Urteil
Anspruch auf Versorgung mit speziellen Rauchmeldern (zur Lichtsignalanlage passend) als Hilfsmittel für den Ausgleich einer Schwerhörigkeit

Gericht:

LSG Schleswig-Holstein 5. Senat


Aktenzeichen:

L 5 KR 44/10


Urteil vom:

12.05.2011


Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 11. Mai 2010 insoweit aufgehoben, als die Beklagte zur Kostenübernahme für fünf LISA-Rauchmelder verurteilt worden ist. Die Klage wird auch insoweit abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind für beide Instanzen nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin einen Anspruch auf Versorgung mit LISA-Rauchmeldern mit entsprechenden Sendern als Hilfsmittel für den Ausgleich ihrer Schwerhörigkeit zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung hat.

Die 1983 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert und seit ihrer Kindheit hochgradig schwerhörig. Sie wohnt in einer eigenen Wohnung bei ihren Eltern auf einem Bauernhof.

Im Mai 2007 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Versorgung mit diversen Hilfsmitteln, u. a. mit fünf zu ihrer Lichtsignalanlage passenden LISA-Rauchmeldern und zwei Infrarotlichtschranken mit entsprechenden Sendern.

Mit Bescheid vom 25. Juli 2007 bewilligte die Beklagte der Klägerin eine Reihe von Hilfsmitteln. Die Versorgung mit Rauchmeldern und einer Infrarotlichtschranke mit zwei Alarmsendern wurde abgelehnt. Zur Begründung berief sich die Beklagte darauf, dass es sich nicht um Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung handele.

Gegen die Ablehnung legte die Klägerin mit Schreiben vom 12. August 2007 Widerspruch ein. Rauchmelder seien zwar Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens, die beantragten Rauchwächter seien aber gerade zum Ausgleich der Hörminderung gedacht. Auch bei dem Alarmsender handele es sich um ein Hilfsmittel.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12. März 2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Rauchwächter mit Funksignal und Lichtschranken mit Alarmsender seien Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens und stellten daher keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung dar.

Hiergegen hat die Klägerin am 10. April 2008 Klage beim Sozialgericht Kiel erhoben. Zur Begründung hat sie u. a. ausgeführt, dass aufgrund der akustischen Signale handelsübliche Rauchmelder für sie nutzlos seien. Es müsse ihr die Möglichkeit gegeben werden, Rauchmelder zu installieren, damit sie im Brandfall gewarnt sei. Es gehe darum, ihr Leben in einer Gefahrensituation bewahren zu können. Das Leben sei das grundlegendste Grundbedürfnis. Zudem bestehe mittlerweile nach der Landesbauordnung die Verpflichtung, in Fluren, Schlafräumen und Kinderzimmern Rauchmelder fachgerecht zu installieren, woraus die entsprechende Konsequenz gezogen werden müsse, dass ihr auch die Installation von Rauchmeldern ermöglicht werden müsse, die bei ihr die entsprechende Warnfunktion erfüllen könnten. Es handele sich nicht um Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens, vielmehr seien diese gerade im Hinblick auf die speziellen Bedürfnisse hörbehinderter Menschen entwickelt worden. Auch die Lichtschranken benötige sie zwingend zum Ausgleich ihrer Behinderung.

Die Klägerin hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 25. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. März 2008 aufzuheben, soweit darin die Kostenübernahme für zwei Signalsender, die Installation zweier Infrarotlichtschranken und fünf LISA-Rauchmelder abgelehnt wurde und die Beklagte zu verpflichten, die Kosten für die abgelehnten Hilfsmittel zu übernehmen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat sie sich auf die Verwaltungsentscheidungen bezogen und ergänzend vorgetragen: Die Versorgung mit Rauchmeldern hätten die Spitzenverbände der Krankenkassen im Dezember 2005 überprüft und entschieden, dass es sich bei Rauchmeldern mit speziellen Signalsendern nicht um Hilfsmittel im Sinne des § 33 SGB V handele. Diese würden weder zum Erfolg einer Krankenbehandlung noch zur Vorbeugung oder zum Ausgleich einer Behinderung beitragen. Sie dienten allein dem Zweck, Feuer und Rauch rechtzeitig zu melden und den daraus resultierenden Gefahren zu entgehen.

Mit Urteil vom 11. Mai 2010 - in dem die Berufung gemäß § 144 SGG zugelassen wurde - hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt, die Kosten für fünf LISA-Rauchmelder zu übernehmen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, die Klägerin habe einen Anspruch auf die von ihr beantragten Rauchmelder nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Die Rauchmelder seien erforderlich, um das Grundbedürfnis "Hören" auszugleichen. Durch das Tragen von Hörgeräten werde das Bedürfnis "Hören" tagsüber ausgeglichen. Nachts allerdings könnten handelsübliche Hörhilfen nicht getragen werden, das Bedürfnis "Hören" erstrecke sich in der Nacht auf die Wahrnehmung von Warnsignalen. Vergleichbar sei dieses Grundbedürfnis mit dem Hören des Wecktons. Ein solcher Wecker, der auf die Bedürfnisse der Klägerin ausgerichtet sei, sei von der Beklagten bereits bewilligt worden. Zudem bestehe mittlerweile in Schleswig-Holstein eine baurechtliche Verpflichtung, Rauchmelder zu installieren, woraus geschlossen werden könne, dass es ein Grundbedürfnis sei, die nächtliche Warnung vor Rauchentwicklung auch wahrnehmen zu können. Es handele sich zudem nicht um eine reine Unfallverhütung, sondern gerade um den Ausgleich des Grundbedürfnisses "Hören" in der Nacht. Ein Anspruch auf die Installation von zwei Infrarotlichtschranken mit entsprechenden Signalsendern habe die Klägerin hingegen nicht.

Gegen dieses der Beklagten am 25. Mai 2010 zugestellte Urteil richtet sich ihre am 16. Juni 2010 bei dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingegangene Berufung. Zur Begründung trägt die Beklagte vor, dass es sich bei den streitgegenständlichen Rauchmeldern um Gegenstände des täglichen Lebens handele, die der Unfallverhütung dienten. Sie würden somit keine Hilfsmittel im Sinne des § 33 SGB V darstellen, da sie nicht auf den Ausgleich der Behinderung selbst gerichtet seien. Ein elementares Grundbedürfnis sei hier nicht betroffen. Die Rauchwarnmelder würden die ausgefallene Funktion der Hörorgane nur teilweise kompensieren. Die Installation der Rauchmelder diene nur der Gefahrenabwehr, die von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkasse nicht umfasst sei. Gefahrenabwehr stelle kein elementares Grundbedürfnis dar. Auch durch eine behindertengerechte Zusatzausstattung der Rauchmelder verlören diese nicht ihre Eigenschaft als Gebrauchsgegenstand.

Die Beklagte beantragt ausweislich ihres schriftsätzlichen Vorbringens,

das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 11. Mai 2010 insoweit aufzuheben, als sie zur Kostenübernahme für fünf LISA-Rauchmelder verurteilt worden ist und die Klage auch insoweit abzuweisen.

Die Klägerin beantragt ausweislich ihres schriftsätzlichen Vorbringens,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend und verweist noch einmal darauf, dass handelsübliche Rauchmelder für sie absolut nutzlos seien. Es gehe vielmehr darum, den fehlenden Hörsinn zu ersetzen. LISA-Rauchmelder seien für sie daher alternativlos.

Die Beteiligten haben sich schriftsätzlich mit einer Entscheidung des Senats ohne die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten. Diese haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen.

Rechtsweg:

SG Kiel Urteil vom 11.05.2010 - S 10 KR 86/10

Quelle:

Sozialgerichtsbarkeit BRD

Entscheidungsgründe:

Die aufgrund der Zulassung durch das Sozialgericht, an die der Senat gemäß § 144 Abs. 3 SGG gebunden ist, statthafte und insbesondere form- sowie fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig.

Die Berufung ist auch begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 25. Juli 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12. März 2008 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die Kosten für fünf LISA-Rauchmelder zu übernehmen. Zutreffend ist die Beklagte davon ausgegangen, dass sie die Kosten hierfür nicht zu übernehmen hat, da diese Geräte zum Ausgleich der Hörbehinderung der Klägerin nicht notwendig sind.

Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Dabei umfasst die Krankenbehandlung gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 die Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln. Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen und nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind.

Zum Behinderungsausgleich im Sinne der hier allein in Betracht kommenden dritten Variante des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V sind die LISA-Rauchmelder nicht erforderlich. Gegenstand des Behinderungsausgleichs im Sinne der dritten Variante des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V sind nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zunächst solche Hilfsmittel, die auf den Ausgleich der Behinderung selbst gerichtet sind, also zum unmittelbaren Ersatz der ausgefallenen Organfunktion dienen (BSG, Urteil vom 17. Januar 1996 - 3 RK 16/95 - in SozR 3-2500 § 33 Nr. 20; Urteil vom 17. Januar 1996 - 3 RK 38/94 - in SozR 3-2500 § 33 Nr. 18). Die LISA-Rauchmelder ersetzen nicht die bei der Klägerin beeinträchtigten Hörorgane, sondern kompensieren nur teilweise deren ausgefallene Funktion. Dies reicht aber zur Begründung der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung allein nicht aus. Wird eine Organfunktion wie das Hören durch ein Hilfsmittel nicht für alle Lebensbereiche gleichermaßen, sondern nur für bestimmte Lebensbereiche ausgeglichen, so kommt es nur dann zu einer weiteren über die Versorgung mit Hörgeräten hinausgehenden Leistungsverpflichtung der Krankenversicherung, wenn es sich um Lebensbereiche handelt, die zu den menschlichen Grundbedürfnissen zählen (BSG, Urteil vom 3. November 1999 - B 3 KR 3/99 R - in SozR 3-2500 § 33 Nr. 34; Urteil vom 6. August 1998 - B 3 KR 3/97 R - in SozR 3-2500 § 33 Nr. 29). Denn der Behinderungsausgleich im Sinne des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V umfasst auch Hilfsmittel, die die direkten und indirekten Folgen der Behinderung ausgleichen, wenn ihr Einsatz zur Lebensbetätigung im Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse benötigt wird (BSG, Urteil vom 19. April 2007 - B 3 KR 9/06 R -; Urteil vom 16. September 2004 - B 3 KR 19/03 R - in SozR 4-2500 § 33 Nr. 7).

Zu den derartigen Grundbedürfnissen gehören die allgemeinen Verrichtungen des täglichen Lebens wie Gehen, Stehen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnahme, Ausscheidung, elementare Körperpflege, das selbstständige Wohnen sowie die Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums, der die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben umfasst; dazu zählen auch die Aufnahme von Informationen, die Kommunikation mit anderen sowie das Erlernen eines lebensnotwendigen Grundwissens (vgl. BSG, Urteil vom 19. April 2007 - B 3 KR 9/06 R -, Urteil vom 10. November 2005 - B 3 KR 31/04 R - in SozR 4-2500 § 33 Nr. 10; Urteil vom 23. Juli 2002 - B 3 KR 3/02 R - in SozR 3-2500 § 33 Nr. 46).

Die Installation von Rauchmeldern dient keinem dieser Grundbedürfnisse (so auch Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 13. Juni 2007, L 1 KR 107/05 in juris). Das Sozialgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, dass die Rauchmelder erforderlich seien, um das Grundbedürfnis "Hören" auszugleichen. Es handele sich nicht um reine Gefahrenabwehr, sondern um den nächtlichen Ausgleich des Grundbedürfnisses zu hören. Das Sozialgericht übersieht dabei, dass die Rauchmelder das fehlende nächtliche Hören der Klägerin nur mittelbar zur Gefahrenabwehr im Falle eines Feuers ausgleichen. Die Rauchmelder ermöglichen der Klägerin nicht zu hören und schützen sie auch nicht vor anderen Gefahren. Die Rauchmelder dienen damit nicht dem Grundbedürfnis "Hören", sondern einer speziellen Gefahrenabwehr. Dementsprechend hat das BSG (Beschluss vom 24. April 2008 - B 1 KR 24/07 B - in juris) Rauchmelder nicht dem Hören als Grundbedürfnis des täglichen Lebens zugeordnet, sondern ausdrücklich betont, dass Gegenstände, die allein Zwecken der Unfallverhütung dienen, nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung zu bezahlen sind. Dieser Auffassung schließt sich der Senat an.

Ein über die Befriedigung von Grundbedürfnissen hinausgehender Behinderungsausgleich ist als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung nicht vorgesehen (BSG, Urteil vom 19. April 2007 - B 3 KR 9/06 R -). Ein Anspruch auf eine optimale Ausstattung zum umfassenden Ausgleich in allen Lebensbereichen besteht nicht. Dementsprechend sind Rauchmelder für Gehörlose auch nicht in den Hilfsmittelkatalog nach § 128 SGB V aufgenommen worden. Deshalb ist es auch ohne Bedeutung, dass die Landesbauordnungen den Einbau von Rauchmeldern vorschreiben. Abgesehen davon ergibt sich aus dieser Verpflichtung weder eine Anspruchsgrundlage auf Kostenübernahme für GKV-Versicherte durch die Krankenkasse, noch für Nichtbehinderte gegen irgendeinen anderen Kostenträger.

Das Sozialgericht hält es außerdem für unlogisch, dass die Beklagte einerseits den Bedarf eines speziellen Weckers anerkannt, den Bedarf der Rauchmelder jedoch abgelehnt hat. Es könne nicht das morgendliche Wecken als Grundbedürfnis angesehen werden, das nächtliche Wecken bei Feuer hingegen nicht. Abgesehen davon, dass aus der Bewilligung einer Leistung nicht ein Anspruch auf die rechtswidrige Bewilligung einer anderen Leistung abgeleitet werden kann, ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass das selbstständige Wohnen zu den o. g. Grundbedürfnissen zählt. Dazu könnte auch gehören, dass man am Morgen rechtzeitig aufsteht, um seinen Verpflichtungen nachzukommen. Ob dies jedoch letztlich der Fall ist, muss hier nicht entschieden werden, weil die Rechtmäßigkeit der Ablehnung der Kostenübernahme für die LISA-Rauchmelder nicht davon abhängt, ob die Anerkennung eines Bedarfs für einen speziellen Wecker rechtmäßig war.

Da der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch schon aus den genannten Gründen nicht gegeben ist, kann dahinstehen, ob LISA-Rauchmelder zu den allgemeinen Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens zählen, für die die Krankenkasse keine Kosten übernehmen darf (§ 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V).

Der Senat konnte hier ohne die Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten ihr Einverständnis hiermit gemäß § 124 Abs. 2 SGG erklärt haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG, die Nichtzulassung der Revision folgt aus § 160 Abs. 2 SGG.

Referenznummer:

R/R3783


Informationsstand: 26.01.2012