Die nach §§ 143
ff. Sozialgerichtsgesetz (
SGG) form- und fristgerecht erhobene Berufung ist zulässig.
Sie ist jedoch nicht begründet.
Das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 18. Juni 2010 und der Bescheid der Beklagten vom 6. November 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Februar 2009 sind nicht zu bestanden. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Kopforthese in Höhe von 1.819,-
EUR durch die Beklagte.
Als Anspruchsgrundlage kommt allein die Regelung des
§ 13 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) in Betracht. Danach sind die Kosten für eine selbstbeschaffte Leistung von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte (1. Alt.) oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (2. Alt.) und dadurch den Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind, soweit die Leistung notwendig war.
Mit dieser Regelung wird der Grundsatz des Sach- und Dienstleistungsanspruchs nach
§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V für die Fälle ergänzt, in denen die Krankenkasse eine geschuldete Leistung nicht oder nicht rechtzeitig zur Verfügung stellen kann (
vgl. BSG SozR 4-2500 § 13
Nr. 15, 22 ff). Der Naturalleistungsanspruch des Versicherten wandelt sich in einen Anspruch auf Kostenerstattung. Kosten durch die Selbstbeschaffung können zum einen in der Weise entstehen, dass der Versicherte die selbst beschaffte Leistung bereits bezahlt hat. Der Anspruch ist dann auf Kostenerstattung gerichtet. Sind die Kosten dagegen noch nicht beglichen worden, so richtet sich der Anspruch des Versicherten auf Freistellung von den Kosten und auf Zahlung der Krankenkasse an den Gläubiger (
vgl. Brandts in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, 71. EL 2011, §13 Rn. 46). Hier ist der Anspruch auf Kostenerstattung gerichtet, da die Familie des Klägers die Rechnung über die Kopforthese in Höhe von 1.819
EUR beglichen hat. Zwar liegt eine Mitteilung vor, wonach unter dem 16. Juli 2011 die Firma L. den Betrag der Familie gutgeschrieben und die Kosten mit Schreiben vom selben Tage der Beklagten in Rechnung gestellt hat. Da die Bevollmächtigt des Klägers aber in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt hat, dass eine Rückzahlung des Betrages seitens der Firma Cranioform bislang nicht erfolgt ist, bleibt es beim Anspruch auf Erstattung.
Die Voraussetzungen des § 13
Abs. 3, Satz 1, 1. Alt.
SGB V sind nicht erfüllt, da ein Fall der Unaufschiebbarkeit nicht vorgelegen hat. Eine Leistung ist unaufschiebbar, wenn die Leistung in einem bestimmten Zeitpunkt erbracht werden muss, damit der erstrebte Erfolg überhaupt noch erreicht werden kann. Aus medizinischer Sicht darf keine Möglichkeit eines nennenswerten Aufschub bis zur Entscheidung der Krankenkasse mehr bestehen (
vgl. Urteil des
BSG vom 25.9.2000 - B 1 KR 5/99 R). So lag der Fall hier nicht. Zwar ist allgemein anerkannt, dass die Behandlung einer Asymmetrie des Kopfes im günstigsten Fall in einem Alter bis zum sechsten Lebensmonat begonnen wird, da zu diesem Zeitpunkt die Knochen noch relativ weich sind. Doch ist das Zeitfenster nicht so eng, dass nicht zunächst ein Antrag bei der zuständigen Krankenkasse gestellt werden kann - zumal es sich bei der Anfertigung einer Kopforthese um eine Maßanfertigung handelt, die ohnehin einige Zeit in Anspruch nimmt.
Auch die Voraussetzungen des § 13
Abs. 3, Satz 1, 2. Alt.
SGB V sind nicht erfüllt. In diesem Fall ist ein Anspruch auf Kostenerstattung nur dann gegeben, wenn die Leistung von der Krankenkasse abgelehnt, von dem Versicherten selbst beschafft wurde und ein Ursachenzusammenhang zwischen Leistungsablehnung und Selbstbeschaffung besteht. Ein solcher Kausalzusammenhang besteht zwangsläufig dann nicht, wenn der Versicherte den vorgeschriebenen Beschaffungsweg nicht eingehalten hat - also einen entsprechenden Antrag bei der Krankenkasse gestellt und die Entscheidung der Krankenkasse abgewartet hat (so ständige Rechtsprechung des
BSG,
vgl. u. a. Urteil vom 20.5.2005, B 1 KR 9/03 R). Ohne Einhaltung des Beschaffungsweges haben die Krankenkassen keine Möglichkeit, sich mit der Geeignetheit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der begehrten Leistung auseinanderzusetzen, wie es
§ 12 Abs. 1 SGB V fordert. Nach Auffassung des Senats ist der vorgeschriebene Beschaffungsweg nicht eingehalten worden. Nachdem die Mutter des Klägers mit Schreiben vom 28. August 2008 die Kostenübernahme beantragt hat, ist sie seitens der Beklagten um Übersendung eines entsprechenden Kostenvoranschlages gebeten worden. Ein solcher ist aber nicht eingereicht worden. Vielmehr hat die Beklagte am 26. September 2008 eine an die Familie des Klägers adressierte Rechnung der Firma L. vom 17. September 2008 über die Kosten für eine Kopforthese nach Maß, inklusive 3D-Vermessung,
CAD-Modellierung und Versand in Höhe von 1.819
EUR erreicht. Der Rechnung war ein Lieferschein beigefügt, aus dem sich entnehmen lässt, dass die Kopforthese am 17. September 2008 an Frau
Dr. M. im Annastift Hannover geliefert worden ist. Die Beklagte hatte aufgrund dieser zeitlichen Abfolge keine Möglichkeit, sich mit der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der begehrten Leistung auseinanderzusetzen, sondern wurde vor vollendete Tatsachen gestellt.
Unabhängig davon käme eine Kostenübernahme aus einem weiteren Grund nicht in Betracht. Die Beklagte hat nämlich die Kostenübernahme nicht zu Unrecht abgelehnt. Zu Unrecht ist eine Leistung nur dann abgelehnt, wenn im Zeitpunkt der Behandlung ein Leistungsanspruch bestand hat. Einen solchen Anspruch aber hatte der Kläger nicht. Gemäß
§ 27 Abs. 1, Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst auch die Versorgung mit Hilfsmitteln (Satz 2
Nr. 3). Geschuldet ist eine bedarfsgerechte und gleichmäßige Versorgung unter Berücksichtigung des jeweiligen Sandes der medizinischen Wissenschaft (§ 2
Abs. 1 Satz 3
SGB V) unter Berücksichtigung der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit nach § 12
Abs. 1 Satz 1
SGB V (
vgl. Knispel in: BeckOK
SGB V § 27 Rn. 31). Nach
§ 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V dürfen neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkasse nur erbracht werden, wenn der gemeinsame Bundesausschuss in Richtlinien nach
§ 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hat. Die Kopforthesenbehandlung stellt eine neue Behandlungsmethode dar. Aus der vom Senat eingeholten Stellungnahme des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 5. August 2011 ergibt sich, dass eine Bewertung der Behandlung eines Plagiocephalus eines Kleinkindes mittels Kopforthese als neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode vom Gemeinsamen Bundesausschuss nicht durchgeführt und auch nicht beantragt wurde. Zwar kann es in Einzelfällen zu einer Leistungspflicht der Krankenkasse kommen, obwohl es an einer Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses mangelt. Ein Systemversagen kann aber nur dann angenommen werden, wenn sich
z. B. die Einleitung oder Durchführung des Verfahrens verzögert (
vgl. Joussen in: BeckOK, § 135 Rn. 16). Davon kann hier aber gerade nicht ausgegangen werden, da ein Antrag nicht gestellt wurde.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG.
ES HAT KEIN GESETZLICHER GRUND VORGELEGEN, DIE REVISION ZUZULASSEN (§ 160 ABS. 2
SGG).