II.
Die zulässige Beschwerde (
vgl. BGH, WuW/E DE-R 2055, 2057 - Auskunftsverlangen) hat keinen Erfolg. Das Bundeskartellamt durfte der B. im Juni 2010 aufgegeben, ihm die im angefochtenen Beschluss aufgeführten Unterlagen, insbesondere für die Zeit ab Januar 2008 näher bezeichnete Positionspapiere, Protokolle, Gesprächsnotizen und Korrespondenz zum verkürzten Versorgungsweg in der Hörgeräteversorgung sowie zu Vertragsverhandlungen mit Krankenkassen zur Einsichtnahme und Prüfung vor Ort vorzulegen und herauszugeben. Die Maßnahme war geeignet und angemessen, um den - jedenfalls bestehenden - Verdacht eines Kartellverstoßes nach § 1 GWB abzuklären. Ob - wie das Amt angenommen hat - daneben berechtigterweise auch eine Zuwiderhandlung gegen §§ 19, 20 GWB und die Artt. 101, 102 AEUV in Betracht zu ziehen war, kann auf sich beruhen.
A. Soweit dies zur Erfüllung der ihr im GWB übertragenen Aufgaben erforderlich ist, kann die Kartellbehörde von Unternehmen Auskunft über ihre eigenen wirtschaftlichen Verhältnisse und die Herausgabe von Unterlagen verlangen (§ 59
Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 GWB) sowie bei Unternehmen und Unternehmensvereinigungen innerhalb der üblichen Geschäftszeiten die geschäftlichen Unterlagen einsehen und prüfen (§ 59 Absatz 1 Satz 1
Nr. 3 GWB). Diese Befugnis ist nur durch das Ermittlungsziel und durch die Erforderlichkeit der - sowohl insgesamt als auch im Einzelnen - verlangten Auskünfte beschränkt. Dabei ist ein großzügiger Maßstab anzulegen. Während eines bei ihr anhängigen Kartellverwaltungsverfahrens entscheidet allein die Kartellbehörde darüber, ob und welche Ermittlungen zur Wahrnehmung der ihr im Kartellgesetz übertragenen Aufgaben anzustellen sind. Das Auskunftsersuchen ist ein wesentliches Gestaltungselement dieser Ermittlungstätigkeit. In welchem Umfang von ihm Gebrauch gemacht wird, steht im Ermessen der Kartellbehörde. Der Ermessensspielraum ist dabei notwendigerweise weit gespannt. Die Kartellbehörde kann zu Beginn oder während der Ermittlungen in aller Regel nicht wissen, welchen Verlauf die Ermittlungen nehmen und welches Ergebnis sie haben werden. Das Gericht kann einen Auskunftsbeschluss nur daraufhin überprüfen, ob das - von der Kartellbehörde darzulegende - Ermittlungskonzept vertretbar ist und ob die Kartellbehörde die Erforderlichkeit der erbetenen Auskünfte mit vertretbaren Erwägungen bejaht hat (Senat, WuW/E DE-R 1861 - Kalksandstein; WuW/E DE-R 1179, 1180/1181 - Stromcon-tracting; WuW/E DE-R 677, 678, 680 - Müllverbrennungsanlage;
OLG Düsseldorf, 2. Kartellsenat, Beschl. v. 20.5.2010 - VI - 2 Kart 9/09 (V); Klaue in Immenga/Mest-mäcker, Wettbewerbsrecht GWB, 4. Aufl., § 59
Rdnr. 19
ff.; Barth in Münchener Kommentar, GWB, § 59
Rdnr. 6
ff.; Bechtold in Bechtold/Otting, GWB, 6. Aufl., § 59
Rdnr. 6
ff.; Becker in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, 2. Aufl., § 59
Rdnr. 1) sowie eine angeordnete Einsicht vor Ort dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt (Klaue, a.a.O. § 59
Rdnr. 23; Becker, a.a.O. § 59
Rdnr. 9; Schneider in Langen/ Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, Band 1, 11. Aufl., § 59
Rdnr. 15).
B. An diesen Anforderungen gemessen ist der streitbefangene Amtsbeschluss nicht zu beanstanden.
1. Das Bundeskartellamt war für den Erlass der angefochtenen Verfügung zuständig (§ 48
Abs. 1,
Abs. 2 Satz 1 und 2 GWB). Die von der Beschwerde reklamierte Sonderzuständigkeit der Versicherungsaufsichtsbehörden besteht nicht. Nach § 87
Abs. 1
SGB IV unterliegen die Versicherungsträger staatlicher Aufsicht durch die dafür zuständigen Fachbehörden. Darum geht es vorliegend ersichtlich nicht. Gegenstand der Beschwerde ist die Überprüfung einer kartellbehördlichen Maßnahme, die sich gegen die B. als Verband der Leistungserbringer - und nicht gegen einen Versicherungsträger - richtet.
2. Das Bundeskartellamt hat mit Recht angenommen, dass der Inhalt der Vereinbarung zwischen der B. und der
AOK ... vom 15. August 2009 den Anfangsverdacht eines Kartellverstoßes gegen § 1 GWB begründet.
a) Die genannte Vereinbarung verhält sich über die Fortgeltung bestehender Verträge, die im Zeitraum zwischen 1992 und 2007 zwischen der B. und der
AOK .... geschlossen worden sind und hinsichtlich der Freistaaten ..... und ...... im Wesentlichen die pauschale Abgeltung von Reparaturleistungen für Hörgeräte und Otoplastiken sowie die Folgeversorgung und ferner die Hörgeräteversorgung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen betreffen. Für den Bereich der Erwachsenversorgung sieht § 2 (2) der Vereinbarung vom 15. August 2009 (nachfolgend: Folgevereinbarung) reduzierte eigenanteilsfreie Vertragspreise für ein- und mehrkanalige Hörgeräte, ferner eine verminderte Reparaturkostenpauschale sowie schließlich Abschläge für das zweite Hörsystem bei beidohriger Versorgung und bei Nachlieferung von verloren gegangenen oder unbrauchbar gewordenen Hörhilfen vor. In § 3 Satz 1 hat sich die B. das Recht vorbehalten, die Folgevereinbarung mit einer Frist von 14 Tagen zum Monatsende zu kündigen, falls die
AOK .... eine oder mehrere Vereinbarungen zur Versorgung von Versicherten mit Hörhilfen abschließt. Macht die B. von diesem Kündigungsrecht Gebrauch, leben nach § 3 Satz 2 der Folgevereinbarung die Ursprungsverträge in vollem Umfang, inklusive der dort vereinbarten (höheren) Vergütungssätze, wieder auf. Bei wirtschaftlicher Betrachtung läuft - wie das Bundeskartellamt zutreffend angenommen hat - die Folgevereinbarung im Ergebnis auf eine "Rabattgewährung" für nicht abgeschlossene Konkurrenzverträge hinaus. Die
AOK .... kann die reduzierten Vergütungssätze im Bereich der Erwachsenversorgung beanspruchen, so lange sie mit keinem konkurrierenden Leistungserbringer eine Vereinbarung zur Versorgung von Versicherten mit Hörhilfen abschließt.
b) Der dargestellte Vertragsinhalt begründet den naheliegenden Verdacht, dass dem Abschluss der Folgevereinbarung eine dahingehende Beschlussfassung im B. vorausgegangen ist. Das gilt schon wegen der Einnahmeverluste, die sich für die im B. zusammengeschlossenen Hörgeräteakustiker aus den reduzierten Versorgungssätzen der Folgevereinbarung ergeben können. Es entspricht den üblichen Gepflogenheiten, dass ein Interessenverband derart belastende Maßnahmen erst nach Abschluss einer entsprechenden internen Willensbildung vornimmt. Gegenteilige Anhaltspunkte sind weder dargelegt noch sonst ersichtlich.
c) Die Beschlussfassung über den Abschluss der Folgevereinbarung erfüllt den Verbotstatbestand des § 1 GWB. Nach der genannten Vorschrift sind (u.a.) Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen verboten, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken.
aa) § 1 GWB ist anwendbar. Anders als die Beschwerde meint, schließt § 69
SGB V in seiner maßgeblichen Fassung des Jahres 2010 (nachfolgend: § 69
SGB V 2010) die Geltung des Kartellrechts im Streitfall nicht aus.
(1) § 69
Abs. 1 Satz 1
SGB V 2010 bestimmt, dass die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und ihrer Verbände zu den Leistungserbringern und deren Verbände ausschließlich durch die Bestimmungen des Vierten Kapitels des
SGB V (§§ 69 bis 140 h) sowie die §§ 63 und 64
SGB V geregelt werden. Gemäß § 69
Abs. 2
SGB V 2010 sind - soweit vorliegend von Interesse - auf jene Rechtsbeziehungen lediglich die §§ 19 bis 21 GWB entsprechend anwendbar. Ausgenommen sind insoweit allerdings Verträge, zu deren Abschluss die Krankenkassen oder ihre Verbände gesetzlich verpflichtet sind und bei deren Nichtzustandekommen eine Schiedsamtsregelung gilt.
(2) Zu Unrecht leitet die B. aus der dargestellten Normlage die Schlussfolgerung ab, die Beschlussfassung im B. über den Abschluss der Folgevereinbarung sei dem kartellrechtlichen Verbot des § 1 GWB nicht unterworfen.
(2.1) Für den Bereich der kartellbehördlichen Fusionskontrolle ist höchstrichterlich bereits entschieden, dass
§ 69 Abs. 1 SGB V die Anwendung des Kartellrechts nicht ausschließt (
BGH, WuW/E DE-R 2327, 2328 - Kreiskrankenhaus Bad Neustadt). Nach ihrem Wortlaut betrifft die Vorschrift nur die Rechtsbeziehungen im Vertikalverhältnis zwischen den Krankenkassen und ihren Verbänden auf der einen Seite und den Leistungserbringern und ihren Verbänden auf der anderen Seite. Unberührt vom Anwendungsausschluss des Kartellrechts bleibt demgegenüber grundsätzlich das Horizontalverhältnis der Leistungserbringer untereinander. Im Hinblick auf den Gesetzeszweck ist § 69
Abs. 1
SGB V nur in Ausnahmefällen auf wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen im Horizontalverhältnis anwendbar. § 69
Abs. 1
SGB V verfolgt das Ziel, die Tätigkeiten der Krankenkassen, die im Zusammenhang mit der Erfüllung ihres öffentlich-rechtlichen Versorgungsauftrags stehen, dem Privatrecht - und damit auch dem Wettbewerbs- und Kartellrecht - zu entziehen. Im Hinblick auf dieses Regelungsziel kann die Vorschrift auch die Beziehungen der Leistungserbringer untereinander erfassen. Voraussetzung ist allerdings, dass es um Handlungen in Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Versorgungsauftrags der Krankenkassen geht. Dies ist bei der Fusion von zwei Krankenhäusern nicht der Fall (
vgl. zu Allem:
BGH, a.a.O.).
Für § 1 GWB müssen dieselben Rechtsgrundsätze gelten. Weder der Gesetzeswortlaut noch der Regelungszweck bietet einen Anhaltspunkt für die Annahme, die Reichweite des in § 69
Abs. 1
SGB V 2010 geregelten kartellrechtlichen Anwendungsausschlusses hänge davon ab, ob die Vorschriften der kartellbehördlichen Zusammenschlusskontrolle oder das Kartellverbot des § 1 GWB in Rede stehen.
(2.2) Im Entscheidungsfall liegen die Voraussetzungen, unter denen § 69
Abs. 1
SGB V 2010 die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen zu den Leistungsempfängern dem Kartellrecht entzieht, nicht vor. Dabei ist es unerheblich, dass die in der Folgevereinbarung enthaltene - und vom Bundeskartellamt beanstandete - "Rabattgewährung" Teil eines Vertikalvertrages ist, in dem die Einzelheiten der Versorgung der Versicherten der
AOK .... mit Hörgeräten durch die in der B. zusammengeschlossenen Hörgeräteakustiker geregelt sind. Das Bundeskartellamt hat den Anfangsverdacht für einen Kartellverstoß der B. nämlich nicht aus dem Abschluss der Folgevereinbarung hergeleitet, sondern auf die dem Vertragsschluss vorausgegangene Beschlussfassung in der B. abgestellt. Diese interne Willensbildung war eine Maßnahme zwischen den verbandsangehörigen Hörgeräteakustikern und somit eine Handlungsweise im Horizontalverhältnis der Leistungserbringer. Als solche unterfiel sie grundsätzlich nicht dem Anwendungsausschluss des § 69
Abs. 1
SGB V 2010. Sie war auch nicht als eine Maßnahme in Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Versorgungsauftrags der Krankenkassen ausnahmsweise dem Anwendungsbereich des § 1 GWB entzogen. Der Beschluss über den Abschluss der Folgevereinbarung war weder darauf gerichtet noch geeignet, den öffentlich-rechtlichen Versorgungsauftrag der
AOK .... zu fördern. Er zielte im Gegenteil darauf ab, den Wettbewerb auf dem Endkundenmarkt für Hörgeräte auszuschalten und die
AOK .... durch Gewährung günstiger Vergütungssätze in der Erwachsenenversorgung davon abzuhalten, Versorgungsverträge über Hörhilfen mit konkurrierenden Hörgeräteanbietern abzuschließen.
(a) Entgegen der Auffassung der Beschwerde war der im B. gefasste Beschluss über den Abschluss der Folgevereinbarung nicht deshalb der Geltung des § 1 GWB entzogen, weil der auf seiner Grundlage abgeschlossene Vertrag mit der
AOK .... als eine Vertikalvereinbarung zwischen Krankenkasse und Leistungerbringerverband dem Anwendungsausschluss des § 69
Abs. 1
SGB V 2010 unterfiel.
Der Schlussfolgerung ist zu widersprechen, weil ihre Prämisse nicht zutrifft. Die in der Folgevereinbarung enthaltene "Rabattgewährung" war zwar Teil eines Vertikalvertrages im Sinne von § 69
Abs. 1
SGB V 2010, aber gleichwohl dem Kartellverbot des § 1 GWB unterworfen. Wie vorstehend ausgeführt, ordnet § 69
Abs. 1
SGB V 2010 die ausschließliche Geltung des Sozialrechts nur für das Leistungserbringungsverhältnis zwischen der Krankenkasse und den Leistungserbringern an (
vgl. auch Becker/Kingreen,
SGB V Gesetzliche Krankenversicherung, 2. Aufl., § 69
Rdnr. 9), nicht aber für die Rechtsbeziehungen der Leistungserbringer untereinander. Regelungsziel ist die Privilegierung jenes Leistungsaustauschverhältnisses, indem die betreffenden Rechtsbeziehungen dem Privatrecht - und somit auch dem Kartellrecht - entzogen und alleine dem Sozialrecht unterstellt werden. Diesem Gesetzeszweck folgend ist § 1 GWB auf eine Vertragsklausel nicht schon deshalb unanwendbar, weil sie Teil eines Vertikalvertrages zwischen einer Krankenkasse und einem Leistungserbringerverband ist. Entscheidend ist vielmehr, ob die vertragliche Bestimmung nach ihrem Regelungsziel den Leistungsaustausch zur Krankenkasse oder das Horizontalverhältnis der Leistungserbringer untereinander betrifft. Im letztgenannten Fall greift der Anwendungsausschluss des § 69
Abs. 1
SGB V 2010 nicht ein und bleibt § 1 GWB folglich anwendbar.
So liegt der Fall hier. Die in der Folgevereinbarung vorgesehenen "Rabatte" für nicht abgeschlossene Versorgungsverträge mit dritten Hörgeräteakustikern betrafen nach ihrer Zielrichtung nicht die Modalitäten des Leistungsaustausches zwischen der
AOK .... und den Hörgeräteakustikern der B., sondern waren auf eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs auf dem Endkundenmarkt für Hörgeräte gerichtet. Absicht war es, die Markt- und Wettbewerbsverhältnisse der Hörgeräteakustiker zugunsten der im B. zusammengeschlossenen Anbieter zu beeinflussen. Für derartige Regelungen greift der Anwendungsausschluss des § 69
Abs. 1
SGB V 2010 nicht ein.
Auf eine Verbandskompetenz aus
§ 127 Abs. 2 SGB V, (auch) das Horizontalverhältnis der Leistungserbringer untereinander zu regeln, kann sich die B. in diesem Zusammenhang nicht berufen. § 127
Abs. 2
SGB V gestattet dem Leistungserbringerverband lediglich, für ihre Mitglieder einheitliche Versorgungsverträge mit den Krankenkassen abzuschließen. Eine Befugnis, in solche Verträge wettbewerbsbeschränkende Klauseln zum Nachteil konkurrierender Leistungserbringer aufzunehmen, ist der Bestimmung nicht zu entnehmen.
(b) Die B. macht gegen die Anwendbarkeit des § 1 GWB überdies geltend, dass § 69
Abs. 2
SGB V 2010 auf die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und ihren Verbänden zu den Leistungserbringern und ihren Verbänden nur die Bestimmungen der §§ 19 bis 21 GWB - und nicht auch die Vorschrift des § 1 GWB - für entsprechend anwendbar erklärt. Daraus sei - so meint die Beschwerde - der Schluss zu ziehen, dass das Kartellverbot des § 1 GWB auf das Rechtsverhältnis zwischen einer Krankenkasse (hier: der
AOK ...) und einem Leistungserbringerverband (hier: der B.) generell nicht anwendbar sei und folgerichtig auch die jenem Rechtsverhältnis vorgelagerte Beschlussfassung im Verband der Leistungserbringer der genannten Kartellrechtsnorm entzogen sein müsse.
Auch dem ist nicht zuzustimmen. Die Argumentation der B. verkennt den Regelungsinhalt von § 69
SGB V 2010. Absatz 1 der Vorschrift ordnet für das Leistungserbringungsverhältnis die ausschließliche Geltung des Sozialrechts an. Absatz 2 des § 69
SGB V 2010 enthält dazu eine Einschränkung, indem auf näher bezeichnete Verträge, die nach § 69
Abs. 1
SGB V 2010 an sich nur dem Sozialrechtsregime unterstellt sind, die §§ 19 bis 21 GWB entsprechend anzuwenden sind. Nach dieser Regelungssystematik ist nicht die Folgerung der Beschwerde, sondern der gegenteilige Schluss gerechtfertigt. Geht es - wie vorliegend - um eine Horizontalklausel, unterfällt sie nicht dem Anwendungsausschluss des § 69
Abs. 1
SGB V 2010, weshalb auf sie § 1 GWB anzuwenden ist. § 69
Abs. 2
SGB V 2010 ändert daran nichts. Denn die Norm erweitert lediglich den Geltungsbereich des Kartellrechts über § 69
Abs. 1
SGB V 2010 hinaus, indem sie auf bestimmte Verträge, die grundsätzlich nur dem Sozialrecht unterliegen, die Vorschriften zum kartellrechtlichen Behinderungs- und Diskriminierungsverbot (§§ 19, 20 GWB) und zum Boykott (§ 21 GWB) für entsprechend anwendbar erklärt.
bb) Die Beschlussfassung im B. über den Abschluss der Folgevereinbarung mit der
AOK ... erfüllt den Verbotstatbestand des § 1 GWB.
(1) Die B. ist als eine Interessenvertretung bundesdeutscher Hörgeräteakustiker eine Unternehmensvereinigung im Sinne von § 1 GWB. Ihre Rechtsform als Körperschaft des öffentlichen Rechts ist nach dem funktionalen Unternehmensbegriff unschädlich. Die öffentliche Hand ist nur dann dem Kartellrecht entzogen, wenn sie (schlicht) hoheitlich handelt. Nimmt sie demgegenüber am allgemeinen Geschäftsverkehr teil und stehen ihre kein (öffentlich-rechtlichen) Sonderregelungen zu Gebote, ist ihr Verhalten an den für jeden anderen Marktteilnehmer auch geltenden Maßstäben des Kartellrechts zu messen (
vgl. nur: Bunte in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, Band 1, 11. Aufl., § 1
Rdnr. 28
m.w.N.). So liegt der Fall hier. Die B. hat den Beschluss über die Folgevereinbarung in ihrer Eigenschaft als Interessenverband der deutschen Hörgeräteakustiker - und nicht in Ausübung hoheitlicher Befugnisse - gefasst.
(2) Die Beschlussfassung bezweckte die Beeinträchtigung des freien und unverfälschten Wettbewerbs auf dem Endkundenmarkt für Hörgeräte in Deutschland. Der
AOK ... sollten günstige Preise in der Erwachsenenversorgung unter der Voraussetzung gewährt werden, dass sie mit keinem konkurrierenden Hörgeräteakustiker einen Vertrag zur Versorgung ihrer Versicherten mit Hörhilfen abschließt. Ziel war es, die Wettbewerbschancen aller nicht dem B. angehörenden Hörgeräteanbieter - und mithin auch der Anbieter im verkürzten Versorgungsweg - zu beeinträchtigen. Zu letzteren gehören die Firmen "..." und "...".
(3) Die beschlossene "Rabattgewährung" an die
AOK ... war geeignet, den Wettbewerb spürbar, d.h. praktisch ins Gewicht fallend (
vgl. BGH, WuW/E DE-R 711, 717 - Ost-Fleisch), zu beeinträchtigen. Die Folgevereinbarung sollte für die Bundesländer ... und ... geschlossen werden und zielte darauf ab, den ohnehin begrenzten Wettbewerb auf dem Endkundenmarkt für Hörgerate (nach den Feststellungen des Amtes entfallen auf die Wettbewerber der im B. zusammengeschlossenen Hörgeräteakustiker ein Marktanteil von zusammen .. %) auszuschalten. Bereits daraus rechtfertigt sich die Annahme einer spürbaren Wettbewerbsbeeinträchtigung. Im Übrigen musste sich bei verständiger Betrachtung aufdrängen, dass die wettbewerbsbeschränkenden "Rabatte" beschlussgemäß nicht nur mit der
AOK ..., sondern auch mit anderen Krankenkassen vereinbart werden sollten. Aus dem Schreiben der B. an den
AOK-Bundesverband vom 6. November 2009 (Bl. 69 f. AA), in dem es auszugsweise heißt
Richtigerweise stellen Sie fest, dass wir mit unserem Angebot an den
AOK-Bundesverband und deren Mitglieder insbesondere mit den Leistungsargumenten "Preis und Qualität" den verkürzten Versorgungsweg für Sie und Ihre Versicherten unattraktiv machen wollen.
Daher werden in den Verträgen, die wir zukünftig mit den AOKen schließen wollen, keine Formulierungen enthalten sein, die eine Bedingung zum verkürzten Versorgungsweg fordern.
ergibt sich nichts Gegenteiliges. In dem Schreiben bestätigt die B. vielmehr ihre Absicht, den verkürzten Versorgungsweg über den Preis unattraktiv machen zu wollen. Dass die in der Folgevereinbarung mit der
AOK ... dazu vorgesehene "Rabattgewährung" keine Verwendung mehr finden sollte, ist den Verlautbarungen der B. nicht zu entnehmen. Ihre Ankündigung in dem Schreiben an den
AOK-Bundesverband, man wolle in künftigen Versorgungsverträgen keine Bedingungen zum verkürzten Versorgungsweg fordern, ist in diesem Zusammenhang ohne Aussagewert. Das gilt umso mehr, als die B. erst mit Schreiben vom 27. Dezember 2010 (Anlage 3) - mithin erst mehr als ein Jahr später - der
AOK ... gegenüber auf die Rechte aus der Rabattklausel in der Folgevereinbarung verzichtet hat.
Angesichts der geschilderten Sachlage musste das Amt bei Erlass der angefochtenen Verfügung von dem Verdacht einer spürbaren Wettbewerbsbeschränkung durch die B. ausgehen.
(4) Ob - wie die Beschwerde behauptet - die Firmen "..." und "..." nach August 2009 nicht wegen der in Rede stehenden Rabattgewährung, sondern deshalb keinen Versorgungsvertrag mit einer deutschen Krankenkasse abschließen konnten, weil zum 1. April 2009 die Gesetzeslage zu
§ 128 SGB V verschärft worden ist, spielt für den Verdacht eines Kartellverstoßes nach § 1 GWB keine Rolle. Denn der Verbotstatbestand war bereits mit der Beschlussfassung verwirklicht. Ob die von der B. bezweckte Wettbewerbsbeschränkung auch tatsächlich eingetreten ist oder eintreten konnte, ist unerheblich.
3. Das Bundeskartellamt war berechtigt, von der B. zur Aufklärung des Sachverhalts die erbetenen Auskünfte und Unterlagen einzufordern. Zu Recht erhebt die Beschwerde insoweit keine Einwände. Sie macht insbesondere nicht geltend, dass ein Teil der angeforderten und sodann in amtliche Verwahrung genommenen Unterlagen nicht erforderlich gewesen sein soll, um dem bestehenden Verdacht eines Kartellverstoßes nach § 1 GWB nachzugehen.
Dass die B. im Rahmen des Fusionskontrollverfahrens
AOK .../IKK ... dem Bundeskartellamt auf ein entsprechendes Auskunftsersuchen hin bereits Auskünfte erteilt hatte, machte die im vorliegenden Verfahren angeordneten Maßnahmen nicht entbehrlich. Seinerzeit war bei der B. nämlich lediglich eine Aufstellung der Versorgungsverträge zwischen den Leistungserbringern und ihren Verbänden auf der einen Seite und den Krankenkassen und ihren Verbänden auf der anderen Seite nebst der wichtigsten vertraglichen Parameter und der Vertragspartner gefordert wurde. Zur Aufklärung des nunmehr bestehenden Tatverdachts war es demgegenüber notwendig, Kenntnis von allen Unterlagen, Protokolle und der gesamten Korrespondenz zu den Vertragsverhandlungen sowie Einsicht in die vollständigen Versorgungsverträge zu erhalten.
4. Das Bundeskartellamt war berechtigt, seine Ermittlungen nach § 59
Abs. 1
Nr. 3 GWB vor Ort durchzuführen, d.h. in den Geschäftsräumen der B. um die Vorlage der betreffenden Unterlagen zu bitten und diese einzusehen, sowie die tatrelevanten Papiere in amtliche Verwahrung zu nehmen (§ 59
Abs. 1
Nr. 2 GWB). Die von der Beschwerde dagegen erhobenen Bedenken greifen nicht durch.
a) Die Befugnis der Kartellbehörde, nach § 59
Abs. 1
Nr. 1 und 2 GWB von Unternehmen und Unternehmensvereinigungen Auskunft zu verlangen, und ihr Recht, gemäß § 59
Abs. 1
Nr. 3 GWB bei Unternehmen und Unternehmensvereinigungen innerhalb der üblichen Geschäftszeiten die geschäftlichen Unterlagen einzusehen und zu prüfen, stehen gleichrangig nebeneinander. Ein Vorgehen nach § 59
Abs. 1
Nr. 3 GWB erfordert deshalb nicht, dass zuvor erfolglos ein Auskunftsersuchen nach § 59
Abs. 1
Nr. 1 und 2 GWB betrieben worden ist (Klaue, a.a.O. § 59
Rdnr. 44; Schneider, a.a.O. § 59
Rdnr. 36; Becker, a.a.O. § 59
Rdnr. 9; Barth, a.a.O. § 59
Rdnr. 39; ebenso wohl: Bechtold, a.a.O. § 59
Rdnr. 16).
b) Zu beachten ist - wie bei jeder kartellbehördlichen Eingriffsmaßnahme - allerdings der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Das Bundeskartellamt hat von mehreren gleichermaßen geeigneten Ermittlungsmaßnahmen diejenige zu wählen, die den Betroffenen am wenigsten belastet. Vielfach wird deshalb zunächst ein Auskunftsersuchen nach § 59
Abs. 1
Nr. 1 und 2 GWB in Betracht kommen. Denn die kartellbehördliche Sichtung und Prüfung vor Ort belastet das betroffene Unternehmen im Allgemeinen stärker als die Beantwortung eines Auskunftsersuchens. Auskunftsmaßnahmen nach § 59
Abs. 1
Nr. 3 GWB bedürfen demgegenüber der besonderen Rechtfertigung. Die Kartellbehörde muss berechtigterweise davon ausgehen dürfen, die benötigten Informationen vollständig und zuverlässig nur durch eine Einsicht und Prüfung vor Ort erlangen zu können (ebenso: Klaue, a.a.O. § 59
Rdnr. 44; Becker, a.a.O. § 59
Rdnr. 9; Schneider, a.a.O. § 59
Rdnr. 36).
Eine solche Fallgestaltung war im Streitfall gegeben. Im Rahmen seiner Ermittlungen hatte das Bundeskartellamt dem Verdacht wettbewerbsbeschränkender Beschlussfassungen in der B. nachzugehen. Es war aufzuklären, ob und gegebenenfalls unter Beteiligung welcher Verbandsgremien und Personen der Abschluss der Folgevereinbarung mit der
AOK ... initiiert und beschlossen worden war. Zu klären war ferner, ob gleiche Vereinbarungen auch mit weiteren Krankenkassen beabsichtigt sind oder bereits abgeschlossen wurden. Nachzugehen war überdies der Frage, ob in der B. andere wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen gegen konkurrierende Hörgeräteakustiker, namentlich gegen die Anbieter im verkürzten Versorgungsweg, in Vorbereitung, beschlossen oder sogar umgesetzt worden waren. Um den diesbezüglichen (komplexen) Sachverhalt aufzuklären, kam es nicht nur auf die Kenntnis von den mit den Krankenkassen abgeschlossenen Versorgungsverträgen an. Relevant waren daneben die in diesem Zusammenhang stehenden Positionspapiere, Protokolle und Beschlüsse der B., außerdem alle Unterlagen, Sitzungsprotokolle und die gesamte Korrespondenz (einschließlich des E-Mail-Verkehrs und Gesprächsnotizen) zur Vor- und Nachbereitung der Vertragsverhandlungen mit den Krankenkassen und von Besprechungen mit dem
AOK-Bundesverband. Es lag nahe und durfte deshalb bei der Auswahl der Ermittlungsmethode berücksichtigt werden, dass die zur Sachverhaltsaufklärung relevanten Unterlagen nicht von vornherein zuverlässig und vollständig zu bezeichnen waren und die B. im Falle eines Auskunftsersuchens nach § 59
Abs. 1
Nr. 1 und 2 GWB deshalb bei nicht unmittelbar einschlägigen oder nur in der Gesamtschau bedeutsamen Unterlagen den Standpunkt einnehmen konnte, diese seien nicht angefordert und deshalb auch nicht herauszugeben. Wenn das Bundeskartellamt in dieser Situation die Sichtung und Prüfung der Unterlagen vor Ort für erforderlich hielt, um zeitnah eine vollständige und umfassende Sachaufklärung zu gewährleisten, ist dies aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die damit gegenüber der Bearbeitung eines Auskunftsbeschlusses nach § 59
Abs. 1
Nr. 1 und 2 GWB verbundenen Erschwernisse hat die B. hinzunehmen. Dass die Ermittlungen vor Ort zu einem unzumutbaren Aufwand oder zu nicht hinnehmbaren, unerträglichen Eingriffen in den Geschäftsbetrieb der B. geführt haben und aus diesem Grund unterbleiben mussten, ist nicht ersichtlich und wird auch von der Beschwerde nicht nachvollziehbar behauptet.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 78 GWB. Es entspricht der Billigkeit, die Beteiligte als unterlegene Partei nicht nur mit den gerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens, sondern auch mit den zur Rechtsverteidigung notwendigen Auslagen des Amtes zu belasten.
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 74
Abs. 2 GWB) liegen nicht vor. Ob das Bundeskartellamt nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit berechtigt war, seine Ermittlungen gemäß § 59
Abs. 1
Nr. 3 GWB vor Ort durchzuführen, ist keine rechtsgrundsätzliche Frage, sondern bedarf einer Einzelfallentscheidung, die auf der Grundlage der Umstände des konkreten Streitfalles zu treffen ist.