Die Klage ist zulässig und begründet.
Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat Anspruch auf Erstattung des für die Selbstbeschaffung des Schwerhörigentelefons aufgewandten Betrages abzüglich einer Eigenbeteiligung.
Grundlage des Anspruchs ist § 13
Abs. 3 2. Alternative des Sozialgesetzbuchs (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung -. Danach hat die Krankenkasse, wenn sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch Versicherten Kosten für eine selbstbeschaffte Leistung entstanden sind, die Kosten für die selbstbeschaffte Leistung in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Der Klägerin sind die Kosten für die Anschaffung des Telefons in Folge der Ablehnungsentscheidung der Beklagten entstanden.
Entgegen der Auffassung der Beklagten hatte die Klägerin sich das Verstärkertelefon nicht unzulässigerweise vor der Bescheidung des Antrags selbst beschafft. Beschafft hat sie sich das Gerät erst, als sie es im Jahr 2003 - also nach Bekanntgabe des ablehnenden Ausgangsbescheids - gegen Entrichtung eines Entgelts von 154,00
EUR käuflich erworben hat. Eine unzulässige Selbstbeschaffung läge nur dann vor, wenn der Versicherte die Verfügungsbefugnis über ein Hilfsmittel bereits vor der Entscheidung der Krankenkasse über den Leistungsantrag in einer Weise erlangt, welche der Versorgung mit dem Hilfsmittel als Sachleistung durch die Krankenkasse entspricht. Denn nur dann kann von einer gemäß § 13
Abs. 1
SGB V grundsätzlich unzulässigen Durchbrechung oder Umgehung des in § 2
Abs. 2 Satz 1
SGB V verankerten Naturalleistungsprinzips ausgegangen werden.
Hat ein Leistungserbringer dem Versicherten ein Hilfsmittel nur faktisch - kulanzhalber
bzw. in Erwartung der baldigen Gewährung als Sachleistung - zur Verfügung gestellt, ohne dass dem eine gegenseitige vertragliche Vereinbarung zu Grunde liegt, die dem Versicherten ein eigenes Recht zur Nutzung einräumt, dann liegt keine Selbstbeschaffung vor. Denn der Leistungserbringer hat in diesem Fall seine Verfügungsbefugnis nicht aufgegeben. Er könnte das Gerät jederzeit wieder herausverlangen, ohne dass sich der Versicherte diesem Ansinnen gegenüber auf Grund einer wenigstens formell gesicherten Rechtsposition so zur Wehr setzen könnte wie gegenüber dem Herausgabeverlagen einer Krankenkasse, die ein Hilfsmittel als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung bereitgestellt hat, oder gegenüber der Rückforderung eines Verkäufers oder Vermieters.
Die Beklagte hat die Versorgung der Klägerin mit dem beantragten Schwerhörigentelefon zu Unrecht abgelehnt. Denn die Klägerin hatte einen Primäranspruch auf Versorgung mit dem Schwerhörigentelefon als Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung auf Grundlage des § 33
Abs. 1 Satz 1
SGB V. Danach haben Versicherte unter anderem Anspruch auf Versorgung mit den Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34
Abs. 4
SGB V ausgeschlossen sind. Gemäß § 12
Abs. 1
SGB V müssen die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.
Wie auch die Beklagte inzwischen nicht mehr in Abrede stellt, handelt es sich bei dem streitgegenständlichen Telefon nicht um einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Aus der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung sind Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens nicht schlechthin ausgeschlossen, sondern nur, wenn es sich dabei um "allgemeine" - das heißt grundsätzlich für Nichtbehinderte bestimmte und von diesen genutzte - Gebrauchsgegenstände handelt. Diese Beurteilung darf nicht mit der Frage verwechselt werden, ob ein Gebrauchsgegenstand angesichts seiner Alltäglichkeit - ob in allgemeiner oder in behindertenspezifischer Ausstattung als Hilfsmittel - dazu bestimmt ist, ein Grundbedürfnis zu befriedigen, dessen Befriedigung auch Behinderten zu ermöglichen Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung ist. Hilfsmittel verlieren die Eigenschaft als solche nicht dadurch, dass sie (auch) als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens dienen.
Als Hilfsmittel zu gewähren sind solche Gegenstände, die spezifisch der Bekämpfung einer Krankheit oder dem Ausgleich einer Behinderung dienen. Was regelmäßig auch von Gesunden benutzt wird, fällt als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens nicht in die Leistungspflicht der Krankenversicherung. Abzustellen ist auf die Zweckbestimmung des Gegenstands, die einerseits aus der Sicht der Hersteller, andererseits aus der Sicht der tatsächlichen Benutzer zu bestimmen ist: Gegenstände, die für die speziellen Bedürfnisse kranker oder behinderter Menschen entwickelt sowie hergestellt worden sind und die ausschließlich oder ganz überwiegend auch von diesem Personenkreis benutzt werden, sind nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen. Umgekehrt ist ein Gegenstand als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens einzustufen, wenn er schon von der Konzeption her nicht vorwiegend für Kranke und Behinderte gedacht ist ( Bundessozialgericht, Urteil vom 16.09.1999, Az.
B 3 KR 1/99 R).
Auf Grund seiner Ausstattung mit einem speziellen Verstärker für Knochenleitung und einem Lichtsignalgeber handelt es sich bei dem streitgegenständlichen Schwerhörigentelefon um ein Gerät, das für die speziellen Bedürfnisse hörbehinderter Menschen entwickelt sowie hergestellt worden ist und das ganz überwiegend auch von diesem Personenkreis genutzt wird. Dass das Schwerhörigentelefon für diesen Personenkreis die Funktion eines gewöhnlichen Telefons erfüllt und damit ein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens ist, steht dem nicht entgegen. Die Versorgung der Klägerin mit dem Schwerhörigentelefon ist zum Ausgleich der Behinderung beim Telefonieren ausreichend und geeignet. Denn die nur unter einer Schallleitungsstörung leidende Klägerin kann die über Knochenleitung aufgenommenen Informationen verarbeiten.
Die Versorgung mit dem Gerät ist auch erforderlich. Die Klägerin kann trotz Versorgung mit Hörgeräten mit einem normalen Telefon nicht telefonieren. Nur das Schwerhörigentelefon mit seinem Verstärker für Knochenleitung ermöglicht ihr die Teilnahme am Telefonverkehr. Die Klägerin ist auf die Nutzung des Telefons auch angewiesen. Es bedarf in diesem Zusammenhang keiner weiteren Ermittlungen, aus welchen Gründen und in welchem Umfang der Klägerin ein besonderes individuelles Bedürfnis zur Teilnahme an der fernmündlichen Kommunikation zur Seite steht. Denn Telefonieren ist ein Grundbedürfnis. Ob die Krankenkasse einen konkreten Gegenstand als Hilfsmittel bereitzustellen hat, richtet sich nach dem konkreten Zweck der Versorgung. Wenn ein Gegenstand einen Ausgleich der eingeschränkten Körperfunktion des Behinderten - anders als etwa Prothesen oder Hörgeräte - nur mittelbar
bzw. nur in einzelnen Lebensbereichen erzielen kann, ist zu prüfen, in welchem Lebensbereich er sich auswirkt. Es reicht nicht aus, wenn eine Verbesserung sich nur in Lebensbereichen auswirkt, die nicht zu den menschlichen Grundbedürfnissen zählen. Die Versorgung mit Hilfsmitteln ist nur dann Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung, wenn sie der Sicherstellung eines allgemeinen Grundbedürfnisses dient. Zu diesen Grundbedürfnissen gehören auch Kommunikation und Information des Versicherten. Sowohl ausreichend als auch erforderlich ist dabei, dass ein konkreter Informationsbedarf im Rahmen einer normalen Lebensführung auftritt. Als Maßstab ist deshalb der allgemein praktizierte Informationsbedarf heranzuziehen ( Bundessozialgericht, Urteil vom 23.08.1995, Aktenzeichen -
3 RK 7/95, zu einem Scanner mit Sprachausgabe für Blinde).
Ob eine bestimmte Betätigung als kommunikatives Grundbedürfnis anzusehen ist, hat das Bundessozialgericht in einem Urteil vom 22.05.1984, Az.
8 RK 33/83, an der tatsächlichen Verbreitung des jeweiligen Kommunikationsweges bemessen. Hierbei handelt es sich um eine empirische Feststellung die im Laufe der Zeit durchaus Änderungen unterliegen kann. Wörtlich hat der Senat in Bezug auf ein Verstärkertelefon für Schwerhörige ausgeführt: "Das Gerät erweitert damit den zur Verfügung stehenden Freiraum eines derart Hörbehinderten in nicht unbeträchtlichem Umfange. Allein deshalb kann jedoch die Versorgung mit diesem Hilfsmittel noch nicht als notwendige Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung i.
S. des § 182
Abs. 2 RVO angesehen werden. Das wäre nur dann der Fall, wenn die Benutzung des Telefons den allgemeinen Lebensbetätigungen zuzurechnen wäre. Das ist jedoch nicht - jedenfalls derzeit noch nicht - der Fall. Denn in der Bundesrepublik Deutschland verzichten noch immer mehrere Millionen Haushalte auf einen Telefonanschluss als Mittel der Fernverständigung. Dementsprechend dient das Telefon auch gegenwärtig in der Regel nur den besonderen privaten, beruflichen oder allgemeingesellschaftlichen Bedürfnissen, aber nicht den elementaren Lebensbetätigungen seiner Benutzer."
Gegenüber dem Zeitpunkt dieser Entscheidung haben sich die Verhältnisse wesentlich geändert. Inzwischen verfügen 97 Prozent aller Haushalte über einen Festnetzanschluss und 78 Prozent über einen Mobiltelefonanschluss (
vgl. Tabellenanhang zur Pressebroschüre "Informationstechnologie in Haushalten 2004", hrsgg. vom Statistischen Bundesamt, Wiesbaden 2005, http:// www.destatis.de/download/d/veroe/tab ikt 04.
pdf). Faktisch telefoniert jeder Haushalt. Telefonieren stellt deshalb nach den vom Bundessozialgericht in der oben genannte Entscheidung aufgestellten Kriterien inzwischen kein besonderes Bedürfnis mehr dar, sondern zählt zu den kommunikativen Grundbedürfnissen.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist daneben kein Raum, die Versorgung der Klägerin mit dem beantragten Telefon zusätzlich von einem individuellen Sonderbedarf abhängig zu machen, namentlich von der konkreten Gefahr der Vereinsamung. Etwas Gegenteiliges lässt sich nicht dem von der Beklagten für ihre Auffassung herangezogenen Urteil des Bundessozialgericht vom 25.10.1995, Az.
3 RK 30/94, entnehmen, das die Versorgung eines Hörbehinderten mit einem Schreibtelefon für Behinderte betraf. Auch in dieser Entscheidung hat das Bundessozialgericht im Ausgangspunkt als Maßstab dafür, ob ein Grundbedürfnis berührt ist, auf die Verbreitung eines Kommunikationsmittels als Hilfsmittel der alltäglichen Lebensbetätigung abgestellt (
vgl. unter
Nr. 2 im 5. und 6. Absatz der Entscheidungsgründe). Es hat diese Kriterien in dem dortigen Fall jedoch nicht angewandt und statt dessen die konkreten Gebrauchsvorteile des beantragten Hilfsmittels im Einzelfall für maßgeblich erachtet, weil die Besonderheit des Schreibtelefons darin liegt, dass der Kommunikationspartner ebenfalls mit einem solchen ausgestattet sein müsste. Anders als das hier streitgegenständliche Schwerhörigentelefon eröffnet das Schreibtelefon nicht die Teilnahme an der allgemeinen fernmündlichen Kommunikation mit Nichtbehinderten als Ausdruck alltäglicher Lebensbetätigung, sondern nur mit einem begrenzten, besonders ausgestatten Empfängerkreis. Es erlaubt gerade keine mündlichen Gespräche, sondern vermittelt an Stelle des eigentlichen Grundbedürfnisses "Telefonieren" nur ein Surrogat unter Ausnutzung des Schreib- und Sehvermögens. Aus diesem Grund ist es gerechtfertigt, nur unter besonderen Umständen, namentlich bei konkreter Vereinsamungsgefahr, Versicherte mit einem Schreibtelefon zu versorgen. Mit dem streitgegenständlichen Schwerhörigentelefon, mit dem unter Schalleitungsschwerhörigkeit leidende Hörbehinderte wie normal Hörende telefonieren können, ist der Gegenstand der Entscheidung des Bundessozialgerichts nicht vergleichbar.
Entsprechendes gilt im Hinblick auf die von der Beklagte als Alternative zur Hilfsmittelversorgung vorgeschlagene Kommunikation per e-Mail oder Telefax. Auch hierbei handelt es sich nur um Surrogate. Diese Kommunikationsmitteln gestatten keine fernmündlichen Gespräche. Anders als das Schwerhörigentelefon ermöglichen sie gerade nicht die Verwirklichung des Grundbedürfnisses "Hören" im Bereich der Telefonkommunikation.
Der Klägerin sind die Anschaffungskosten des Schwerhörigentelefons nur unter Abzug einer Eigenbeteiligung zu erstatten. Soweit ein Hilfsmittel einen Gebrauchsgegenstand darstellt, ist eine wirtschaftliche Trennung vorzunehmen und dem Versicherten ein entsprechender Eigenanteil an den Kosten der Versorgung aufzuerlegen (Bundessozialgericht, Urteil vom 28. 09.1976, Az.
3 RK 9/76). Dem doppelten Nutzungszweck - als Hilfsmittel einerseits und als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens andererseits - ist dadurch Rechnung zu tragen, dass der wirtschaftliche Wert als allgemeiner Gebrauchsgegenstand nicht von der Versichertengemeinschaft, sondern vom Versicherten selbst getragen wird. Der Versicherte soll nicht auf Grund seiner Behinderung von solchen Aufwendungen entlastet werden, die jedermann zur Bestreitung seines Lebensbedarfs aufbringen muss. Er hat deshalb einen angemessenen Eigenanteil zu tragen, der dem Wert des durch das Hilfsmittel ersetzten allgemeinen Gebrauchsgegenstandes entspricht. Die Höhe des Eigenanteils hat sich am üblichen Preis für Gebrauchsgegenstände in nicht speziell auf die Bedürfnisse Behinderter zugeschnittener Ausführung zu bemessen. Die Klägerin hat deshalb einen Eigenanteil in Höhe des üblichen Preises für ein analoges Festnetzendgerät beizusteuern. Am Markt werden diese in einer weiten Preisspanne angeboten, beginnend von einfachen Ausführungen für weniger als 10,00
EUR bis hin zu Ausführungen mit zahlreichen Zusatzfunktion und besonderem Design für über 70,00
EUR. Da die nicht speziell auf die Bedürfnisse Behinderter zugeschnittene Ausstattung des "M" bescheiden ausfällt, hat sich die Kammer dabei am unteren Preissegment orientiert und hält innerhalb der am Markt anzutreffenden Preisspanne einen Eigenanteil von 20,00
EUR für angemessen.
Die Berufung ist wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage zugelassen, ob ein alltäglicher Vorgang wie das Telefonieren zu den kommunikativen Grundbedürfnissen gehört, zu deren Befriedigung die gesetzlichen Krankenversicherung Behinderte mit Hilfsmitteln zu versorgen hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 183 Satz 1 und § 193
Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG).