Urteil
Berücksichtigung von Mehrkosten für behindertengerechte Erstellung eines Einfamilienhauses nach § 33 EStG?

Gericht:

FG Neustadt (Weinstraße) 6. Senat


Aktenzeichen:

6 K 1933/91


Urteil vom:

10.03.1994


Grundlage:

  • EStG § 33 Abs 1 |
  • EStG § 10e Abs 1 |
  • EStG § 33 Abs 2 S 2

Orientierungssatz:

1. Die beim Neubau eines behindertengerechten Einfamilienhauses entstandenen Mehrkosten für den Einbau einer Fahrstuhlanlage können nicht als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden (Gegenwerttheorie).

2. Sonstige behindertengerechte Einbauten, wie Bodendusche, Verbreiterung der Innentüren, überfahrbare Schwellen und versetzte Fenstergriffe, sind dagegen nach § 33 EStG absetzbar. Denn infolge ihrer funktionsmäßigen Nähe zu den medizinischen Hilfsmitteln dienen sie ausschließlich dem Behinderten, so daß ihre Marktfähigkeit zurücktritt.

3. Dem steht auch § 33 Abs. 2 Satz 2 EStG nicht entgegen, weil die Abzugsbeträge nach § 10e EStG keine Sonderausgaben darstellen.

4. Rechtsausführungen aufgehoben durch BFH Urteil III R 209/94 vom 10.10.1996 BStBl 1997 II 491

(überlassen von DATEV)

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

JURIS-GmbH

Tatbestand:

Der Streit geht darum, ob behinderungsbedingte Mehraufwendungen für einen Neubau eine außergewöhnliche Belastung sind.

Der Kläger ist als Schwerstbehinderter zu 100 % körperbehindert. Aufgrund seines stetig sinkenden Gesundheitszustandes und der damit einhergehenden Gehbehinderung, die die Benutzung eines Rollstuhls erforderten, entschlossen sich die Kläger zum Bau eines behindertengerechten Einfamilienhauses in ..., der in den Jahren 1989 und 1990 erfolgte.

In der Einkommensteuererklärung 1989 machten sie die im Jahre 1989 dadurch bedingten und von ihnen mit 25.773 DM bezifferten Mehrkosten vergeblich als außergewöhnliche Belastung geltend. Das Finanzamt vertrat die Auffassung, die Aufwendungen seien Herstellungskosten des Gebäudes, somit gemäß § 10e EStG wie Sonderausgaben abzugsfähig und daher nicht als außergewöhnliche Belastung berücksichtigungsfähig.

Nach erfolglosem Vorverfahren wird mit der Klage im wesentlichen geltend gemacht:

Der Beklagte habe zu Unrecht die Anerkennung als außergewöhnliche Belastung versagt. Was die Höhe des Betrages angehe, so ergäbe sie sich aus den vom Architekten mit 48.630 DM veranschlagten Gesamtmehrkosten, von denen - entsprechend der Zahlung von 53 % der gesamten Baukosten in 1989 (= 182.150 DM) - 53 % geltend gemacht worden seien.

Nach den gesetzlichen Regelungen handele es sich bei den Aufwendungen im Sinne des § 10e EStG nicht um Sonderausgaben. § 10 EStG liste die Sonderausgaben auf, § 10b EStG lasse den Abzug bestimmter Ausgaben als Sonderausgaben zu und §§ 10d - 10f EStG beträfen Aufwendungen, die wie Sonderausgaben abgezogen werden könnten. Durch diese grammatische Unterscheidung habe der Gesetzgeber eindeutig zum Ausdruck gebracht, daß er die Aufwendungen im Sinne des § 10e EStG nicht zu den Sonderausgaben zähle. Infolgedessen sei die Zuordnung der Aufwendungen zu § 10e EStG unschädlich im Zusammenhang mit der Geltendmachung als außergewöhnliche Belastung. Diese Betrachtung werde untermauert durch Abschn. 3 EStR, wo bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens der Abzug der Sonderausgaben an anderer Stelle als der Abzug der Steuerbegünstigung nach § 10e EStG vorgenommen werde.

Im Laufe des Klageverfahrens hat der Beklagte einen geänderten Einkommensteuerbescheid 1989 erlassen, der gemäß § 68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden ist.

Die Kläger beantragen,

in Abänderung des Einkommensteuerbescheides 1989 vom 25. August 1992 die Einkommensteuer 1989 unter Berücksichtigung einer weiteren außergewöhnlichen Belastung in Höhe von 25.773 DM anderweitig festzusetzen.


Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er trägt zur Begründung über den Hinweis auf die Einspruchsentscheidung hinaus im wesentlichen vor:
Der geltend gemachte Betrag resultiere aus einer Schätzung der Kosten der Aufzugsanlage, die entsprechend dem Baufortschritt ohne Rücksicht auf den jeweiligen Zeitpunkt des Abflusses der Gelder errechnet worden sei. Es sei keineswegs bestimmbar, welche Herstellungskosten für den Einbau der Fahrstuhlanlage im Streitjahr abgeflossen seien. Im Rahmen der Außenprüfung habe nur eine unmittelbar mit dem Einbau der Aufzugsanlage zusammenhängende Zahlung von 10.183,62 DM in 1989 festgestellt werden können. Dem Abzug auch dieser Aufwendungen stehe allerdings § 33 Abs. 2 EStG entgegen, da die Aufwendungen für den Aufzug zu den Herstellungskosten des Hauses zählen würden, die im Rahmen des § 10e EStG absetzbar seien. Der Gesetzeswortlaut ''wie Sonderausgaben'' könne nicht dahingehend interpretiert werden, daß hier ein Sonderausgabenabzug minderer Art vorliege, der steuerlich nicht als solcher einzuordnen sei.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist teilweise begründet.

Der angefochtene Einkommensteuerbescheid 1989 hält insoweit der rechtlichen Nachprüfung nicht stand, als das Finanzamt auch die nicht die Aufzugsanlage betreffenden Aufwendungen nicht als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt hat; im übrigen ist er nicht zu beanstanden.

Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes (außergewöhnliche Belastungen), so wird auf Antrag die Einkommensteuer im bestimmten Umfange ermäßigt (§ 33 Abs. 1 EStG). Aufwendungen die zu den Betriebsausgaben, Werbungskosten oder Sonderausgaben gehören, bleiben dabei außer Betracht (§ 33 Abs. 2 Satz 2 EStG).
Darüber hinaus finden jedoch Aufwendungen keine Berücksichtigung als außergewöhnliche Belastung, wenn der Steuerpflichtige dafür einen Gegenwert im Sinne des § 33 EStG erhält. In diesem Sinne erfüllen auch unmittelbar der Heilung oder Linderung einer Krankheit dienende Ausgaben die Voraussetzungen des § 33 EStG nicht, wenn der angeschaffte Gegenstand nicht nur für den Steuerpflichtigen selbst, sondern auch für andere Personen von Wert sein könnte und deshalb von einer Belastung im Sinne des § 33 EStG nicht gesprochen werden kann, weil Teile des Einkommens für die Anschaffung solcher Gegenstände verwendet werden, die von bleibendem oder zumindest länger andauerndem Wert und Nutzen sind und demnach einen in einer gewissen Marktfähigkeit zum Ausdruck kommenden Verkehrswert besitzen (vgl. BFH-Urteil vom 29. November 1991, III R 74/87, BStBl II 1992, 290 und vom 9. August 1991, III R 54/90, BStBl II 1991, 920 mit weiteren Nachweisen).

Davon ausgehend ist zunächst zu bemerken, daß der Senat hinsichtlich der Höhe der streitigen Aufwendungen den Ansätzen der Kläger folgt. Der Architekt ... hat gegenüber den Klägern in seinem Schreiben vom 8. Mai 1989 die Mehrkosten für den behindertengerechten Bau des Einfamilienhauses mit ''ca. DM 48.630,--'' beziffert, welche die Kläger anteilig mit 53 %, das heißt entsprechend dem in 1989 gezahlten Teilbetrag in Höhe von 182.150,-- DM der Gesamtbaukosten, für 1989 geltend gemacht haben. Wie der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung erläutert hat, ergibt sich die Summe von 48.630,-- DM aus der Differenz zwischen den Herstellungskosten des unveränderten Fertighaustyps und den Herstellungskosten, welche die Kläger für den behindertengerechten geänderten Bau des gleichen Fertighaustyps gezahlt haben, so daß der Zusatz ''ca.'' eigentlich nicht gerechtfertigt ist. Dieser ist allerdings nach dem Vorbringen des Klägervertreters bei den darüberstehenden Einzelbeträgen vermutlich dadurch zu erklären, daß der Architekt wegen der damit verbundenen Schwierigkeiten keine ins einzelne gehende genaue Aufteilung der Gesamtmehrkosten vorgenommen hat. Was den Abfluß im Streitjahr anbetrifft, so hat der Klägervertreter weiter erklärt, daß die Herstellungskosten nach Baufortschritt in Teilbeträgen gezahlt worden sind und in diesen wiederum die anteiligen Mehrkosten für den behindertengerechten Ausbau enthalten sind, so daß ein Einzelnachweis der abgeflossenen Mehrkosten nicht möglich ist. Der Senat akzeptiert diese Betrachtung.

Aufzugsanlage Die Aufwendungen dafür (53 % von 43.000,-- DM = 22.790,-- DM) können nach den Grundsätzen der oben dargelegten Gegenwerttheorie als außergewöhnliche Belastung nicht berücksichtigt werden. Die Aufzugsanlage konnte auch für andere Personen von Nutzen sein und verkörpert infolgedessen einen zumindest länger andauernden Wert und Nutzen, der sich in einer gewissen Marktfähigkeit niederschlägt. Ungeachtet der möglichen Mitbenutzung durch die Klägerin wäre nach Auffassung des Senates die Aufzugsanlage auch für einen Nacheigentümer von Wert und würde in den Marktwert des Hauses einfließen. Dabei ist zu bedenken, daß mit der Entwicklung der Bevölkerungsstruktur, das heißt dem immer größer werdenden Anteil der Alten an der Gesamtbevölkerung und der zunehmend längeren individuellen Lebensdauer, auch die Zahl derjenigen zunimmt, deren Geh- und Stehfähigkeit beeinträchtigt sind. Für diesen Personenkreis sind Einfamilienhäuser mit einer Aufzugsanlage wie im Anwesen der Kläger, also mit einem normalen, rollstuhlgerechten Kabinenaufzug innerhalb eines alle drei Geschosse erschließenden Schachtes, von Interesse. Das gleiche gilt für Personen, deren allgemeine körperliche Leistungsfähigkeit, etwa infolge Herz- und Kreislaufschwäche, das Treppensteigen erschwert, und schließlich sind in den Kreis potentieller Interessenten auch diejenigen einzubeziehen, welche die nunmehr mehr und mehr propagierte häusliche Pflege, sei es für sich selbst oder für Angehörige, ins Auge fassen. Da diese Zielgruppe vornehmlich der älteren Generation angehört und neben einschlägiger Vorausschau oftmals auch über die entsprechenden finanziellen Mittel verfügt, kann die Marktfähigkeit der in Rede stehenden Anlage schwerlich bezweifelt werden (vgl. auch Sunder-Plassmann in DStR 1992, 1301 unter 1.1).

Sonstige Einrichtungen Die Aufwendungen hingegen für die sonstigen behindertengerechten Einrichtungen (Bodendusche, Verbreiterung der Innentüren, überfahrbare Schwellen, versetzte Fenstergriffe) in Höhe von 2.984,-- DM (= 53 % von 48.630,-- DM ./. 43.000,-- DM) sind entgegen der Auffassung des Beklagten als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen.
§ 33 Abs. 2 Satz 2 EStG steht ihrer Berücksichtigung nicht entgegen, da sie keine Sonderausgaben sind. Nach Wegfall der Nutzungswertbesteuerung eines selbst genutzten Hauses kann der Steuerpflichtige dessen Herstellungskosten nunmehr nach § 10e Abs. 1 Satz 1 EStG bis zu einem bestimmten Höchstbetrag "wie Sonderausgaben abziehen".

Nachdem der Gesetzgeber in § 10 EStG die als Sonderausgaben anzusehenden Aufwendungen im einzelnen anführt, einerseits in den §§ 10a und 10b EStG den Abzug von Aufwendungen als Sonderausgaben zuläßt und andererseits in § 10e EStG den Abzug von Aufwendungen wie Sonderausgaben regelt, hat er damit in differenzierender Weise hinreichend zum Ausdruck gebracht, daß die Abzugsbeträge nach § 10e EStG ihrer Natur nach keine Sonderausgaben darstellen.

Der Senat sieht sich bei dieser Betrachtung in Übereinstimmung mit Herrmann / Heuer / Raupach, 20. Aufl., § 10e Rz. 90; Hartmann / Böttcher / Nissen / Bordewin, EStG, 133. N.-Lfg., § 10e Rz. 8, 80 sowie Schmidt, EStG, 11. Aufl., § 10e Anm. 4 c (zweifelnd inzwischen 12. Aufl.); auch die Rechtsprechung des BFH (vgl. Urteil vom 4. Dezember 1991, X R 89/90, BStBl II 1992, 295, das vom § 10e EStG als eigenständigem Forderungstatbestand spricht) deutet in diese Richtung. Anderer Auffassung sind hingegen Blümich, EStG, 14. Aufl., § 10e Tz. 26 und Littmann, EStG, 15. Aufl., § 10e Rz. 2). Die Qualifizierung als Nicht- Sonderausgaben hat zur Folge, daß die für den behindertengerechten Ausbau entstandenen und in die Herstellungskosten eingeflossenen Mehraufwendungen als außergewöhnliche Belastung in Betracht kommen.

Anders als bei der Aufzugsanlage ist den oben im einzelnen angeführten sonstigen Einrichtungen kein Gegenwert beizumessen; infolge ihrer funktionsmäßigen Nähe zu den medizinischen Hilfsmitteln dienen sie ausschließlich dem Kläger selbst und sind nur für ihn bestimmt und nutzbar mit der Folge, daß ihre Marktfähigkeit zurücktritt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 151 Abs. 3 FGO, §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO und die Fassung des Tenors aus § 100 Abs. 2 FGO.

Die Revision wurde gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen, da die Frage, ob die Abzugsbeträge nach § 10e EStG als Sonderausgaben im Sinne des § 33 Abs. 2 Satz 2 EStG anzusehen sind, höchstrichterlich - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden ist.

Referenznummer:

DVRE000136210


Informationsstand: 09.08.1999