Urteil
Kein Anspruch auf einstweilige Anordnung - Versorgung von Versicherten mit Hörhilfen im sogenannten verkürzten Versorgungsweg

Gericht:

SG Hamburg 2. Kammer


Aktenzeichen:

S 2 KR 87/09 ER


Urteil vom:

24.04.2009


Tenor:

1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

2. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu tragen.

3. Der Streitwert wird auf 450.000,00 EUR festgesetzt.

Hinweis:

Einen Fachbeitrag zum Einstweiligen Rechtsschutz finden Sie im Diskussionsforum Rehabilitations- und Teilhaberecht der Deutschen Vereinigung für Rehabilitation (DVfR) unter:
http://www.reha-recht.de/fileadmin/download/foren/a/2013/A4-...

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Sozialgerichtsbarkeit BRD

Entscheidungsgründe:

Die Antrag der Antragstellerin, die Antragsgegnerinnen vorläufig bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, mit ihr den näher bezeichneten, bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu befristenden Vertrag nach §§ 127 Abs. 2, 128 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) in der seit 1.4.2009 geltenden Fassung betreffend die Versorgung von Versicherten mit Hörhilfen im sogenannten verkürzten Versorgungsweg (Versandweg, wobei Teile der Leistungen, die im traditionellen Versorgungsweg von Hörgeräteakustikern erbracht werden, von den behandelnden Hals-Nasen-Ohren-Ärzten gegen eine gesonderte Vergütung übernommen werden) mit der Maßgabe zu vereinbaren, dass Zahlungen an den kooperierenden Hals-Nasen-Ohren-Arzt oder die von ihm benannte Abrechnungsstelle nur erfolgen dürfen, wenn jener die Leistungen nach § 5 Abs. 4 des Vertrags erbringt, bleibt ohne Erfolg. Gleiches gilt für den hilfsweise gestellten Antrag auf vorläufige Verpflichtung der Antragsgegnerinnen zur Vereinbarung eines Vertrages gemäß §§ 127 Abs. 2a, 128 Abs. 4 SGB V, der dem von jenen mit der Bundesinnung der Hörgeräteakustiker abgeschlossenen mit näher bezeichneten Ausnahmen, die eine Versorgung im verkürzten Versorgungsweg ermöglichen, entspricht.

Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sog. Sicherungsanordnung, § 86b Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (sog. Regelungsanordnung, § 86b Abs. 2 S. 2 SGG). Der durch den beantragten vorläufigen Rechtsschutz zu sichernde Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit einer vorläufigen Sicherung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung), was vorliegend beides nicht gelungen ist.

Eine Anspruchsgrundlage, nach der die Antragsgegnerinnen verpflichtet wären, die konkrete begehrte Vereinbarung mit der Antragstellerin abzuschließen, ist nicht ersichtlich. Sie ergibt sich insbesondere weder aus § 127 Abs. 2 noch aus § 127 Abs. 2a SGB V noch aus § 69 S. 2 SGB V in Verbindung mit §§ 19 bis 21 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) oder aus dem Grundgesetz (GG).

Der Ablösung des Zulassungs- durch das Vertragspartnermodell hinsichtlich der in §§ 126 ff SGB V geregelten Beziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern von Hilfsmitteln liegt eine gesetzliche Konzeption zu Grunde, die von der Einschätzung getragen wird, die Vertragspartner seien im Stande, im freien Spiel der Kräfte ausgewogene und interessengerechte Lösungen zu vereinbaren, die es den Krankenkassen ermöglichen, die Versorgung der Versicherten zu möglichst günstigen Bedingungen mit hohen Qualitätsstandards zu gewährleisten. Daher sind Gerichte grundsätzlich daran gehindert, das, was ein Leistungserbringer in Verhandlungen mit einer Krankenkasse nicht hat durchsetzen können, nachträglich zum Vertragsinhalt zu machen; hierin läge ein systemwidriger Eingriff in die gesetzliche Konzeption (BSG 17.7.2008 - B 3 KR 23/07 R, SGb 2008, 527 (Kurzwiedergabe); LSG Nordrhein-Westfalen 26.6.2008 - L 5 KR 169/06; LSG Baden-Württemberg 10.7.2007 - L 11 KR 6157/06; jeweils mwN). Ein Anspruch auf Abschluss eines bestimmten Vertrages ist ausgeschlossen (LSG Nordrhein-Westfalen, aaO; LSG Baden-Württemberg, aaO), es sei denn, die Grenzen des Artikel 3 Abs. 1 GG oder Artikel 12 Abs. 1 GG sind verletzt, und nach den konkreten Umständen des Einzelfalls kann sich die Krankenkasse anders als durch Abschluss einer konkreten Vereinbarung entsprechend dem vom Leistungserbringer unterbreiteten Angebot nicht rechtskonform verhalten (BSG, aaO). Diese Voraussetzungen liegen hier indes nicht vor.

Die Antragstellerin hat bereits deshalb keinen Anspruch gegen die Antragsgegnerinnen auf Vertragsverhandlungen und -abschluss mit den begehrten Inhalten, die den verkürzten Versorgungsweg möglich machen, allein mit ihr, weil weder eine entsprechende Ausschreibung nach § 127 Abs. 1 noch eine öffentliche Bekanntmachung nach § 127 Abs. 2 SGB V erfolgt beziehungsweise - bezogen auf die Antragsgegnerinnen zu 2 bis 8 - aufrechterhalten worden ist.

Die Voraussetzungen für eine Vereinbarung im Einzelfall nach § 127 Abs. 3 SGB V liegen nicht vor, weil Verträge der Antragsgegnerinnen zur dadurch sichergestellten Versorgung ihrer Versicherten mit Hörhilfen im traditionellen Versorgungsweg bestehen.

Der zur Begründung des Hilfsantrags herangezogene § 127 Abs. 2a SGB V taugt als Anspruchsgrundlage für diesen aus dem Grund nicht, dass gerade kein Beitritt zu dem mit der Bundesinnung der Hörgeräteakustiker geschlossenen Vertrag begehrt wird, sondern ein aliud.

Dass seit 1.4.2009 § 128 Abs. 4 SGB V die Mitwirkung von Vertragsärzten an der Versorgung mit Hilfsmitteln - entsprechend der Gesetzesbegründung hierzu z. B. im verkürzten Versorgungsweg - ausdrücklich nur noch auf der Grundlage vertraglicher Vereinbarungen der Ärzte selbst mit den Krankenkassen unter der Bedingung der unmittelbaren Vergütung der zusätzlichen Leistungen durch die Krankenkassen an die Vertragsärzte möglich ist, zeigt nicht nur die Skepsis des Gesetzgebers gegenüber dem von der Klägerin in der Vergangenheit praktizierten Versorgungsweg, wenn er ihn auch nach wie vor für zulässig hält, sondern ist ein weiterer Aspekt, der die Begründung eines Anspruchs auf Abschluss eines konkreten Vertrages zur Ermöglichung der Versorgung im verkürzten Versorgungsweg zu verhindern geeignet ist. Denn ein Hilfsmittelerbringer müsste, wie es die Antragstellerin auch tut, mit den Krankenkassen Regeln vereinbaren, die ein gänzlich anderes Rechtsverhältnis, nämlich das der Krankenkassen zu Dritten, hier den Vertragsärzten, betrifft, worauf schlechterdings kein Anspruch besteht.

Unabhängig davon, dass ein etwaiger Verstoß gegen die über § 69 S. 2 SGB V anwendbaren §§ 19 bis 21 GWB nicht den Anspruch auf Abschluss eines Vertrags als Rechtsfolge begründen dürfte (vergleiche LSG Nordrhein-Westfalen, aaO, mwN), liegen deren Voraussetzungen nicht vor. Angesichts des von der Antragstellerin mitgeteilten Anteils der Umsätze im verkürzten Versorgungsweg, der auf Versicherte der Antragsgegnerin entfällt und weniger als 30% beträgt, ist eine marktbeherrschende Stellung im Sinne des § 19 Abs. 3 GWB nicht ersichtlich. Für einen Missbrauch im Sinne des § 19 Abs. 4 GWB, eine Diskriminierung, unbillige Behinderung oder sonstiges wettbewerbsbeschränkendes Verhalten im Sinne der §§ 20, 21 GWB gibt es keine Anhaltspunkte. Die Antragsgegnerinnen begründen ihre Weigerung, Verträge abzuschließen, die den verkürzten Versorgungsweg weiterhin ermöglichen, vor allem damit, dass im traditionellen Versorgungsweg eine höhere Qualität der Versorgung durch umfassende Betreuung vor Ort durch Hörgeräteakustiker und eine größere Angebots- und Herstellervielfalt im Interesse Ihrer Versicherten sowie des Auftrages in § 2 Abs. 3 S. 1 SGB V dadurch gesichert werde, dass Versorger des traditionellen Weges Geräte verschiedener Hersteller bereit hielten und anböten, während die Antragstellerin ausschließlich eigene Geräte zur Verfügung stelle. Hierin liegt, insbesondere unter Berücksichtigung des vom Gesetzgeber gewollten freien Spiels der Kräfte, ein sachlich gerechtfertigter Grund. Für das Gericht ist nicht erkennbar, auf welcher Grundlage der Umstand der Zulässigkeit des verkürzten Versorgungswegs einen Zwang der Krankenkassen begründen soll, Hilfsmittelerbringern diesen zu praktizieren zu ermöglichen, wenn die Krankenkassen selber einen anderen Weg für den besseren halten.

Daher scheidet auch ein Anspruch aus Art. 3 Abs. 1 GG aus. Abgesehen davon, dass es einen sachlichen Grund für den Nichtabschluss der begehrten Verträge gibt, wird die Antragstellerin hierdurch nicht gleichheitssatzwidrig anders behandelt als vergleichbare Anbieter. Es ist vielmehr so, dass die Antragstellerin eine Sonderbehandlung begehrt. Die Antragsgegnerinnen haben einerseits auch mit anderen Anbietern keine Verträge über den verkürzten Versorgungsweg abgeschlossen und andererseits der Antragstellerin denselben Vertrag wie anderen Hörgeräteakustiker angeboten.

Schließlich lässt sich aus Artikel 12 Abs. 1 GG kein Anspruch herleiten. Der behauptete Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit erfolgt aufgrund eines Gesetzes, nämlich der Neuregelungen der Vorschriften über die Beziehungen der Krankenkassen zu Leistungserbringern von Hilfsmitteln. Die Schranken sind unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen gewahrt. Die von der Antragstellerin behauptete existenzvernichtende Wirkung vermag das Gericht nicht zu erkennen. Dass bei Wegfall von weniger als 30% des Umsatzes das Unternehmen in seiner Gesamtheit gefährdet wäre, ist nicht nachvollziehbar. Dass die Preiskalkulation mit der Folge fehlender Konkurrenzfähigkeit geändert werden müsste und bisher kooperierende Hals-Nasen-Ohren-Ärzte sich von der Antragstellerin abwenden würden, wenn diese keine Versicherten der Antragsgegnerinnen mehr versorgen dürfte, sind bloße Spekulationen, die nicht nur durch nichts belegt sind, sondern sich dem Gericht auch nicht aufdrängen.

Aus denselben Gründen ist es der Antragstellerin auch zuzumuten, das bisher noch nicht einmal eingeleitete Hauptsacheverfahren abzuwarten. Angesichts der nach den Ausführungen zum Anordnungsanspruch allenfalls sehr vagen Erfolgsaussichten sind an den Anordnungsgrund hohe Anforderungen zu stellen. Diese liegen auch vor dem Hintergrund der ebenfalls spekulativ und in dieser Konsequenz für das Gericht nicht nachvollziehbaren Ankündigung nicht vor, nach Wegfall von weniger als 30% des Umsatzes zeitnah 40% der Mitarbeiter entlassen zu müssen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung. Es erscheint billig, der Antragstellerin auch die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen aufzuerlegen, weil jener sich mit dem gestellten Antrag einem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt und ebenso wie die Antragsgegnerinnen obsiegt hat.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. §§ 53 Abs. 3 Nr. 4, 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) und berücksichtigt, dass nach den die Jahre 2007 und 2008 betreffenden Angaben der Antragstellerin von einem durchschnittlichen Jahresumsatz in Höhe von 6.000.000,00 EUR auszugehen ist, der auf die im Streit stehende Versorgung von Versicherten der Antragsgegnerinnen im verkürzten Versorgungsweg entfällt. Da der zur Bestimmung des Interesses der Antragstellerin heranzuziehende hierauf entfallende Gewinn in einem Zeitraum von drei Jahren (Gedanke des § 42 Abs. 3 S. 1 GKG) weitere Ermittlungen erforderte und unter Umständen durch einmalige Faktoren beeinflusst wäre, hält die erkennende Kammer dessen pauschale Bemessung mit 5 % des Bruttoumsatzes unter entsprechender Anwendung des § 50 Abs. 2 GKG für sachgerecht (ebenso: LSG Baden-Württemberg 10.10.2006 - L 5 KR 897/06 W-A). Von dem sich danach ergebenden Hauptsachestreitwert in Höhe von 900.000,00 EUR erscheint angesichts der Vorläufigkeit der im Rahmen dieses einstweiligen Rechtsschutzverfahrens begehrten Regelung ein Abschlag in Höhe von 50 % angemessen (vgl. LSG Baden-Württemberg, aaO unter Hinweis auf die Empfehlungen des auf der Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der Landessozialgerichte vom 16.5.2006 beschlossenen Streitwertkatalogs für die Sozialgerichtsbarkeit).

Referenznummer:

R/R4459


Informationsstand: 02.02.2010