Die Klage ist zulässig und im Wesentlichen auch begründet.
Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Auch in Verbindung mit dem Teilanerkenntnis in der mündlichen Verhandlung vom 09.10.2015 ist der Anspruch des Klägers noch nicht erfüllt.
Der Kläger hat einen Anspruch auf Freistellung von den Kosten für die seit dem 01.01.2012 bereits entstandenen Kosten für die tägliche Versorgung mit acht Kathetern sowie acht Beuteln und die entsprechende Versorgung in der Zukunft gemäß
§ 2 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 Fünftes Buch des Sozialgesetzbuches (SGB V) und - soweit es um die Freistellung für die Vergangenheit geht - gemäß
§ 13 Abs. 3 SGB V. Diese auf die Erstattung vom Versicherten bereits gezahlten Kosten zugeschnittene Bestimmung ist bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen entsprechend anzuwenden, wenn die Verpflichtung bereits entstanden ist, der Versicherte aber noch nicht gezahlt hat. Statt einer Erstattung kann er dann die Bezahlung seiner Schuld durch den Versicherungsträger verlangen (
vgl. BSG, Urteil vom 10.02.2000 -
B 3 KR 26/99 R - JURIS-Doc., Rn. 14).
Nach § 13
Abs. 3 Satz 1
SGB V sind dem Versicherten die Kosten einer selbst beschafften Leistung in der Höhe unter anderem zu erstatten, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder die Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. Hier geht es um eine unrechtmäßige Leistungsablehnung im Sinne des § 13
Abs. 3 Satz 1. Denn der Kläger hat Anspruch auf täglich acht Katheter sowie eine entsprechende Menge Bettbeutel.
Nach § 33
Abs. 5 haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung auszugleichen, soweit diese nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen sind oder nach
§ 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind.
Katheter und Bettbeutel sind Hilfsmittel im Sinne des § 33
Abs. 1 Satz 1
SGB V, da sie hier erforderlich sind, um eine Behinderung auszugleichen. Der Kläger benötigt diese, da eine spontane Blasenentleerung nicht möglich ist. Daher muss er sich regelmäßig katheterisieren. Hierzu ist dieses Zubehör erforderlich.
Nach
§ 12 Abs. 1 SGB V müssen die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein, sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.
Gemäß
§ 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V können die Krankenkassen vor der Bewilligung von Hilfsmitteln durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) die Erforderlichkeit prüfen lassen.
Die Beklagte stützt sich hier auf die Auffassung des MDK. Dieser ist in mehreren Stellungnahmen nach Aktenlage unter Berücksichtigung der vorliegenden Unterlagen zu dem Ergebnis gelangt, dass beim intermittierenden Selbstkatheterismus das Infektionsrisiko mit der Zahl der täglichen Katheterisierungen korreliere. Gemäß Fachliteratur sei die niedrigste Infektionsrate zu erzielen, wenn zwischen vier- und sechsmal täglich aseptisch katheterisiert werde. Häufigere Katheterisierungen erhöhten das Infektionsrisiko.
Zunächst ist es so, dass die vom Kläger benannte Trinkmenge von drei bis gelegentlich vier Litern jedenfalls medizinisch nicht notwendig ist im Sinne einer Harnwegsinfektprophylaxe oder Steinmethaphylaxe. Laut der aktuellen Urolithias-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Urologie hat sich eine Trinkmenge von 2,5 Litern, die auf den Tag verteilt aufgenommen wird, als methaphylaktisch optimal herausgestellt. Im Allgemeinen wird aber schon die Trinkprophelaxe ab einer Urinmenge von 2 Litern als effizient erachtet. Des Weiteren besteht kein Beweis, dass eine extreme Harndilution das Infektionsrisiko bei Patienten, die sich selbst katheterisieren, minimiere. Dies wird im Gutachten von
Prof. Dr. W., vom 18. Juli 2014 nachvollziehbar ausgeführt (SG-Akte, Bl. 78).
Auch
Dr. E., Klinik B., gibt in seinem Befundbericht vom 25.03.2015 an, dass - rein aus medizinischen Gründen - eine größere Trinkmenge als 2,5 Liter nicht erforderlich
bzw. speziell empfohlen werde.
Allerdings besteht bei dem Kläger darüber hinaus noch ein prinzipiell komplikationsträchtiger Dauerzustand. Denn aufgrund der Einnierrigkeit traten bereits wiederholte Harnwegsinfekte auf, die zu Blasensteinen führten. Wenn durch Infektion oder Steine die zweite Niere geschädigt würde, wäre dies für den Kläger lebensbedrohlich. Deshalb ist zumindest eine große Trinkmenge als Vorbeugung für Infektion/Steinbildung medizinisch erforderlich.
Es dürfte jedoch nicht zwingend sein, dass diese täglich eine Menge von 2 ½ Litern übersteigt.
Dennoch ist davon auszugehen, dass der Kläger jedenfalls acht Katheder nebst Beuteln täglich - durchschnittlich - benötigt. Hierfür sind zwei Komponenten maßgeblich:
Zunächst ist dies das individuelle Trinkbedürfnis. Nach dem schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten von
Prof. W. kann eine erhöhte Flüssigkeitsaufnahme verschiedene Gründe haben. Einerseits können bestimmte Krankheitsbilder zu einer erhöhten Urinausscheidung führen und nachfolgend ein erhöhtes Durstgefühl verursachen, um den Flüssigkeitshaushalt auszugleichen: Diabetes mellitus, Diabetes insipidus, Cushing-Syndrom primäre Elektrolytstörungen, fortgeschrittene chronische Niereninsuffizienz mit Verlust der Urinkonzentrations- und Verdünnungsfähigkeit, Wasser-ausschwemmende Medikamente (Bioretika), vermehrter Alkoholkonsum, chronische Durchfälle, primärer Hyperaldosteronismus (Conn-Syndrom) Herzinsuffizienz mit nächtlicher Polyurie und die äußerst seltenen Bartter- und Schwartz-Bartter-Syndrome (siehe hierzu Blatt 77 SG-Akte). Zu diesen eventuellen Erkrankungen wurden im Rahmen des Gutachtens Tests durchgeführt. Danach ergab sich, dass eine pathologische Ursache für die Urinausscheidung und in der Folge die erhöhte Flüssigkeitsaufnahme nicht gegeben ist. Dies lässt den Schluss zu, dass der Kläger eben individuell ein erhöhtes Trinkbedürfnis hat. Dies führt zu Ausscheidungsmengen, die regelmäßig bei drei Litern und mehr liegen. In dem Trinkmenge-Miktionsprotokoll, welches der Kläger für die Begutachtung erstellt hatte, gab er einen Durchschnitt von 3.400 Millilitern an. Exakt prüfbar ist für das Gericht dieser Wert nicht. Zudem kam es offenbar bei dem Abgeben des Sammelurins zu einer fehlerhaften Anwendung, denn dem Kläger war wohl tatsächlich nicht klar, dass nicht nur Anteile von jedem katheterisieren, sondern die Gesamtmenge gesammelt werden sollte.
Allerdings ist auch der Urologe
Dr. E. bei einer Ausscheidung von mindestens 3.000 Millilitern von einer achtmaligen Katheter-Frequenz aus.
Letztlich geht auch der behandelnde Allgemeinmediziner
Dipl.-Med. G., davon aus, dass eine acht- bis neunmal tägliche Katheterisierung realistisch erscheine.
Es steht der Beklagten nicht zu, das Trinkbedürfnis - als ein Grundbedürfnis - zu reglementieren. Die individuelle Menschenwürde gebietet es hierzu nicht von irgendwelchen Durchschnittswerten auszugehen.
Weiterer Grund für den relativ hohen Katheter-Verbrauch wird das persönliche Sicherheitsbedürfnis des Klägers sein.
Dr. E., Klinik B., führt hierzu aus, die Einzel-Katheter-Portion sollte sich zwischen 400 und 500 Millilitern einpendeln. Scheide der Patient tatsächlich bei 3.000 Milliliter aus, wäre - was nicht realistisch ist, da für die Blasenfüllung keine Sensorik bestehe - der Verbrauch von sechs Kathetern tatsächlich ausreichend. Real sei dies nicht exakt umsetzbar, da man hier mit ständig im oberen Grenzbereich der Blasenfüllung läge. Realistisch wäre unter einer tatsächlichen Ausscheidung von 3.000 Millilitern eine achtmalige Katheter-Frequenz.
Wenn also der Kläger täglich durchschnittlich 3.415 Milliliter trinken würde, ist zudem davon auszugehen, dass - wie der Sachverständige
Prof. W. ausführt - die Flüssigkeitsausscheidung nicht nur über den Urin, sondern über Stuhlgang, Haut und vor allem Atmung erfolgt. Daraus folgt, dass die tägliche Urinmenge stets geringer ist, als die Menge der zugeführten Flüssigkeiten.
Die Beklagte ist gleichfalls nicht berechtigt, ein persönliches Sicherheitsbedürfnis des Klägers zu reglementieren. Dem steht auch nicht die Empfehlung auf eine Katheterisierungsfrequenz von vier- bis sechsmal täglich, welche die Beklagte letztlich zugrunde legt, entgegen. Allerdings ist es in der Tat so, dass die Europäische Gesellschaft für Urologie in der aktuellen Leitlinie von 2014 eine Katheterisierungsfrequenz von vier- bis sechsmal/Tag empfehle, wobei bei optimaler Frequenz von fünfmal/Tag eine Reduktion der Infektionen des unteren Harntraktes resultiere. Idealerweise solle das Harnvolumen pro Katheterisierung 400 bis 500 ml nicht übersteigen. Der Sachverständige
Prof. W. führt jedoch hierzu weiter aus, ob eine Katheterisierungsfrequenz von mehr als sechsmal/Tag das Risiko für Komplikationen, wie
z. B. Infektionen und Harnröhrenstrukturen, erhöht, ist unklar, die anamnetische Datenlage hierzu ist nicht eindeutig. Ein Anstieg der Infektionshäufigkeit liegt danach im Bereich der Vermutungen. Aufgrund der bloßen Empfehlung und Vermutung kann nicht geschlossen werden, dass die Versorgung mit acht Kathetern/Tag nicht erforderlich wäre, denn dem steht das persönliche Trinkbedürfnis und das Sicherheitsempfinden des Klägers entgegen.
Abschließend ist noch Folgendes zu sagen:
Die Kammer geht davon aus, dass der Kläger die beantragten Katheter tatsächlich verbraucht. Es wird nicht angenommen, dass er diese zu Hause lagere und / oder insbesondere weiterverkaufe.
Demnach resultiert der Verbrauch des Klägers im Wesentlichen aus seinem individuellen Trinkbedürfnis sowie seinem persönlichen Sicherheitsbedürfnis, welches auf der Grundlage von
Art. 1 und 2
Abs. 1
GG durch die Beklagte - ohne erhebliche, nachgewiesene Gründe - nicht reglementiert werden darf.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz. Sie entspricht seinem überwiegendem Obsiegen.