Urteil
Informationsrecht anderer Leistungserbringer über den Inhalt von Altverträgen

Gericht:

SG Hamburg 34. Kammer


Aktenzeichen:

S 34 KR 164/09 ER


Urteil vom:

26.02.2009


Grundlage:

  • SGB V § 126 vom 26.03.2007 |
  • SGB V § 127 Abs. 2 S. 4 vom 26.03.2007 |
  • GG Art. 12 Abs. 1

Orientierungssatz:

1. § 127 Abs. 2 Satz 4 SGB V sieht für andere Leistungserbringer ein umfassendes Informationsrecht über den Inhalt von Altverträgen vor, welches sich grundsätzlich auf den gesamten Vertrag und alle Vertragsanlagen bezieht.

2. Die Regelung des § 127 Abs. 2 Satz 4 SGB V verstößt nicht gegen den durch Art 12 Abs. 1 GG gewährleisteten Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen.

Hinweis:

Einen Fachbeitrag zum Einstweiligen Rechtsschutz finden Sie im Diskussionsforum Rehabilitations- und Teilhaberecht der Deutschen Vereinigung für Rehabilitation (DVfR) unter:
http://www.reha-recht.de/fileadmin/download/foren/a/2013/A4-...

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Justizportal des Landes NRW

Tenor:

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt den Erlass einer Unterlassungsverpflichtung. Sie ist ein Service- und Dienstleistungsunternehmen, das unter anderem Leistungen im Bereich medizinischer Beatmungsgeräte für die Heimbeatmung, Schlafapnoe-Therapie, Sauerstofftherapie und Monitoring anbietet. Die Beteiligten schlossen am 5. Juli 2007 einen Versorgungsvertrag über die Versorgung verschiedener Hilfsmittel (der Produktgruppen 01,14 und 21). Neben den Produktpreisen und Regelungen über die Qualitätssicherung enthält der Vertrag in den Anlagen Ausführungen über Versorgungsabläufe.

Mit Schreiben vom 21. Januar 2009 informierte die Antragsgegnerin die Antragstellerin über die nach einer Änderung des § 127 Sozialgesetzbuch - Fünftes Buch (SGB V) bestehende Möglichkeit von Hilfsmittelerbringern, den bisher vereinbarten Verträgen beizutreten. Das Beitrittsrecht umfasse ein Einsichtsrecht in die Altverträge und es lägen bereits Anfragen diverser Leistungserbringer vor, weshalb beabsichtigt sei, den Vertrag vom 21. Juli 2007 offenzulegen.

Die Antragstellerin teilte der Antragsgegnerin darauf hin mit, dass sie mit einer umfassenden Offenlegung nicht einverstanden sei. Der Vertrag enthalte diverse Regelungen, die als grundrechtlich geschützte Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse nicht offenbart werden dürften.

Nachdem die Antragsgegnerin mitgeteilt hatte, dass sie sich aufgrund des eindeutigen Gesetzeswortlauts für verpflichtet halte, die anfragenden Leistungserbringer über den vollständigen Vertragsinhalt zu informieren, hat die Antragstellerin 4. Februar 2009 den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Sie begehrt die Untersagung, anfragende Leistungserbringer über Vertragsinhalte des zwischen den Beteiligten vereinbarten Versorgungsvertrages zu informieren soweit dieser Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse enthalte.


II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig, jedoch unbegründet. Gem. § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz ( SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts der Antragstellerin vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zulässig zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Erforderlich ist danach zum einen das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d. h. die Notwendigkeit einer Eilentscheidung und zum anderen ein Anordnungsanspruch.

Es mangelt an einem Anordnungsanspruch, denn es besteht kein Anspruch auf Erlass einer vorbeugenden Unterlassungsverfügung. Die Antragsgegnerin ist berechtigt und verpflichtet, den gesamten Vertragsinhalt zu offenbaren.

§ 127 Abs. 2 Satz 4 SGB V sieht vor, dass über die Inhalte abgeschlossener Verträge andere Leistungserbringer unverzüglich zu informieren sind. Die Krankenkassen haben eine umfassende Informationspflicht, die sich auf den gesamten Vertrag und sämtliche Vertragsanlagen bezieht. Das ergibt sich aus dem Wortlaut, der Gesetzessystematik und dem hinter der Informationspflicht stehenden Beitrittsrecht zu den bestehenden Altverträgen.

Nach dem Wortlaut ist über die "Inhalte abgeschlossener Verträge" zu informieren. Ohne einen einschränkenden Zusatz ist vom gesamten Inhalt auszugehen, denn andernfalls hätte eine erläuternde Einschränkung erfolgen müssen. Das wird besonders deutlich, wenn man die Formulierung in Abs. 5 der Norm betrachtet. Dort wird die Informationspflicht der Krankenkassen gegenüber den Versicherten geregelt und es ist über "die wesentlichen Inhalte der Verträge zu informieren". Die Versicherten haben demnach nur ein auf den wesentlichen Vertragsinhalt eingeschränktes Informationsrecht. Der Gesetzgeber differenziert also für unterschiedliche Zielgruppen zwischen dem Inhalt und dem wesentlichen Inhalt der abgeschlossenen Verträge. Es ist nicht davon auszugehen, dass es versehentlich unterlassen worden ist, in § 127 Abs. 2 Satz 4 das Wort "wesentlich" einzufügen. Im Gegensatz zu den Versicherten ist es bei Hilfsmittelerbringern, die am Versorgungssystem teilnehmen wollen, nach der Gesetzeskonzeption gerade erforderlich, dass Einsicht in den vollständigen Vertrag gewährt wird. Denn das Informationsrecht korrespondiert mit dem Recht der Leistungserbringer, zu den gleichen Bedingungen als Vertragspartner beizutreten. Ein Beitritt zu den gleichen Bedingungen ist jedoch nur möglich, wenn der gesamte Vertragsinhalt bekannt ist. Ansonsten wären es entweder nicht mehr die gleichen Bedingungen, die Gegenstand des neuen Vertrages wären oder der hinzutretende Vertragspartner hätte lediglich von einem Teil der vertraglichen Regelungen Kenntnis, was eine ordnungsgemäße Erfüllung der vertraglichen Pflichten unmöglich machen würde und im Übrigen bereits das Zustandekommen eines Vertrages verhindert.

Im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung wäre es zwar unter Umständen möglich, die umfassende Offenbarungspflicht zu beschränken. Dies ist jedoch vorliegend in Ermangelung eines Verstoßes gegen das Grundgesetz nicht geboten.

Der Eingriff in die Berufsfreiheit ist aufgrund der gesetzlichen Ermächtigung in Form des § 127 Abs. 2 Satz 4 SGB V gerechtfertigt.

Durch Art. 12 Abs. 1 GG wird auch der Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen gewährleistet (Jarass in Jarass/ Pieroth, GG- Kommentar, 9. Auflage, Art. 12 Rz 8). Durch die Offenlegung des Vertragsinhaltes ist auch der Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 GG berührt.

Allgemein handelt es sich bei Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen um auf ein Unternehmen bezogene Tatsachen, Umstände und Vorgänge, die nicht offenkundig, sondern nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und an deren Nichtverbreitung der Rechtsträger ein berechtigtes Interesse hat (BVerfG vom 14. März 2006 - 1 BvR 2089/03, 1 BvR 2111/03, BVerfGE 115, 205 - 259). Betriebsgeheimnisse beziehen sich auf technisches Wissen und Geschäftgeheimnisse betreffen vornehmlich kaufmännisches Wissen. Hierzu gehören Informationen über Umsätze, Ertragslagen, Geschäftsbücher, Kundenlisten, Bezugsquellen, Konditionen, Marktstrategien, Unterlagen zur Kreditwürdigkeit, Kalkulationsunterlagen, Patentanmeldungen und sonstige Entwicklungs- und Forschungsprojekte, durch welche die wirtschaftlichen Verhältnisse eines Betriebes maßgeblich bestimmt werden können (s. Bonk/ Kallerhof in Stelkens/ Bonk/ Sachs, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz, 6. Auflage 2001, § 30 Rz 13).

Die Einzelverträge, die gem. § 127 Abs. 2 SGB V zwischen den Krankenkassen und den Leistungserbringern geschlossen werden können, beinhalten allgemein Daten über Konditionen, nämlich die vereinbarten Preise und ggf. weitere interne Informationen (über die Einzelheiten des Verfahrensablaufs), auch wenn sie in der Regel keine Ausführungen zu Ertragslisten bzw. Informationen über Umsätze, Geschäftsbücher, Kundenlisten, Bezugsquellen oder Kalkulationsunterlagen enthalten dürften. Der zwischen den Beteiligten vereinbarte Vertrag enthält neben den Produktpreisen und Qualitätssicherungskriterien noch Vereinbarungen über Wartungs- und Versorgungsabläufe, die individuell ausgehandelt worden sind. Es handelt sich sowohl allgemein als auch beim streitgegenständlichen Vertrag um Informationen, bei denen davon auszugehen ist, dass sie nicht offenkundig sind und an deren Nichtverbreitung Leistungserbringer (und die Antragstellerin) ein berechtigtes Interesse haben.

Der Eingriff in den Schutzbereich ist jedoch gerechtfertigt. Art. 12 Abs. 1 steht unter einem allgemeinen Gesetzesvorbehalt. Die Berufsfreiheit kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden (Satz 2). Nach der vom BVerfG entwickelten Stufenlehre hängen die Anforderungen, die an die gesetzliche Regelung zu stellen sind davon ab, ob lediglich die Berufsausübungsfreiheit betroffen ist oder ob es sich um eine subjektive oder objektive Berufswahlbeschränkung handelt (BVerfGE 25, 1/11f.). Reine Berufsausübungsbeschränkungen werden durch jede vernünftige Erwägung des Gemeinwohls legitimiert. Der Gesetzgeber darf Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit in den Vordergrund stellen und besitzt hinsichtlich der Festlegung arbeits-, sozial- und wirtschaftpolitischer Ziele einen weiten Spielraum (Jarass in Jarass/ Pieroth, GG-Kommentar, 9. Auflage, Art. 12 Rz 36 mit zahlreichen weiteren Nachweisen).

Es handelt sich bei der Verpflichtung zur Offenlegung der Verträge um einen Eingriff, der lediglich die Berufsausübungsfreiheit und nicht die Berufswahl tangiert, denn die Antragsgegnerin ist durch die Regelung nicht daran gehindert, weiterhin Dienstleistungen im Bereich der medizinischen Hilfsmittel zu erbringen und Beatmungsgeräte zu vertreiben. Selbst wenn sich tatsächlich Wettbewerbsnachteile ergeben sollten infolge der Erkenntnisse, die Mitbewerber aus dem Vertragsinhalt ziehen können, ist die Berufswahl unter keinen Umständen tangiert. Es ist weder ersichtlich noch vorgetragen, dass durch einen Vertragsbeitritt eines Konkurrenten ein so gravierender wirtschaftlicher Schaden eintritt, dass eine Fortsetzung der Service- und Dienstleistungen auf dem Sektor der Schlafapnoe-Therapie nicht mehr möglich wäre.

Mit der in § 127 Abs. 2 Satz 4 SGB V normierten Pflicht der Krankenkassen, über die Inhalte bereits abgeschlossener Verträge zu informieren, verfolgt der Gesetzgeber ein legitimes Ziel. Die Offenlegungspflicht ist erforderlich, um das vom Gesetzgeber mit § 127 Abs. 2a SGB V eingeführte Beitrittsrecht anderer Leistungserbringer zu ermöglichen.

Aus den Gesetzesmaterialien ist ersichtlich, dass der Gesetzgeber mit der Schaffung des Beitrittsrechts zu Verhandlungsverträgen nach § 127 Abs.2 SGB V die weitere Versorgungsberechtigung der Leistungserbringer sicherstellen wollte, die bisher noch keine Verträge mit den Krankenkassen abschließen konnten. Weiter soll auch verhindert werden, dass Leistungserbringer willkürlich von ausgehandelten Verträgen ausgeschlossen werden. Das Beitrittsrecht soll für alle Leistungserbringer, die bereit und in der Lage sind, sich zu den gleichen Bedingungen an der Versorgung zu beteiligen, gelten und ist nicht auf bestimmte Verträge beschränkt. Die Informationspflicht wiederum ist geboten, um den Beitritt zu ermöglichen. Eine ungehinderte Wahrnehmung des Beitrittsrechts setze voraus, dass die interessierten Leistungserbringer unverzüglich über die Verträge informiert werden (BT-Drs. 16/10609 - Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung ) Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in gesetzlichen Krankenversicherung ().

Hintergrund dieser Regelung ist der vom Gesetzgeber verfolgte Systemwechsel zu einem reinen Vertragsmodell unter Wegfall der Zulassungsregelung des § 126 SGB V a.F. (verbunden mit einer Übergangsregelung mit einer Befristung). Nach der Neufassung der §§ 126 und 127 SGB V durch das GKV Wettbewerbsverstärkungsgesetz vom 26. März 2007 mit Wirkung zum 1. April 2007 (BT-Drs. 16/3100, Begründung zu Nr. 92) hat der Gesetzgeber offensichtlich Handlungsbedarf für die Leistungserbringer gesehen, die bislang keinen Versorgungsvertrag abschließen konnten. Aus der Gesetzesbegründung ist weiterhin ersichtlich, dass ein willkürlicher Ausschluss von bislang nicht am Versorgungssystem beteiligter Leistungserbringer durch die Krankenkassen verhindert werden sollte. Damit soll ein ungehinderter Zugang aller Hilfsmittelerbringer zu der Versorgung erreicht werden, wenn diese die qualitativen Voraussetzungen erfüllen und in der Lage sind, die Versorgung zu den ausgehandelten Bedingungen zu übernehmen. Es geht demnach gerade um einen ungehinderten Zugang aller potentieller Unternehmen zu dem neu entwickelten und wettbewerbsorientierten reinen Vertragsmodell. Der Gesetzgeber will mit dem Beitrittsrecht dafür sorgen, dass Mitbewerber aufgrund bereits geschlossener Verträge nicht benachteiligt und vom Versorgungssystem ausgeschlossen werden. Ein derartiger Ausschluss würde für die betroffenen Unternehmen unter Umständen einen Eingriff in die durch Art. 12 Abs. 1 geschützte Berufswahl bedeuten. Es ist grundsätzlich ein legitimes und am Gemeinwohl orientiertes Ziel, wenn der Gesetzgeber Unternehmen nicht willkürlich vom Markt der Hilfsmittelerbringung ausschließen möchte - auch wenn ein solcher Ausschluss wiederum aus Versorgungsgesichtspunkten gerechtfertigt werden könnte. Es ist allerdings für die vom Gesetzgeber verfolgte Kostenersparnis durch geschicktes Verhandeln der Krankenkassen und ihrer Verträge kontraproduktiv, wenn ein Vertragsbeitritt zu den gleichen Konditionen möglich ist. Niedrigere Preise für die einzelnen Hilfsmittel werden sich so nicht erzielen lassen. Insofern korrigiert der Gesetzgeber den ursprünglich beabsichtigten Systemwechsel wieder. Es ist jedoch nicht Aufgabe der Gerichte, die sozialpolitische Sinnhaftigkeit des gesetzgeberischen Handels zu untersuchen, solange es sich im Rahmen der Rechtsordnung und der Verfassung bewegt.

Die Verpflichtung, den Vertrag offenzulegen ist ein geeignetes Mittel, um den Beitritt zu ermöglichen. Nur derjenige, der Kenntnis von den ausgehandelten Vertragsklauseln hat, kann die vertraglichen Verpflichtungen erfüllen. Das Beitrittsrecht setzt deshalb die vollständige vorherige Offenbarung des Vertragsinhaltes voraus.

Ein milderes Mittel, mit welchem das gesetzgeberische Ziel ebenso effektiv erreicht werden könnte, gibt es nicht. Sofern einzelne Regelungen ausgenommen würden, könnte ein Beitritt zu dem ausgehandelten Vertrag nicht mehr durchgeführt werden. Der beitretenden Partei wäre es mangels Kenntnis von vorne herein unmöglich, den Vertrag ordnungsgemäß zu erfüllen. Würde der Vertrag nur in dem Umfang zustande kommen, in dem er dem Konkurrenten offenbart worden ist, wird inhaltlich ein neuer Vertrag vereinbart. Es handelt sich nicht mehr um einen Vertragsbeitritt. Es ist davon auszugehen, dass die einzelnen Vertragsbestandteile mit gutem Grund auch hinsichtlich aller Nebenabreden ausgehandelt worden sind. Sollten nun einzelne Passagen entfallen, kann der Vertrag einen völlig anderen Regelungscharakter bekommen, den die Vertragsparteien ursprünglich nicht vereinbaren wollten. Es besteht die Gefahr, dass der Vertrag ohne Benachteiligung einer (oder beider) Parteien nicht mehr ausgeführt werden kann.

Gem. § 127 Abs. 2 SGB V schließen die Krankenkassen (ihre Landesverbände oder Arbeitsgemeinschaften) Verträge mit Leistungserbringern (mit Landesverbänden oder sonstigen Zusammenschlüssen) über die Einzelheiten der Versorgung mit Hilfsmittel, deren Wiedereinsatz, die Qualität der Hilfsmittel und zusätzlich zu erbringende Leistungen, die Anforderungen an die Fortbildung der Leistungserbringer, die Preise und die Abrechnung.

Der Gesetzgeber hat damit den Vertragsinhalt für die wesentlichen Regelungspunkte vorgegeben. Abweichungen in diesen Bereichen führen daher immer zu einer bedeutsamen Veränderung der getroffenen Vereinbarungen. Der Wegfall über Regelungen zur Sicherstellung der Qualität, der Preise und der Versorgungsmodalitäten verändert den Vertragscharakter. Gerade die Preisgestaltung ist ein maßgeblicher Regelungspunkt. Die Vertragsparteien haben häufig ein bestimmtes Vergütungssystem ausgehandelt, welches nur als Ganzes schlüssig und umsetzbar ist. Deshalb können auch Teilbereiche nicht ausgeklammert werden. Auch die Preise für die Wartung und das Zubehör sind wesentliche Bestandteile der gesamten Preisgestaltung, ohne die die Pflicht zur Offenlegung und das damit verknüpfte Beitrittsrecht gleichsam ins Leere laufen würden. Das gilt ebenso für die Versorgungs- und Wartungsabläufe, die unter den Oberbegriff der Qualitätssicherung fallen. Gerade in diesem Punkt besteht eine Verpflichtung der Krankenkassen gegenüber ihren Versicherten, eine angemessene Versorgungsqualität sicherzustellen. Sie kann auf derartige Regelungen nicht einfach verzichten.

Für den konkreten Fall ergibt sich daher, ohne die Bekanntgabe der Zubehörpreise, des Wartungssystems (auch hinsichtlich der Vergütungsstruktur) und der Versorgungsabläufe ein völlig anderer Vertragsinhalt, der nicht nur unvollständig ist, sondern wesentliche Bestandteile bezüglich der Abläufe und Ausführung nicht enthält.

Das kann sowohl aus Sicht der Krankenkassen als auch für die beitretenden Leistungserbringer zu einer Schieflage mit negativen Konsequenzen führen. Insbesondere die Krankenkasse wäre bei einer solchen Auslegung gezwungen, einen Beitritt zu dem Rumpfvertrag herbeizuführen (den sie unter Umständen so niemals vereinbart hätten), denn nach dem Gesetzeswortlaut besteht ein Anspruch auf den Beitritt (§ 127 Abs. 2a SGB V). Sie wäre auf die Verhandlungsbereitschaft des beitretenden Leistungserbringers angewiesen und im Fall von erneuten Verhandlungen würde ein gänzlich anderer Vertrag abgeschlossen. Damit wäre eine ungehinderte Wahrnehmung des Beitrittsrechts nicht möglich. Die in den Gesetzesmaterialien hervorgehobene Voraussetzung eines Beitritts für den Fall, dass der Leistungserbringer in der Lage ist, sich an der Versorgung zu den gleichen Bedingungen zu beteiligen, wäre nicht erfüllt.

Für die mit dem Beitritt vom Gesetzgeber verfolgte Zielsetzung eines ungehinderten Zugangs aller Versorgungsberechtigten zu den bereits ausgehandelten Bedingungen besteht keine weniger einschneidende Alternative (und somit ebenfalls kein milderes Mittel). Durch eine Zulassung wie nach der früheren Rechtslage könnten die Bedingungen, die in bestehenden Verträgen ausgehandelt worden sind, nicht im Einzelnen vorgegeben werden (jedenfalls nicht ohne den Vertragsinhalt durch entsprechende Vorgaben offenzulegen). Im Übrigen wollte der Gesetzgeber das Zulassungserfordernis zugunsten des Vertragssystems aufgeben, was eine legitime Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers darstellt, die bei der Gesetzesauslegung von den Gerichten zu beachten ist. Eine andere Möglichkeit hätte darin bestanden, die Krankenkasse zum Abschluss von gleichlautenden Rahmenverträgen zu zwingen. Hier ergeben sich aber deutlich gravierendere Auswirkungen auf die bestehenden Altverträge, die dann ersetzt werden müssten. Es handelt sich daher nicht um ein milderes Mittel.

Auch die im Rahmen der Stufenlehre durchzuführende Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (vgl. BVerfGE 30, 292/316f.), bei der zu ermitteln ist, ob der Grundrechtseingriff nicht außer Verhältnis zu dem angestrebten Zweck steht, führt zu keinem anderen Ergebnis.

Die Grenze der Zumutbarkeit muss bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe gewahrt sein (BVerfGE 102, 197/220). In dieser Prüfung ist auch das Dreiecksverhältnis zwischen der Antragstellerin, deren Konkurrenten und der Krankenkassen zu berücksichtigen. Dadurch, dass der Gesetzgeber die Situation der Leistungserbringer, die bislang keinen Vertrag abschließen konnten, verbessert und ihnen die Möglichkeit eröffnet an dem neuen Versorgungsystem zu partizipieren, wirkt er auf die bestehenden geschäftlichen Beziehungen der Leistungserbringer, mit denen bereits vertragliche Beziehungen bestehen, ein. Zum einen wird hierdurch eine (gewollte) Konkurrenzsituation geschaffen, zum anderen können sich im Einzelfall durch die Kenntniserlangung von Geschäftsgeheimnissen wirtschaftliche Nachteile ergeben.

Um hier die Beeinträchtigung grundrechtlich geschützter Rechtspositionen auf das unbedingt notwendige Ausmaß zu beschränken, ist eine Abwägung der unterschiedlichen Interessen notwendig, wobei dem Ausmaß und Gewicht des Geheimhaltungsinteresses eine entscheidende Bedeutung zukommt. Ist dieses Interesse ohne erhebliches Gewicht, ist es eher zulässig, es gegenüber den anderen Interessenlagen zurücktreten zu lassen (vgl. BVerfG vom 14. März 2006 - 1 BvR 2089/03, 1 BvR 2111/03, BVerfGE 115, 205 - 259; in juris - Rz 114).

Eine solche Abwägung ergibt für den zu beurteilenden Fall ein eher geringer zu gewichtendes Geheimhaltungsinteresse der Antragstellerin hinsichtlich der im Einzelnen monierten Vertragsabreden und Anlagen.

Hierbei muss besondere Berücksichtigung finden, dass die Antragstellerin auf einem Markt tätig ist, der durch das System der gesetzlichen Krankenversicherung und der mit der Versorgung beauftragten Krankenkassen einer besonderen staatlichen Regulierung unterliegt und nicht uneingeschränkt mit anderen Märkten und den dort geltenden Wettbewerbsregelungen verglichen werden kann. Der Gesetzgeber hat in besonderem Maße dafür Sorge zu tragen, dass eine Versorgung zu einer akzeptablen Qualität jederzeit sichergestellt ist. Die Versicherten haben nur wenige Möglichkeiten (und wegen der Kostenübernahme durch die Krankenkassen) auch ein geringes Interesse, im medizinischen Bereich, ihre Marktmacht durch Wahlentscheidungen auszuüben und es besteht ein Ungleichgewicht, welches durch den Gesetzgeber und die Krankenkassen ausgeglichen werden muss. Zur Qualitätssicherung und Sicherstellung des Versorgungsauftrages sind also grundsätzlich seitens der Leistungserbringer Einschränkungen im Hinblick auf den Wettbewerb, die Vergütung und die Vertragsfreiheit hinzunehmen. Das ergibt sich anschaulich für den vorliegenden Sachverhalt bereits aus den Vorgaben zu den Vertragsinhalten nach § 127 Abs. 2 SGB V.

Die besonderen Einschränkungen sind systemimmanent und den dort tätigen und spezialisierten Unternehmen bekannt. Neben den Vorgaben hinsichtlich einer Sicherung der Qualität der Produkte, gibt es auch Einschränkungen im Bereich der Preisbildung und der Art der Versorgung. Es bestehen Offenbarungspflichten, wie zum Beispiel in § 127 Abs. 5 gegenüber den Versicherten geregelt, wonach der wesentliche Inhalt der Verträge von den Krankenkassen auf Anfrage mitzuteilen ist.

Aus § 127 Abs. 2 SGB V ergibt sich auch die Möglichkeit, dass Rahmenverträge zwischen den jeweiligen Verbänden geschlossen werden können. Hier stellt sich die Geheimhaltungsproblematik von vornherein nicht.

Demgegenüber steht eine Verletzung von möglichen Geschäftsgeheimnissen in eher geringem Ausmaß. Im Gegensatz zu dem vom BVerfG entschiedenen Fall der Verletzung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen eines Telekommunikationsunternehmens geht es vorliegend nicht um technische Angaben, Werte und Parameter zur Investitionsermittlung, Kostenkalkulationen, Unterlagen der Buchführung, Werte zu Umsätzen, Absatzmengen, Kosten und Deckungsbeiträgen sowie um Datenquellen (BVerfG vom 14. März 2006 - 1 BvR 2089/03, 1 BvR 2111/03, BVerfGE 115, 205 - 259; juris Rz. 89). Streitig sind lediglich Passagen eines Einzelvertrages. Die Antragstellerin ist auch im Wesentlichen mit der Offenlegung der Produktpreise einverstanden, möchte aber die Einsichtnahme für Einzelpreise hinsichtlich der Wartung und des Zubehörs sowie bezüglich bestimmte Versorgungsabläufe verhindern.

Die ausgehandelten Preise, das vereinbarte Vergütungssystem und die Versorgungs- und Wartungsabläufe sind von der Intensität ihres Geheimnischarakters nicht mit der Offenlegung von Produktionsabläufen, der Kalkulation- und Einkaufsdaten, vom Umsatzdaten und Buchführungsunterlagen vergleichbar. Insbesondere die Versorgungsabläufe ergeben sich aus der Art der Versorgung mit einem technischen Gerät und dargestellt werden größtenteils selbstverständliche Abläufe, die ohne weiteres auch für Konkurrenzunternehmen gelten dürften. Dass ein anderes Unternehmen durch die Kenntnis dieser Informationen einen spürbaren Wettbewerbsvorteil haben sollte, erschließt sich nicht ohne Weiteres. Es handelt sich nicht um exklusives Wissen, denn die Einweisung des Patienten in den Gebrauch des Therapiegerätes (unter Berücksichtigung verschiedener Fallgestaltungen) ist immer erforderlich und ein allein aus Qualitätssicherungsaspekten von den Krankenkassen sicherzustellender Bestandteil vertraglicher Vereinbarungen.

Etwas intensiver ist der Einblick in das gesamte Vergütungssystem einschließlich der für Zubehör und Wartung zu zahlenden Preise. Hier ist zu berücksichtigen, dass durch die Offenlegung des Vergütungssystems keine Informationen zu der hinter den Preisen stehenden Kostenkalkulation und der spezifischen Kostenstruktur der Antragstellerin weitergegeben werden, die einem Wettbewerber Vorteile verschaffen könnten. Erst wenn ein Vertrag ähnlich wie es zum Teil bei Zulieferbetrieben der Hersteller von technischen Produkten der Fall ist, spezifische Fertigungsabläufe und die dahinter stehende Kostenstruktur enthält, könnte eine Offenbarung aufgrund der Intensität des Geheimhaltungsinteresses im Wege der verfassungskonformen Auslegung unzulässig sein. Ein entsprechender Vertrag wäre aber grundsätzlich ohne diese speziellen Informationen zur Kostenstruktur eines Produktes ausführbar. Das gilt jedoch nicht für das Vergütungssystem. Hier handelt es sich um so wesentliche Vertragsbestandteile, dass ohne sie der Vertrag nicht ausgeführt werden könnte. Das gilt auch für Bestandteile des Vergütungssystems, wenn die Kosten für Zubehör und Wartung der vertriebenen Produkte geregelt werden. Hier muss davon ausgegangen werden, dass sich die einzelnen Regelungen derart bedingen, dass sie jeweils ohne anderen Regelungspunkt nicht zustande gekommen wären.

Einschränkungen bei der Preisgestaltung ergeben sich auch aus den bereits aufgezeigten Vorgaben im Bereich des Marktes mit medizinischen Produkten für den Geltungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung, im Rahmen derer beispielsweise auch eine Begrenzung durch Festbeträge möglich ist. Vor diesem Hintergrund ist auch der vorliegende Eingriff unter Berücksichtigung der Zielsetzung des Gesetzgebers, alle Leistungserbringer an dem Versorgungssystem zu beteiligen, die in der Lage sind, zu den ausgehandelten Bedingungen zu leisten, im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung im engere Sinne gerechtfertigt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs.1 SGG in Verbindung mit § 154 VwGO. Der Streitwert beträgt 5000 EUR und ergibt sich gem. § 53 Abs. 3 Ziff. 4 und § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG). In Ermangelung weiterer Anhaltspunkte für die Bezifferung des hinter der Unterlassungsverpflichtung stehenden wirtschaftlichen Interesses war der Auffangstreitwert heranzuziehen.

Referenznummer:

R/R3548


Informationsstand: 03.08.2011