Die zulässige Klage ist begründet. Die angefochtene Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 54
Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG). Der Kläger hat einen Anspruch auf eine Versorgung mit dem begehrten Fußhebersystem NESS L300.
Dies ergibt sich aus
§§ 33 Abs. 1 S. 1 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V). Danach haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach
§ 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind.
Vorliegend geht es beim Kläger allein um den Ausgleich einer bestehenden Behinderung, die durch die
MS-Erkrankung hervorgerufene Fußheberparese rechts. Der von der Krankenkasse geschuldete Behinderungsausgleich bemisst sich nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts -
BSG - entscheidend danach, ob eine Leistung des unmittelbaren oder des mittelbaren Behinderungsausgleichs betroffen ist (
BSG, Urteil 12.08.2009, Az.
B 3 KR 8/08). Der unmittelbare Behinderungsausgleich hat das Ziel eines möglichst weitgehenden funktionellen Ausgleichs der Behinderung, hierunter fallen
z.B. Prothesen oder Hörgeräte. Im Bereich des mittelbaren Behinderungsausgleichs sind die Leistungspflichten hingegen beschränkter, weil eine Wiederherstellung der beeinträchtigten Körperfunktion nicht möglich ist und nur die direkten und indirekten Folgen der Behinderung ausgeglichen werden können, wie typischerweise bei einem Rollstuhl. Dann ist nur ein Basisausgleich in den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens zu schaffen. Vorliegend ist nach diesen Grundsätzen der unmittelbare Behinderungsausgleich betroffen, weil das Hilfsmittel die Ausübung der beeinträchtigten Körperfunktion - das Heben des Fußes - ermöglicht und damit unmittelbar an der Behinderung ansetzt.
Zum unmittelbaren Behinderungsausgleich hat das
BSG in der sog. "C-Leg-Entscheidung" (
BSG, Urteil vom 06.06.2002, Az.
B 3 KR 68/01 R) ausgeführt, dass Ziel der Versorgung behinderter Menschen mit Hilfsmitteln die Förderung ihrer Selbstbestimmung und gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ist (
§ 1 S. 1 SGB IX). Im Rahmen dieser für alle behinderten Menschen geltenden Bestimmungen ist die gesetzliche Krankenversicherung allerdings nur innerhalb ihres Aufgabengebietes Krankenhilfe und medizinische Rehabilitation und unter ihren besonderen Voraussetzungen (
vgl. § 7 SGB IX) zur Gewährung von Hilfsmitteln verpflichtet. Geht es - wie hier - um den Ersatz eines noch voll funktionstüchtigen Hilfsmittels durch ein technisch verbessertes Gerät mit Gebrauchsvorteilen gegenüber dem bisherigen Hilfsmittel, so reicht es nicht aus, wenn die Verbesserung sich nur in einzelnen Lebensbereichen auswirkt, die nicht zu den menschlichen Grundbedürfnissen zählen. Das Wirtschaftlichkeitsgebot schließt darüber hinaus eine Leistungspflicht der Krankenversicherung für solche Innovationen aus, die nicht die Funktionalität, sondern in erster Linie Bequemlichkeit und Komfort bei der Nutzung des Hilfsmittels betreffen.
Unter Beachtung dieser Grundsätze ist die Kammer nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass die Gebrauchsvorteile des Fußhebersystems NESS L300 gegenüber der vom Kläger bisher genutzten Valenserschiene zum einen signifikant sind und sich nicht nur in einzelnen Lebensbereichen auswirken, zum anderen werden sie von den genannten Einschränkungen nicht erfasst. Der Gebrauchsvorteil, den das NESS L300 im Vergleich zu der Valenserschiene bietet, dient in erheblichem Umfang den vom
BSG näher bezeichneten Grundbedürfnissen.
Der Kläger hat nach ärztlicher Einschätzung seiner behandelnden Fachärzte im Alltagsleben deutliche Gebrauchsvorteile durch das Fußhebersystem NESS L300.
Dr. L. hat insoweit ausgeführt, der Kläger sei bei der derzeitigen Versorgung zur Stabilisierung auf die Nutzung einer Unterarmgehstütze angewiesen. Immer wieder komme es zu (Beinahe-) Stürzen. Zusätzlich träten immer wieder Probleme in Form von Materialbrüchen oder auftretenden Scheuer- und Druckstellen auf, wodurch das weitere Tragen erschwert werde. Durch das Ness L300 lasse sich eine erhebliche Harmonisierung des Gangbildes ohne Gebrauch der Gehstütze erreichen, eine Reduktion des Ausmaßes orthopädischen Hilfsmaterials und eine Vermeidung von Stürzen. Die Verbesserungen führten ebenfalls zu einem positiven Einfluss auf die restlichen Gelenke der unteren Extremitäten und der Wirbelsäule.
Dr. K. hat ebenfalls beschrieben, dass die aktuelle Versorgung des Klägers zu Stolpern und Stürzen führe. Die Nutzung der Gehstütze verursache Schmerzen an der Hand. Die derzeitige Versorgung wird ausdrücklich als nicht mehr ausreichend wirksam beschrieben. Mit dem begehrten Fußhebersystem sei eine Verlängerung der Gehstrecke, eine Verminderung des Stolperns und der Gefahr des Hinfallens sowie eine Verbesserung des Arbeitens zu erreichen. Der Gang werde einem natürlichen Gang angepasst. Das NESS L300 sei daher geeignet und medizinisch auch erforderlich. Diese Ausführungen der behandelnden Ärzte hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung für die Kammer überzeugend bestätigt. Insbesondere Treppensteigen und Gehen auf unebenem Untergrund sei bei aktueller Versorgung wegen nicht zu erreichender kompletter Hebung des Fußes riskant im Hinblick auf Stürze. Diese Einschränkung vermeide er derzeit durch den vermehrten Einsatz des Hüftgelenks, wodurch es bereits zu Entzündungen gekommen sei. Der Kläger hat anschaulich beschrieben, dass die Testung des NESS L300 zu einem flüssigen Gangbild ohne Notwendigkeit der Unterarmgehstütze geführt hat. Auch Treppen und unebene Gelände seien durch die elektrische Stimulation problemlos zu bewältigen. Dem ganzen entnimmt die Kammer, dass das derzeitige Gangbild zwar zufriedenstellend ist und die Valenserschiene ihren Zweck erfüllt. Durch das NESS L300 wird aber eine deutliche Verbesserung des gesamten Gehens bei einem nahezu normalen Gangbild erreicht, was insbesondere durch den dann möglichen Verzicht auf die Gehstütze untermauert wird. Auch ist eine deutlich höhere Sicherheit beim Begehen von Treppen und Unebenheiten festzustellen. Ebenfalls entfallen die aktuellen Begleitproblematiken der derzeitigen Versorgung wie Druck- und Scheuerstellen wie auch der Ausgleich durch andere, dann überlastete und sich krankhaft verändernde Gelenke (Hüfte).
Diese Vorteile sind weder auf spezielle Lebensbereiche begrenzt, noch erschöpfen sie sich allein in der Bequemlichkeit oder im Komfort der Nutzung. Der Einsatz der Beine insbesondere zum sicheren Laufen ist jederzeit in allen Lebensbereichen und überall erforderlich und damit ein Grundbedürfnis. Die Gebrauchsvorteile sind auch im Alltagsleben nicht nur gering, sondern, wie beschrieben, signifikant. Die höheren Kosten sind vor diesem Hintergrund auch in Anbetracht der aktuell (noch) voll funktionstüchtigen Versorgung des Klägers nicht unverhältnismäßig hoch, eine vernünftige Relation zwischen den Kosten und dem Erfolg besteht. Unwirtschaftlichkeit sieht die Kammer daher nicht.
Der Anspruch auf die Versorgung mit dem begehrten Hilfsmittel ist schließlich nicht deswegen ausgeschlossen, weil es nicht in dem nach
§ 128 SGB V von den Spitzenverbänden der Krankenkassen erstellten Hilfsmittelverzeichnis aufgeführt ist. Nach ständiger Rechtsprechung des
BSG handelt es sich bei dem Hilfsmittelverzeichnis nicht um eine Anspruchsvoraussetzung, sondern lediglich um eine Auslegungshilfe, die für die Gerichte nicht verbindlich ist (
BSG, Urteil vom 06.06.2002, Az. B 3 KR 68/01 R).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193
SGG.
Die Berufung ist zulässig, da die Berufungssumme von 750,00 Euro (§ 144
Abs. 1 Satz 1
Nr. 1
SGG) erreicht wird.