Urteil
Kostenübernahme für Katheter- und Bettbeutel bei erhöhten Bedarf eines querschnittsgelähmten Patienten

Gericht:

SG Dresden 47. Kammer


Aktenzeichen:

S 47 KR 105/13


Urteil vom:

09.10.2015


Tenor:

I. Der Bescheid vom 24.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.01.2013 wird abgeändert.

II. die Beklagte wird verurteilt, den Kläger ab dem 01.01.2012 - nach Maßgabe des tatsächlichen Verbrauchs - quartalsweise mit 720 Kathetern, 490 Bettbeuteln mit Auslaufschutz und 230 Bettbeuteln ohne Auslaufschutz zu versorgen

III. Soweit sich der Kläger seit dem 01.01.2012 die entsprechende Sachleistung (Ziff. 2) selbst beschafft hat, wird die Beklagte zur Erstattung der Kosten verpflichtet.

IV. Die Beklagte hat 80 % der notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

I.

Die Beteiligten streiten über die Kostenübernahme für Katheter- und Bettbeutel.

Der am 1977 geborene Kläger erlitt am 07.06.2010 im Rahmen eines Verkehrsunfalls mit seinem Motorrad eine Kompressionsfraktur BWK 6 mit Seitversatz BWK 5 gegenüber BWK 6 mit Spinalkanalstenose und Querschnittlähmung ab Th 5, eine rechtsseitige Fraktur BWK 5, eine Fraktur der Dornfortsätze BWK 3 - 5 sowie Querfortsätze des BWK 4 - 7 rechts und BWK 2, 6 und 7 links, eine Lungenkontusion, eine Rippenserienfraktur, eine offene distale Femur-Fraktur rechts, eine metakarpale Basisfraktur Digitum I rechts und eine Dissektion der rechten Ateria renalis mit Ischämie und Funktionsverlust der rechten Niere.

Im Juni/Juli 2011 befand sich der Kläger zwecks einer transurethralen Blasensteinentfernung in stationärer Behandlung im E-Klinikum in M ... Dort war lediglich eine partielle Steinentfernung möglich. Vom 29. August 2011 bis 05.10.2011 wurde er stationär in der W-W-Klinik in Bad W. behandelt. Es erfolgten die endoskopische Entfernung der Reststeine aus der Harnblase und eine intensive Physiotherapie zur Kräftigung der Muskulatur und zur Verbesserung des funktionellen Standes. Aus urologischer Sicht ist eine spontane Blasenentleerung seit dem Unfall nicht mehr möglich. Der Kläger muss sich daher regelmäßig selbst katheterisieren.

Er ist beruflich als IT-Systemelektroniker tätig und arbeitet sechs Stunden täglich an fünf Tagen pro Woche. Der Weg zur Arbeitsstelle nimmt jeweils ca. 45 Minuten in Anspruch.

Er gibt an, täglich bis ca. 3,5 Liter Flüssigkeit zu trinken.

Im November 2011 beantragte der Kläger die Versorgung mit 750 Kathetern sowie 900 Bettbeuteln (mit Auslaufventil) pro Quartal. Aufgrund der Nierenschädigung bestehe für ihn eine erhöhte Trinkmenge.

Mit Bescheid vom 24.11.2011 lehnte die Beklagte diesen Antrag teilweise ab. Die Regelversorgung liege bei 180 Kathetern und 30 wiederverwendbaren Bettbeuteln pro Monat. Leistungen, die darüber hinausgingen, würden das Maß des Notwendigen überschreiten.

Dem widersprach der Kläger am 01.12.2011. Es sei nicht möglich, einen Bettbeutel mit Ablaufventil sechsmal am Tag zu verwenden. Dies führe zu Infektionen und Entzündungen.

Seine tägliche Trinkmenge liege bei vier Litern. Um eine entsprechende Kontinenz herzustellen, bestehe ein Kathederbedarf von acht Stück täglich.

Der MDK hat hierzu am 06.03.2012 festgestellt, in den Leitlinien zur urologischen Betreuung Querschnittgelähmter werde ein intermittierender Katheterismus von vier- bis sechsmal in 24 Stunden mit einem Einzelvolumen von bis zu 400 Milliliter bei einer Ausscheidung von 1,5 bi 2 Litern in 24 Stunden empfohlen. Auch die Versorgung mit 30 Bettbeuteln á 2000 Milliliter Fassungsvermögen sei im Regelfall ausreichend.

Trotz dieser teilweisen Ablehnung bestellte der Kläger weiterhin bei der Firma Rehability, Reha-Fachhandel Katheter und Bettbeuel entsprechend seinem dargestellten Verbrauch. Die über die von der Beklagten zuerkannte Menge hinausgehenden Materialien stellte die Firma R. GmbH & Co. KG dem Kläger in Rechnung.

Der MDK führte in einer weiteren Stellungnahme vom 17.10.2012 aus, eine Trinkmenge von vier Litern pro Tag sei auf Dauer unphysiologisch und nicht medizinisch notwendig.

Entsprechend wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 24. Januar 2013 den Widerspruch als unbegründet zurück. Die tägliche Flüssigkeitszufuhr sei auf ca. 2,5 Liter pro Tag zu beschränken, was einer Katheterisierungsfrequenz von sechsmal täglich entspräche.

Hiergegen hat sich der Kläger am 25.02.2013 an das Sozialgericht Dresden gewandt. Die beantragten Katheder- und Bettbeutel würden von dem Kläger tatsächlich verbraucht und nicht aufbewahrt. Auch wenn nach Richtlinien, deren Quelle nicht bekannt sei, eine sechsmalige Katheterisierung pro Tag für ausreichend angesehen werde, könne der Kläger nicht dazu gezwungen werden, entsprechend große Intervalle einzuhalten. Er benutze täglich acht bis neun Urinkatheter mit den dazugehörigen Urinbeuteln und diese Anzahl sei für seine Bedürfnisse auch erforderlich.

Das Gericht hat Befundberichte der behandelnden Ärzte Dipl.-Med. G., Facharzt für Allgemeinmedizin, und K., Facharzt für Urologie, eingeholt. Dipl.-Med. G. führt hierzu aus, wenn durch Infektion oder durch Steine die zweite Niere geschädigt würde, sei dies für den Patienten lebensbedrohlich. Deshalb sei die große Trinkmenge als Vorbeugung für Infektionen und Steinbildung medizinisch dringend notwendig. Bei einer autonomen Blase riskiere der Patient das ungesteuerte Einnässen, wenn er sich nicht häufig selbst katheterisiere. Dies sei für einen jungen Mann unzumutbar. Acht bis neunmal Katheterisierung am Tag sei durchaus realistisch. Auch der Facharzt für Urologie führte aus, eine Trinkmenge von drei bis vier Litern täglich sei sehr wohl realistisch. Patienten mit ISK seien angehalten, reichlich zu trinken, um die Häufigkeit der Harnwegsinfekte zu reduzieren.

Schließlich hat das Gericht ein Gutachten durch Prof. Dr. med. W., Direktor der Klinik und Poliklinik für Urologie des U.-Klinikums D., eingeholt. In dem Gutachten vom 18.07.2014 führt der Sachverständige unter anderem aus: Nach dem Trinkprotokoll habe die tägliche Einfuhr zwischen 3.100 ml und 3.900 ml gelegen, also im Durchschnitt 3.415 ml. Die tägliche Ausfuhr habe zwischen 3.000 ml und 3.700 ml, durchschnittlich 3.400 ml betragen. Hieraus sei eine überdurchschnittliche Trinkmenge und entsprechend eine überdurchschnittliche Ausfuhr ersichtlich.

Bei der Abgabe des Sammelurins sei die geringe Uringesamtmenge über 24 Stunden von nur 2.000 ml auffällig, da diese nicht mit der vom Patienten mehrmals angegebenen täglichen Ausfuhr von mehr als drei Litern übereinstimme. Soweit es sich um einen Sammelfehler handle, schränke dies die Auswertung der Untersuchung erheblich ein.

Nach den durchgeführten Tests und Untersuchungen sei die Ursache der primären Polyurie durch die erhöhte Flüssigkeitsaufnahme zu erklären. Bei ISK (intermittierender Selbstkatheterismus). Laut aktueller Urolithiasis-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Urologie hat sich eine Trinkmenge von 2,5 Litern, die über den ganzen Tag verteilt aufgenommen wird, als methaphylaktisch optimal herausgestellt. Es bestehe kein Beweis, dass eine extreme Harndilution das Infektionsrisiko des Patienten minimiere. Bezüglich der optimalen Häufigkeit des Selbstkatheterismus empfehle die Europäische Gesellschaft für Urologie in ihrer aktuellen Leitlinie von 2014 eine Frequenz von vier- bis sechsmal täglich, wobei bei optimaler Frequenz von fünfmal am Tag eine Reduktion der Infektionen des unteren Harntraktes resultiere. Idealerweise solle das Harnvolumen pro Katheterisierung 400 bis 500 ml nicht übersteigen. Ob eine Katheterisierungsfrequenz von mehr als sechsmal am Tag das Risiko für Komplikationen, wie zum Beispiel Infektionen oder Harnröhrenstrikturen, erhöhe, sei unklar. Die anamnestische Datenlage sei hierzu nicht eindeutig. Es werde empfohlen, die Trinkmenge auf täglich 2,5 bis maximal drei Liter zu reduzieren, so dass sich hieraus eine Katheterisierungsfrequenz von sechsmal täglich ergäbe.

Hierauf hat die Beklagte vergleichsweise die Versorgung mit monatlich 180 Kathetern, 120 Bettbeuteln (mit Auslaufschutz) und 60 Bettbeuteln ohne Auslaufschutz angeboten.

Zu dem Sammelurin hat der Kläger erklärt, er habe an dem Kanister nicht erkannt, welches Fassungsvermögen dieser habe. Bei der Übergabe sei ihm auch nicht kommuniziert worden, dass es um das Sammeln des gesamten Tages gehe. Vielmehr sei er davon ausgegangen, es gehe darum, dass von jeder Katheterisierung Urin in den Behälter eingefüllt werde, jedoch nicht zwingend die gesamte Menge. Daher macht er weiterhin die Versorgung mit 750 Kathetern quartalsweise geltend.

Der Kläger war vom 03.06.2014 bis 23.12.2014 in einer stationären Behandlung der Klinik B., Abteilung Querschnitt, in K ... Im Entlassungsbericht vom 23.12.2014 wurde zu dem urologischen Konzil vom 03.06.2014 angegeben:

- ISK bei Trinkmenge gelegentlich bis 3.000 ml bis zu achtmal (Problem des hohen Einfuhrprotokolls diskutiert)

Sodann hat das Gericht nochmals einen Befundbericht von Dr. E., Chefarzt der Urologie der B. Klinik K., eingeholt. Darin führt dieser aus, nach gängigem Standard des Arbeitskreises Neuro-Urologie der deutschsprachigen medizinischen Gesellschaft für Paraplegie sollte sich die Einzelkatheterportion zwischen 400 und 500 ml einpendeln. Das heißt, scheidet der Patient tatsächlich 3.000 ml aus, wäre - was nicht realistisch ist, da für die Blasenfüllung keine Sensorik besteht - der Verbrauch von sechs Kathetern tatsächlich ausreichend real, ist dies nicht exakt umsetzbar, da wir ständig im oberen Grenzbereich der Blasenfüllung agieren würden. Realistisch wäre unter einer tatsächlichen Ausscheidung von 3.000 Millilitern eine achtmalige Katheter-Frequenz einzuschätzen. Es würden informell Einfuhrmengen von ca. zweieinhalb Litern empfohlen, um letztlich die Katheter-Frequenz in einem halbwegs alltagstauglichen Bereich zu halten. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb der Kläger mehr als 3.000 Milliliter bzw. 4.000 Milliliter konsumieren möchte. Hierfür gäbe es keine medizinischen Gründe.

In der mündlichen Verhandlung vom 09.10.2015 hat die Beklagte bezüglich der Versorgung mit insgesamt monatlich 120 Bettbeuteln mit Auslaufschutz und 60 Bettbeuteln ohne Auslaufschutz ein weiteres Teilanerkenntnis abgegeben. Dieses wurde von dem Kläger angenommen.

Der Kläger beantragt im Übrigen

1. Den Bescheid vom 24.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.01.2013 abzuändern.

2. Die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ab dem 01.01.2012 - entsprechend dem Verbrauch - quartalsweise mit 750 Kathetern sowie 500 Bettbeuteln mit Auslaufschutz und 250 Bettbeuteln ohne Auslaufschutz zu versorgen.

3. Soweit der Kläger seit dem 01.01.2012 sich die Sachleistung bereits beschafft hat, wird insoweit Kostenerstattung beantragt.

Die Beklagte beantragt,

über das Teilanerkenntnis hinaus die Klage abzuweisen.

Zum weiteren Vorbringen der Beteiligten zum Sach- und Streitstand wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Akte des Sozialgerichts verwiesen.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Sozialgerichtsbarkeit BRD

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und im Wesentlichen auch begründet.

Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Auch in Verbindung mit dem Teilanerkenntnis in der mündlichen Verhandlung vom 09.10.2015 ist der Anspruch des Klägers noch nicht erfüllt.

Der Kläger hat einen Anspruch auf Freistellung von den Kosten für die seit dem 01.01.2012 bereits entstandenen Kosten für die tägliche Versorgung mit acht Kathetern sowie acht Beuteln und die entsprechende Versorgung in der Zukunft gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 Fünftes Buch des Sozialgesetzbuches (SGB V) und - soweit es um die Freistellung für die Vergangenheit geht - gemäß § 13 Abs. 3 SGB V. Diese auf die Erstattung vom Versicherten bereits gezahlten Kosten zugeschnittene Bestimmung ist bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen entsprechend anzuwenden, wenn die Verpflichtung bereits entstanden ist, der Versicherte aber noch nicht gezahlt hat. Statt einer Erstattung kann er dann die Bezahlung seiner Schuld durch den Versicherungsträger verlangen (vgl. BSG, Urteil vom 10.02.2000 - B 3 KR 26/99 R - JURIS-Doc., Rn. 14).

Nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V sind dem Versicherten die Kosten einer selbst beschafften Leistung in der Höhe unter anderem zu erstatten, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder die Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. Hier geht es um eine unrechtmäßige Leistungsablehnung im Sinne des § 13 Abs. 3 Satz 1. Denn der Kläger hat Anspruch auf täglich acht Katheter sowie eine entsprechende Menge Bettbeutel.

Nach § 33 Abs. 5 haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung auszugleichen, soweit diese nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen sind oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind.

Katheter und Bettbeutel sind Hilfsmittel im Sinne des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V, da sie hier erforderlich sind, um eine Behinderung auszugleichen. Der Kläger benötigt diese, da eine spontane Blasenentleerung nicht möglich ist. Daher muss er sich regelmäßig katheterisieren. Hierzu ist dieses Zubehör erforderlich.

Nach § 12 Abs. 1 SGB V müssen die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein, sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.

Gemäß § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V können die Krankenkassen vor der Bewilligung von Hilfsmitteln durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) die Erforderlichkeit prüfen lassen.

Die Beklagte stützt sich hier auf die Auffassung des MDK. Dieser ist in mehreren Stellungnahmen nach Aktenlage unter Berücksichtigung der vorliegenden Unterlagen zu dem Ergebnis gelangt, dass beim intermittierenden Selbstkatheterismus das Infektionsrisiko mit der Zahl der täglichen Katheterisierungen korreliere. Gemäß Fachliteratur sei die niedrigste Infektionsrate zu erzielen, wenn zwischen vier- und sechsmal täglich aseptisch katheterisiert werde. Häufigere Katheterisierungen erhöhten das Infektionsrisiko.

Zunächst ist es so, dass die vom Kläger benannte Trinkmenge von drei bis gelegentlich vier Litern jedenfalls medizinisch nicht notwendig ist im Sinne einer Harnwegsinfektprophylaxe oder Steinmethaphylaxe. Laut der aktuellen Urolithias-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Urologie hat sich eine Trinkmenge von 2,5 Litern, die auf den Tag verteilt aufgenommen wird, als methaphylaktisch optimal herausgestellt. Im Allgemeinen wird aber schon die Trinkprophelaxe ab einer Urinmenge von 2 Litern als effizient erachtet. Des Weiteren besteht kein Beweis, dass eine extreme Harndilution das Infektionsrisiko bei Patienten, die sich selbst katheterisieren, minimiere. Dies wird im Gutachten von Prof. Dr. W., vom 18. Juli 2014 nachvollziehbar ausgeführt (SG-Akte, Bl. 78).

Auch Dr. E., Klinik B., gibt in seinem Befundbericht vom 25.03.2015 an, dass - rein aus medizinischen Gründen - eine größere Trinkmenge als 2,5 Liter nicht erforderlich bzw. speziell empfohlen werde.

Allerdings besteht bei dem Kläger darüber hinaus noch ein prinzipiell komplikationsträchtiger Dauerzustand. Denn aufgrund der Einnierrigkeit traten bereits wiederholte Harnwegsinfekte auf, die zu Blasensteinen führten. Wenn durch Infektion oder Steine die zweite Niere geschädigt würde, wäre dies für den Kläger lebensbedrohlich. Deshalb ist zumindest eine große Trinkmenge als Vorbeugung für Infektion/Steinbildung medizinisch erforderlich.

Es dürfte jedoch nicht zwingend sein, dass diese täglich eine Menge von 2 ½ Litern übersteigt.

Dennoch ist davon auszugehen, dass der Kläger jedenfalls acht Katheder nebst Beuteln täglich - durchschnittlich - benötigt. Hierfür sind zwei Komponenten maßgeblich:

Zunächst ist dies das individuelle Trinkbedürfnis. Nach dem schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten von Prof. W. kann eine erhöhte Flüssigkeitsaufnahme verschiedene Gründe haben. Einerseits können bestimmte Krankheitsbilder zu einer erhöhten Urinausscheidung führen und nachfolgend ein erhöhtes Durstgefühl verursachen, um den Flüssigkeitshaushalt auszugleichen: Diabetes mellitus, Diabetes insipidus, Cushing-Syndrom primäre Elektrolytstörungen, fortgeschrittene chronische Niereninsuffizienz mit Verlust der Urinkonzentrations- und Verdünnungsfähigkeit, Wasser-ausschwemmende Medikamente (Bioretika), vermehrter Alkoholkonsum, chronische Durchfälle, primärer Hyperaldosteronismus (Conn-Syndrom) Herzinsuffizienz mit nächtlicher Polyurie und die äußerst seltenen Bartter- und Schwartz-Bartter-Syndrome (siehe hierzu Blatt 77 SG-Akte). Zu diesen eventuellen Erkrankungen wurden im Rahmen des Gutachtens Tests durchgeführt. Danach ergab sich, dass eine pathologische Ursache für die Urinausscheidung und in der Folge die erhöhte Flüssigkeitsaufnahme nicht gegeben ist. Dies lässt den Schluss zu, dass der Kläger eben individuell ein erhöhtes Trinkbedürfnis hat. Dies führt zu Ausscheidungsmengen, die regelmäßig bei drei Litern und mehr liegen. In dem Trinkmenge-Miktionsprotokoll, welches der Kläger für die Begutachtung erstellt hatte, gab er einen Durchschnitt von 3.400 Millilitern an. Exakt prüfbar ist für das Gericht dieser Wert nicht. Zudem kam es offenbar bei dem Abgeben des Sammelurins zu einer fehlerhaften Anwendung, denn dem Kläger war wohl tatsächlich nicht klar, dass nicht nur Anteile von jedem katheterisieren, sondern die Gesamtmenge gesammelt werden sollte.

Allerdings ist auch der Urologe Dr. E. bei einer Ausscheidung von mindestens 3.000 Millilitern von einer achtmaligen Katheter-Frequenz aus.

Letztlich geht auch der behandelnde Allgemeinmediziner Dipl.-Med. G., davon aus, dass eine acht- bis neunmal tägliche Katheterisierung realistisch erscheine.

Es steht der Beklagten nicht zu, das Trinkbedürfnis - als ein Grundbedürfnis - zu reglementieren. Die individuelle Menschenwürde gebietet es hierzu nicht von irgendwelchen Durchschnittswerten auszugehen.

Weiterer Grund für den relativ hohen Katheter-Verbrauch wird das persönliche Sicherheitsbedürfnis des Klägers sein. Dr. E., Klinik B., führt hierzu aus, die Einzel-Katheter-Portion sollte sich zwischen 400 und 500 Millilitern einpendeln. Scheide der Patient tatsächlich bei 3.000 Milliliter aus, wäre - was nicht realistisch ist, da für die Blasenfüllung keine Sensorik bestehe - der Verbrauch von sechs Kathetern tatsächlich ausreichend. Real sei dies nicht exakt umsetzbar, da man hier mit ständig im oberen Grenzbereich der Blasenfüllung läge. Realistisch wäre unter einer tatsächlichen Ausscheidung von 3.000 Millilitern eine achtmalige Katheter-Frequenz.

Wenn also der Kläger täglich durchschnittlich 3.415 Milliliter trinken würde, ist zudem davon auszugehen, dass - wie der Sachverständige Prof. W. ausführt - die Flüssigkeitsausscheidung nicht nur über den Urin, sondern über Stuhlgang, Haut und vor allem Atmung erfolgt. Daraus folgt, dass die tägliche Urinmenge stets geringer ist, als die Menge der zugeführten Flüssigkeiten.

Die Beklagte ist gleichfalls nicht berechtigt, ein persönliches Sicherheitsbedürfnis des Klägers zu reglementieren. Dem steht auch nicht die Empfehlung auf eine Katheterisierungsfrequenz von vier- bis sechsmal täglich, welche die Beklagte letztlich zugrunde legt, entgegen. Allerdings ist es in der Tat so, dass die Europäische Gesellschaft für Urologie in der aktuellen Leitlinie von 2014 eine Katheterisierungsfrequenz von vier- bis sechsmal/Tag empfehle, wobei bei optimaler Frequenz von fünfmal/Tag eine Reduktion der Infektionen des unteren Harntraktes resultiere. Idealerweise solle das Harnvolumen pro Katheterisierung 400 bis 500 ml nicht übersteigen. Der Sachverständige Prof. W. führt jedoch hierzu weiter aus, ob eine Katheterisierungsfrequenz von mehr als sechsmal/Tag das Risiko für Komplikationen, wie z. B. Infektionen und Harnröhrenstrukturen, erhöht, ist unklar, die anamnetische Datenlage hierzu ist nicht eindeutig. Ein Anstieg der Infektionshäufigkeit liegt danach im Bereich der Vermutungen. Aufgrund der bloßen Empfehlung und Vermutung kann nicht geschlossen werden, dass die Versorgung mit acht Kathetern/Tag nicht erforderlich wäre, denn dem steht das persönliche Trinkbedürfnis und das Sicherheitsempfinden des Klägers entgegen.

Abschließend ist noch Folgendes zu sagen:

Die Kammer geht davon aus, dass der Kläger die beantragten Katheter tatsächlich verbraucht. Es wird nicht angenommen, dass er diese zu Hause lagere und / oder insbesondere weiterverkaufe.

Demnach resultiert der Verbrauch des Klägers im Wesentlichen aus seinem individuellen Trinkbedürfnis sowie seinem persönlichen Sicherheitsbedürfnis, welches auf der Grundlage von Art. 1 und 2 Abs. 1 GG durch die Beklagte - ohne erhebliche, nachgewiesene Gründe - nicht reglementiert werden darf.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz. Sie entspricht seinem überwiegendem Obsiegen.

Referenznummer:

R/R6906


Informationsstand: 20.06.2016