Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 19. März 2012 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Erstattung der Kosten einer Kopforthesentherapie (sog. Helmtherapie) in Höhe von 1.819,00 Euro.
Die Klägerin ist 2010 geboren. Sie ist über ihre Eltern bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Am 3. Dezember 2010 beantragte sie unter Vorlage eines Briefes des Arztes für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie Dr. med. J. C B vom 22. November 2010 die Übernahme der Kosten für eine "ambulant durchzuführende Kopforthesentherapie" in Höhe von "ca. 1.819,00 Euro". Der behandelnde Arzt teilte mit, dass bei der Erstuntersuchung der Klägerin eine sehr stark ausgeprägte Asymmetrie ihres Kopfes (Plagiocephalus) aufgefallen sei. Außerdem bestünde eine Asymmetrie der Schädelbasis, d. h. das rechte Ohr stehe weiter vorne als das linke (ear-shift). Bei der Vermessung der Asymmetrie bestehe eine Differenz von 2,8 cm. Der Arzt stellte die Diagnose einer nicht-synostotischen Plagiocephalie mit Schädelbasisasymmetrie. Wegen der eindeutigen nicht-synostotischen Ursache der Deformität sei nur ein konservatives Vorgehen indiziert. Bei Persistenz der Deformität sei eine Kopforthesentherapie indiziert bzw. einzuleiten. Gerade bei sogenannten "windschiefen" Kopfformen seien unbehandelt später funktionelle Störungen im Kieferbereich zu erwarten.
In einem sozialmedizinischen Gutachten des Medizinischen Dienstes Berlin-Brandenburg e.V. (MdK) vom 10. Dezember 2010 führte die Gutachterin Dr. C K aus, dass der Krankheitswert eines nicht-synostotischen Lagerungs-Plagiocephalus ohne Einengung von Hirnnerven-Durchtrittspunkten bisher nicht geklärt sei. Die Gesamtstrategie einer neuropädiatrischen supervidierten Kopforthesenversorgung zur Schädelformung stelle konzeptionell eine neue ärztliche Behandlungsmethode dar und sei keinesfalls auf die orthopädietechnische Intervention des Kopforthesenbaus reduzierbar. Im Übrigen sei nach Literaturdaten ein "dorsaler Plagiocephalus im vorliegenden Lebensalter nicht mit aktuellen oder prognostisch zu erwartenden körperlichen Krankheitssymptomen oder psycho-mentalen Auffälligkeiten in Verbindung zu bringen. Nach dem medizinischen Schrifttum bestünde mit hoher Wahrscheinlichkeit die Prognose einer weiteren spontanen Befundnormalisierung des Plagiocephalus während der nächsten 12 Monate und im weiteren Verlauf.
Im Übrigen könne ein "entstellender Charakter des Plagiocephalus im vorliegenden Fall unter Berücksichtigung der übermittelten Unterlagen in der Gesamtschau nicht erkannt werden."
Auf der Grundlage dieses Gutachtens lehnte die Beklagte den Antrag auf Kostenübernahme für die Kopforthesentherapie mit Bescheid vom 15. Dezember 2010 ab.
Hiergegen erhob die Klägerin am 27. Dezember 2010 Widerspruch. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass sie seit Ende Oktober 2010 auf einem speziellen Babydorm-Kissen schlafe, eine Verbesserung der Asymmetrie von 2,8 cm aber noch nicht zu verzeichnen sei. Dem Widerspruch war eine Stellungnahme des Gesundheitsamtes des Bezirksamtes Steglitz-Zehlendorf von Berlin (Kinder- und Jugendgesundheitsdienst Sprechstunde für Risikokinder) vom 20. Dezember 2010 beigefügt. Darin heißt es, dass nicht immer ein synostotischer Prozess für eine Nervenreizung vorliegen müsse. Bei der Klägerin liege eine starke Schädelasymmetrie vor, die zu Irritationen der Gefäße führen könne. Die Klägerin sei in den vergangenen zwei Monaten in regelmäßiger Therapie gewesen. Auf diverse Lagerungsmaßnahmen habe sie nur bedingt angesprochen. Es seien bei der vorhandenen Dysbalance Schäden nicht auszuschließen, aufgrund der Bewegungseinschränkungen und Asymmetrie bestehe eine Dysregulierung mit Schreiattacken und Schlafrhythmusstörungen. Eine Helmtherapie sei vor Vollendung des 6. Lebensmonats anzuraten. Gegenüber konventionellen Methoden bringe auch der beschleunigte Erfolg der Familie mit einem weiteren Kind und der Mutter Entlastung.
Die Eltern der Klägerin bestellten die Kopforthese nach ihren Angaben dann am 4. Januar 2011. Ausweislich der Rechnung vom 8. Februar 2011 wurde die "Kopforthese nach Maß (Sonderbau)" am 26. Januar 2011 ausgeliefert. Der Rechnungsendbetrag betrug 1.819,00 Euro.
Im Widerspruchsverfahren veranlasste die Beklagte erneut die Einholung eines sozialmedizinischen Gutachtens des MdK. In seinem Gutachten vom 31. Januar 2011 führte der Gutachter Dr. med. G R aus, dass aus den anamnestischen Angaben nicht hervorgehe, wann die Asymmetrie zum ersten Mal beobachtet worden sei. Es gehe nicht hervor, ob ein sogenannter congenitaler muskulärer Schiefhals vorliege. Ein solcher Schiefhals begünstige die Ausbildung eines positionellen Plagiocephalus mit rechts-occipitaler Abflachung. Bislang lägen noch keine RCT-Studien zum therapeutischen Nutzen einer Kopforthesenbehandlung im Vergleich zu adäquaten physiotherapeutischen Behandlungen vor. Es liege keine wissenschaftliche Studie vor, die belege, dass der Lagerungs-Plagiocephalus im Säuglingsalter im weiteren Verlauf zu einer Störung der Entwicklung führen würde. Eine grob auffällige Entstellung liege nicht vor.
Die Beklagte wies daraufhin den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 30. März 2011 zurück. Zur Begründung führte sie aus: Da die beantragte Kopforthese im Rahmen eines therapeutischen Gesamtkonzeptes zum Einsatz kommen solle, sei das Behandlungskonzept als Ganzes zu beurteilen. Dabei handele es sich um eine neue Behandlungsmethode im Sinne von § 135 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Derartige Methoden dürften in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn der gemeinsame Bundesausschuss in entsprechenden Richtlinien eine positive Empfehlung über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode abgegeben habe. Diese Richtlinien hätten normativen Charakter. Sie regelten im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung den Umfang und die Modalitäten der Krankenbehandlung mit bindender Wirkung sowohl für die behandelnden Ärzte als auch für die Versicherten. Ohne eine solche Methodenbewertung des gemeinsamen Bundesausschusses könnten entsprechende Leistungen nicht erbracht werden. Da aber eine entsprechende Empfehlung des gemeinsamen Bundesausschusses für die hier streitige ambulante Kopforthesentherapie bisher nicht vorliege, scheide eine Kostenübernahme für die beantragte Kopforthese als Teil eines neuen Behandlungskonzeptes aus.
Am 28. April 2011 hat die Klägerin hiergegen Klage erhoben. Ungefähr sechs Wochen nach ihrer Geburt sei festgestellt worden, dass sie eine asymmetrische Kopf- und Gesichtsform habe. Ihr rechtes Auge sei deutlich vergrößert gewesen. Sie sei ein Schreikind gewesen. Sie habe "täglich so lange geschrien bis sie einen knallroten Kopf bekommen habe und vor Erschöpfung eingeschlafen sei." Durch regelmäßige (Um-)Lagerungen und auch nach Beginn einer Physiotherapie sei keine Besserung ihres Gesundheitszustandes eingetreten. Demgegenüber habe sich nach dem Beginn der Kopforthesentherapie ihr Gesundheitszustand schlagartig verbessert. Die Asymmetrie des Kopfes sei nach drei Wochen bereits auf 1,1 cm zurückgegangen. Nachdem die Behandlung im Juni 2011 beendet worden sei, sei die Asymmetrie vollständig behoben worden.
Das Sozialgericht hat einen Befundbericht der die Klägerin behandelnden Kinderärztin Dr. med. H-W vom 19. August 2011 eingeholt, dem u. a. ein weiterer Arztbrief von Dr. med. J. C B vom 17. Juni 2011 sowie ein Arztbrief von der Fachärztin für Neurochirurgie und Leitenden Oberärztin der Pädiatrischen Neurochirurgie der Charite, Dr. med. K. Sch, vom 18. November 2010 beigefügt war.
Die Klägerin hat im Klageverfahren eine von Dr. med. K. Sch ausgestellte Verordnung vom 17. November 2010 sowie einen weiteren Arztbrief dieser Ärztin vom 12. Juli 2011 vorgelegt. Die Verordnung enthält folgende handschriftliche Angaben: "D: Plagiocephalie =) Helmtherapie".
Mit Gerichtsbescheid vom 19. März 2012 hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin habe keinen Anspruch auf die begehrte Kostenerstattung, weil die Beklagte die beantragte (Sach-)Leistung nicht zu Unrecht abgelehnt habe. Bei der streitigen Kopforthesentherapie handele es sich um eine neue Behandlungsmethode im Sinne des § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V auf die mangels positiver Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses kein Anspruch zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung bestehe. Neu in diesem Sinne sei eine Behandlungsmethode, wenn sie nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistung im einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) enthalten sei oder wenn diese Behandlungsmethode erst nach Inkrafttreten des § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V, also in der Zeit seit dem 1. Januar 1980, als kassen- bzw. vertragsärztliche Behandlungsmethode praktiziert werde. Sofern im Rahmen dieser Methode ein Hilfsmittel im Sinne von § 33 SGB V zum Einsatz komme, sei für die Frage, ob es sich um eine neue Behandlungsmethode handele, neben der Ausführung der damit verbundenen ärztlichen Leistungen im EBM-Ä darauf abzustellen, ob das Hilfsmittel im Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 SGB V gelistet sei. Dies gelte ungeachtet und unabhängig von der Problematik der bereits früher ohne Nachweis des medizinischen Nutzens in das Hilfsmittelverzeichnis aufgenommenen Hilfsmittel. In diesem Fall seien weder die im Zusammenhang mit der Kopforthesentherapie zu erbringenden ärztlichen Leistungen im EBM-Ä aufgelistet, noch finde sich die Kopforthese selbst im Hilfsmittelverzeichnis.
Keine andere Beurteilung ergebe sich daraus, dass es sich im vorliegenden Falle lediglich um die Anwendung eines Hilfsmittels handele, für welches die Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis nicht konstitutiv sei. Denn der Sache nach liege eine Behandlungsmethode vor. Dafür spreche schon der verbreitete Begriff der Kopforthesen- oder der Helmtherapie. Mit dem verwendeten Begriff der Methode müsse ein theoretisch-wissenschaftliches Konzept vorliegen, das mehr beinhalte als nur eine Leistung. Mit der Helmtherapie werde schon nach eigenem Verständnis nicht lediglich eine im Rahmen einer anerkannten Therapie oder Behandlung erforderlicher Erfolg gesichert oder hervorgebracht, der Helm diene zum Beispiel nicht lediglich der Ermöglichung eines Bewegungstrainings oder dem teilweisen Austausch von Teilen einer anderen bereits bekannten Therapie, sondern es werde damit eine eigenständige systematische Behandlung durchgeführt. Es werde also das Hilfsmittel als Teil einer neuen Behandlungsmethode zur Krankenbehandlung nach § 27 SGB V angewandt, weil das Vorliegen eines positiven Votums des Gemeinsamen Bundesausschusses auch unabdingbare Voraussetzung für die Eintragung des Hilfsmittels in das Hilfsmittelverzeichnis. Da sich der Gemeinsame Bundesausschuss zur Helmtherapie aber nicht positiv geäußert bzw. entschieden habe, gehöre die gesamte Behandlung aufgrund der Sperrwirkung des § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung.
Im Übrigen liege im Falle der Klägerin auch keiner der vom Bundessozialgericht anerkannten Ausnahmefälle vor, in denen es keiner positiven Empfehlung des gemeinsamen Bundesausschusses bedürfe. Es handele sich bei Kopfasymmetrie/Kopfdeformation weder um eine lebensbedrohliche, regelmäßig tödlich verlaufende Krankheit, noch liege ein sogenanntes Systemversagen vor.
Gegen den der Klägerin am 22. März 2012 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die Berufung der Klägerin vom 17. April 2012, mit der sie ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Ergänzend trägt sie vor, dass es sich bei der "streitigen Kopforthese" nicht um eine neue Behandlungsmethode handele, sondern um eine Versorgung mit einem Hilfsmittel. Im Übrigen erfülle ihr Fall die Kriterien eines Seltenheitsfalles im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG).
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 19. März 2012 sowie den Bescheid der Beklagten vom 15. Dezember 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Kosten in Höhe von 1.819,00 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 v. H. seit dem 1. Dezember 2010 zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die mit der Berufung angefochtene Entscheidung für zutreffend. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, dem sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die dem Kläger betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.