Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 28. März 2017 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 20 000 Euro festgesetzt.
Die Beteiligten streiten über die Eingruppierung eines Hilfsmittels in das Hilfsmittelverzeichnis (
HMV) der gesetzlichen Krankenversicherung (
GKV).
Die Klägerin produziert und vertreibt u.a. die Knieorthese SofTec® Genu und begehrt deren Aufnahme in die Produktart 23.04.03.3 "Rahmenorthesen zur Führung und Stabilisierung des Kniegelenks mit Extensions-/Flexionsbegrenzung" des vom beklagten Spitzenverband Bund der Krankenkassen (
GKV-Spitzenverband) geführten
HMV. Bei dem Produkt SofTec® Genu handelt es sich um eine Orthese zur Führung und Stabilisierung des instabilen Kniegelenks, die - im Unterschied zu anderen in der Produktart 23.04.03.3 des
HMV gelisteten Produkten - keine feste, selbsttragende Rahmenkonstruktion aufweist. Die Führungsschienen sind vielmehr mit einem textilen Trägermaterial verbunden. Das Produkt wurde ursprünglich in der Produktgruppe 05 (Bandagen) gelistet.
Im Oktober 2008 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten die Umlistung der genannten Knieorthese von der Produktgruppe 05 in die Produktgruppe 23 (Orthesen/Schienen) und innerhalb der Gruppe in die Produktart 23.04.03.3 "Rahmenorthesen zur Führung und Stabilisierung des Kniegelenks mit Extensions-/Flexionsbegrenzung". Sie berief sich darauf, dass die Orthese SofTec® Genu wegen ihrer speziellen Konstruktion geeignet sei, ein schwer oder komplex instabiles Kniegelenk zu stabilisieren und somit die funktionelle prä- oder postoperative Versorgung von Bandrupturen im Kniebereich sicherzustellen.
Der Beklagte lehnte den Antrag auf die begehrte Umlistung in die Produktart 23.04.03.3 ab, weil das Produkt aufgrund der Konstruktionsmerkmale der Produktart 23.04.03.2 "Knieführungsorthesen mit 4-Punkt-Prinzip und Extensions-/Flexionsbegrenzung" zuzuordnen sei. Er vergab für das Hilfsmittel dort zugleich die Positionsnummer 23.04.03.2012 (Bescheid vom 4.5.2009; Widerspruchsbescheid vom 21.12.2009).
Das dagegen angerufene SG hat die Klage abgewiesen, weil ein Anspruch eines Hilfsmittelherstellers auf Eingruppierung in eine bestimmte Produktart des
HMV nicht bestehe und die Eingruppierung zu Recht erfolgt sei (Urteil vom 10.10.2013).
Das
LSG hat die Berufung der Klägerin unter Berücksichtigung und Auswertung mehrerer im erstinstanzlichen Verfahren eingeholter Gutachten und medizinischer Stellungnahmen zurückgewiesen: Die Voraussetzungen für die begehrte Eingruppierung lägen nicht vor. Die Orthese SofTec® Genu erfülle nicht die Qualitätsanforderung einer selbsttragenden Rahmenkonstruktion. An Indikationen oder Stabilisierungsgraden der Hilfsmittel sei die Systematik des
HMV nicht ausgerichtet. Es fehle zudem ein Nachweis dafür, dass die Orthese SofTec® Genu einen medizinischen Nutzen für alle Indikationen von Knieinstabilitäten habe. Alle Darlegungs- und Nachweispflichten im Zusammenhang mit der Behauptung, die Orthese SofTec® Genu sei auch zur Stabilisierung des schwer und/oder komplex instabilen Kniegelenks geeignet, träfen aber die Klägerin selbst. Zu Recht habe das SG auch ihren auf die Bildung einer neuen Produktart im
HMV und dementsprechende Aufnahme des Hilfsmittels gerichteten Hilfsantrag als unzulässig abgewiesen. Hinsichtlich dieses Antrags habe der Beklagte keine Verwaltungsentscheidung getroffen. Eine solche habe auch gar nicht ergehen müssen, da bei Fortschreibung und Weiterentwicklung des
HMV die Spitzenorganisation der Hersteller - und nicht die Klägerin - im Rahmen des gesetzlichen Stellungnahmeverfahrens zu beteiligen sei (Urteil vom 28.3.2017).
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts (
§ 139 Abs. 4 SGB V). Eine bloße konstruktionsbezogene Interpretation der Systematik des
HMV, wie sie das
LSG vorgenommen habe, lasse sich weder mit dem Sinn und Zweck des
HMV noch mit dem Gesetzeskonzept der Hilfsmittelversorgung nach dem
SGB V vereinbaren. Diese Auslegung werde der marktsteuernden Wirkung des
HMV nicht gerecht. Das Gebot effektiven Rechtsschutzes (
Art. 19
Abs. 4
GG) sei vor dem Hintergrund der Berufsfreiheit der Hersteller verletzt. Die Bedeutung des
HMV beruhe u.a. darauf, dass die Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) über die Verordnung von Hilfsmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (
HilfsM-RL) nach
§ 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB V zumindest bei Vertragsärzten den Anschein erwecke, sie seien bei der Verordnung von Hilfsmitteln an das
HMV gebunden. Entscheidungen über die Aufnahme von Hilfsmitteln in das
HMV hätten daher eine objektiv berufsregelnde Tendenz. Eine Fehllistung eines Produktes im
HMV könne im Hinblick auf das Verordnungsverhalten des Arztes sowie auf das Genehmigungs- bzw Erstattungsverhalten der Krankenkassen (KKn) vor dem Hintergrund des untergesetzlichen Regelwerks die gleichen, wenn nicht noch gravierendere Auswirkungen haben als eine völlig unterbliebene Aufnahme des Produkts. Das
LSG habe bei alledem die Aussagekraft des medizinischen Erkenntnismaterials und damit die tatsächliche Leistungsfähigkeit der Orthese SofTec® Genu verkannt. Hinsichtlich des abgewiesenen Hilfsantrags habe das
LSG seine prozessuale Aufklärungspflicht und ihren (der Klägerin) Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt; ihr Begehren auf Schaffung einer neuen Produktart im
HMV sei nämlich bereits sowohl im Widerspruchsverfahren beantragt als auch im Widerspruchsbescheid beschieden worden.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Thüringer Landessozialgerichts vom 28. März 2017 und des Sozialgerichts Altenburg vom 10. Oktober 2013 aufzuheben sowie den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 4. Mai 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Dezember 2009 zu verurteilen, die Orthese SofTec® Genu in die Produktart 23.04.03.3 des Hilfsmittelverzeichnisses nach § 139
SGB V aufzunehmen,
hilfsweise,
den Beklagten unter Aufhebung der vorgenannten Urteile und Bescheide zu verpflichten, eine neue Produktart im Hilfsmittelverzeichnis nach § 139
SGB V zu schaffen, die hinsichtlich ihrer Indikationen der Produktart 23.04.03.3 entspricht und die Orthese SofTec® Genu in diese neue Produktart aufzunehmen,
weiter hilfsweise,
das vorgenannte Urteil des Landessozialgerichts aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet.
Das
LSG hat die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des SG zu Recht zurückgewiesen. Der Beklagte hat die Aufnahme der SofTec® Genu Orthese in die Produktart 23.04.03.3 des
HMV revisionsrechtlich beanstandungsfrei abgelehnt und das Hilfsmittel der Produktart 23.04.03.2 zugeordnet (hierzu 1.). Die Revision ist auch hinsichtlich der Hilfsanträge unbegründet, da die Klägerin keinen Anspruch auf Aufnahme der SofTec® Genu Orthese in eine neu zu schaffende Produktart hat und kein Grund für eine Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung sowie Entscheidung an das
LSG besteht (hierzu 2.). Die verfassungsrechtlichen Bedenken der Klägerin greifen nicht durch (hierzu 3.).
1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zuordnung der Orthese SofTec® Genu in die Produktart 23.04.03.3 des
HMV. Zwar hat ein Hilfsmittelhersteller nicht nur einen Anspruch nach
§ 139 Abs. 4 S. 1 SGB V auf Aufnahme des Hilfsmittels in das
HMV dem Grunde nach (dazu a), sondern darüber hinaus auch - unter Berücksichtigung der konkreten Eigenschaften des Hilfsmittels - auf Zuordnung in die sachlich zutreffende Produktart (dazu b). Die streitige Orthese ist aufgrund ihrer Konstruktionsmerkmale jedoch ohne Rechtsfehler in der Produktart 23.04.03.2 gelistet worden (dazu c). Für eine besondere Qualitätsanforderung der Produktart 23.04.03.3 ist die Eignung der Orthese im Übrigen nicht nachgewiesen (dazu d).
a) Anspruchsgrundlage für die Aufnahme in das
HMV ist § 139
Abs. 1
S. 2
SGB V iVm § 139
Abs. 3 und 4
SGB V (
idF zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung -
GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz -
GKV-WSG vom 26.3.2007, BGBl I 378, Fassung m.W. ab 1.4.2007 - nachfolgend a.F.). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei der - wie hier erhobenen - kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage ist grundsätzlich die letzte mündliche Verhandlung in der Tatsacheninstanz (
vgl. hierzu allgemein
z.B. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl. 2017, § 54 RdNr. 34, 40b).
Nach § 139
Abs. 1
SGB V erstellt der
GKV-Spitzenverband ein systematisch strukturiertes
HMV (S 1). Im
HMV sind von der Leistungspflicht umfasste Hilfsmittel aufzuführen (S 2). Die Aufnahme eines Hilfsmittels in das
HMV erfolgt auf Antrag des Herstellers gemäß § 139
Abs. 3
S. 1
SGB V. Ein Hilfsmittel ist nach § 139
Abs. 4
SGB V in das
HMV aufzunehmen, wenn der Hersteller die Funktionstauglichkeit und Sicherheit, die Erfüllung der Qualitätsanforderungen nach
Abs. 2 der Vorschrift und, soweit erforderlich, den medizinischen Nutzen nachgewiesen hat und es mit den für eine ordnungsgemäße und sichere Handhabung erforderlichen Informationen in deutscher Sprache versehen ist. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats räumt § 139
Abs. 4
S. 1
SGB V dem Hersteller von Hilfsmitteln einen Anspruch auf Aufnahme eines Hilfsmittels in das
HMV ein (
vgl. nur BSGE 87, 105, 108 = SozR 3-2500 § 139
Nr. 1 S 5;
BSG SozR 4-2500 § 139
Nr. 5 RdNr. 11 mwN). Die Aufnahme als solche steht vorliegend auch nicht im Streit, da der Beklagte die Aufnahme der Orthese in das
HMV unter Zuteilung der Positionsnummer 23.04.03.2012 bereits verfügt hat (Bescheid vom 4.5.2009).
b) Ein Hilfsmittelhersteller kann über die Einzellistung (
vgl. dazu
BSG SozR 4-2500 § 139
Nr. 5 RdNr. 13
ff. mwN) hinaus ebenso verlangen, dass das Hilfsmittel sachgerecht entsprechend der Systematik des
HMV nach § 139
Abs. 1
S. 1
SGB V zugeordnet wird. Dies ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus dem Gesetzeswortlaut von § 139
Abs. 1 und 4
SGB V, folgt jedoch aus der ganz erheblich marktsteuernden Wirkung des
HMV, die neben dem Verordnungsverhalten der Ärzte auch die Berufsausübungsfreiheit (
Art. 12
Abs. 1
GG) der Hersteller im Hinblick auf die Aufnahme ihrer Hilfsmittel berührt (
vgl. BSGE 119, 180 = SozR 4-2500 § 139
Nr. 7, RdNr. 29).
Einer solchen sachgerechten Zuordnung würde es nicht entsprechen, wenn Hilfsmittel beispielsweise nur alphabetisch oder numerisch nach dem Datum des Antragseingangs aufgelistet würden. Die systematische Gliederung des
HMV berechtigt auch nicht dazu, die Aufnahme von Hilfsmitteln von vornherein gänzlich abzulehnen, weil sie sich überhaupt keiner bereits eingeführten Produktart zuordnen lassen. Denn die Ordnung des
HMV hat sich am Bestand der vorhandenen (rechtmäßigen) Eintragungen im
HMV auszurichten (BSGE 113, 33 = SozR 4-2500 § 139
Nr. 6, RdNr. 20), dh an den konkreten Eigenschaften des Hilfsmittels.
Der Beklagte ist jedoch in diesen Grenzen in der Gestaltung und Entwicklung der systematischen Struktur des
HMV weitgehend frei. Das
HMV ist kein Rechtsakt untergesetzlicher Normgebung. Es reicht ungeachtet seiner marktsteuernden Wirkung nicht über eine Auslegungs- und Orientierungshilfe hinaus und entfaltet daher keine normative Wirkung (stRspr.,
vgl. zuletzt
BSG SozR 4-2500 § 139
Nr. 9 RdNr. 23;
vgl. auch Entwurf der Bundesregierung zum Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz - HHVG, BT-Drucks 18/10186 S 38 zu Nummer 14 zu Buchst. e zu
Abs. 9). Die Verpflichtung zur Fortschreibung des
HMV (§ 139
Abs. 8
S. 1
SGB V a.F.
bzw. Abs. 9 bis 11
idF des HHVG) verdeutlicht zudem, dass es sich um ein "lernendes System" handelt, welches der Weiterentwicklung des technischen und medizinischen Fortschritts oder dem Erkenntnisgewinn Rechnung tragen soll. Diese Anforderung an das
HMV setzt ein gewisses Maß an Zukunftsoffenheit und somit Gestaltungsfreiheit voraus.
Auch Einzelfragen der Systematisierung unterliegen der weitreichenden Gestaltungsfreiheit des Beklagten. Dazu gehört zB die Festlegung, in welchem Umfang konstruktive, anwendungsbezogene oder indikationsbezogene Merkmale (
vgl. § 139
Abs. 2
S. 1
SGB V) zur Differenzierung verwendet werden und auf welchen Gliederungsebenen sich dies niederschlägt. Für die Frage, wie die Systematik des
HMV im Einzelnen ausgestaltet sein soll, enthält das Gesetz nur wenige Vorgaben. Obwohl § 139
SGB V die Einbeziehung von Indikationen in die Struktur des
HMV erlaubt, dürfen auch andere Gesichtspunkte oder materialbezogene Kriterien verwendet werden (
z.B. Konstruktionsmerkmale und Anwendungsgebiete nach Körperregionen). Für Weiterentwicklungen und Änderungen der Systematik sieht das Gesetz grundsätzlich keine Individualansprüche des einzelnen Herstellers vor, sondern ein spezifisches Fortschreibungsverfahren unter Einbeziehung der Interessen und des Sachverstandes von Verbänden der Hersteller und Leistungserbringer (§ 139
Abs. 8
S. 3
SGB V a.F.; jetzt § 139
Abs. 11
SGB V i.d.F des HHVG).
c) Nach diesen Maßgaben ist ausgehend von den jeweiligen Produktart-Kennzeichnungen des
HMV die Ablehnung der Aufnahme des Hilfsmittels SofTec® Genu in die Produktart 23.04.03.3 und seine gleichzeitige Zuordnung in die Produktart 23.04.03.2 revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Entscheidend dafür ist, dass die Systematik des
HMV auf einer nicht sachwidrigen Kombination ua aus indikations- und konstruktionsbezogenen Merkmalen beruht, die sich im Rahmen der Gestaltungsfreiheit des Beklagten bewegt.
aa) Unter Zugrundelegung der systematischen Struktur des
HMV (i.d.F der vom
LSG getroffenen - von den Beteiligten inhaltlich nicht beanstandeten - Feststellungen zur Bekanntmachung der Spitzenverbände der KKn über die Erstellung der Produktgruppe 23 "Orthesen/Schienen"
etc. vom 2.6.2008,
BAnz Nr. 90 vom 19.6.2008 S 2143 i.V.m mit der dort in Bezug genommenen Quellenangabe;
vgl. zuletzt Bekanntmachung der Fortschreibung der Produktgruppe 23 vom 13.11.2018,
BAnz AT 13.11.2018 B5) erfolgt auf der ersten Gliederungsebene allgemein jeweils eine Einteilung von Produktgruppen teilweise nach Diagnosen/Indikationen (
z.B. Gruppe 11: Hilfsmittel gegen Dekubitus), aber auch nach Verwendungsweisen (
z.B. Gruppe 3: Applikationshilfen) oder Konstruktionsmerkmalen (
z.B. Gruppe 23: Orthesen/Schienen). Auf der zweiten Gliederungsebene wird weiter nach Anwendungsorten differenziert (
z.B. Gruppe 23.04: Knie). Im Fall der Produktgruppe 23 wird auf der dritten Gliederungsebene eine Einteilung der Untergruppen nach Anwendungsgebieten vorgenommen (
z.B. Untergruppe 23.04.03: Knieorthesen zur Führung und Stabilisierung). Auf der vierten und letzten Gliederungsebene erfolgt schließlich die Einteilung der Produktarten in der vorliegend von der Klägerin angestrebten Untergruppe 23.04.03.2 anhand von Konstruktionsmerkmalen (
z.B. Produktart 23.04.03.2: "Knieführungsorthesen mit 4-Punkt-Prinzip und Extensions-/Flexionsbegrenzung"; Produktart 23.04.03.3: "Rahmenorthesen zur Führung und Stabilisierung des Kniegelenks mit Extensions-/Flexionsbegrenzung").
bb) Die Differenzierung zwischen den Produktarten 23.04.03.2 und 23.04.03.3 beruht demnach auf einer Kombination aus indikations- und konstruktionsbezogenen Merkmalen. Diese Differenzierung steht nicht im Widerspruch zu den gesetzlichen Vorgaben von § 139
Abs. 2
SGB V. Ein Anspruch der Klägerin auf Zuordnung der SofTec® Genu Orthese in die Produktart 23.04.03.3 anstatt in die Produktart 23.04.03.2 besteht demgemäß nicht. Da die Zuordnung nicht rechtsfehlerhaft erfolgt ist, besteht aus Anlass dieses Einzelfalls erst recht kein Anspruch auf Schaffung einer neuen Produktart im
HMV (s dazu auch noch unter 2.).
Hinsichtlich der Konstruktionsmerkmale unterscheiden sich die Arten der im
HMV erfassten Orthesen zunächst im Wesentlichen dadurch, dass bei der Systematisierung am Material des Hilfsmittels angeknüpft wird. Zur Produktart 23.04.03.2 heißt es dazu "meist aus einem textilen Trägermaterial"; bei der Produktart 23.04.03.3 wird dagegen eine "selbsttragende Rahmenkonstruktion ... aus festem Material (
z.B. Aluminium oder Kunststoff)" verlangt. Bezüglich der Indikationen ist nur bei der Produktart 23.04.03.3 eine Begrenzung des Bewegungsumfangs in mindestens zwei Ebenen erforderlich; zudem wird dort beispielhaft anstelle einer "mittleren" Instabilität des Kniegelenks (wie bei Produktart 23.04.03.2) eine "schwere und/oder komplexe" Instabilität verlangt; hinzu kommt die Indikation der "funktionellen prä- und/oder postoperativen Versorgung von Bandrupturen".
cc) Das Hilfsmittel der Klägerin erfüllt vor diesem Hintergrund sämtliche Voraussetzungen für die Listung in der Produktart 23.04.03.2. Nach den mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen - und daher den Senat bindenden - Feststellungen des
LSG (§ 163
SGG) steht fest, dass die Orthese SofTec® Genu gerade keine "selbsttragende Rahmenkonstruktion" im Sinne der Beschreibung der Produktart 23.04.03.3 aufweist, sondern im Wesentlichen aus einem textilen Material besteht. Die Orthese SofTec® Genu entspricht damit den konstruktiven Anforderungen für die Eingruppierung in die Produktart 23.04.03.2. Darüber hinaus steht nicht fest, dass die Orthese für die in der Produktart 23.04.03.2 bezeichneten Indikationen geeignet ist, d.h. für "Indikationen, bei denen eine Sicherung der physiologischen Führung des Kniegelenks und/oder Entlastung des Gelenkapparates notwendig ist in mindestens zwei Ebenen ...". Schon deshalb fehlen wesentliche Voraussetzungen für die Zuordnung zur Produktart 23.04.03.3.
dd) Die Indikation für das Hilfsmittel ist - soweit sie über die Gemeinsamkeiten beider Produktarten hinausgeht - hier demgegenüber nicht von entscheidender Bedeutung für die Zuordnung im
HMV. Dies zeigt sich darin, dass die spezifischen Indikationen bei den Orthesen ausdrücklich (nur) beispielhaft aufgeführt werden und die allgemeine Beschreibung der Indikation in der Produktart 23.04.03.2 die (speziellere) der Produktart 23.04.03.3 mit einschließt. Infolge dessen kann offenbleiben, ob sich die vorliegend zu beurteilende Orthese dazu eignet, ein schwer oder komplex instabiles Kniegelenk zu stabilisieren und/oder bei der funktionellen prä- und/oder postoperativen Versorgung von Bandrupturen eingesetzt zu werden (
vgl. auch sogleich d). Denn eine Aufnahme in die Produktart 23.04.03.3 würde der systematischen Struktur des
HMV widersprechen, die für die Zuordnung zu dieser Produktart eine bestimmte Konstruktionsweise verlangt, welche das Hilfsmittel der Klägerin gerade nicht aufweist. Durch eine Aufnahme des Hilfsmittels SofTec® Genu in die Produktart 23.04.03.2 wird auch weder eine unrichtige noch eine den Wettbewerb zu Lasten der Klägerin verfälschende Information durch den Beklagten verbreitet. Dieser hat vielmehr lediglich dem Begehren der Klägerin nach Nennung einer ihrer Ansicht nach dem Produkt angemesseneren und vorteilhafteren Information - vergleichsweise wie in der Produktart 23.04.03.3 - nicht entsprochen. Darauf besteht jedoch nach den Umständen kein Anspruch.
d) Neben der systematischen Gliederung des
HMV, die auch unter praktischen Gesichtspunkten dazu dient, zutreffende Informationen über in das
HMV aufgenommenen Produkte möglichst leicht aufzufinden, bestand schon nach § 139
Abs. 2
S. 1
SGB V a.F. die Möglichkeit (
bzw. die Verpflichtung ab 11.4.2017), im
HMV besondere Qualitätsanforderungen für Hilfsmittel festzulegen (geändert durch das HHVG vom 4.4.2017, BGBl I 778,
vgl. BT-Drucks 18/10186, aaO, S 37 Zu Nummer 14 (§ 139) Zu Buchst. a Zu Doppelbuchst. aa). Das Aufstellen von Qualitätsanforderungen im
HMV ist von der Erstellung einer systematischen Struktur zu unterscheiden. Hat der Beklagte solche Qualitätsanforderungen festgelegt, müssen diese aber auch im Fall nicht obligatorischer Festlegung erfüllt sein, damit das Hilfsmittel aufgenommen wird (
vgl. § 139
Abs. 4
SGB V a.F.). Ob eine Qualitätsanforderung rechtmäßig festgelegt wurde, unterliegt grundsätzlich der gerichtlichen Kontrolle bei der Prüfung des Aufnahmeanspruchs. Die Festlegung von Qualitätsstandards ist, wie der erkennende Senat bereits entschieden hat, nur dann rechtmäßig, wenn sie dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen, den medizinischen Fortschritt berücksichtigen und der Sicherung einer ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung der Versicherten mit Hilfsmitteln dienen (
vgl. BSGE 121, 230 = SozR. 4-2500 § 139
Nr. 8, RdNr. 28). Dem Beklagten kommt auch bei der Entwicklung von Qualitätsvorgaben für Hilfsmittel eine relativ weite Gestaltungsfreiheit zu. Maßnahmen zur Qualitätssicherung dürfen zur Reduzierung von Versorgungsrisiken bereits dann getroffen werden, wenn deren Notwendigkeit noch nicht durch vergleichende Studien nach Grundsätzen der evidenzbasierten Medizin belegt sind (
BSG aaO, RdNr. 29 mwN).
aa) Als besondere Qualitätsanforderungen bei Orthesen für die Produktart 23.04.03.2 sind im
HMV u.a. folgende Merkmale aufgenommen worden: "Stabilisierende oder selbsttragende Elemente, Physiologische Gelenkführung, 4-Punkt-Stabilisierungssystem, Einstellbare Flexions-/Extensionsbegrenzung, Unelastische Zugelemente". Für die Produktart 23.04.03.3 lauten die entsprechenden besonderen Qualitätsanforderungen dagegen "Selbsttragende Rahmenkonstruktion, Physiologische Gelenkführung, 4-Punkt-Stabilisierungssystem, Einstellbare Flexions-/Extensionsbegrenzung".
Soweit die "selbsttragende Rahmenkonstruktion" demnach nicht nur als deskriptives Merkmal für die Zuordnung in eine bestimmte Produktart des
HMV fungiert, sondern vom Beklagten ausdrücklich auch als Qualitätsanforderung im Sinne des § 139
Abs. 2
S. 1
SGB V a.F. festgelegt wurde, vermag dies für die Klägerin nicht zu einem günstigeren Ergebnis zu führen. Mit der Qualitätsanforderung "selbsttragende Rahmenkonstruktion" für die Produktart 23.04.03.3 wurde lediglich ein in der systematischen Struktur des
HMV vorgezeichneter Gliederungsaspekt wiederholt und der für die Zuordnung des Hilfsmittels maßgeblichen Umschreibung "Rahmenorthesen zur Führung und Stabilisierung des Kniegelenks mit Extensions-/Flexionsbegrenzung" nichts wesentlich Neues hinzugefügt. Es kann daher offenbleiben, ob die Notwendigkeit der Qualitätsanforderung "selbsttragende Rahmenkonstruktion" nach wissenschaftlichen Maßstäben zur Sicherung der Qualität und Wirksamkeit des Hilfsmittels hinreichend wahrscheinlich ist. Vorliegend ist nach den - ebenfalls mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen - aufgrund umfangreicher Ermittlungen getroffenen Feststellungen des
LSG nicht nachgewiesen, dass die Orthese der Klägerin in gleicher Weise wie Orthesen, die die Qualitätsanforderung "selbsttragende Rahmenkonstruktion" erfüllen, dazu geeignet ist, ein schwer oder komplex instabiles Kniegelenk zu stabilisieren und die funktionelle prä- oder postoperative Versorgung von Bandrupturen im Kniebereich sicherzustellen.
bb) Die Klägerin hat folglich keinen Anspruch auf Aufnahme des Hilfsmittels SofTec® Genu in die Produktart 23.04.03.3. Ihr Hilfsmittel ist unter Berücksichtigung von konstruktions- und qualitätsbezogenen Aspekten ohne Gesetzesverstoß in die Produktart 23.04.03.2 eingeordnet worden.
2. Hinsichtlich der Hilfsanträge der Klägerin ist ihre Revision ebenfalls unbegründet.
a) Maßgeblich ist jedenfalls auch insofern, dass kein Anspruch auf eine neu zu schaffende Produktart besteht, wenn die Orthese SofTec® Genu der Struktur des
HMV folgend - wie unter 1. ausgeführt - systemgerecht einer Produktart zugeordnet wurde. Ob ein subjektives Recht gegenüber dem Beklagten auf Schaffung einer neuen Produktart
bzw. einer anderen systematischen Ordnung besteht, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Aufnahme eines Hilfsmittels erfüllt sind, eine systematische Einordnung in das bisherige
HMV aber nicht möglich ist, weil sich das Hilfsmittel sachlich keiner der vorhandenen Produktgruppen zuordnen lässt, kann hier dahingestellt bleiben. Die Orthese SofTec® Genu lässt sich nämlich ohne Schwierigkeiten der Produktart 23.04.03.2 zuordnen, da sie hierfür sowohl die konstruktionsbezogenen als auch die qualitativen Voraussetzungen erfüllt.
Nur ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass zwar entgegen der Ansicht des
LSG eine Verwaltungsentscheidung über den im Widerspruchsverfahren von der Klägerin gestellten Antrag auf Schaffung einer neuen Produktart vorlag. Der Widerspruchsbescheid enthält hierzu Ausführungen. Deshalb geht auch die Klägerin in ihrem Revisionsvorbringen davon aus, dass der Antrag dort abschlägig beschieden worden ist. Aus diesem Umstand folgt für die Klägerin aber kein günstigeres Ergebnis, insbesondere liegt kein sich darauf entscheidungserheblich auswirkender Verfahrensfehler vor. Das
LSG hat über den Antrag im Berufungsverfahren entschieden. Sofern der Antrag - dem Verständnis des
LSG folgend - als Antrag auf allgemeine Fortschreibung
bzw. Änderung des Systematik des
HMV nach § 139
Abs. 8
SGB V a.F. auszulegen ist, ist dem
LSG beizupflichten, dass dafür zunächst ein gesetzlich vorgesehenes Stellungnahmeverfahren der Spitzenorganisationen der betroffenen Hersteller und Leistungserbringer durchzuführen und in die Entscheidung einzubeziehen ist (
vgl. § 139
Abs. 8
S. 3
SGB V a.F.
bzw. § 139
Abs. 11
S. 1
SGB V i.d.F des HHVG).
b) Für eine Zurückverweisung des Rechtsstreits an das
LSG besteht kein Anlass; der weitere Hilfsantrag der Klägerin bleibt ebenfalls erfolglos. Insbesondere sind Verfahrensfehler, die zu einer Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung führen könnten, nicht ersichtlich. Es liegen nach dem Revisionsvorbringen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass das
LSG zum Nachteil der Klägerin prozessuale Aufklärungspflichten (§ 106
SGG), ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 62
SGG,
Art. 103
Abs. 1
GG) oder auf effektiven Rechtsschutz (
Art. 19
Abs. 4
GG) verletzt haben könnte.
3. Schließlich greifen auch die verfassungsrechtlichen Bedenken der Klägerin gegen das gewonnene Ergebnis nicht durch.
Nach der Rechtsprechung des Senats haben die Entscheidungen des
GKV-Spitzenverbandes bzw seiner Rechtsvorgänger über die Aufnahme eines Hilfsmittels in das
HMV gegenüber dem Hersteller des Hilfsmittels objektiv eine berufsregelnde Tendenz, sodass sie sich zwar grundsätzlich an
Art. 12
GG messen lassen müssen. Das
HMV hat nämlich eine marktsteuernde Wirkung mit erheblichen Auswirkungen für die Hersteller von Hilfsmitteln, da auf das Verordnungsverhalten der Ärzte gegenüber den KKn. und Versicherten mit Hilfe des
HMV Einfluss genommen wird (
vgl. BSGE 87, 105, 107 = SozR 3-2500 § 139
Nr. 1 S 3). Werden an ein Hilfsmittel besondere Anforderungen gestellt, die an andere Hilfsmittel der Produktgruppe im
HMV nicht gestellt werden, kann sich dies daher durchaus wie ein "staatlicher" Eingriff auf den Wettbewerb auswirken (
vgl. BSGE 121, 230 = SozR 4-2500 § 139
Nr. 8, RdNr. 28;
BSG SozR 4-2500 § 135
Nr. 22 RdNr. 64
ff.; allgemein zu marktbezogenen staatlichen Informationen
vgl. BVerfGE 105, 252, LS 1 und 265
ff. (Diethylenglykol)).
Im Falle der Klägerin liegt aber eine Beeinträchtigung ihres Grundrechts aus
Art. 12
Abs. 1 i.V.m
Art. 3
Abs. 1
GG auf freie Berufsausübung im Wettbewerb mit anderen Hilfsmittelherstellern nicht vor. Wenn sie durch Listung ihres Produkts gegenüber Herstellern von Knieorthesen mit Rahmenkonstruktion, die unter die Produktart 23.04.03.3 fallen, anders behandelt wird, weil ihr Produkt trotz der von ihr behaupteten Eignung nicht als Therapiealternative für bestimmte Indikationen im
HMV genannt wird, handelt es sich um eine der Sache nach korrekte Information, die sich systemgerecht in die vorhandene - revisionsrechtlich nicht zu beanstandende - Struktur des
HMV einfügt. Hierdurch bedingte etwaige Wettbewerbsnachteile als Folge inhaltlich zutreffender, aber im Sinne der Vermarktungschancen (möglicherweise) nicht optimaler Listung eines Hilfsmittels im
HMV sind jedoch verfassungsrechtlich unproblematisch und von Betroffenen hinzunehmen (
vgl. BVerfGE 105, 252, 265). Das - Belange der Klägerin berührende - Regelungsziel für die Schaffung des
HMV und seine Charakterisierung als Auslegungs- und Orientierungshilfe insbesondere für Vertragsärzte sowie für alle anderen mit der Hilfsmittelversorgung in der
GKV befassten Akteure ist durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls gerechtfertigt. Selbst durch eine vermeintliche "Fehllistung" wird der Leistungsanspruch von Versicherten der
GKV und der hiermit korrespondierende Vergütungsanspruch von Leistungserbringern gegen die KKn nicht etwa normativ eingeschränkt: Das
HMV ist insbesondere keine abschließende, die Leistungspflicht der KK ausgestaltende "Positivliste" (stRspr;
vgl. nur
BSG SozR 4-2500 § 139
Nr. 5 RdNr. 15). Die marktsteuernde Wirkung des
HMV resultiert - auch nach den Ausführungen der Klägerin im Revisionsverfahren - zu erheblichen Teilen aus der Bezugnahme auf das
HMV in untergesetzlichen Regeln, die nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits sind. Eine Verdichtung des Anspruchs auf Aufnahme in das
HMV und sachgerechte Listung hin zu einem "Optimierungsgebot" zugunsten betroffener Leistungserbringer würde zudem die Weiterentwicklungs- und Fortschreibungssystematik des § 139
SGB V und die hierfür gesetzlich vorgesehene Gestaltungsfreiheit des Beklagten relativieren; zugleich würde die Anerkennung eines solchen Gebots letztlich auch die Einflussmöglichkeiten der Verbände der Hersteller und Leistungserbringer auf Bundesebene begrenzen. Zu berücksichtigen ist schließlich ebenfalls, dass Herstellern wie der Klägerin andere Möglichkeiten zur Verfügung stehen, ihre Hilfsmittel bei Versicherten, Vertragsärzten und Leistungserbringern zu bewerben und auf dem Markt zu etablieren, wenn sie tatsächlich die behaupteten Vorteile aufweisen (zu diesem Gesichtspunkt vgl bereits BVerfGE 105, 252, 266).
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a
Abs. 1
S. 1
SGG i.V.m § 154
Abs. 2
VwGO.
5. Die Streitwertentscheidung folgt aus § 197a
Abs. 1
S. 1 Teils 1
SGG i.V.m § 63
Abs. 2
S. 1, § 47 und § 52
Abs. 1 GKG.