Urteil
Anspruch auf Gewährung von Endloswindeln und Gummihosen - Anforderungen an allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens - Grundbedürfnisse des täglichen Lebens - Gegenstände des täglichen Bedarfs - Zur Erforderlichkeit von Hilfsmitteln

Gericht:

BSG 3. Senat


Aktenzeichen:

3 RK 17/88


Urteil vom:

07.03.1990


Grundlage:

Tenor:

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 9. Mai 1988 - S 1 Kr 23/87 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand:

I.

Streitig ist der Anspruch des Klägers auf Gewährung von Endloswindeln und Gummihosen.

Bei dem 1916 geborenen Kläger, Mitglied der Beklagten seit 1968, erfolgte im Jahre 1976 eine Prostataradikalentfernung. Als Folge dieser Operation ist eine Funktionsstörung des Blasenschließmuskels verblieben. Bei Lagewechsel sowie bei bestimmten Bewegungen kann der Kläger den Urin nicht halten. Er trägt deshalb Windeln, die durch eine Netzhose gehalten werden, hierüber wird eine Gummihose gezogen. Windeln und Gummihosen werden von den behandelnden Ärzten verordnet, bis 1986 wurden die Kosten von der Beklagten übernommen. Mit Schreiben vom 8. Oktober 1986 teilte die Beklagte dem Hausarzt des Klägers mit, daß sie die Kosten für die Endloswindeln und Gummihosen künftig nicht mehr übernehmen werde. Eine Durchschrift dieses Schreibens erhielt der Kläger. Hiergegen legte er Widerspruch ein, der durch Widerspruchsbescheid vom 25. März 1987 zurückgewiesen wurde. Die hiergegen erhobene Klage hatte Erfolg (Urteil des Sozialgerichts -SG- Kiel vom 9. Mai 1988). Zur Begründung führte das SG aus, die hier streitigen Gegenstände seien "andere Hilfsmittel" iS des § 182b der Reichsversicherungsordnung (RVO), weil sie der elementaren Körperpflege wie auch der Möglichkeit des Klägers dienten, am allgemeinen gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.

Gegen diese Rechtsauffassung wendet sich die Beklagte mit ihrer vom SG zugelassenen Sprungrevision. Sie trägt vor, Krankenunterlagen seien als Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen. In jedem Fall zählten sie zu den Artikeln der Körperpflege, deren Kosten von einer Krankenkasse grundsätzlich ebensowenig übernommen werden könnten wie bei anderen Hygieneartikeln. Der Kläger könne sich auf seinen Gesundheitszustand entsprechend einstellen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Kiel aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Rechtsweg:

SG Kiel Urteil vom 09.05.1988 - S 1 Kr 23/87

Quelle:

Techniker Krankenkasse Urteilssammlung

Gründe:

II.

Die Revision der Beklagten ist unbegründet.

Das angefochtene Urteil des SG ist nicht zu beanstanden. Die Beklagte ist verpflichtet, die dem Kläger entstandenen und noch entstehenden Kosten für die Beschaffung von Einmalwindeln zu übernehmen. Nach § 182b RVO (jetzt § 33 Abs 1 des Sozialgesetzbuches/Gesetzliche Krankenversicherung - SGB V -) hat ein Versicherter Anspruch auf Ausstattung mit Hilfsmitteln, die erforderlich sind, eine körperliche Behinderung auszugleichen, soweit sie nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen sind. Ein Hilfsmittel muß zum Ausgleich eines körperlichen Funktionsdefizits geeignet und notwendig sein, wobei es genügt, wenn es die beeinträchtigte Körperfunktion ermöglicht, ersetzt, erleichtert oder ergänzt (Krauskopf/Schroeder-Printzen, Soziale Krankenversicherung, 2. Aufl, Stand 15. Mai 1988, § 182b Anm 2 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung). Weiter muß ein Hilfsmittel zur Befriedigung von Grundbedürfnissen des Lebens - gesunde Lebensführung, allgemeine Verrichtungen des täglichen Lebens, geistige Betätigung und Erweiterung des durch die Behinderung eingeschränkten Freiraumes - dienen (Bundessozialgericht -BSG- vom 12. Oktober 1988 - 3/8 RK 36/87 = SozR 2200 § 182b Nr 37). Unter diesen Voraussetzungen hat das BSG im Urteil vom 13. Mai 1982 (8 RK 8/81 = SozR 2200 § 182b Nr 24) in Fällen mongoloider Harn- und Stuhlinkontinenz den Anspruch auf Gewährung stark saugender Einmalwindeln bejaht.

Entgegen der Ansicht der Beklagten sind diese Voraussetzungen auch im vorliegenden Fall erfüllt. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des SG leidet der Kläger an einer Funktionsstörung des Blasenschließmuskels. Die kassenärztlich verordneten Einmalwindeln haben die Eigenschaft eines Hilfsmittels, wenn sie nicht nur hygienischen oder pflegerischen Zwecken dienen, sondern den Kläger in die Lage versetzen, Grundbedürfnisse des täglichen Lebens zu befriedigen. Hierzu gehört auch die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Dem SG ist darin zu folgen, daß der Kläger ohne die Windeln keine Möglichkeit hätte, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, weil die unkontrollierte Harnabgabe einen abstoßenden Geruch erzeugen und dadurch die Ablehnung des Klägers durch seine Mitmenschen bewirken würde. Hierbei kann der Kläger nicht auf die Inanspruchnahme von Pflegeleistungen verwiesen werden, weil nicht ersichtlich ist, wie die Wirkungen des unkontrollierten Harnabganges durch ständige Pflegeleistungen während des Kontaktes des Kläger mit anderen Menschen verhindert oder unverzüglich beseitigt werden könnten.

Die Einmalwindeln sind auch keine Gegenstände des täglichen Bedarfs. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des SG werden die vom Kläger benötigten Windeleinlagen von gesunden Menschen seines Alters nicht benötigt. Bei dem Kläger dienen die Windeln nicht dem Zweck, die Pflege zu erleichtern, sondern die sonst notwendige Pflege gerade zu vermeiden.

Das SG hat im vorliegenden Fall festgestellt, daß die Einmalwindeln wirtschaftlich sind und sich dabei auf die Beurteilung des verordnenden Kassenarztes gestützt. Hierbei bewegte sich das SG im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG), die von der Beklagten nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffen worden ist. Es ist allerdings möglich, daß in vielen anderen Fällen oder sogar generell mehrfach benutzbare Stoffwindeln wirtschaftlicher und umweltverträglicher sind als Einmalwindeln. Im vorliegenden Fall lag jedoch eine kassenärztliche Verordnung vor, die dem SG ausreichen durfte.

Nach allem war die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Referenznummer:

R/R5401


Informationsstand: 20.12.2012