Urteil
Anspruch eines Paraplegikers auf Kostenübernahme für ein ReWalk-Exoskelett (Motorbetriebene Hüft-Kniegelenk-Orthese) durch die Krankenversicherung - Unmittelbarer Behinderungsausgleich - Gleichziehen mit Nichtbehinderten keine Voraussetzung für die Versorgung

Gericht:

SG Speyer 19. Kammer


Aktenzeichen:

S 19 KR 350/15


Urteil vom:

20.05.2016


Grundlage:

Leitsatz:

1. Das Hilfsmittel Exoskelett dient vorliegend der Wiederherstellung der Gehfähigkeit und damit dem unmittelbaren Behinderungsausgleich. Ein unmittelbarer Funktionsausgleich liegt vor, wenn das Hilfsmittel die ausgefallene oder beeinträchtigte Körperfunktion ausgleicht, indem es die Ausübung der Körperfunktion selbst ermöglicht, ersetzt oder zumindest erleichtert (vgl BSG vom 17.12.2009 - B 3 KR 20/08 R = BSGE 105, 170 = SozR 4-2500 § 36 Nr 2). (Rn.37)

2. Die Versorgung mit einem fortschrittlichen, technisch weiterentwickelten Hilfsmittel kann nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig im Sinne des Gleichziehens mit einem nicht behinderten Menschen erreicht ist (vgl BSG vom 6.6.2002 - B 3 KR 68/01 R = SozR 3-2500 § 33 Nr 44, vom 25.6.2009 - B 3 KR 10/08 R = SozR 4-2500 § 33 Nr 23 und vom 17.12.2009 - B 3 KR 20/08 R aaO). (Rn.37)

3. Der Leistungsanspruch hinsichtlich eines fortschrittlicheren Hilfsmittels wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass ein vollständiges Gleichziehen mit einem gesunden Versicherten auch damit nicht erreicht werden kann. (Rn.37)

4. Ein Gleichziehen mit Nichtbehinderten ist nur das Ziel des anzustrebenden möglichst vollständigen funktionellen Ausgleichs, nicht aber die Voraussetzung für die Versorgung. (Rn.44)

Kurzbeschreibung:

Das Sozialgericht Speyer hat in seinem Urteil vom 20.05.2016 entschieden, dass die gesetzliche Krankenversicherung einen Querschnittsgelähmten mit einem ReWalk-Exoskelett versorgen muss.

Die Krankenkasse hatte den Antrag des Paraplegikers mit der Begründung abgelehnt, er habe schon einen Rollstuhl und ein Bewegungstrainingsgerät; darüber hinaus könne er einen Stehtrainer beantragen, um sich mit diesem weiteren Hilfsmittel in eine aufrechte, stehende Position zu begeben. Der Widerspruch des gesetzlich Versicherten blieb erfolglos, so dass über seinen Anspruch vor dem Sozialgericht verhandelt werden musste.

Das ReWalk System ist ein am Körper tragbares "Roboter-Exoskelett". Es ermöglicht Menschen mit einer Rückenmarksverletzung durch motorisierte Hüften und Knie wieder aufrecht zu stehen, zu gehen und Treppen hinauf- und hinabzusteigen. Diese computergesteuerte Rumpf-Bein-Orthese führt Beine und Füße in ihrem natürlichen Bewegungsablauf und macht so wieder ein unabhängiges, kontrolliertes Stehen und Gehen möglich.

Der Kläger ist aufgrund eines unverschuldeten Unfalls ab dem Brustwirbelbereich abwärts gelähmt. Nach einem zweiwöchigen Trainingsaufenthalt in einer Reha-Klinik bescheinigten ihm die Fachärzte eine sehr gute medizinische Rehabilitation. Sie gaben zudem die Prognose ab, dass er mit dem Exoskelett nach weiterem Anwendungstraining Strecken auch von mehr als 500 Metern werde gehen können. Diese Prognose konnte der Betroffene durch eine in der Reha-Klinik angefertigte Video-Dokumentation untermauern.

Nachdem der Schwerbehinderte das Exoskelett über sein Sanitätshaus bei der Krankenkasse beantragt hatte, holte diese zur medizinischen Beurteilung zwei Gutachten des MDK, des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen, ein: das erste Gutachten kam zwar zu dem Ergebnis, dass der gesetzlich Versicherte mit den bereits vorhandenen Hilfsmitteln ausreichend versorgt sei, stellte aber auch fest, dass er in dem "Roboter-Skelett" stehen und gehen könne; das zweite MDK-Gutachten bestätigte die Erforderlichkeit des neuen Hilfsmittels sogar uneingeschränkt.

Dennoch lehnte die Kasse den Antrag mit der Begründung ab, der Versicherte habe schon einen Rollstuhl und eine Stehhilfe. Das Exoskelett sei unwirtschaftlich und führe auch nur zu einem mittelbaren Behinderungsausgleich. Im Übrigen liege noch keine evidenzbasierte medizinische Untersuchung oder Studie vor, die etwaige Alltagsvorteile für die behinderten Menschen durch diese Hilfsmittelanwendung belegten. Im Zuge des Klageverfahrens hat die Krankenkasse zusätzlich ins Feld geführt, dass das streitige Medizinprodukt auch nicht mit einer Prothese vergleichbar sei, da es kein Körperteil direkt ersetze. Folglich sei damit auch kein aktives Gehen möglich, sondern allenfalls eine "Sonderform der passiven Fortbewegung".

Für den Ausgleich einer Paraplegie (Querschnittslähmung) ist entscheidend, ob ein unmittelbarer oder nur ein mittelbarer Behinderungsausgleich erreicht wird. Zur Unterscheidung sind einerseits die vom Bundessozialgericht entwickelten Kriterien und andererseits die individuellen medizinischen Beurteilungen von Ärzten und Gutachtern heranzuziehen. Hierbei argumentieren viele Krankenkassen, die Rollstuhlversorgung sei ausreichend, da die Betroffenen damit längere Distanzen zurücklegen könnten. Im Übrigen seien herkömmliche Steh- und Bewegungstrainer kostengünstiger.

Vor Gericht bekam der schwerbehinderte Kläger Recht. Das Sozialgericht Speyer hat einen unmittelbaren Behinderungsausgleich durch das ReWalk-Exoskelett bejaht und die Krankenkasse zur Leistung verurteilt.

In seiner mündlichen Begründung hat das Gericht die erheblichen Unterschiede zwischen einer Fortbewegung im Rollstuhl, einem Stehen im Stehtrainer und der Bewegung der Beine in einem Bewegungstrainer einerseits und einem Stehen und Gehen im Exoskelett andererseits aufgezeigt. Nach Würdigung der MDK-Gutachten und der in der Reha-Klinik angefertigten Video-Dokumentation über das Gehtraining des Klägers waren die Richter überzeugt, dass das neue Hilfsmittel uneingeschränkt einen unmittelbaren Behinderungsausgleich gewährleiste; ein Rollstuhl führe demgegenüber nur zu einem mittelbaren Ausgleich. Der Kläger könne mit der neuen motorisierten Orthese selbstbestimmt im Haus, wie auch im Nahbereich seiner Wohnung sicher stehen und gehen. Er sei auch in der Lage, das Orthesen-System selbst an- und abzulegen. Diese Grundbedürfnisse des selbständigen, eigenbestimmten Gehens und Stehens machten den Unterschied zur Rollstuhlversorgung aus. Denn das ReWalk-Exoskelett ersetze die durch die Querschnittslähmung weggefallenen körperlichen Bewegungsfunktionen weitgehend.

Das Sozialgericht weiter: "Auch wenn nicht absehbar ist, ob der Kläger die Orthese nach einer gewissen Zeit der Gewöhnung und des Trainings mehr als nur ein paar Stunden täglich wird nutzen können, entfällt deshalb nicht die Erforderlichkeit der Versorgung ... selbst die Möglichkeit, für wenige Stunden am Tag aufrecht zu gehen, (ist) ein nachvollziehbar großer und damit alltagsrelevanter Bewegungszugewinn."

Als Rechtsgrundlagen zieht das Sozialgericht Speyer § 33 Abs. 1, Satz 1 SGB V in Verbindung mit § 26 Abs. 2, Nr. 6 und § 31 Abs. 1, Nr. 3 SGB IX heran.
Unter ausführlicher Darlegung der einschlägigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts arbeitet das Urteil aus Speyer zur entscheidenden Frage der Erforderlichkeit des Hilfsmittels so sorgfältig wie nachvollziehbar heraus, dass das Exoskelett einem unmittelbaren Behinderungsausgleich dient: dieser ist dann gegeben, wenn ... "das Hilfsmittel unmittelbar dem Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion selbst dient ...". Hingegen führe ein Hilfsmittel, welches ... "zum Ausgleich der direkten und indirekten Behinderungsfolgen eingesetzt wird ..." nur zu einem mittelbaren Behinderungsausgleich.
Die Richter haben zudem herausgestellt, dass querschnittsgelähmte Menschen Anspruch auf einen möglichst vollständigen funktionellen Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktionen haben und folglich Hilfsmittel des aktuellen Standes des medizinischen und technischen Fortschritts verlangen können.

Das ReWalk Exoskelett ist nach Ansicht der Richter auch nicht unwirtschaftlich, denn ... "das Wirtschaftlichkeitsgebot kann also erst dann greifen, wenn es mehrere funktionell zumindest gleich geeignete Versorgungsmöglichkeiten gibt". Solche gleichwertigen Versorgungsalternativen hat das Gericht aber ausdrücklich verneint. Denn weder die Krankenkasse selbst, noch die Gutachter des MDK haben hinreichende Hilfsmittel-Alternativen aufzeigen können.

Autor: Rechtsanwalt Jörg Holzmeier, Fachanwalt für Medizinrecht

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Rechtsanwalt Jörg Holzmeier
Landesrecht Rheinland-Pfalz

Tenor:

1. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 09.09.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.06.2015 verurteilt, den Kläger mit einer ReWalk-Orthese (Exoskelett) des Herstellers Argo Medical Technologies GmbH zu versorgen.

2. Die Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Versorgung mit einer ReWalk-Orthese. Es handelt sich hierbei um eine motorbetriebene computergesteuerte Exoskelett-Orthese, die es Menschen mit einer Rückenmarksverletzung mittels einer Bewegungstechnologie für Hüfte und Knie ermöglicht, aufrecht zu stehen und zu gehen.

Der 1972 geborene Kläger ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Er ist gelernter Bürokaufmann und ist aktuell auf 450 Euro-Basis in der Finanzbuchhaltung berufstätig. Ein behindertengerecht umgebautes Kraftfahrzeug kann er selbstständig fahren.

Der Kläger leidet nach einem Autounfall im Jahr 2006 an einer Querschnittslähmung (Paraplegie ab Th6). Auf Grund dieser Behinderung kann er weder stehen, gehen, aufstehen noch Treppen steigen. Er ist stets auf einen Rollstuhl angewiesen, um sich darin sitzend fortzubewegen. Zudem ist er seit 2013 durch die Beklagte mit einer Stehhilfe versorgt.

Im Zeitraum vom 14.07.2014 bis 15.08.2014 erfolgte min der A.-Klinik in F. auf Kosten der Beklagten eine Erprobung der begehrten ReWalk-Orthese.

Unter Vorlage einer ärztlichen Verordnung der A.-Klinik F. vom 15.08.2014 mit Erprobungsbericht und einem Kostenvoranschlag der Rehability Rehafachhandel GmbH vom 19.08.2014 über 71.958,35 Euro beantragte der Kläger daraufhin bei der Beklagten ein ReWalk P-System mit höhenverstellbaren Unterarmgehstützen mit anatomisch geformten Handgriffen.

Die Beklagte veranlasste eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Rheinland-Pfalz (MDK). In seinem Sozialmedizinischen Gutachten vom 01.09.2014 teilte der Arzt im MDK Dr. S. mit, bei der derzeitigen Erprobung verschiedener elektronisch gesteuerter Exoskelettsysteme mit Motorkraft würde von den Probanden das Stehen auf Augenhöhe als besonders angenehm angegeben und als Steigerung der Lebensqualität empfunden. Unstrittige Vorteile seien auch eine durch die Vertikalisierung zu erwartende Verbesserung der Gefäß-, Blasen- und Verdauungsfunktion durch orthostatisches Belastungstraining sowie eine Verbesserungsmöglichkeit der Rumpfstabilität und Verminderung der sekundären spinalen Spastiken. Diese Behandlungsziele würden nachvollziehbar auch für den Kläger angegeben. Nachhaltig habe sich aber bei verschiedenen Anwendungsbeobachtungen in Kliniken eine insgesamt schlechte Nutzerakzeptanz der verwendeten Geräte in der aktuellen Bauform und Funktionsweise gezeigt, die allesamt eine hohe körperliche Fitness zum Training und zum Gehen voraussetzten und passives und sicheres Gehen zur Zeit noch nicht ermöglichen würden. Während der Testphasen sei es häufig zu Druckstellen und Läsionen der Haut durch Scherkräfte unter der Orthesenvergurtung gekommen. Bislang erfolge noch keine evidenzbasierte medizinische Untersuchung der Anwendung im privaten Umfeld, die Alltagsvorteile für die behinderten Menschen durch die Systemanwendung belegten. Eine etablierte Hilfsmittelversorgung im Alltag sei mit solchen Systemen bislang nicht definiert. Eine lebensbedrohliche bzw. damit gleichgestellte oder regelmäßig tödliche Erkrankung, die für die Prüfung bei einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode maßgeblich sei, liege beim Kläger nicht vor. Aus sozialmedizinischer Sicht könne deshalb bei gleichzeitig nicht erkennbaren Alltagsvorteilen und alternativen Behandlungsmöglichkeiten kein Positivvotum für die beantragte Exoskelettversorgung gegeben werden. Alternative Versorgungsmöglichkeiten zur Ermöglichung der Vertikalisierung und der Kommunikation auf Augenhöhe bestünden in einem Stehgerät oder Aufstehrollstuhl.

Mit Bescheid vom 09.09.2014 lehnte die Beklagte unter Berufung auf die Angaben des MDK eine Kostenübernahme für die begehrte Ganzkörperorthese ab.

Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 15.09.2014 Widerspruch ein, wobei er sich auf die vom Bundessozialgericht (BSG) für den unmittelbaren Behinderungsausgleich entwickelten Maßstäbe berief. Das ReWalk-System ermögliche es ihm z. B., seine Frau im Stehen zu küssen, sein Gegenüber in den Arm zu nehmen. Es ermögliche ferner, einfach wieder auf einem Stuhl oder auf der Couch zu sitzen, ohne mit einem Rutschbrett hinüber rutschen zu müssen und dann wegen des Höhenunterschieds nicht selbstständig wieder in den Rollstuhl zurück zu kommen. Außerdem ermögliche es einen Spaziergang mit Freunden oder das Vortragen von Präsentationen im Beruf. Der Kläger machte geltend, das Gehen zähle zu den menschlichen Grundbedürfnissen und könne von einem Stehgerät nicht geleistet werden. Das begehrte Hilfsmittel ermögliche nicht nur ein Aufstehen, sondern auch ein "mit Krücken Schritte gehen". Dies sei eine derart signifikante Verbesserung der Versorgung, dass das Stehgerät durch das ReWalk-System ersetzt werden solle. Sein Grundbedürfnis nach Bewegung könne er mit den derzeit zur Verfügung gestellten Mitteln nicht vollständig befriedigen. Während des von der Beklagten genehmigten Klinikaufenthaltes habe er das System getestet und täglich trainiert. Er habe schnell Fortschritte gemacht und am Ende des Aufenthaltes fast ohne fremde Hilfe und Absicherung mit der Orthese frei laufen können. Der Kläger verwies hierzu auf die in der Klinik gefertigte Videodokumentation.

Auf Anforderung der Beklagte legte der Kläger zudem eine Stellungnahme der A.-Klinik F. vom 08.10.2014 vor, in der unter anderem ausgeführt wird, durch Erreichen einer zumindest zeitweisen Gehfähigkeit könnten die Risiken für Sekundärfolgen der Querschnittslähmung (Osteoporose, Dekubitus, Kontrakturen) gemindert werden und die inneren Organe unterstützt werden. Um ein gesundes Altern mit der Querschnittslähmung zu ermöglichen, sei es notwendig, möglichen Komplikationen möglichst frühzeitig entgegen zu wirken. Darüber hinaus werden in der Stellungnahme die Vorteile der Mobilisierung mit dem ReWalk-System gegenüber dem Stehtraining aufgeführt.

Daraufhin veranlasste die Beklagte eine Begutachtung durch den MDK, die am 10.12.2014 durch den Arzt im MDK Dr. S. und Dr. E. (Leiter des BBZ Kaiserslautern) durchgeführt wurde. Während dieser Begutachtung stand das begehrte Hilfsmittel zur Verfügung. Die Ärzte des MDK bestätigten im Ergebnis, dass der Kläger das Exoskelett nutzen könne. Es sei ihm hiermit möglich, ein selbstbestimmtes und unabhängiges Stehtraining durchzuführen. Weiterhin sei er in der Lage, sich mit dem Gerät stehend und gehend selbstbestimmt fortzubewegen. Zusammenfassend könne im Rahmen einer Einzelfallentscheidung der Krankenkasse die Versorgung empfohlen werden. Durch das Hilfsmittel könne der Kläger eigenbestimmt Mobilität erlangen und könne sich Freiräume erschließen, die unter Nutzung des Rollstuhls für ihn verschlossen blieben. Auch lasse sich ein eindeutiger therapeutischer Ansatz (Stehtraining, Gehen) ableiten. Derzeit benutze der Kläger einen Aktivrollstuhl, mit dem er sich problemlos und zügig fortbewegen könne. Er habe aber selbst vom Rollstuhl zur Orthese wechseln und diese eigenständig anlegen können. Lediglich beim Schnüren der Schuhe habe er Hilfe benötigt, wobei ihm dies bei Klettverschlüssen eigenständig möglich wäre. Nach Mitteilung der MDK-Ärzte konnte der Kläger bei der Begutachtung unter leichter Assistenz vom Hocker aufstehen und stabil stehen. Zudem war er in der Lage, die Orthese durch Vorverlagerung des Oberkörpers zu starten und weitgehend unabhängig von der Hilfsperson im Raum zu gehen und auch Richtungswechsel aktiv durchzuführen. Die Ärzte des MDK kamen zu der Einschätzung, dass die Eigenmobilität des Klägers unter weiterer Nutzung und Übung mit dem Hilfsmittel sicher noch verbessert werden könne.

Auf eine erneute Aufforderung durch die Beklagte nahm Dr. E. vom MDK nochmals in einem Sozialmedizinischen Gutachten vom 09.03.2015 Stellung. Er bestätigte erneut die Feststellung, dass der Kläger mit dem begehrten Hilfsmittel selbstbestimmt gehen könne. Erläuternd teilte er mit, dass nach Angaben des Herstellers Unterarmgehstützen zwingend zum Balance-Ausgleich benötigt würden. Ein Gehen ohne Unterarmgehstützen sei auch einem extrem geübten Nutzer nicht möglich. Der Arzt des MDK gab auf die entsprechende Nachfrage der Beklagten ausdrücklich an, dass ein unmittelbarer Behinderungsausgleich möglich sei. Der Kläger könne sich mit dem Exoskelett selbstbestimmt zu jedem Punkt im Raum bewegen. Auch sei es ihm durch die stehende Position möglich, Gegenstände zu erreichen, die sich oberhalb der Reichweite eines sitzenden Rollstuhlfahrers befänden. Eine Verbesserung der Basismobilität (mittelbarer Behinderungsausgleich) hingegen sei sicher nur bedingt möglich. Der Kläger benötige weiterhin einen Rollstuhl. Inwieweit er nach einem entsprechenden Training und besserer Gewöhnung weitere Strecken zurücklegen könne, die er im Moment mit dem Rollstuhl überwindet, bleibe abzuwarten und sei nur schwer abschätzbar. Es erscheine durchaus im Rahmen des Möglichen, dass Gehstrecken von über 500 Metern ermöglicht werden könnten. Es könne durch die Nutzung zudem drohender Behinderung vorgebeugt werden, indem Kontrakturen im Bereich der unteren Extremitäten vorgebeugt würden. Auch die Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung durch das begehrte Hilfsmittel bejahte der Gutachter. Eine Vertikalisierung sei mit Abstrichen auch mit einem Stehständer oder einem Stehrollstuhl möglich, wobei hier nur ein statisches Training erfolge. Die Durchblutung der Gelenke könne eventuelle durch die Bereitstellung eines zusätzlichen Bewegungstrainers möglich.

Mit Widerspruchsbescheid vom 03.06.2015 wies die Beklagte den Widerspruch gleichwohl zurück. Zur Begründung führte sie aus, der MDK sei in seinen Beurteilungen vom 01.09.2014, vom 10.12.2014 und vom 09.03.2015 zusammenfassend zu dem Ergebnis gekommen, dass die medizinischen Voraussetzungen für die beantragte Leistung nicht erfüllt seien. So sei nach den Ausführungen der Gutachter für die Basismobilität auf jeden Fall ein Rollstuhl nötig. Inwieweit nach entsprechendem Training und besserer Gewöhnung an die ReWalk-Orthese weite Gehstrecken zurückgelegt werden könnten, wie bisher mit dem Rollstuhl, sei im Moment nur schwer abschätzbar. Die Vertikalisierung könne durch den vorhandenen Stehtrainer sichergestellt werden, auch sei ein Stehrollstuhl einsetzbar, der ein Stehtraining auch ohne Abhängigkeit von einer Hilfsperson ermögliche. Zusätzlich komme ein Bewegungstrainer in Frage. Durch diese Hilfsmittel sei die Sicherung der Krankenbehandlung (Vertikalisierung und Durchbewegen der Gelenke) möglich. Von der Notwendigkeit der beantragten Versorgung sie hingegen nicht auszugehen.

Hiergegen hat der Kläger am 23.06.2015 die vorliegende Klage erhoben. Er trägt vor, die bisherige Hilfsmittelversorgung bzw. die im Widerspruchsverfahren vorgeschlagene Nutzung eines Bewegungstrainers sei nicht zweckmäßig, da beides keinen optimalen Behinderungsausgleich nach dem aktuellen medizinisch-technischen Stand gewährleistet. Er sei nach der ausgiebigen Erprobung der begehrten ReWalk-Orthese in der Lage, selbstständig aufzustehen, zu gehen und zu stehen. Er könne mit der Orthese sogar Treppen steigen. Es handele sich um ein komplex und mehrfach wirkendes Körperersatzstück. Es diene dem Ersatz der funktionslosen Körperteile des Geh-, Steh- und Stützapparates beim querschnittsgelähmten Menschen. Die Orthese sei auf den Ausgleich der mit der Querschnittslähmung verbundenen Behinderung selbst gerichtet und diene überdies der medizinischen Rehabilitation. Wegen dieses unmittelbaren Ansatzes zum Behinderungsausgleich seien die Voraussetzungen des Grundbedürfnisses des täglichen Lebens erfüllt. Die ReWalk-Orthese gewährleiste weitgehend die Deckung des Grundbedürfnisses auf ein möglichst sichereres, selbstständiges und gefahrloses Gehen, Stehen, Aufstehen und Treppensteigen, wie es bei nichtbehinderten Menschen durch die Funktion der Beine, des Beckens, der Hüften und des Rumpfes gegeben sei. Der durch die Querschnittslähmung bedingte körperliche Funktionsausfall werde mit dem begehrten Hilfsmittel in weitgehender Weise ausgeglichen. Die Orthese beseitige dabei praktisch die zahlreichen unterschiedlichen Funktionsdefizite allein, während ein Hilfsmittel wie der Rollstuhl oder die Stehhilfe jeweils nur ein Teil-Mobilitätsbedürfnis abdecken könne. Die bisherige Hilfsmittelversorgung sei daher unzureichend. Der Kläger verweist auf verschiedene Entscheidungen des BSG zum Behinderungsausgleich und macht geltend, eine Fortbewegung im Sitzen (Rollstuhl) sei mit einer Fortbewegung im Stehen (Exoskelett) nicht zu vergleichen, sodass der vorhandene Rollstuhl entgegen der Argumentation der Beklagten nicht ein gleiches Maß an Mobilität gewährleisten könne. Das Exoskelett gehe in seiner Wirkungsweise viel weiter als die vorgeschlagenen Hilfsmittel (Rollstuhl, Stehhilfe und Bewegungstrainer), da es eine Bewegung sämtlicher Gelenke unter der natürlichen Belastung des Körpergewichts gewährleiste. Es komme dem Behinderungsausgleich im Sinne eines möglichst weitgehenden Gleichziehens mit nicht behinderten Menschen deutlich näher. Nach Einsicht in die Verwaltungsvorgänge hat der Kläger zudem darauf hingewiesen, dass das MDK-Gutachten vom 09.03.2015 sein Leistungsbegehren stütze.

Während des Klageverfahrens übersandte das Sanitätshaus Rehability Rehafachhandel GmbH unter dem 22.09.2015 einen neuen Kostenvoranschlag auf Grund des vom Hersteller mittlerweile erhöhten Preises an die Beklagte. Der Kläger stellte klar, dass es sich hierbei nicht um einen Neu-Antrag handele.


Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 09.09.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.06.2015 zu verurteilen, den Kläger mit einer ReWalk-Orthese (Exoskelett) des Herstellers Argo Medical Technologies GmbH zu versorgen.


Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung trägt sie vor, das begehrte Exoskelett sei nicht erforderlich, um eine Behinderung auszugleichen. Es handele sich im vorliegenden Fall lediglich um einen mittelbaren Behinderungsausgleich, weil durch das begehrte Hilfsmittel nicht das Gehen selbst ermöglicht werde. Der Kläger benötige Assistenz einer Begleitperson und Unterarmgehstützen. Somit sollten lediglich die Folgen einer Funktionsbeeinträchtigung der Beine ausgeglichen werden. Das hier betroffene Grundbedürfnis auf Erschließung eines körperlichen Freiraums umfasse die Bewegungsmöglichkeit in der eigenen Wohnung und dem umliegenden Nahbereich, wobei Anknüpfungspunkt für die Reichweite des Nahbereichs der Wohnung der Bewegungsradius sei, den ein Nichtbehinderter üblicherweise zu Fuß zurücklege. Dies entspreche dem Umkreis, der mit einem von einem behinderten Menschen selbst betriebenen Aktivrollstuhl erreicht werden könne (Hinweis auf BSG, Urteil vom 18.05.2011 - B 3 KR 12/10 R -). Das Exoskelett sei nicht erforderlich, um den Nahbereich in diesem Sinne zu erschließen, denn der Kläger sei mit dem vorhandenen Aktivrollstuhl in der Lage, sich in dem beschriebenen Umkreis zu bewegen. Bei einer Gehstrecke von derzeit 10 bis 20 Metern bzw. bei guter Entwicklung möglicherweise 500 Metern könne mit dem Exoskelett nicht das Grundbedürfnis des Erschließens des Nahbereichs sichergestellt werden. Das Exoskelett sei nicht mit einer Prothese vergleichbar, da es kein Körperteil direkt ersetze. Die Beklagte ist der Auffassung, hiermit sei kein aktives Gehen möglich, vielmehr handele es sich um eine Sonderform der passiven Fortbewegung. Das Grundbedürfnis Gehen werde nicht befriedigt. Zwar bewege der Kläger sich selbstbestimmt fort, dies könne er jedoch auch mit einem Rollstuhl. Mit dem Exoskelett werde bestenfalls ein mittelbarer Behinderungsausgleich erzielt. Hierfür stünden aber andere Hilfsmittel zur Verfügung. Mit dem Exoskelett werde der Aktionsradius im Vergleich zum Rollstuhl nicht vergrößert, sondern es stelle im Nahbereich lediglich eine andere Art der Fortbewegung (aufrecht statt sitzend) dar. Die Körperfunktion "Gehen" werde sowohl zeitlich als auch räumlich nur äußerst eingeschränkt ermöglicht, so dass kein adäquater Ersatz der ausgefallenen Körperfunktion vorliege. Ein Nutzer werde immer auf Unterarmgehstützen und in der Regel auf Unterstützung durch eine Hilfsperson angewiesen sein. Das Exoskelett sei nicht alltagstauglich, da es nur in einem kleinen Teilbereich des täglichen Lebens verwendet werden könne. Das An- und Ablegen sei aufwändig, im Einzelfall zwar selbstständig möglich, aber körperlich sehr belastend. Die Nutzungsdauer sei limitiert, da die Stabilisierung des KÖrpers ein hohes Maß an Koordination, Konzentration und Kraft erfordere. Der MDK habe in seinen Gutachten dargestellt, dass die selbstständige Mobilität insgesamt sehr gering bleiben werde. Sofern der Kläger sich im Idealfall alleine und ohne Anwesenheit weiterer Personen mit dem Exoskelett fortbewege, seien auch Sicherheitsaspekte zu berücksichtigen. Andere Hersteller würden wegen der erhöhten Sturzgefahr vom Einsatz im häuslichen Bereich abraten. Vielmehr würden die Produkte ausschließlich als Therapiegerät zur Rehabilitation eingesetzt. Als Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich sei es nicht zu übernehmen, da der vorhandene Rollstuhl die einzige alltagstaugliche Möglichkeit zur Bewältigung längerer und kürzerer Strecken innerhalb und außerhalb des Hauses sei. Innerhalb der Wohnung sei eine kurzzeitige Nutzung des Exoskeletts zur Überwindung von kurzen Strecken zwar vorstellbar, durch die Notwendigkeit, das Exoskelett zuvor aufwändig anzulegen, sei die Nutzung allerdings zeitlich sehr limitiert. Das Bewältigen von Treppen sei nur im Ausnahmefall möglich, da es sehr anstrengend und mit einer erheblichen Sturzgefahr verbunden sei. Eine alltagstaugliche Nutzung zur Befriedigung der Grundbedürfnisse des täglichen Lebens sei daher wenig wahrscheinlich. Da der Kläger die Arme zum Abstützen auf den Unterarmgehstützen benötige, seien alltagsrelevante Verrichtungen nicht möglich. Daher tage die aufrechte Position nicht zur Erweiterung der Möglichkeiten bei Alltagsverrichtungen bei.

Da die Thematik bereits beim GKV Spitzenverband Bund beraten werde und der Medizinische Dienst der Spitzenverbände (MDS) mit der Erstellung eines Grundsatzgutachtens beauftragt worden sei, regte die Beklagte ein Ruhen des Verfahrens an.

Der Kläger lehnte ein Ruhen des Verfahrens ab, da Intention des zu erwartenden Grundsatzgutachtens lediglich die Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis sein könne. Der Versorgungsanspruch des Klägers werde hiervon aber nicht beeinflusst. Der Kläger tritt der rechtlichen Einschätzung der Beklagte, es handele sich lediglich um einen mittelbaren Behinderungsausgleich, entgegen. Das Exoskelett ermögliche ihm das selbstständige Aufstehen aus sitzender Position, das Stehen und Gehen, ja sogar das Treppensteigen. Die höchstrichterliche Rechtsprechung lasse für den unmittelbaren Behinderungsausgleich ausrechen, dass die durch die Behinderung weggefallene Körperfunktion auch nur teilweise wieder ermöglicht werde. Ein vollständiges Gleichziehen mit den nahezu unbeschränkten Möglichkeiten Nichtbehinderter sei nicht erforderlich (Hinweis auf BSG, Urteil vom 25.02.2015 - B 3 KR 13/13 R -). Dass der Kläger für die sichere Anwendung auf Unterarmgehstützen angewiesen sei, stehe dem unmittelbaren Behinderungsausgleich nicht entgegen. Zudem gehe das begehrte Hilfsmittel über die Anwendung beispielsweise einer Unterschenkelprothese noch hinaus: Es lasse die Beine gehen, ohne auf künstliche Körperersatzstücke angewiesen zu sein. Es gewährlieste somit ein dem natürlichen Gehvorgang sehr nahekommendes Gehen des Querschnittsgelähmten. Die Notwendigkeit einer sichernden Begleitperson stehe dem selbstständigen Gehen mit dem Exoskelett nicht entgegen. Auch die meisten Menschen, die im Rollstuhl sitzen, seien auf Hilfe und Unterstützung angewiesen.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurden Auszüge der Videodokumentation zur Erprobung im Jahr 2014 und zu einer kurz vor der Verhandlung erfolgten Erprobung eingesehen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gem. § 54 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 i.V.m. Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch im Übrigen zulässige Klage ist begründet.

Der Kläger hat gegenüber der Beklagten einen Sachleistungsanspruch auf die Versorgung mit der begehrten ReWalk-Orthese (Exoskelett) als Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich. Der Bescheid vom 09.09.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.06.2015, mit dem die Beklagte die Kostenübernahme ablehnte, ist rechtswidrig und war daher aufzuheben.

I.

Ausgangspunkt der rechtlichen Prüfung für den hier geltend gemachten Anspruch ist das Neunte Buch Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX). Die beim Kläger bestehende Querschnittslähmung ist eine Behinderung im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Bei der hier begehrten Versorgung mit einem Hilfsmittel handelt es sich um eine Leistung der medizinischen Rehabilitation, da eine Behinderung bei der Befriedigung von Grundbedürfnissen des täglichen Lebens ausgeglichen werden soll (vgl. § 31 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX). Rehabilitationsträger hierfür ist unter anderem die Beklagte als gesetzliche Krankenkasse (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX). Gemäß § 26 Abs. 1 SGB IX werden zur medizinischen Rehabilitation behinderter und von Behinderung bedrohter Menschen die erforderlichen Leistungen erbracht, um u.a. Behinderungen abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern oder auszugleichen.

Die Leistungspflicht der Beklagten ergibt sich vorliegend aus den Vorschriften des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) i.V.m. den Vorschriften des SGB IX, vgl. § 4 Abs. 2 und § 7 Satz 2 SGB IX. Leistungen zur medizinischen Rehabilitation im Sinne des SGB V können nicht nur solche der §§ 40 f. SGB V (ambulante und stationäre Rehabilitationsleistungen in Einrichtungen) sein. In der Gesetzessystematik werden diese ausweislich der Regelung des § 11 Abs. 1 Nr. 4 SGB V und des § 27 Abs. 1 Nr. 6 SGB V ebenso wie etwa die Versorgung mit Hilfsmitteln (vgl. § 27 Abs. 1 Nr. 3 SGB V) zunächst den Leistungen der Krankenbehandlung zugeordnet. Daneben bestimmt § 11 Abs. 2 SGB V einen Anspruch auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (sowie auf unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen), die notwendig sind, um eine Behinderung (vgl. § 2 Abs. 1 SGB IX) oder Pflegebedürftigkeit abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern. Für diese Leistungen verweist § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB V auf die Vorschriften des SGB IX, soweit im SGB V nichts anderes bestimmt ist. Aus diesem Verweis wiederum ergibt sich, dass der Begriff der medizinischen Rehabilitation auch im SGB V in einem umfassenderen Sinne verstanden werden muss, als nur im Sinne einer Rehabilitation in Einrichtungen gemäß §§ 40 f. SGB V. Es fallen hierunter bei dem Ziel, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, insbesondere die in § 26 ff. SGB IX geregelten Leistungen.

Rechtsgrundlage für die Versorgung es Klägers durch die Beklagte mit der begehrten Orthese ist daher § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V i.V.m. § 26 Abs. 2 Nr. 6 und § 31 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX.


II.

Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte einen Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens oder nach § 34 Abs. 4 SGB V aus der Versorgung der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen sind. Wie in allen anderen Bereichen der Leistungsgewährung der gesetzlichen Krankenversicherung auch, müssen die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen (§ 12 Abs. 1 SGB V).

1. Für den Kläger ist die begehrte Orthese erforderlich, um die bestehende Behinderung auszugleichen, da sie u.a. der Wiederherstellung der Gehfähigkeit des Klägers dient. Daher kann der Kläger die Versorgung beanspruchen, obwohl der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) zu der begehrten ReWalk-Orthese noch keine positive Empfehlung in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V über den Einsatz im Rahmen einer neuen Behandlungsmethode abgegeben hat.

Wäre die Versorgung nur im Sinne der Bereitstellung der Orthese zur Durchführung einer bestimmten Therapie beim Kläger erforderlich, wäre der Anspruch des Klägers auf ärztliche Behandlung an § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB V zu messen. Eine solche Therapie wäre als neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode in der vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V nur dann von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst, wenn der GBA in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hätte. Ärztliche Behandlungsmethoden in diesem Sinne sind medizinische Vorgehensweisen, denen ein eigenes theoretisch-wissenschaftliches Konzept zu Grunde liegt, das sie von anderen Therapieverfahren unterscheidet und das ihre systematische Anwendung in der Behandlung bestimmter Krankheiten rechtfertigen soll. Als "neu" gilt dabei eine Methode, wenn sie zum Zeitpunkt der Leistungserbringung nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistung im EBM-Ä enthalten ist (BSG, Urteil vom 27.09.2005 - B 1 KR 28/03 R -, Rn. 17; vgl. auch BSG, Urteil vom 12.08.2009 - B 3 KR 10/07 R - Rn. 18; alle Entscheidungen in folgenden zitiert nach juris). Die Sperrwirkung des in § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V begründeten Leistungsverbots mit Erlaubnisvorbehalt erfasst dabei jegliche Maßnahme im Rahmen einer bei einem bestimmten Krankheitsbild systematisch angewandten Methode. Solange eine solche Therapie als neue Behandlungsmethode nicht zur Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung zugelassen ist, werden auch die dabei eingesetzten Hilfsmittel nicht von der Leistungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst.

Hier kann offengelassen werden, ob die ReWalk-Orthese auch als Hilfsmittel im Rahmen einer bestimmten Therapie im beschriebenen Sinne eingesetzt werden kann und damit Bestandteil dieser Behandlungsmethode wäre, sodass es eines Positivvotums des GBA für diese neue Behandlungsmethode bedürfte. denn im vorliegenden Fall dienst die begehrte Versorgung des Klägers mit der Orthese jedenfalls (auch) dem Ausgleich seiner körperlichen (Geh-)Behinderung. Für Hilfsmittel, die dem Behinderungsausgleich dienen, ist aber weder eine Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis im Sinne des § 139 SGB V noch ein Votum des GBA nach § 135 SGB V erforderlich.

2. Der Kläger kann die Versorgung mit der ReWalk-Orhtese gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 i.V.m. § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V i.V.m. § 26 Abs. 2 Nr. 6 und § 31 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX als Hilfsmittel zum unmittelbaren Behinderungsausgleich beanspruchen.

Zur Frage der Erforderlichkeit eines Hilfsmittels zum Behinderungsausgleich im Sinne der dritten Variante des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V (vgl. § 31 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX) unterscheidet der 3. Senat des BSG in ständiger Rechtsprechung (vgl. nur BSG, Urteil vom 06.02.1997 - 3 RK 3/96 - [Druckbeamtmungsgerät]; Urteil vom 25.06.2009 - B 3 KR 10/08 R - [Salzwasserprothese]; Urteil vom 18.05.2011 - B 3 KR 10/10 R - [Sportrollstuhl]; Urteil vom 21.03.2013 - B 3 KR 3/12 R - [Unterschenkel-Sportprothese] und Urteil vom 25.02.2015 - B 3 KR 13/13 R - [Autoschwenksitz] zwischen dem unmittelbaren Behinderungsausgleich, bei dem das Hilfsmittel unmittelbar dem Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion selbst dient, und dem mittelbaren Behinderungsausgleich, bei dem das Hilfsmittel zum Ausgleich der direkten und indirekten Behinderungsfolgen eingesetzt wird.

Aufgabe des mittelbaren Behinderungsausgleichs soll es dabei sein, einem behinderten Menschen, dessen Funktionsbeeinträchtigung durch medizinische Maßnahmen einschließlich des Einsatzes von Hilfsmitteln nicht weiter behoben werden kann, das Leben mit den Folgen dieser Beeinträchtigung zu erleichtern (BSG, Urteil vom 25.02.2015 - B 3 KR 13/13 R - [Autoschwenksitz], Rn. 20 m.w.N.). Ein Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich soll nach der Rechtsprechung des BSG von der GKV nur dann zu gewähren sein, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mindert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft. Zu diesen elementaren Grundbedürfnissen eines Menschen zählt der 3. Senat des BSG jedenfalls das Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, die Nahrungsaufnahme, das Ausscheiden, die elementare Körperpflege, das selbstständige Wohnen sowie das Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums (BSG, Urteil vom 25.02.2015 - B 3 KR 13/13 R - (Autoschwenksitz], Rn. 20 f. mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Zur Erschließung des körperlichen Freiraums soll danach insbesondere die Fähigkeit gehören, sich in der eigenen Wohnung zu bewegen und sie zu verlassen, um bei einem kurzen Spaziergang "an die frische Lust zu kommen" oder um die - üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden - Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind (Versorgungswege, Supermarkt, Arzt, Apotheke, Geldinstitut, Post).

Dabei ist anerkannt, dass der Ausfall einer Körperfunktion den Krankheitsbegriff im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung erfüllt, so dass es zum Aufgabenbereich der GKV gehört, ausgefallene oder beeinträchtigte Körperfunktionen soweit wie möglich wiederherzustellen oder zu verbessern (vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 25.01.2015 - B 3 KR 13/13 R - [Autoschwenksitz], Rn. 19). Der Ausgleich der ausgefallenen Körperfunktion stellt daher immer einen Fall des unmittelbaren Behinderungsausgleichs dar.

Ungeachtet der Kritik an der vom 3. Senat des BSG vorgenommenen Differenzierung zwischen dem unmittelbaren und mittelbaren Behinderungsausgleich und der Anknüpfung des letzteren an die allgemeinen Grundbedürfnisse des täglichen Lebens (vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 25.01.2015 - B 3 KR 13/13 R - [Autoschwenksitz], Rn. 28 ff. mit Nachweisen auch zu kritischen Stimmen) ist dieser Rechtsprechung jedenfalls zuzustimmen, soweit eine Leistungspflicht der Krankenkassen hinsichtlich des sog. unmittelbaren Behinderungsausgleichs beschrieben wird, die sich an einer möglichst weitgehenden oder zumindest bestmöglichen Wiederherstellung der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion zu orientieren hat. Ein unmittelbarer Funktionsausgleich liegt danach vor, wenn das Hilfsmittel die aufgefallene oder beeinträchtigte Körperfunktion ausgleicht, indem es die Ausübung der Körperfunktion selbst ermöglicht, ersetzt oder zumindest erleichtert (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 3 KR 20/08 R - [Hörgerät], Rn. 15). Dabei zielt der Anspruch des Versicherten auf einen möglichst vollständigen funktionellen Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion selbst, und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts (BSG, Urteil vom 25.06.2009 - B 3 KR 10/08 R - [Salzwasserprothese]). Die Erhaltung, Wiederherstellung oder Verbesserung einer beeinträchtigten Körperfunktion sei bereits als solche ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens (so schon BSG, Urteil vom 25.06.2009 - B 3 KR 10/08 R - [Salzwasserprothese]; Urteil vom 17.12.2009 - B 3 KR 20/08 R - [Hörgerät] und Urteil vom 29.04.2010 - B 3 KR 5/09 R - [Lichtsignalanlage]). Die Versorgung mit einem fortschrittlichen, technisch weiterentwickelten Hilfsmittel kann daher nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorungsstandard sei ausreichend, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig im Sinne des Gleichziehens mit einem nicht behinderten Menschen erreicht ist (BSG, Urteil vom 06.06.2002 - B 3 KR 68/01 R - [C-Leg] und Urteil vom 25.06.2009 - B 3 KR 10/08 R - [Salzwasserprothese]; Urteil vom 17.12.2009 - B 3 KR 20/08 R - [Hörgerät]. Der Leistungsanspruch hinsichtlich eines fortschrittlicheren Hilfsmittels wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass ein vollständiges Gleichziehen mit einem gesunden Versicherten auch damit nicht erreicht werden kann. Das beanspruchte Hilfsmittel muss das von der Behinderung betroffene Körperteil nicht rekonstruieren oder die von der Behinderung betroffene Körperfunktion nicht vollständig ersetzen, sondern es genügt, wenn es einen Ausgleich für den entsprechenden Funktionsverlust bringt (Beck in. Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 33 SGB V, Rn. 25 f.).

Unter Zugrundelegung dieses Maßstabes zielt die Versorgung des Klägers mit der begehrten ReWalk-Orthese auf die Wiederherstellung der auf Grund der Querschnittslähmung ausgefallenen Funktion seines Stütz- und Bewegungsapparates, insbesondere betreffend die Fähigkeit zu gehen, zu stehen, sich hinzusetzen und wieder aufzustehen. Damit werden anders als etwa bei einer Beinprothese zwar nicht fehlende Körperteile ersetzt, aber es wird die ausgefallene Funktion der beteiligten Körperteile möglichst weitgehend wiederhergestellt. Dabei handelt es sich um einen unmittelbaren Behinderungsausgleich und nicht nur - wie die Beklagte geltend gemacht hat - um eine Sonderform der passiven Fortbewegung. Der Umstand, dass der Kläger möglicherweise weiterhin Assistenz, jedenfalls aber Unterarmgehstützen benötigt, ändert nichts daran, dass er mithilfe der ReWalk-Orthese in die Lage versetzt wird, selbstbestimmt zu gehen. Allein die Wiederherstellung der Gehfähigkeit aber ist (als anerkanntes Grundbedürfnis des täglichen Lebens) bereits geeignet, die objektive Notwendigkeit der Versorgung zu begründen. Ob das weitere, von der Rechtsprechung anerkannte und von der Beklagten in den Mittelpunkt der Überlegungen gestellte Grundbedürfnis auf Erschließung eines körperlichen Freiraums mit der Orthese, oder aber auch in Zukunft nur durch die weitere Nutzung eines Rollstuhls sichergestellt werden kann, ist für die Leistungspflicht der Beklagten im hier zu entscheidenden Fall daher nicht entscheidend.

3. Die begehrte ReWalk-Orthese ist für den unmittelbaren Behinderungsausgleich des Klägers betreffend seine Fähigkeit zu gehen, zu stehen, sich hinzusetzen und wieder aufzustehen auch geeignet und im Einzelfall erforderlich. Die subjektive Erforderlichkeit eines Hilfsmittels ist dann gegeben, wenn im konkreten Fall die begehrte Versorgung geeignet ist, eines der in § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V bzw. in § 26 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 31 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX beschriebenen Ziele (hier also einen Behinderungsausgleich) zu erreichen und keine wirtschaftlichere Alternative besteht.

Dass der Kläger das begehrte Hilfsmittel nutzen kann, hat er bereits während der von der Beklagten finanzierten Erprobung in der A-Klinik in F. im Jahr 2014 gezeigt. Ausweislich des bei der Antragstellung vorgelegten Erprobungsberichtes der Klinik war dem Kläger bereits am Ende der Erprobung (unter optimalen Bedingungen mit Supervision) der Transfer zum Exoskelett, das Anlegen der Fixiergurte und der Schuhe selbstständig möglich. Im Verlauf zeigte sich eine kontinuierliche Verbesserung. Die Bedienung der Steuereinheit bewältigte der Kläger bereits damals selbstständig. Die maximale Gehstrecke ohne Sitzpause betrug 140 Meter im Innenbereich oder auf ebenem Untergrund im Außenbereich, davon mindestens 30 Meter ohne ungewollten Stopp. Durch die Verbesserung der intermuskulären Koordination der Bewegungsabläufe war im Laufe der Zeit keine Unterstützung am Rumpf mehr erforderlich, aber intermittierend stabilisierende Sicherung am Becken. Der Kläger übernahm zunehmend mehr Kontrolle über Gewichtsverlagerungen, Balance und Richtungswechsel. Die erprobenden Ärzte gaben als kurzfristiges Ziel nach dem Abschluss des stationären Trainings die Benutzung des ReWalk-Exoskeletts mit Assistenz an. Mittelfristig werde das Erreichen einer stundenweisen selbstständigen Gehfähigkeit mit Begleitperson angestrebt.

Auch bei der Begutachtung durch den MDK am 10.12.2014 konnte der Kläger die Ärzte des MDK davon überzeugen, dass er das Exoskelett nutzen kann. Die Ärzte haben bestätigt, dass der Kläger sich mit dem Gerät stehend und gehend selbstbestimmt fortbewegen konnte und haben daher der Beklagten die Versorgung empfohlen. Durch das Hilfsmittel konnte der Kläger nach Mitteilung der Ärzte eigenbestimmt Mobilität erlangen und sich Freiräume erschließen, die unter Nutzung des Rollstuhls für ihn verschlossen blieben. Der Kläger wechselte selbst vom Rollstuhl zur Orthese und legte diese eigenständig an. Er konnte bei der Begutachtung unter leichter Assistenz vom Hocker aufstehen und stabil stehen. Zudem war er in der Lage, die Orthese durch Vorverlagerung des Oberkörpers zu starten und weitgehend unabhängig von der Hilfsperson im Raum zu gehen und auch Richtungswechsel aktiv durchzuführen. Die Ärzte des MDK prognostizierten im Ergebnis der Begutachtung, dass die Eigenmobilität des Klägers unter weiterer Nutzung und Übung mit dem Hilfsmittel sicher noch verbessert werden könne. Auch im Rahmen der erneuten Stellungnahme vom 09.03.2015 bestätigte der Arzt des MDK die Feststellung, dass der Kläger mit dem begehrten Hilfsmittel selbstbestimmt gehen konnte. Auf die entsprechende Nachfrage der Beklagten gab der Arzt ausdrücklich an, dass ein unmittelbarer Behinderungsausgleich möglich sei. Der Kläger könne sich mit dem Exoskelett selbstbestimmt zu jedem Punkt im Raum bewegen. Auch sei es ihm durch die stehende Position möglich, Gegenstände zu erreichen, die sich oberhalb der Reichweite eines sitzenden Rollstuhlfahrers befänden.

Anhand der vorliegenden Videodokumentationen konnte sich die Kammer zudem einen eigenen Eindruck davon verschaffen, dass es dem Kläger unter Nutzung der begehrten ReWalk-Orthese möglich ist, selbstständig zu gehen und zu stehen.

In Anbetracht dessen ist die begehrte Orthese für den angestrebten Behinderungsausgleich betreffend insbesondere die Geh- und Stehfähigkeit geeignet.

4. Die Erforderlichkeit im Einzelfall ergibt sich daraus, dass der Kläger auf andere Weise nicht in die Lage versetzt werden kann, die verlorene Fähigkeit des Gehens, Stehens, Hinsetzens und wieder Aufstehens auszugleichen. Auch wenn nicht absehbar ist, ob der Kläger die Orthese nach einer gewissen Zeit der Gewöhnung und des Trainings mehr als nur ein paar Stunden täglich wird nutzen können, entfällt deshalb nicht die Erforderlichkeit der Versorgung. Für den Kläger, der auf Grund der bestehenden Querschnittslähmung sein Leben lang darauf angewiesen sein wird, sich im Rollstuhl fortzubewegen, ist selbst die Möglichkeit, für wenige Stunden am Tag aufrecht zu gehen, ein nachvollziehbar großer und damit alltagsrelevanter Bewegungszugewinn. Ungeachtet der Frage, wie lange und wie weit ein selbstständiges Gehen und Stehen am Tag gelingen wird, handelt es sich aus der Perspektive eines von einer Querschnittslähmung Betroffenen um einen wesentlichen Funktionszugewinn, der sich potentiell in allen Bereichen des täglichen Lebens auswirken kann. Der Kläger kann die Orthese zur Herstellung seiner Gehfähigkeit sowohl im privaten als auch im beruflichen Bereich einsetzen. Der Einwand der Beklagten, es sei keine vollständige Selbstständigkeit des Klägers erreichbar, vermag an der Notwendigkeit der Versorgung nichts zu ändern, denn ein Gleichziehen mit Nichtbehinderten ist nur das Ziel des anzustrebenden möglichst vollständigen funktionellen Ausgleichs, nicht aber die Voraussetzung für die Versorgung. Der Umstand, dass der Kläger aufgrund der bestehenden Behinderung voraussichtlich weiterhin auf Hilfestellung angewiesen sein wird, vermag die Verweigerung einer den Funktionsausfall besser ausgleichenden Versorgung daher nicht zu rechtfertigen.

5. Dem Sachleistungsanspruch des Klägers auf Versorgung mit der begehrten ReWalk-Orthese stehen Fragen der Wirtschaftlichkeit nicht entgegen. Das Wirtschaftlichkeitsgebot ist in § 2 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 12 Abs. 1 SGB V verankert. § 12 Abs. 1 SGB V bestimmt, dass die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein müssen und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten dürfen. Wählen Versicherte Hilfsmittel, die über das Maß des Notwendigen hinausgehen, haben sie die Mehrkosten und dadurch bedingte höhere Folgekosten selbst zu tragen (§ 33 Abs. 1 Satz 5 SGB V; ebenso § 31 Abs. 3 SGB IX). Krankenkassen haben nach der Rechtsprechung des 3. Senates des BSG insofern nicht für solche Verbesserungen aufzukommen, die keine Gebrauchsvorteile für den Versicherten bewirken, sondern in erster Linie die Bequemlichkeit und den Komfort bei der Nutzung des Hilfsmittels bzw. lediglich ästhetische Vorteile betreffen (vgl. nur BSG, Urteil vom 16.09.2004 - B 3 KR 20/04 R - [C-Leg], Urteil vom 25.06.2009 - B 3 KR 10/08 R - [Salzwasserprothese]; Urteil vom 21.03.2013 - B 3 KR 3/12 R - [Unterschenkel-Sportprothese], Urteil vom 17.12.2009 - B 3 KR 20/08 R - [Hörgerät], Rn. 21 und Urteil vom 24.01.2013 - B 3 KR 5/12 R - [Hörgerät II]. Die Wirtschaftlichkeit eines dem unmittelbaren Behinderungsausgleich dienenden Hilfsmittels ist dabei aber grundsätzlich zu unterstellen und erst zu prüfen, wenn mehrere tatsächlich gleichwertige, aber unterschiedlich teure Hilfsmittel zur Wahl stehen (BSG, Urteil vom 06.06.2002 - B 3 KR 68/01 R - [C-Leg], Urteil vom 25.06.2009 - B 3 KR 4/08 R - [GPS-System für blinde und sehbehinderte Menschen]; Urteil vom 20.11.2008 - B 3 KR 6/08 R - [Kraftknoten] und Urteil vom 25.06.2009 - B 3 KR 10/08 R - [Salzwasserprothese]. Eine Begrenzung eines bestehenden Sachleistungsanspruchs durch das Wirtschaftlichkeitsgebot kann also erst dann greifen, wenn es mehrere funktionell zumindest gleich geeignete Versorgungsmöglichkeiten gibt. Dann hat der Versicherte lediglich einen Anspruch auf die preiswertere Versorgung.

Eine andere, gleich geeignete Versorgung, mit der der Behinderungsausgleich des Klägers in vergleichbarer Weise möglich wäre, ist nicht ersichtlich. Insbesondere bleibt die bisherige Versorgung des Klägers mit dem Aktiv-Rollstuhl und dem Stehtrainier ebenso wie das Angebot der Beklagten, einen Stehrollstuhl oder einen Bewegungstrainer zur Verfügung zu stellen, weit hinter dem mit der begehrten ReWalk-Orthese möglichen Behinderungsausgleich im Sinne des selbstständigen Gehens zurück. Mangels einer gleichwertigen Versorgungsalternative greifen Wirtschaftlichkeitserwägungen daher nicht ein.

Bei der Versorgung des Klägers mit der beantragten ReWalk-Orthese ist die gesetzliche Zuzahlung in Höhe von 10 Euro gemäß §§ 33 Abs. 8, 61 SGB V zu berücksichtigen. Die Zuzahlungspflicht entfällt unter den Voraussetzungen des § 62 SGB V.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Referenznummer:

R/R7032


Informationsstand: 26.07.2016