sei er, der dem früheren Vertrag im Jahr 1995 beigetreten sei, dem neuen Vertragsverhältnis, beginnend ab 01.05.2013, nicht beigetreten. Zwischen der Ast und ihm bestehe somit keine vertragliche Beziehung.

Am 29.04.2013 habe ihm die Kundin H. H., die Mitglied der Ast sei, ein Rezept vom 29.04.2013 vorgelegt. Aufgrund dieses Rezepts habe er die verordneten Leistungen gefertigt und diese Leistung mit seiner Mai-Abrechnung 2013 über eine Abrechnungsgesellschaft mit der Ast abgerechnet. Zunächst sei der abgerechnete Betrag von der Ast ordnungsgemäß ausbezahlt worden. Erst am 20.07.2013 sei der Betrag bezüglich H. H. ihm gegenüber zurückbelastet worden mit der Begründung, er sei kein Vertragspartner. Erstmals an diesem Tage habe er erfahren, dass die Ast nicht bereit sei, die von ihm eingereichten Rechnungen zu begleichen. Bis zum 20.07.2013 habe er ca. 20 Mitglieder der Ast mit Hilfsmitteln aufgrund der ihm vorgelegten Rezepte versorgt. Diese Rezepte seien dann durch die Ast nach dem 20.07.2013 an ihn zurückgeschickt worden mit dem Hinweis, dass er kein Vertragspartner der Ast sei. Zu diesem Zeitpunkt habe er die Leistungen bereits aufgrund der vorgelegten - nicht genehmigungspflichtigen Rezepte - erbracht und daraufhin an seine sämtlichen Kunden unter dem 25.10.2013 die Rechnungen verschickt. Hierbei habe es sich um Leistungen gehandelt, die er ausschließlich im Zeitraum vom 01.05. bis 20.07.2013 auf der Basis des ursprünglichen Vertrages erbracht habe einschließlich der in diesem Vertrag vereinbarten Preise. Er habe sämtliche zurückgeschickten Original-Rezepte und Rechnungen zusammen jeweils am 25.10.2013 seinen Kunden zurückgeschickt, inklusive seiner Rechnung, damit diese die Aufwendungen gegenüber der Ast geltend machen könnten. Die Ast habe weder ihre Mitglieder von den Rechnungen freigestellt, noch ihren Mitgliedern Kosten erstattet. Vielmehr habe die Ast ihren Mitgliedern gegenüber sich dahingehend geäußert, dass sie seine Rechnungen nicht bezahlen sollten. Aufgrund eines Rezepts vom 20.06.2003 habe er bei G. V. an einem Paar Schuhe Schuherhöhungen von 2 cm gefertigt. Er habe G. V. seine Tätigkeit persönlich in Rechnung gestellt, allerdings nur auf der Basis des vereinbarten Kassensatzes. Nachdem er am 20.07.2013 durch Rückbelastung seiner Rechnung bezüglich seiner Kundin H. H. zur Kenntnis genommen habe, dass die Ast keinerlei Leistungen an ihn mehr abrechne, habe er seine Kunden ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Ast mit ihm nicht mehr abrechne, solange mit ihm kein Vertrag zu den Bedingungen der Ast bestehe. Seit dem 20.07.2013 habe er kein Rezept der Ast mehr angenommen und abgerechnet, wohl aber Privatleistungen an Mitglieder der Ast erbracht sowie konkrete Kostenvoranschläge geschrieben und eingereicht. So habe er hinsichtlich seines Kunden E. E., Mitglied der Ast, unter dem 17.01.2014 einen Kostenvoranschlag bei der Ast eingereicht, der in modifizierter Weise von der Ast auch unter dem 24.01.2014 genehmigt worden sei. Entgegen der Darstellung der Ast liefen derzeit immer noch Vertragsverhandlungen zwischen ihm und der Ast über den Abschluss eines Vertrages im Sinne von § 126 SGB V.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sei unzulässig, da die Voraussetzungen des § 86 b Abs. 2 S. 1 und 2 SGG nicht vorlägen und darüber hinaus der Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache wäre. Hinsichtlich der Ziffer 1 des Antrags sei kein Recht der Ast in Gefahr, zumal diese sich bekanntlich seit dem 20.07.2013 weigere, Versicherungsleistungen an ihn auszubezahlen. Auch hinsichtlich der Ziffer 2 des Antrags sei kein Recht der Ast in Gefahr. Vielmehr seien deren Versicherte mit Hilfsmitteln versorgt, wobei hier die Frage der Vergütung im Rahmen eines Hauptsacheprozesses jederzeit geklärt werden könne. Auch beim dritten Antrag sei kein Recht der Ast in Gefahr, das vereitelt werden könnte, da auch dieser Komplex im Wege eines Hauptsacheprozesses geklärt werden könne und auch geklärt werden müsse. Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung seien auch gemäß § 86 b Abs. 2 S. 2 SGG unzulässig. Es liege kein streitiges Rechtsverhältnis zwischen den Parteien zugrunde, sondern überhaupt kein Rechtsverhältnis, wie die Ast selbst vortrage, da - unstreitig - der ursprüngliche Vertrag zum 30.04.2013 geendet habe.

Die Ast meine offensichtlich, er sei ihm Rahmen der §§ 126 ff. SGB V verpflichtet, mit ihr einen Vertrag abzuschließen, konkreter gesagt, einen Vertrag zu ihren Bedingungen. Wäre die Rechtsauffassung der Ast richtig, so könne diese massiv in sein Grundrecht gemäß Art. 12 Grundgesetz (GG) auf freie Berufsausübung eingreifen.

Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung seien darüber hinaus auch unbegründet. Der von der Ast geltend gemachte Anspruch scheitere bereits daran, dass § 126 Abs. 1 S. 1 SGB V kein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB sei und darüber hinaus kein Verstoß gegen § 126 Abs. 1 S. 1 SGB V vorliege. Die Annahme einer ärztlichen Verordnung, die Abgabe von Hilfsmitteln und Abrechnung derartiger Hilfsmittel stellten keine Verletzungshandlungen dar, die in irgendeiner Weise Schadensersatzansprüche der Ast auslösen könnten. Letztendlich regele das SGB V die Rechtsverhältnisse in und um die gesetzliche Krankenversicherung, jedenfalls nicht das Schadensersatzrecht.

Dies scheine selbst die Ast so zu sehen, da sie zutreffend ausführe, dass § 126 Abs. 1 SGB V nicht ein Verbot der Abgabe von Hilfsmitteln durch Nicht-Vertragspartner formuliere. Allerdings sei die weitere Rechtsauffassung der Ast, dass ohne diese Verträge nicht versorgt werden dürfe, falsch und durch das Gesetz selbst widerlegt. Nachdem unstreitig zwischen den Parteien kein Vertragsverhältnis bestehe, sei er jederzeit berechtigt, im Rahmen des § 127 Abs. 3 S. 1 SGB V Leistungen zu erbringen und andererseits die Ast verpflichtet, Einzelfallentscheidungen über die erfolgte Leistung zu treffen. Die Argumentation der Ast, wonach § 127 Abs. 3 SGB V den Leistungserbringer ohne Vertrag "jedoch gerade nicht ( ... berechtigt ...), jede vertragsärztliche Verordnung anzunehmen", sei vom Gesetzeswortlaut nicht gedeckt. Hier sei darüber hinaus zu bedenken, dass es sich nach dem eigenen Sachvortrag der Ast lediglich - noch - um die Fälle der Versicherten G. V. und B. handele, sodass hier nicht von einer generellen Handhabung des § 127 Abs. 3 SGB V auszugehen sei, sondern tatsächlich von Einzelfällen. Die Berechtigung, nach § 127 Abs. 3 S. 1 SGB V Leistungen zu erbringen, setze zwingend voraus, dass er berechtigt sein müsse, vertragsärztliche Verordnungen anzunehmen, Hilfsmittel abzugeben und Hilfsmittel gegenüber der Ast im Rahmen von Einzelfallentscheidungen zu berechnen, was andererseits wieder mit dem Recht des Mitglieds der Ast gemäß § 13 Abs. 2 S. 1 SGB V korrespondiere, wonach der Versicherte anstelle der Sach- oder Dienstleistung Kostenerstattung wählen könne. Dem stehe auch nicht die Bestimmung des § 13 Abs. 3 SGB V entgegen. Hierbei handele es sich um einen völlig anderen Fall, der die objektive Nichtprüfbarkeit einer Leistung im Voraus betreffe bzw. eine schuldhafte Ablehnung der Leistung durch die gesetzliche Krankenversicherung. Herangezogen werden könnte allerdings im Wege der Analogie § 13 Abs. 4 SGB V zu Gunsten der Versicherten der Ast, sich vom Orthopädieschuhmacher ihres Vertrauens, bei dem sie jahrelanger Kunde gewesen seien, versorgen zu lassen. Wenn schon Versicherte im Ausland sich bei Leistungserbringern behandeln/versorgen lassen dürften, die keinen Vertrag mit der jeweiligen gesetzlichen Krankenversicherung hätten, so müsse das Mitglied, das einen inländischen Leistungserbringer mit der Durchführung der verordneten Leistung beauftrage, auch das Recht haben, einen solchen zu wählen, unabhängig davon, ob dieser mit der jeweiligen gesetzlichen Krankenversicherung einen Vertrag habe oder nicht.

Letztendlich fehle es auch an einem Verfügungsgrund für die beantragte einstweilige Anordnung. In der Zeit zwischen dem Schreiben vom 06.11.2013, mit dem er aufgefordert worden sei, eine Unterlassungserklärung abzugeben, und dem Schreiben vom 06.02.2014 mit einer entsprechenden Aufforderung wäre jederzeit Zeit und Gelegenheit gewesen, ein Hauptsacheverfahren einzuleiten. Dies sei erkennbar nicht geschehen. Auch sei nicht absehbar, ob bzw. wann ein derartiges Hauptsacheverfahren eingeleitet werde. Offensichtlich handele es sich im vorliegenden Verfahren lediglich um einen "Versuchsballon", ob das Gericht die Rechtsauffassung der Ast teile. Ein derartiges Verhalten sehe das Gesetz jedenfalls nicht vor.

Eine Anspruchsgrundlage für die beantragte einstweilige Anordnung sei nicht ersichtlich. Die Funktionsfähigkeit des Sachleistungssystems des SGB V sei durch sein Verhalten nicht gefährdet. Ganz abgesehen davon, dass er seine Rechte gegenüber der Ast als Teilsozialsystems wahrnehme, habe sein Verhalten keine messbare Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Sozialsystems zur Folge. Zum Zeitpunkt der Annahme der ärztlichen Verordnung durch ihn im Fall H. H. habe das Vertragsverhältnis noch gegolten. Ob dieses irgendwann einmal später weggefallen sei oder geendet habe, sei hier nicht relevant. Nach wie vor bestehe zwischen ihm und der Ast ein - zumindest faktisches - Vertragsverhältnis. Er habe persönlich niemals eine Kündigung des bestehenden Vertrags erhalten, allerdings ergebe sich aus der Handhabung zwischen der Ast und den Leistungserbringern, dass - solange kein neuer Vertrag zustande gekommen sei - der ursprüngliche Vertragszustand weiterhin so gehandhabt werde.

Abschließend sei noch darauf hinzuweisen, dass die Regelungen aus dem Hilfsmittelverzeichnis Produktgruppe 08 und 23 (Einlage und Kompressionsstrümpfe) bundeseinheitlich im Rahmen eines Festpreises geregelt seien, sodass sämtliche Kassen im Bundesgebiet für diese Hilfsmittel die gleichen Festpreise bezahlten. Nur bei Bandagen und Schuhen bzw. Schuhzurichtungen gebe es insoweit keine bundeseinheitliche Regelung. Hier seien Preise Verhandlungssache. Dies bedeute letztlich, dass ein Kunde, der z. B. bei der AOK B.-W. versichert sei, hier ohne Probleme die Kosten für die Schuhe und Schuhzurichtungen von seiner Krankenkasse bezahlt bekomme. Er habe auch kein Problem damit, Mitglieder der Ast im Einzelfall Kostenvoranschläge zur Vorlage und Genehmigung bei der Ast vorzulegen. Jedenfalls sehe er keinen generellen Anspruch der Ast, dass er derartige Kunden wegschicke, zumal die Kunden erst nach erfolgter Beratung mitteilten, bei welcher Krankenkasse sie versichert seien.

Das Gericht hat die Akten der Ast (Band I und II) beigezogen. Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten und der Gerichtsakte verwiesen.

Rechtsweg:

LSG Bayern vom 22.08.2014 - L 4 KR 300/14 B ER

Quelle:

Sozialgerichtsbarkeit BRD

Tenor:

I. Der Antragsgegner wird vorläufig verpflichtet, es zu unterlassen,

1. vertragsärztliche Verordnungen bzw. Bescheinigungen von Krankenhäusern oder anderen medizinischen Einrichtungen von Versicherten der Antragstellerin für Hilfsmittel der Produktgruppen 02, 05, 08, 10, 23 und 31 (incl. Beratung und Reparaturen) anzunehmen, soweit und solange er hierüber keinen Versorgungsvertrag mit der Antragstellerin abgeschlossen hat,

2. Hilfsmittel der Produktgruppen 02, 05, 08, 10, 23 und 31 an Versicherte der Antragstellerin abzugeben, die diese durch Vorlage einer vertragsärztlichen Verordnung bzw. Bescheinigung eines Krankenhauses oder einer anderen medizinischen Einrichtung als Sachleistung im Sinne des SGB V beziehen wollen, soweit und solange er hierüber keinen Versorgungsvertrag mit der Antragstellerin abgeschlossen hat,

3. den Versicherten der Antragstellerin die unter 1. und 2. benannten Hilfsmittel und weitere in diesem Zusammenhang erbrachte Leistungen in Rechnung zu stellen.

II. Für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Anordnungen unter I Ziffern 1. bis 3. wird dem Antragsgegner ein Ordnungsgeld bis zu 10.000,00 Euro und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft bis zu sechs Monaten angedroht.

III. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

IV. Der Streitwert des Verfahrens wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.


Gründe:

I.

Der Antragsgegner (Ag) ist Orthopädieschuhmachermeister. Am 13.02.2014 stellte die Antragstellerin (Ast) beim Sozialgericht N. (SG) Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz.

Zur Begründung trägt die Ast mit Schriftsätzen vom 13.02.2014, 24.03.2014, 07.04.2014, 16.04.2014 und 02.05.2014 insbesondere Folgendes vor:

Mit Schreiben vom 20.05.2008 sei der Rahmenvertrag über die Versorgung der Anspruchsberechtigten der Krankenkassen durch Orthopädieschuhmacher mit der Landesinnung B. für Orthopädieschuhtechnik (mit Geltung ab 01.11.1981) gegenüber dem Ag gekündigt worden. Das Kündigungsschreiben sei nicht als unzustellbar zurückgekommen. Die Fortgeltung dieses Vertrages habe zum 30.04.2013 geendet, weil sie mit Wirkung vom 01.05.2013 einen Vertrag nach § 127 Abs. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) mit der Landesinnung B. für Orthopädieschuhtechnik über die Versorgung mit Hilfsmitteln mit der Produktgruppe 02 "Adaptionshilfen", 08 "Einlagen", 10 "Gehhilfen" und 31 "Schuhe" durch die Meisterbetriebe des Orthopädie-Schuhmacherhandwerks abgeschlossen habe. Dieser Vertrag sei als sogenannter Beitrittsvertrag auf der Internetseite der Ast "www.aok-gesundheitspartner.de" veröffentlicht worden. Der Ag sei diesem Vertrag nicht beigetreten.

Im Rahmen der üblichen Sachbearbeitung habe sie feststellen müssen, dass der Ag nach dem 30.04.2013 gleichwohl Kostenvoranschläge für Leistungen, die in diesem Vertrag geregelt seien, eingereicht habe. Genehmigungen seien nicht erteilt worden, weil kein wirksames Vertragsverhältnis im Sinne von § 126 Abs. 1 S. 1 SGB V vorgelegen habe. Im Rahmen eines Telefongesprächs (Telefonnotiz vom 04.06.2013) mit der Mitarbeiterin Frau S. habe der Ag angegeben, dass er dem Vertrag nicht beitreten werde, da er nicht über eine Iso-Zertifizierung und eine Präqualifizierung verfüge. Ein Individualvertrag werde nicht angestrebt. Nach einem nachgehenden telefonischen Kontakt, der nicht weiter aktenkundig gemacht worden sei, habe der Ag mit Schreiben vom 25.07.2013 einen von ihm entworfenen Vertrag übersandt und angekündigt, dass er die Unterzeichnung durch die Ast erwarte, ansonsten werde er die Versicherten der Ast wie Privatkunden behandeln. Daraufhin habe sie mit Schreiben vom 09.08.2013 die gesetzlichen und möglichen vertraglichen Grundlagen nochmals erläutert und deshalb eine Verhandlung über den vorgelegten Vertrag abgelehnt, jedoch Vertragsverhandlungen und die Möglichkeit des Vertragsbeitritts nach § 127 Abs. 2 a SGB V ausdrücklich aufrechterhalten. Im Oktober seien bei ihr mehrere Versicherte erschienen, die vom Ag Privatrechnungen über Hilfsmittel, die seit dem 01.05.2013 von diesem erbracht worden seien, erhalten hätten. Diesen Rechnungen habe ein Brief mit folgendem Inhalt beigelegen:

"Liebe Kundin, lieber Kunde!

Wir bedauern es sehr, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Ihre Krankenkasse ihrer Pflicht nicht nachkommt und die Abrechnung des Ihnen verordneten Hilfsmittels mit uns verweigert. Wir sehen uns deshalb gezwungen, Ihnen unsere erbrachte Leistung persönlich in Rechnung zu stellen. Selbstverständlich können Sie diese Rechnung Ihrer Krankenkasse zur Erstattung vorlegen. Für Rückfragen stehen wir Ihnen gerne persönlich oder telefonisch zur Verfügung."

Dies habe sie zum Anlass genommen, mit Schreiben vom 06.11.2013 eine Unterlassungserklärung vom Ag zu fordern. Die Unterlassungserklärung sei vom Ag nicht unterzeichnet worden. Im Nachgang zu der Aufforderung vom 06.11.2013 sei nur noch eine Rechnung bekannt, die jedoch auf den 25.10.2013 datiert gewesen sei. Sie habe daher zunächst davon abgesehen, den Unterlassungsanspruch gerichtlich geltend zu machen. Ihre Versicherten habe sie davon informiert, dass gegen sie ohne privatrechtlichen schriftlichen Vertrag ein Zahlungsanspruch nicht bestehe. Nunmehr habe die Versicherte H. H. unter dem 31.01.2014 vom Ag eine Zahlungserinnerung zur Rechnung vom 25.10.2013 erhalten. Für die Versicherte H. H. habe der Ag auf der Grundlage einer vertragsärztlichen Verordnung vom 29.04.2013 für zwei Paar Schuhe Schuherhöhungen von 4 cm gefertigt. Diese habe er mit Rechnung in Höhe von 227,36 Euro am 25.10.2013 der Versicherten persönlich in Rechnung gestellt. Mit Schreiben vom 31.01.2014 habe er die Bezahlung der Rechnung angemahnt. Daraufhin habe sich die Versicherte an sie gewandt, weil sie keine Privatleistung, sondern eine Kassenleistung gewünscht habe. Diese Zahlungserinnerung habe sie zum Anlass genommen, mit Schreiben vom 06.02.2014 erneut die Abgabe einer Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung unter Fristsetzung bis 12.02.2014 zu fordern. Die Aufforderung sei dem Ag vorab per Fax am 06.02.2014 übermittelt worden. Daraufhin habe der Ag sich telefonisch sehr emotional gegen die Aufforderung zur Unterlassung geäußert und angekündigt, weiterhin Rechnungen und Mahnungen an die Versicherten zu schreiben (Telefonnotiz vom 06.02.2014). Die Zustellung des Schreibens per Einschreiben/Rückschein sei fehlgeschlagen, weil der Ag die Annahme des Schreibens im Original verweigert habe. Eine Erklärung des Ag sei nicht bei ihr eingegangen. Für den Versicherten G. V. habe der Ag auf der Grundlage einer vertragsärztlichen Verordnung vom 20.06.2013 für ein Paar Schuhe Schuherhöhungen von 2 cm recht gefertigt. Dies habe er mit Rechnung in Höhe von 61,84 Euro am 25.10.2013 dem Versicherten persönlich in Rechnung gestellt. Mit Schreiben vom 02.12.2013 habe sie den Ag darauf hingewiesen, dass sie den Versicherten davon informiert habe, dass kein Zahlungsanspruch bestehe. Mit Schreiben vom 31.01.2014 habe der Ag die Bezahlung der Rechnung angemahnt. Daraufhin habe sich der Versicherte wiederum persönlich an sie gewandt, weil er keine Privatleistung, sondern eine Kassenleistung gewünscht habe. Ihr lägen weitere Rechnungen vom 25.10.2013 an verschiedene Versicherte vor. Es sei damit zu rechnen, dass diese auch in den nächsten Tagen Mahnungen vom Ag erhalten werden oder schon erhalten hätten und sich an sie wendeten. Mit Schriftsatz vom 26.02.2014 an das Gericht habe der Ag eingeräumt, dass er von Versicherten der Ast vertragsärztliche Verordnungen zur Versorgung annehme, obwohl er derzeit keinen Vertrag mit der Ast habe. Aus diesem Gesamtablauf sei offensichtlich, dass der Ag nicht darauf verzichten werde, Versicherten, die sich im Glauben, eine Kassenleistung zu erhalten, von ihm insbesondere mit orthopädischen Schuhen und Schuhzurichtungen versorgen ließen, Privatrechnungen zu stellen.

Der Rechtsweg zum Sozialgericht sei nach § 51 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eröffnet. Da sich der hier geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus der Weigerung, ein Vertragsverhältnis gemäß § 69 SGB V einzugehen, ableite, sei er gleichfalls dem öffentlichen Recht zugeordnet. Sollte das Gericht diese Auffassung nicht teilen, bestehe die Zuständigkeit nach § 51 Abs. 2 SGG. Die örtliche Zuständigkeit richte sich nach § 57 Abs. 1 S. 2 SGG. Anträge nach § 86 b SGG seien auch bereits vor Klageerhebung zulässig.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sei auch begründet. Der Anspruch auf Unterlassung beruhe auf der entsprechenden Anwendung des § 1004 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) i. V. m. § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 126 Abs. 1 S. 1 SGB V als Schutzgesetz für die Gewährleistung des Sachleistungsanspruchs des Versicherten und Verpflichtung der Krankenkasse im Rahmen der Hilfsmittelversorgung. Die kostenfreie Zurverfügungstellung von Hilfsmitteln als Sachleistung gehöre als Teil der Verpflichtung, Leistungen nach § 11 SGB V zu gewährleisten, zu ihren zentralen gesetzlichen Aufgaben. Mit seinem Verhalten verhindere der Ag diese Aufgabenerfüllung. Störungshandlungen seien falsche Beratung, gesetzeswidrige Versorgung und finanzielle Inanspruchnahme der Versicherten, soweit sie sich vom Ag als Kassenpatienten versorgen lassen wollten. Nach der rechtswidrigen Versorgung verweise der Ag die Versicherten auf einen Kostenerstattungsanspruch. Die Wahl der Kostenerstattung durch die Versicherten nach § 13 Abs. 2 SGB V berechtige diese weder dazu, ohne Zustimmung der Krankenkasse Leistungen bei nicht vertragsgebundenen Leistungserbringern in Anspruch zu nehmen, noch sei es möglich, die Kostenerstattung nur hinsichtlich einer bestimmten Leistung, hier hinsichtlich eines bestimmten Hilfsmittels, zu wählen. Eine Kostenerstattung nach § 13 Abs. 3 SGB V scheide für die Versicherten bei den hier in Rede stehenden Hilfsmittelversorgungen ebenfalls aus, da die Versicherten jederzeit durch die Vertragspartner der Ast zeitnah und ordnungsgemäß versorgt werden könnten. Allein schon der Hinweis des Ag an die Versicherten über die angeblich bestehenden Kostenerstattungsansprüche gegenüber der Ast sei irreführend.

§ 126 Abs. 1 SGB V solle den einzelnen Versicherten davor schützen, von Lieferanten Leistungen zu erhalten, die keine unmittelbare Abrechnungsbefugnis mit der Krankenkasse hätten, bei der der Versicherte Mitglied sei. Mit der Versorgung durch Dritte erwerbe der Versicherte keinen Sachleistungsanspruch gegenüber seiner Krankenkasse, sondern sehe sich zunächst behaupteten, für ihn unübersehbaren Zahlungsaufforderungen ausgesetzt. Die Norm solle daher unmittelbar die Versicherten vor unberechtigten Forderungen und vor Störungen des gesetzlich im Rahmen der Hilfsmittelversorgung regelhaft vorgegebenen Sachleistungssystems schützen. Daneben solle sie aber auch die Krankenkassen davor schützen, mit unberechtigten Leistungsanforderungen sowohl von Lieferanten als auch von Versicherten überhäuft zu werden. Verträge nach § 127 SGB V hätten neben der Funktion, den Zugang zum Sachleistungssystem zu verschaffen, auch den Sinn, die Versorgung im Massengeschäft der Leistungsbewilligung und -gewährung so zu strukturieren, dass Versicherte die Leistungen schnell und in der gebotenen Qualität unter Beachtung auch formaler Anforderungen sowie des Datenschutzes erhalten könnten und deren Abrechnung den Anforderungen der §§ 284 ff SGB V entsprächen. Zwar sei § 126 Abs. 1 SGB V nicht als Verbot der Abgabe von Hilfsmitteln durch Nichtvertragspartner formuliert. Er enthalte jedoch die Formulierung, dass nur auf der Grundlage von Verträgen nach § 127 SGB V versorgt werden dürfe. Damit sei gleichzeitig auch die Aussage verbunden, dass ohne diese Verträge nicht versorgt werden dürfe. Es handele sich also um eine Verbotsnorm im Sinne des § 134 BGB.

§ 127 Abs. 3 SGB V enthalte keine generelle Erlaubnis, dass sich Leistungserbringer ohne vertragliche Bindung an der Versorgung gesetzlich Versicherter mit Hilfsmitteln beteiligten dürften, sondern erlaube lediglich in dem besonderen Fall, dass eine Versorgung durch vertraglich gebundene Leistungserbringer nicht möglich oder zumutbar sei, eine Vereinbarung im Einzelfall mit einem Leistungserbringer. Dies berechtige Leistungserbringer ohne Vertrag jedoch gerade nicht, jede vertragsärztliche Verordnung anzunehmen, die Versicherten zu versorgen und - wenn die Krankenkasse die Abrechnung mangels Vertrags oder Einzelfallvereinbarung verweigere - die Kosten von den Versicherten zu verlangen. Die Versorgung der Versicherten sei durch die bestehenden Verträge nach § 127 Abs. 2 SGB V vollumfänglich abgesichert, außerdem sei die Versorgung der Versicherten durch Vertragspartner in einer für sie zumutbaren Weise möglich, sodass hier eine Einzelfallentscheidung nach § 127 Abs. 3 SGB nicht in Betracht kommen könne. Da der Ag keinen Vertrag nach § 127 Abs. 2 SGB V oder § 127 Abs. 2 a SGB V mit ihr abgeschlossen habe, habe er die Verpflichtung, den Versicherten mitzuteilen, dass er eine kostenfreie Versorgung auf die vertragsärztliche Verordnung nicht leisten dürfe. Stattdessen nehme er Verordnungen von Versicherten entgegen und stelle im Nachgang an die Versicherten Privatrechnungen. Hilfsmittel dürften jedoch nur von Vertragspartnern abgegeben werden, dem Ag als Nichtvertragspartner sei dies verboten. Dabei begründe der Ag weder mit den Versicherten noch mit der Ast Vertragsbeziehungen. Dies scheitere schon daran, dass der Versicherte keinen Rechtsbindungswillen habe. Unterstelle man diesen Willen, seien etwaig geschlossene Verträge gleichwohl nichtig, weil sie gegen ein gesetzliches Verbot verstießen.

Zwar seien für die Produktgruppen 08 "Einlagen" und 17 (nicht 23) "Kompressionshilfen" Festbeträge (nicht Festpreise) gemäß § 36 SGB V vom GKV-Spitzenverband festgesetzt worden. Festbeträge seien allerdings lediglich die Preisobergrenze und könnten in Verträgen nach § 127 SGB V jederzeit unterschritten werden (vgl. § 127 Abs. 4 SGB V). Festbeträge selbst stellten keine vertragliche Regelung dar. Auch für festbetragsgeregelte Produkte sei eine Versorgung der Versicherten gem. § 126 Abs. 1 SGB V nur auf der Grundlage von Verträgen nach § 127 SGB V möglich.

Ein Anordnungsgrund sei gleichfalls gegeben, weil ein Zuwarten auf eine Entscheidung der Hauptsache nicht zumutbar sei. Hinsichtlich der Rechtsverletzungen drohe Wiederholungsgefahr. Dem Ag sei bereits seit dem 26.03.2013 bekannt, dass ab 01.05.2013 ein neuer Vertrag für die Versorgung der Versicherten der Ast gelten werde. Hierüber sei der Ag mittels Rundschreiben der Landesinnung B. für Orthopädie-Schuhtechnik informiert worden. Zum Zeitpunkt der Annahme der ärztlichen Verordnung für die Versicherte H. H. sei dem Ag also bekannt gewesen, dass er - soweit er die Verordnung nicht vor dem 01.05.2013 ausführen könne - ohne Vertrag nicht mehr abrechnen könne. Im Mai und im Juni 2013 hätten Mitarbeiter der Ast mehrfach Kontakt mit dem Ag gehabt, um den Beitritt zu den bestehenden Verträgen zu klären. Gleichfalls im Juli 2013 habe der Ag mindestens eine Mitteilung zu einem Kostenvoranschlag für orthopädische Zurichtungen an Konfektionsschuhen erhalten, dass eine Genehmigung mangels Vertrags nicht erteilt werden könne (vgl. Gesprächsnotiz vom 04.06.2013). Nach Zugang des Schreibens der Ast vom 06.02.2014 habe sich der Ag per Fax telefonisch gemeldet und geäußert, er habe eine andere rechtliche Auffassung und werde weiterhin Versicherte auch ohne Vertrag versorgen. Die betroffenen Versicherten seien derzeit teilweise noch nicht bekannt, ihre Zahl wachse aber. Sollte der Ag mit seinem Verhalten durchdringen, sei das Sachleistungssystem als Ganzes gefährdet, weil dann auch andere Hilfsmittellieferanten geneigt sein könnten, das Sachleistungssystem zu verlassen. Alle Versicherten, die gutgläubig beim Ag Schuhe oder Schuhzurichtungen als Kassenleistung in Auftrag gegeben hätten oder geben werden, würden fortlaufend mit Rechnungen und Mahnungen überzogen, die offensichtlich rechtswidrig seien. Sollten Versicherte auf die Rechnungen und Mahnungen bezahlen, hätten sie ihr gegenüber keinen Kostenerstattungsanspruch und würden dauerhaft in ihrem Vermögen geschädigt. Es werden durch den Ag also in jedem Einzelfall bereits vollendete Tatsachen geschaffen. Diese durch den Ag verursachten Vermögensverletzungen der Versicherten würden ihr auch in der Außenwirkung zugerechnet, weil der Ag sie durch das verwendete Schreiben an die Kunden für diese Verletzungen des Sachleistungsprinzips verantwortlich mache.


Die Ast beantragt noch (Schriftsatz vom 16.04.2014),

den Ag vorläufig zu verpflichten, es zu unterlassen,

a) vertragsärztliche Verordnungen bzw. Bescheinigungen von Krankenhäusern oder anderen medizinischen Einrichtungen von Versicherten der Ast für Hilfsmittel der Produktgruppen 02, 05, 08, 10, 23 und 31 (incl. Beratung und Reparaturen) anzunehmen, soweit und solange er hierüber keinen Versorgungsvertrag mit der Ast abgeschlossen hat,

b) Hilfsmittel der Produktgruppen 02, 05, 08, 10, 23 und 31 an Versicherte der Ast abzugeben, die diese durch Vorlage einer vertragsärztlichen Verordnung bzw. Bescheinigung eines Krankenhauses oder einer anderen medizinischen Einrichtung als Sachleistung im Sinne des SGB V beziehen wollen,

c) den Versicherten der Ast die unter a) und b) benannten Hilfsmittel und weitere in diesem Zusammenhang erbrachte Leistungen in Rechnung zu stellen,

für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen diese Unterlassungsverpflichtungen Ordnungsgeld bis zu einer in das Ermessen des Gerichts gestellten Höhe, ersatzweise Ordnungshaft in entsprechender Höhe im Falle der Nichtbeitreibbarkeit, festzusetzen.


Demgegenüber beantragt der Ag,

den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Zur Begründung trägt der Ag mit Schriftsätzen vom 26.02.2014, 12.03.2014, 31.03.2014, 25.04.2014 und 07.05.2014 insbesondere vor, dass der Antrag auf Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung weder zulässig noch begründet sei.

Er sei Mitglied der Orthopädie-Schuhtechniker Innung, die mit der Ast einen Rahmenvertrag abgeschlossen habe, der allerdings durch diese gegenüber der Innung bereits im Jahr 2008 gekündigt worden sei. Faktisch sei dieser Rahmenvertrag jedoch durch die Ast und die zuständige Innung weitergeführt worden, jedenfalls habe Einigkeit bestanden, dass die Konditionen dieses Rahmenvertrags weiter gelten sollten, bis ein neuer Vertrag mit den Leistungserbringern geschlossen werde. Dieser neue Vertrag sei zwischen der Ast und der Orthopädie-Schuhtechniker Innung B. für die Zeit ab dem 01.05.2013 geschlossen worden. Unstreitig sei er, der dem früheren Vertrag im Jahr 1995 beigetreten sei, dem neuen Vertragsverhältnis, beginnend ab 01.05.2013, nicht beigetreten. Zwischen der Ast und ihm bestehe somit keine vertragliche Beziehung.

Am 29.04.2013 habe ihm die Kundin H. H., die Mitglied der Ast sei, ein Rezept vom 29.04.2013 vorgelegt. Aufgrund dieses Rezepts habe er die verordneten Leistungen gefertigt und diese Leistung mit seiner Mai-Abrechnung 2013 über eine Abrechnungsgesellschaft mit der Ast abgerechnet. Zunächst sei der abgerechnete Betrag von der Ast ordnungsgemäß ausbezahlt worden. Erst am 20.07.2013 sei der Betrag bezüglich H. H. ihm gegenüber zurückbelastet worden mit der Begründung, er sei kein Vertragspartner. Erstmals an diesem Tage habe er erfahren, dass die Ast nicht bereit sei, die von ihm eingereichten Rechnungen zu begleichen. Bis zum 20.07.2013 habe er ca. 20 Mitglieder der Ast mit Hilfsmitteln aufgrund der ihm vorgelegten Rezepte versorgt. Diese Rezepte seien dann durch die Ast nach dem 20.07.2013 an ihn zurückgeschickt worden mit dem Hinweis, dass er kein Vertragspartner der Ast sei. Zu diesem Zeitpunkt habe er die Leistungen bereits aufgrund der vorgelegten - nicht genehmigungspflichtigen Rezepte - erbracht und daraufhin an seine sämtlichen Kunden unter dem 25.10.2013 die Rechnungen verschickt. Hierbei habe es sich um Leistungen gehandelt, die er ausschließlich im Zeitraum vom 01.05. bis 20.07.2013 auf der Basis des ursprünglichen Vertrages erbracht habe einschließlich der in diesem Vertrag vereinbarten Preise. Er habe sämtliche zurückgeschickten Original-Rezepte und Rechnungen zusammen jeweils am 25.10.2013 seinen Kunden zurückgeschickt, inklusive seiner Rechnung, damit diese die Aufwendungen gegenüber der Ast geltend machen könnten. Die Ast habe weder ihre Mitglieder von den Rechnungen freigestellt, noch ihren Mitgliedern Kosten erstattet. Vielmehr habe die Ast ihren Mitgliedern gegenüber sich dahingehend geäußert, dass sie seine Rechnungen nicht bezahlen sollten. Aufgrund eines Rezepts vom 20.06.2003 habe er bei G. V. an einem Paar Schuhe Schuherhöhungen von 2 cm gefertigt. Er habe G. V. seine Tätigkeit persönlich in Rechnung gestellt, allerdings nur auf der Basis des vereinbarten Kassensatzes. Nachdem er am 20.07.2013 durch Rückbelastung seiner Rechnung bezüglich seiner Kundin H. H. zur Kenntnis genommen habe, dass die Ast keinerlei Leistungen an ihn mehr abrechne, habe er seine Kunden ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Ast mit ihm nicht mehr abrechne, solange mit ihm kein Vertrag zu den Bedingungen der Ast bestehe. Seit dem 20.07.2013 habe er kein Rezept der Ast mehr angenommen und abgerechnet, wohl aber Privatleistungen an Mitglieder der Ast erbracht sowie konkrete Kostenvoranschläge geschrieben und eingereicht. So habe er hinsichtlich seines Kunden E. E., Mitglied der Ast, unter dem 17.01.2014 einen Kostenvoranschlag bei der Ast eingereicht, der in modifizierter Weise von der Ast auch unter dem 24.01.2014 genehmigt worden sei. Entgegen der Darstellung der Ast liefen derzeit immer noch Vertragsverhandlungen zwischen ihm und der Ast über den Abschluss eines Vertrages im Sinne von § 126 SGB V.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sei unzulässig, da die Voraussetzungen des § 86 b Abs. 2 S. 1 und 2 SGG nicht vorlägen und darüber hinaus der Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache wäre. Hinsichtlich der Ziffer 1 des Antrags sei kein Recht der Ast in Gefahr, zumal diese sich bekanntlich seit dem 20.07.2013 weigere, Versicherungsleistungen an ihn auszubezahlen. Auch hinsichtlich der Ziffer 2 des Antrags sei kein Recht der Ast in Gefahr. Vielmehr seien deren Versicherte mit Hilfsmitteln versorgt, wobei hier die Frage der Vergütung im Rahmen eines Hauptsacheprozesses jederzeit geklärt werden könne. Auch beim dritten Antrag sei kein Recht der Ast in Gefahr, das vereitelt werden könnte, da auch dieser Komplex im Wege eines Hauptsacheprozesses geklärt werden könne und auch geklärt werden müsse. Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung seien auch gemäß § 86 b Abs. 2 S. 2 SGG unzulässig. Es liege kein streitiges Rechtsverhältnis zwischen den Parteien zugrunde, sondern überhaupt kein Rechtsverhältnis, wie die Ast selbst vortrage, da - unstreitig - der ursprüngliche Vertrag zum 30.04.2013 geendet habe.

Die Ast meine offensichtlich, er sei ihm Rahmen der §§ 126 ff. SGB V verpflichtet, mit ihr einen Vertrag abzuschließen, konkreter gesagt, einen Vertrag zu ihren Bedingungen. Wäre die Rechtsauffassung der Ast richtig, so könne diese massiv in sein Grundrecht gemäß Art. 12 Grundgesetz (GG) auf freie Berufsausübung eingreifen.

Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung seien darüber hinaus auch unbegründet. Der von der Ast geltend gemachte Anspruch scheitere bereits daran, dass § 126 Abs. 1 S. 1 SGB V kein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB sei und darüber hinaus kein Verstoß gegen § 126 Abs. 1 S. 1 SGB V vorliege. Die Annahme einer ärztlichen Verordnung, die Abgabe von Hilfsmitteln und Abrechnung derartiger Hilfsmittel stellten keine Verletzungshandlungen dar, die in irgendeiner Weise Schadensersatzansprüche der Ast auslösen könnten. Letztendlich regele das SGB V die Rechtsverhältnisse in und um die gesetzliche Krankenversicherung, jedenfalls nicht das Schadensersatzrecht.

Dies scheine selbst die Ast so zu sehen, da sie zutreffend ausführe, dass § 126 Abs. 1 SGB V nicht ein Verbot der Abgabe von Hilfsmitteln durch Nicht-Vertragspartner formuliere. Allerdings sei die weitere Rechtsauffassung der Ast, dass ohne diese Verträge nicht versorgt werden dürfe, falsch und durch das Gesetz selbst widerlegt. Nachdem unstreitig zwischen den Parteien kein Vertragsverhältnis bestehe, sei er jederzeit berechtigt, im Rahmen des § 127 Abs. 3 S. 1 SGB V Leistungen zu erbringen und andererseits die Ast verpflichtet, Einzelfallentscheidungen über die erfolgte Leistung zu treffen. Die Argumentation der Ast, wonach § 127 Abs. 3 SGB V den Leistungserbringer ohne Vertrag "jedoch gerade nicht ( ... berechtigt ...), jede vertragsärztliche Verordnung anzunehmen", sei vom Gesetzeswortlaut nicht gedeckt. Hier sei darüber hinaus zu bedenken, dass es sich nach dem eigenen Sachvortrag der Ast lediglich - noch - um die Fälle der Versicherten G. V. und B. handele, sodass hier nicht von einer generellen Handhabung des § 127 Abs. 3 SGB V auszugehen sei, sondern tatsächlich von Einzelfällen. Die Berechtigung, nach § 127 Abs. 3 S. 1 SGB V Leistungen zu erbringen, setze zwingend voraus, dass er berechtigt sein müsse, vertragsärztliche Verordnungen anzunehmen, Hilfsmittel abzugeben und Hilfsmittel gegenüber der Ast im Rahmen von Einzelfallentscheidungen zu berechnen, was andererseits wieder mit dem Recht des Mitglieds der Ast gemäß § 13 Abs. 2 S. 1 SGB V korrespondiere, wonach der Versicherte anstelle der Sach- oder Dienstleistung Kostenerstattung wählen könne. Dem stehe auch nicht die Bestimmung des § 13 Abs. 3 SGB V entgegen. Hierbei handele es sich um einen völlig anderen Fall, der die objektive Nichtprüfbarkeit einer Leistung im Voraus betreffe bzw. eine schuldhafte Ablehnung der Leistung durch die gesetzliche Krankenversicherung. Herangezogen werden könnte allerdings im Wege der Analogie § 13 Abs. 4 SGB V zu Gunsten der Versicherten der Ast, sich vom Orthopädieschuhmacher ihres Vertrauens, bei dem sie jahrelanger Kunde gewesen seien, versorgen zu lassen. Wenn schon Versicherte im Ausland sich bei Leistungserbringern behandeln/versorgen lassen dürften, die keinen Vertrag mit der jeweiligen gesetzlichen Krankenversicherung hätten, so müsse das Mitglied, das einen inländischen Leistungserbringer mit der Durchführung der verordneten Leistung beauftrage, auch das Recht haben, einen solchen zu wählen, unabhängig davon, ob dieser mit der jeweiligen gesetzlichen Krankenversicherung einen Vertrag habe oder nicht.

Letztendlich fehle es auch an einem Verfügungsgrund für die beantragte einstweilige Anordnung. In der Zeit zwischen dem Schreiben vom 06.11.2013, mit dem er aufgefordert worden sei, eine Unterlassungserklärung abzugeben, und dem Schreiben vom 06.02.2014 mit einer entsprechenden Aufforderung wäre jederzeit Zeit und Gelegenheit gewesen, ein Hauptsacheverfahren einzuleiten. Dies sei erkennbar nicht geschehen. Auch sei nicht absehbar, ob bzw. wann ein derartiges Hauptsacheverfahren eingeleitet werde. Offensichtlich handele es sich im vorliegenden Verfahren lediglich um einen "Versuchsballon", ob das Gericht die Rechtsauffassung der Ast teile. Ein derartiges Verhalten sehe das Gesetz jedenfalls nicht vor.

Eine Anspruchsgrundlage für die beantragte einstweilige Anordnung sei nicht ersichtlich. Die Funktionsfähigkeit des Sachleistungssystems des SGB V sei durch sein Verhalten nicht gefährdet. Ganz abgesehen davon, dass er seine Rechte gegenüber der Ast als Teilsozialsystems wahrnehme, habe sein Verhalten keine messbare Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Sozialsystems zur Folge. Zum Zeitpunkt der Annahme der ärztlichen Verordnung durch ihn im Fall H. H. habe das Vertragsverhältnis noch gegolten. Ob dieses irgendwann einmal später weggefallen sei oder geendet habe, sei hier nicht relevant. Nach wie vor bestehe zwischen ihm und der Ast ein - zumindest faktisches - Vertragsverhältnis. Er habe persönlich niemals eine Kündigung des bestehenden Vertrags erhalten, allerdings ergebe sich aus der Handhabung zwischen der Ast und den Leistungserbringern, dass - solange kein neuer Vertrag zustande gekommen sei - der ursprüngliche Vertragszustand weiterhin so gehandhabt werde.

Abschließend sei noch darauf hinzuweisen, dass die Regelungen aus dem Hilfsmittelverzeichnis Produktgruppe 08 und 23 (Einlage und Kompressionsstrümpfe) bundeseinheitlich im Rahmen eines Festpreises geregelt seien, sodass sämtliche Kassen im Bundesgebiet für diese Hilfsmittel die gleichen Festpreise bezahlten. Nur bei Bandagen und Schuhen bzw. Schuhzurichtungen gebe es insoweit keine bundeseinheitliche Regelung. Hier seien Preise Verhandlungssache. Dies bedeute letztlich, dass ein Kunde, der z. B. bei der AOK B.-W. versichert sei, hier ohne Probleme die Kosten für die Schuhe und Schuhzurichtungen von seiner Krankenkasse bezahlt bekomme. Er habe auch kein Problem damit, Mitglieder der Ast im Einzelfall Kostenvoranschläge zur Vorlage und Genehmigung bei der Ast vorzulegen. Jedenfalls sehe er keinen generellen Anspruch der Ast, dass er derartige Kunden wegschicke, zumal die Kunden erst nach erfolgter Beratung mitteilten, bei welcher Krankenkasse sie versichert seien.

Das Gericht hat die Akten der Ast (Band I und II) beigezogen. Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten und der Gerichtsakte verwiesen.

Referenznummer:

R/R6441


Informationsstand: 10.02.2015