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Urteil
Abschluss von Verträgen über die Lieferung von Hilfsmitteln ohne europaweite Ausschreibung

Gericht:

LSG Nordrhein-Westfalen 21. Senat


Aktenzeichen:

L 21 KR 69/09 SFB


Urteil vom:

14.04.2010


Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerinnen und der Beigeladenen zu 63) wird der Beschluss der 3. Vergabekammer des Bundes vom 12.11.2009 aufgehoben und der Nachprüfungsantrag zurückgewiesen. Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer und die den Antragsgegnerinnen sowie den Beigeladenen zu 10) und 63) zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Aufwendungen trägt die Antragstellerin. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerinnen und der Beigeladenen zu 63) trägt die Antragstellerin. Die Hinzuziehung eines anwaltlichen Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerinnen und die Beigeladenen zu 10) und 63) im Verfahren vor der Vergabekammer sowie im Beschwerdeverfahren durch die Antragsgegnerinnen und die Beigeladene zu 63) wird für notwendig erklärt.

Tatbestand:

Die Antragstellerin (AS) betreibt ein Sanitätshandelsunternehmen. Sie beanstandet, dass die Antragsgegnerinnen (AG) mit den Beigeladenen (BG) Verträge über die Lieferung von Hilfsmitteln ohne europaweite Ausschreibung abgeschlossen haben.

Die AG machten am 03.09.2009 auf der Homepage der AG zu 1) ihre Absicht bekannt ("Bekanntmachung der Vertragsabsicht"), bundesweite und regionale Verträge nach § 127 Abs. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) über die Versorgung ihrer Versicherten mit Rollatoren/Deltarädern, Medikamentenverneblern für die unteren Atemwege, Inkontinenzhilfen und Blutdruckmessgeräten (Produktgruppen 10, 14, 15 und 21 des Hilfsmittelverzeichnisses nach § 139 SGB V) zu schließen (Frist zur Angebotsabgabe: 22.09.2009). Angebote konnten für sämtliche Produktgruppen abgegeben werden.

Nachdem die AG eine schriftliche Anfrage der AS vom 10.09.2009 dahingehend, ob eine Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften erfolgt sei, zunächst unbeantwortet gelassen hatten, rügte die AS mit Schreiben vom 17.09.2009, dass eine europaweite Ausschreibung der Versorgungsverträge nicht erfolgt sei.

Hierzu vertraten die AG den Standpunkt, dass sie zur Durchführung eines europaweiten Vergabeverfahrens nicht verpflichtet seien. Dies ergebe sich aus § 127 Abs. 1 Satz 1 SGB V i.d.F. des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-OrgWG) vom 15.12.2008 (BGBl. I 2626). Krankenkassen sei danach die Möglichkeit eröffnet, die Versorgung ihrer Versicherten auch über Verträge nach § 127 Abs. 2 oder 3 SGB V sicherzustellen. Dies gelte insbesondere dann, wenn eine Versorgung durch aufgrund von Ausschreibungen geschlossenen Verträgen nicht zweckmäßig sei. Entsprechendes ergebe sich aus den vom GKV-Spitzenverband und den Spitzenorganisationen und sonstigen Organisationen der Leistungserbringer auf Bundesebene vereinbarten "Gemeinsamen Empfehlungen gemäß § 127 Abs. 1a SGB V zur Zweckmäßigkeit von Ausschreibungen vom 2. Juli 2009" ("Gemeinsame Empfehlungen"). Danach spiele bei der Prüfung der Zweckmäßigkeit insbesondere die Vertragslandschaft der einzelnen Krankenkasse sowie das Nutzen-Aufwand-Verhältnis eine wesentliche Rolle (Schreiben vom 29.09.2009).

Am 12.10.2009 hat die AS bei der Vergabekammer (VK) des Bundes die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens beantragt und vorgetragen:

Gesetzliche Krankenkassen seien als öffentliche Auftraggeber im Sinne der Richtlinie 2004/18/EG (Vergabekoordinierungsrichtlinie (VKR)) zu qualifizieren. Aufgrund der unterlassenen gemeinschaftsweiten Ausschreibung des Beschaffungsauftrages werde sie in ihren Rechten aus § 97 Abs. 7 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) verletzt. Es drohe auch die Entstehung eines Schadens, weil ihr der Gewinn aus einem exklusiven Vertrag entgehe. Da die AG bereits den ersten Schritt zur Einleitung eines ordnungsgemäßen Vergabeverfahrens - die gemeinschaftsweite Bekanntmachung - unterlassen hätten, sei das gesamte Verfahren vergaberechtswidrig und der Antrag begründet. Dem stehe auch 127 Abs. 2 SGB V nicht entgegen. Diese (nationale) Regelung sei mit höherrangigem EG-Vergaberecht nicht vereinbar und könne bei europrechtskonformer Auslegung lediglich im Unterschwellenbereich angewendet werden. Wie durch andere - erfolgreich durchgeführte - Ausschreibungen belegt worden sei, werde der Versorgungsauftrag der Krankenkassen durch Ausschreibungen nicht beeinträchtigt.

Die AG haben beantragt, den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen und entgegnet:

Fraglich sei bereits, ob und inwieweit die AS durch das Unterlassen einer gemeinschaftsweiten Ausschreibung in eigenen Rechten verletzt sein könne. Zweifelhaft sei ferner, ob der AS ein Schaden zu entstehen drohe. Unabhängig vom Ausgang des Verfahrens könne die AS das Ziel, einen exklusiven Vertrag abzuschließen, aufgrund der Beitrittsmöglichkeit nach § 127 Abs. 2a SGB V ohnehin nicht erreichen. Überdies sei der Antrag unbegründet. Der Gesetzgeber habe in § 127 Abs. 1 und 2 SGB V sowie in den Gesetzesmaterialien deutlich zum Ausdruck gebracht, dass Vergaberecht auf Verträge nach § 127 Abs. 2 SGB V nicht anwendbar sei. Auf der Grundlage des § 127 Abs. 2 SGB V geschlossene Vereinbarungen könnten nicht als "öffentliche Aufträge" qualifiziert werden. Der jederzeit mögliche Beitritt weiterer Leistungserbringer zu den Verträgen (§ 127 Abs. 2a SGB V) führe nämlich dazu, dass der geschlossene Kreis der Rahmenvertragspartner, den § 3a Nr. 4 Abs. 1 Satz 3 VOL/A voraussetze, nicht existiere. Wesentliches Merkmal eines Beschaffungsvorgangs sei, dass eine bindende Auswahl zwischen verschiedenen, miteinander im Wettbewerb stehenden Bewerbern durch den Auftraggeber stattfinde. Außerdem stelle das Beitrittsrecht eine Möglichkeit dar, den Anspruch der Leistungserbringer auf Zugang zum Markt und das Wahlrecht der Versicherten miteinander in Einklang zu bringen. Abgesehen davon sei eine Ausschreibung auch unter Berücksichtigung der in den "Gemeinsamen Empfehlungen" genannten Maßstäbe unzweckmäßig, da der Versorgungsablauf gestört worden wäre. Zahlreiche Vorfälle bei anderen Krankenkassen, die Ausschreibungen durchgeführt hätten, belegten, dass es insbesondere bei Inkontinenzprodukten zu katastrophalen Engpässen und Versorgungsnotständen gekommen sei. Die zwischen der AS und der AOK Hessen nach Durchführung von Ausschreibungen geschlossenen Versorgungsverträge über aufsaugende Inkontinenzhilfen seien unter dem 04.02.2009 aufgrund nicht funktionierender Versorgung fristlos gekündigt worden, wie sich aus einer Information der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Hessen vom 19.02.2009 ergebe.

Die Beigeladene zu 10) hat die Zurückweisung des Nachprüfungsantrages beantragt und u.a. ausgeführt: Der AS drohe kein Schaden. Bei Durchführung eines Vergabeverfahrens hätte ihr Angebot zwingend ausgeschlossen werden müssen, weil sie nicht über die erforderliche Zuverlässigkeit verfüge. Dem Branchenreport "N" sei zu entnehmen, dass es zahlreiche Beschwerden von Versicherten anderer Krankenkassen im Hinblick auf die Vertragserfüllung durch die AS gegeben habe. Abgesehen davon stehe die Beitrittsmöglichkeit nach § 127 Abs. 2a SGB V der Annahme eines Schadenseintritts entgegen. Unabhängig davon seien die auf der Grundlage des § 127 Abs. 2 SGB V abgeschlossenen Verträge bei funktionaler Betrachtung nicht als öffentliche Aufträge, sondern als Zulassungen zur Hilfsmittelversorgung zu qualifizieren. Schließlich fehle das für die Annahme eines öffentlichen Auftrages prägende Merkmal der Exklusivität.

Die BG zu 63) hat ebenfalls die Zurückweisung des Nachprüfungsantrages beantragt und hierzu vorgetragen: Die Gesetzesmaterialien belegten, dass der Gesetzgeber Verträge über die Lieferung von Hilfsmitteln dem Vergaberechtsregime habe entziehen wollen. Ein Verstoß gegen das EG-Vergaberecht komme bereits deshalb nicht in Betracht, weil der nationale Gesetzgeber befugt sei, abweichende Regelungen zu treffen. Die Zuständigkeit zur Regelung des Sozialrechts liege nämlich bei den Mitgliedstaaten.

Die Beigeladene zu 46) hat vorgetragen, dass es an einem öffentlichen Auftrag fehle, da die konkrete Vertragsgestaltung nicht sämtliche Merkmale eines öffentlichen Auftrages erfülle. Notwendige und konstitutive Tatbestandsvoraussetzung für die Annahme eines öffentlichen Auftrages sei die Exklusivität der Vertragsbeziehung. Daran fehle es hier. Welche Vertragsgestaltung ein öffentlicher Auftraggeber wähle, liege jedoch in seinem Beurteilungsermessen. Abgesehen sei davon sei die Antragsbefugnis der AS vor dem Hintergrund der bereits von den AG und der BG zu 10) thematisierten Aspekte fernliegend.

Die Beigeladene zu 58) hat geltend gemacht, dass die AS weder antragsbefugt sei noch ein Rechtsschutzbedürfnis habe. Zudem fehle es an einem öffentlichen Auftrag, weil Exklusivität nicht gegeben sei und die Verträge keine Lenkungs- und Steuerungswirkung entfalteten. Überdies sei der Nachprüfungsantrag unbegründet, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 101 b Abs. 1 Nr. 2 GWB ersichtlich nicht erfüllt seien.

Die AG haben in der mündlichen Verhandlung vor den VK am 06.11.2009 erklärt, dass in einer Reihe von Fällen Vertragsschlüsse wegen überhöhter Preisforderungen der Leistungserbringer nicht zustande gekommen seien.

Durch Beschluss vom 12.11.2009 hat die VK festgestellt, dass die aufgrund der "Bekanntmachung einer Vertragsabsicht nach § 127 Abs. 2 Satz 3 GWB" vom 03.09.2009 zwischen den AG zu 1) und 2) sowie den BG zu 1) bis 65) geschlossenen Verträge nichtig seien und den AG aufgegeben, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht ein Vergabeverfahren durchzuführen. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt: Der Abschluss von Rahmenvereinbarungen stelle definitionsgemäß einen öffentlichen Auftrag i.S.d. Art. 1 Abs. 5, 32 Abs. 1 VKR dar. Daher seien Verträge über die Beschaffung von Hilfsmitteln zwingend auszuschreiben. Es sei vergaberechtlich nicht zulässig, von einer Auswahlentscheidung abzusehen. Der Auffassung, dass es sich bei Vertragsschlüssen nach § 127 Abs. 2 SGB V um Zulassungen handele, könne nicht gefolgt werden, da § 126 SGB V das "ob", § 127 SGB V demgegenüber das "wie" der Leistungserbringung regele. Die Antragsbefugnis der AS entfalle nicht deshalb, weil es im Rahmen von Hilfsmittelversorgungen von Versicherten anderer Kassen zu Schwierigkeiten und Kündigungen gekommen sei. Abgesehen davon, dass diese Gegenstand gerichtlicher Überprüfungen seien, bedeute dies nicht den zwangsläufigen Ausschluss der AS im Rahmen einer von den AG durchzuführenden Ausschreibung.

Gegen den ihnen am 13.11.2010 zugestellten Beschluss haben die AG am 26.11.2009 und die BG zu 63) am 23.11.2009 sofortige Beschwerde eingelegt.

Die AG halten an ihrem Vorbringen aus dem Nachprüfungsverfahren fest. Sie tragen weiterhin vor, dass der angefochtene Beschluss das Zusammenspiel zwischen Sozial- und Vergaberecht ignoriere. § 127 Abs. 2 SGB V sei nicht europarechtswidrig, sondern stelle sich als an dem Grundsatz der praktischen Konkordanz orientierter Ausgleich zwischen den verschiedenen Regelungsbereichen dar. Nach wie vor sei davon auszugehen, dass die hier geschlossenen Vereinbarungen keine öffentlichen Aufträge darstellten. Nur dann, wenn der Auftragnehmer nach vorausgegangener Auswahlentscheidung durch den öffentlichen Auftraggeber eine exklusive Stellung erlange und damit eine Sonderstellung im Wettbewerb einnehme, könne von einem öffentlichen Auftrag ausgegangen werden. Diese Voraussetzungen seien hier nicht erfüllt, weil die Vertragspartner der AG keine exklusive Stellung erhielten. Von diesem Verständnis sei auch die Europäische Kommission in einem sog. "Vertragsverletzungsbeschwerdeverfahren" ausgegangen. Abgesehen davon mangele es an der erforderlichen Antragsbefugnis: Allein aus der fehlenden europaweiten Bekanntmachung könne nicht die Möglichkeit eines Schadenseintritts abgeleitet werden. Antragsbefugnis scheide auch deshalb aus, weil die AS in einem förmlichen Vergabeverfahren wegen fehlender Eignung hätte ausgeschlossen werden müssen, da es in der Vergangenheit zu außerordentlichen Kündigungen von Versorgungsverträgen wegen fehlender Zuverlässigkeit gekommen sei. Schließlich sei die Möglichkeit eines Schadenseintritts auch deshalb nicht anzunehmen, weil gemäß § 127 Abs. 2a SGB V auch für die AS eine jederzeitige Beitrittsmöglichkeit gegeben sei.

Die Antragsgegnerinnen beantragen,

den Beschluss der 3. Vergabekammer des Bundes vom 12. November 2009, Az.: VK 3 - 193/09, aufzuheben und den Nachprüfungsantrag vom 12. Oktober 2009 zurückzuweisen.

Die Beigeladene zu 63) beantragt,

den Beschluss der 3. Vergabekammer des Bundes vom 12.11.2009 aufzuheben und den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf ihr Vorbringen im Nachprüfungsverfahren und beanstandet, dass sich der angefochtene Beschluss über formelles deutsches Gesetzesrecht hinwegsetze, da § 127 Abs. 2 SGB V mit dem angefochtenen Beschluss zwar nicht ausdrücklich, jedoch in der Sache für unwirksam erklärt worden sei. Eine derartige Verwerfungskompetenz komme der VK nicht zu und widerspreche auch bei einer europafreundlichen Auslegung den Gewährleistungen des Art. 20 Abs. 3 GG.

Die Antragstellerin beantragt,

die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.

Sie verteidigt den angefochtenen Beschluss und trägt vor: Für die Annahme eines öffentlichen Auftrages komme es nicht darauf an, ob eine Auswahl zwischen im Wettbewerb stehenden Leistungserbringern stattfinde. Anderenfalls hätte es ein öffentlicher Auftraggeber selber in der Hand, ob er seinen Bedarf im Wettbewerb befriedige oder sich eines wettbewerbsfreien Systems bediene. Die Einräumung von Exklusivität sei nicht Voraussetzung für die Annahme eines öffentlichen Auftrages, sondern die zwangsläufige und notwendige Rechtsfolge. Gerade die nach § 127 Abs. 2 SGB V fehlende Exklusivität begründe damit den Rechtsverstoß, der sie - die AS - in ihren Rechten verletze. Unter Zugrundelegung des im gesamten europäischen Wirtschaftsraum geltenden Wettbewerbsgrundsatzes gehe es jedoch nicht darum, sämtlichen geeigneten Leistungserbringern die Teilnahme am Hilfsmittelmarkt zu eröffnen. Vielmehr müsse darauf geachtet werden, dass öffentliche Auftraggeber ausschließlich mit solchen Unternehmen kontrahierten, die eine bestmögliche ökonomische Aufgabenerfüllung sicherstellten. Angesichts dessen könne der Rechtsverstoß nicht durch das in § 127 Abs. 2a SGB V geregelte Beitrittsrecht beseitigt werden. Auch Antragsbefugnis sei gegeben. Insbesondere könne nicht darauf abgestellt werden, dass sie in einem Vergabeverfahren zwingend hätte ausgeschlossen werden müssen. Die Mehrzahl der Krankenkassen sei mit der Leistungserbringung in jeder Hinsicht zufrieden. Zwar seien in der Tat Probleme bei der Belieferung der Versicherten im Rahmen des Vertragsverhältnisses mit der AOK I aufgetreten. Diese hätten sich jedoch nicht als so gravierend erwiesen, dass sie eine außerordentliche Kündigung hätten rechtfertigen können. Daher sei gegen die Kündigung auch Klage vor dem SG Fulda (S 11 KR 85/09) erhoben worden. Im Hinblick auf die von der E BKK und O BKK erklärten außerordentlichen Kündigungen sei eine Einigung dahingehend erfolgt, dass gegenseitig auf die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen verzichtet worden sei. In beiden Fällen habe sie - die AS - die vorgebrachten Kündigungsgründe jedoch nicht akzeptiert.

Im Hinblick auf die Beanstandungen der BG zu 63) sei zu entgegnen, dass das Zusammenspiel zwischen Art. 20 Abs. 3 GG und dem Recht der Europäischen Union die von der VK vorgenommene Auslegung zwingend erfordere. § 127 Abs. 2, 2a SGB V werde in dem angefochtenen Beschluss nicht für unwirksam erklärt. Die VK habe lediglich auf den Anwendungsvorrang von Art. 1 Abs. 5, 32 VKR und den entsprechenden nationalen Umsetzungsakten in GWB, VgV und VOL/A abgestellt und § 127 Abs. 2 SGB V europarechtskonform.

Die weiteren BG stellen keine Anträge.

Die BG zu 10) macht geltend, dass Verträge nach § 127 Abs. 2 SGB V dem Vertragspartner mangels Einräumung von Wettbewerbsvorteilen keinen geldwerten Vorteil verschafften und daher keine entgeltlichen Verträge i.S.d. § 99 Abs. 1 GWB darstellten. Konstitutives Merkmal eines öffentlichen Auftrages sei, dass eine Auswahlentscheidung getroffen werde. Eine solche liege in den Fällen des § 127 Abs. 2 SGB V gerade nicht vor. Gegen die Annahme eines öffentlichen Auftrages spreche zudem der in § 127 Abs. 2 SGB V vorgesehene Kontrahierungszwang. Die streitigen Verträge seien mithin bei gebotener funktionaler Betrachtung als Zulassungen zu qualifizieren. Überdies müsse daran festgehalten werden, dass der Nachprüfungsantrag mangels Antragsbefugnis unzulässig sei, da die AS in einem förmlichen Vergabeverfahren zwingend hätte ausgeschlossen werden müssen.

Auch die BG zu 46) hält an ihrem Vorbringen aus dem Nachprüfungsverfahren fest und trägt vor, dass für die Annahme eines öffentlichen Auftrages weder die Beschaffungsabsicht noch - für sich genommen - die Existenz einer Beschaffung ausreiche. Definiere ein öffentlicher Auftraggeber seinen Beschaffungsbedarf dahingehend, dass er diesen mit einem im Voraus unbestimmten Kreis von Leistungserbringern befriedigen wolle, so könne er auch unter der Geltung des Wettbewerbsgrundsatzes nicht gezwungen werden, eine Auswahl vorzunehmen.

Die BG zu 58) ist der Ansicht, dass die VK rechtsfehlerhaft die Voraussetzungen für die Annahme eines öffentlichen Auftrages bejaht und in diesem Zusammenhang das Wesen des Beitrittsrechts nach § 127 Abs. 2a SGB V verkannt habe. Der deutsche Gesetzgeber habe im Zuge des GKV-OrgWG eine Ausnahme von der vergaberechtlichen Ausschreibungspflicht für solche Hilfsmittellieferverträge normiert, die nicht exklusiv seien und keine öffentlichen Aufträge darstellten. Demgegenüber sei die VK zu Unrecht von einem zwingenden Wettbewerbsdogma ausgegangen.

Weiterer Einzelheiten wegen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichts- und Vergabekammerakten.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Justizportal des Landes NRW

Entscheidungsgründe:

Die zulässigen sofortigen Beschwerden der AG und der BG zu 63) sind begründet. Der angefochtene Beschluss der VK ist aufzuheben und der Nachprüfungsantrag zurückzuweisen. Der Nachprüfungsantrag erweist sich als unzulässig, weil es sich bei den zwischen den AG und den BG geschlossenen Verträgen nicht um öffentliche Aufträge i.S.d. § 99 Abs. 1 und 2 GWB handelt.

Auf den vorliegenden Sachverhalt sind grundsätzlich die Regelungen des GWB in der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20.04.2009 (BGBl. I S. 790) anwendbar, weil - darauf ist hier abzustellen - das Nachprüfungsverfahren nach dem Inkrafttreten des Gesetzes am 24.04.2009 anhängig war (vgl. § 131 Abs. 8 GWB).

Die AG sind öffentliche Auftraggeber i.S.d. § 98 Nr. 2 GWB. Gesetzliche Krankenkassen werden - jedenfalls mittelbar - mit den Beiträgen der Versicherten und Arbeitgeber zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) durch den Bund finanziert (vgl. §§ 3, 271 SGB V) und unterliegen einer engmaschigen staatlichen Rechtsaufsicht (vgl. EuGH, Urteil vom 11.06.2009 - C-300/07, ZfBR 2009, 601 - "Oymanns"; Senat Beschluss vom 26.03.2009 - L 21 KR 26/09 SFB, VergabeR 2009, 922 m.w.N.). Der im Jahr 2009 noch einschlägige Schwellenwert von 206.000,00 Euro (vgl. Art. 2 VO 1422/2007/EG v. 04.12.2007 - ABl. L 317/34; § 2 Nr. 3 VgV) ist überschritten.

Bei den hier streitigen Verträgen handelt es sich nicht um öffentliche Aufträge. Gemäß § 99 Abs. 1 sind öffentliche Aufträge entgeltliche Verträge von öffentlichen Auftraggebern mit Unternehmen über die Beschaffung von Leistungen, die Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen zum Gegenstand haben, Baukonzessionen und Auslobungsverfahren, die zu Dienstleistungsaufträgen führen sollen. Nach § 99 Abs. 2 Satz 1 GWB, der im Wesentlichen Art. 1 Abs. 2 lit. c) VKR nachgebildet ist, sind Lieferaufträge Verträge zur Beschaffung von Waren, die insbesondere Kauf oder Ratenkauf oder Leasing, Miet- oder Pachtverhältnisse mit oder ohne Kaufoption betreffen. Gemäß § 3a Nr. 4 Abs. 3 Satz 1 VOL/A befolgen öffentliche Auftraggeber bei dem Abschluss von Rahmenvereinbarungen die Verfahrensvorschriften dieser Richtlinie in allen Phasen bis zur Zuschlagserteilung der Aufträge (vgl. auch Art. 32 Abs. 2 Satz 1 VKR). Dies gilt auch dann, wenn dem Auftragnehmer vertraglich nicht die Abnahme von Produkten zugesichert wird. Gemäß § 3a Nr. 4 Abs. 1 Satz 1 VOL/A, der Art. 1 Abs. 5 VKR umsetzt, sind Rahmenvereinbarungen öffentliche Aufträge, die die Auftraggeber an ein oder mehrere Unternehmen vergeben können, um die Bedingungen für Einzelaufträge, die während eines bestimmten Zeitraums vergeben werden sollen, festzulegen, insbesondere über den in Aussicht genommenen Preis (vgl. auch § 3 Abs. 8 Satz 2 VgV).

Dass es sich bei den zwischen den AG den BG geschlossenen Verträgen nach § 127 Abs. 2 SGB V um Rahmenverträge i.S.d. § 3 Abs. 8 Satz 2 VgV, § 3a Nr. 4 Abs. 1 Satz 1 VOL/A handelt, unterliegt keinen Bedenken. Die Verträge haben auch die Beschaffung von Waren - hier: Hilfsmittel der Produktgruppen 10, 14, 15 und 21 des Hilfsmittelverzeichnisses nach § 139 SGB V - zum Gegenstand. Dass Hilfsmittel i.d.R. auf Verordnung des Vertragsarztes durch den Leistungserbringer an die Versicherten als Dritte angepasst und abgegeben werden, steht einem Beschaffungsvorgang nicht entgegen. Denn Krankenkassen sind im Rahmen des Sachleistungsgrundsatzes gegenüber Versicherten zur Versorgung mit Hilfsmitteln (§ 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V) verpflichtet. Nehmen Versicherte das Hilfsmittel von einem Vertragspartner entgegen, erfüllt dieser letztlich seine vertraglich begründeten Leistungspflichten gegenüber der Krankenkasse (vgl. Engelmann in: jurisPK-SGB V, § 69 Rdn. 240.1 ff; Goodarzi/Junker NZS 2007, 632, 634; Dreher/Hoffmann NZBau 2009, 273, 278). Wer die Hilfsmittel an die Vers aushändigt, ist im Ergebnis ohne Bedeutung (vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschluss v. 19.12.2007 - VII-Verg 48/07).

Gegen die Annahme eines Beschaffungsvorgangs für Hilfsmittel spricht - wie bei Arzneimittelrabattverträgen - nicht, dass diese i.d.R. durch Vertragsärzte verordnet werden. Denn die von den Vertragsärzten getroffenen Verordnungen müssen den AG im Rahmen ihrer Sachleistungspflicht (§§ 2 Abs. 2 Satz 1 72 Abs. 1 Satz 1, 73 Abs. 2 Nr. 7 SGB V) zugerechnet werden (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 19.12.2007, a.a.O. sowie Senat, Beschluss v. 10.09.2009 - L 21 KR 53/09 SFB, VergabeR 2010, 135 zur Ausschreibungspflicht von Rabattvereinbarungen nach § 130a Abs. 8 SGB V). Der Vertragsarzt ist die "Schlüsselfigur" nicht nur im Rahmen der Arzneimittel-, sondern auch im Bereich der Heil- und Hilfsmittelversorgung. Er verordnet ein bestimmtes Hilfsmittel zu Gunsten der Versicherten (und zu Lasten der GKV), das er als medizinisch notwendig qualifiziert. Bei der Ausstellung der Verordnung handelt er mithin kraft der ihm durch das Vertragsarztrecht verliehenen Kompetenzen als Vertreter der Krankenkassen (vgl. nur BSG, Urteil v. 17.01.1996 - 3 RK 26/94, SozR 3-2500 § 129 Nr. 1 = BSGE 77, 194 ff. zur Verordnung von Arzneimitteln). Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass Hilfsmittel i.d.R. erst nach Prüfung durch die Krankenkassen an Versicherte abgegeben werden. Ein Beschaffungsvorgang liegt im Übrigen auch in den Fällen vor, in denen Krankenkassen das Hilfsmittel unmittelbar erwerben, um es sodann den Versicherten leihweise zu überlassen (vgl. § 33 Abs. 5 Satz 1 SGB V).

Ob es sich bei nach § 127 Abs. 2 SGB V geschlossenen Verträgen auch um entgeltliche Verträge i.S.d. § 99 Abs. 1 GWB handelt, erscheint fraglich. Die Funktion des Merkmals "Entgeltlichkeit" liegt darin, die wirtschaftliche Ausrichtung der erfassten Aufträge in Abgrenzung z.B. zu wohltätigen oder rein karitativen Zwecken zu bringen. Entsprechend dem Regelungszweck des § 99 Abs. 1 GWB ist das Merkmal "Entgeltlichkeit" weit auszulegen. Eine synallagmatische Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung ist für die Annahme eines öffentlichen Auftrages nicht erforderlich. Erfasst wird vielmehr jede Art von Vergütung, die einen Geldwert haben kann (vgl. Senat, Beschluss v. 10.09.2009, a.a.O.; Dreher in: Immenga/Mestmäcker, GWB 4. Aufl. 2007, § 99, Rdn. 20 f.; Otting in: Bechtold, GWB, 5. Aufl. 2008, § 99, Rdn. 7 ff. m.w.N.). Zwar wird zu Recht darauf abgestellt, dass der Vertragsschluss dem Leistungserbringer für sich genommen - vordergründig - keinen nennenswerten wirtschaftlichen Vorteil einbringt. Ob die aus dem Vertragsschluss resultierende Versorgungsberechtigung für sich genommen als echter - "handfester" - wirtschaftlicher Vorteil angesehen werden kann, kann jedoch letztlich ebenso offen bleiben wie die Frage, ob die Annahme eines öffentlichen Auftrages schon deshalb ausscheidet, weil sich Vertragsschlüsse mit Beitrittsrecht nach §§ 127 Abs. 2, Abs. 2 a SGB V bei funktionaler Betrachtung als Zulassungen darstellen (vgl. hierzu BT-Drs. 16/10609 S. 52 zu § 69 SGB V).

Denn der Senat ist der Auffassung, dass eine Auswahlentscheidung der Krankenkassen mit der daraus resultierenden Einräumung von Exklusivität und Begründung einer "Sonderstellung im Wettbewerb" (vgl. Byok, GesR 2007, 553, 556) konstitutiver Bestandteil für die Annahme eines öffentlichen Auftrages ist (BT-Drs. 16/10609 S. 52 zu § 69 SGB V; Knispel, GesR 2009, 236, 238, 239, 241; Rixen, GesR 2006, 49, 55). Dabei kommt es, wie der Senat bereits zu Arzneimittelrabattvereinbarungen nach § 130a Abs. 8 SGB V entschieden hat, allerdings nicht darauf an, ob Exklusivität ausdrücklich durch den Auftraggeber vertraglich zugesichert wird. Vielmehr ist es für die Annahme eines öffentlichen Auftrages grundsätzlich ausreichend, wenn sich für den Leistungserbringer faktisch ein Wettbewerbsvorteil ergibt (vgl. Senat, Beschluss v. 10.09.2009, a.a.O.).

Diese Voraussetzungen sind im Bereich der Hilfsmittelversorgung nur dann gegeben, wenn Verträge nach einer Auswahlentscheidung durch die Krankenkassen geschlossen werden (§ 127 Abs. 1 SGB V). In diesen Fällen ist ein gleicher Marktzugang sämtlicher Leistungserbringer nicht mehr möglich. Haben nämlich Krankenkassen Vereinbarungen nach § 127 Abs. 1 SGB V geschlossen, hat die Versorgung der Versicherten gemäß § 33 Abs. 6 Satz 2 SGB V durch den Vertragspartner zu erfolgen; ein Wahlrecht der Versicherten existiert in diesen Fällen grundsätzlich nicht. Der Zuschlagsempfänger erwirbt dann eine gesetzlich abgesicherte Sonderstellung im Wettbewerb, da die Versicherten gehalten sind, ausschließlich den Vertragspartner der Krankenkassen in Anspruch zu nehmen und dieser hierdurch im Verhältnis zu seinen Mitbewerbern in die Lage versetzt wird, seinen Absatz zu steigern. Nur bei einem berechtigten Interesse können Versicherte im Einzelfall - allerdings gegen Tragung der Mehrkosten - einen anderen Leistungserbringer wählen (vgl. § 33 Abs. 6 Satz 3 SGB V). Insofern entfalten die Verträge in diesen Konstellationen auch eine Lenkungs- und Steuerungswirkung, wobei der Senat offen lässt, ob eine solche für die Annahme eines öffentlichen Auftrages zwingend erforderlich ist. Auch dann, wenn Krankenkassen - auf welche Weise auch immer - Formen selektiver Vertragstrategien verfolgen, ohne jedoch eine Exklusivität ausdrücklich in den Versorgungsverträgen zu regeln, ergibt sich der Wettbewerbsvorteil aus § 33 Abs. 6 Satz 2 SGB V. Voraussetzung für die skizzierten Mechanismen ist jedoch stets, dass die Krankenkasse eine Auswahlentscheidung trifft.

Für eine Auswahlentscheidung (und damit gleichzeitig für die Annahme eines öffentlichen Auftrages) ist demgegenüber kein Raum, wenn Verträge nach Maßgabe des § 127 Abs. 2 SGB V geschlossen werden. Denn Vergabeverfahren zielen darauf ab, unter mehreren Bietern eine Auswahlentscheidung zu treffen (vgl. BT-Drs 16/10609 S. 52 zu § 69 SGB V). Zwar erfolgt auch hier der Zugang zur Versorgung durch einen Vertragsschluss. Einer Ausschreibungspflicht steht jedoch entgegen, dass Leistungserbringer gemäß § 127 Abs. 2a SGB V einen gesetzlich geregelten Anspruch auf Beitritt - also auf gleichberechtigten Marktzugang und Teilhabe an der Versorgung der Versicherten - haben (vgl. BT-Drs 16/10609 S. 52 zu § 69 SGB V). Der Durchführung eines Auswahlverfahrens bedarf es in derartigen Konstellationen somit nicht.

VK und AS knüpfen zwar daran an, dass eine vom öffentlichen Auftraggeber zu treffende Auswahlentscheidung nicht Voraussetzung, sondern notwendige - und europarechtlich determinierte - Folge der Annahme eines öffentlichen Auftrages ist. Damit wären öffentliche Auftraggeber bei Erfüllung der weiteren Voraussetzungen des § 99 Abs. 1 und 2 GWB gehalten, bei sämtlichen Beschaffungen eine Auswahlentscheidung zu treffen und Aufträge jedweder Art im Wettbewerb zu vergeben. Ein solches Regelungskonzept kann dem primären und sekundären Gemeinschaftsrecht - ungeachtet der Frage, ob Beschaffungen durch öffentliche Auftraggeber ausschließlich "im Wettbewerb" wirtschaftspolitisch wünschenswert sein mögen - nicht entnommen werden. Keiner weiteren Erörterung bedarf, dass der Wettbewerbsgrundsatz (§ 97 Abs. 1 GWB) als tragendes Prinzip bei der Beschaffungstätigkeit der öffentlichen Hand gilt und zum Ziel hat, sämtlichen potentiellen Bewerbern einen freien Zugang zu den Beschaffungsmärkten der öffentlichen Hand zu ermöglichen (vgl. nur Summa/Kullack in: jurisPK-SGB V, § 97 GWB, Rdn. 29 m.w.N.), zumal sich in der Vergangenheit die Aufsplitterung in einzelne nationale Vergabemärkte sowie die damit verbundene Errichtung von Marktzutrittsschranken für Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten als eines der größten Hindernisse auf dem Weg zur Realisierung eines echten Binnenmarktes dargestellt hat (vgl. nur Weißbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften - Vollendung des Binnenmarktes, KOM (85) 310, Rdn. 81 ff.). Die aus dem Wettbewerbsgrundsatz resultierenden Ge- und Verbote (z.B. das Prinzip des Geheimwettbewerbs (vgl. hierzu LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 06.03.2009 - L 9 KR 72/09 ER, VergabeR 2010, 120) oder der Vorrang des offenen Verfahrens vor dem nichtoffenen Verfahren - § 101 Abs. 7 GWB) gelangen jedoch erst dann zur Anwendung, wenn durch den öffentlichen Auftraggeber eine Auswahlentscheidung zu treffen ist.

In diese Richtung hat sich auch die Europäische Kommission geäußert. Mit Schreiben vom 08.04.2009 hat sie im Rahmen eines sog. "Vertragsverletzungsbeschwerdeverfahrens" mitgeteilt, dass mit der Änderung der §§ 69, 127 SGB V durch das GKV-OrgWG (zuvor geäußerte) Zweifel an der Europarechtskonformität dieser Regelungen ausgeräumt worden seien (zit. nach Stelzer, WzS 2009, 303, 307). In einem weiteren Schreiben vom 11.06.2009 hat sie an dieser Auffassung festgehalten und erläutert, dass sie in dem Wahlrecht der Krankenkassen zwischen § 127 Abs. 1 und Abs. 2 SGB V eine Europarechts- widrigkeit nicht erkennen könne. Verträge nach § 127 Abs. 2 SGB V, denen sämtliche potentiellen Leistungserbringer beitreten könnten, unterfielen nicht dem Vergaberecht, da in diesen Fällen keine Auswahlentscheidung der Krankenkasse getroffen werde (zit. nach Stelzer, WzS 2009, 336, 340). Diese Ausführungen sprechen dafür, dass auch die Kommission die Vornahme einer Auswahlentscheidung durch den öffentlichen Auftraggeber als konstitutiv für die Annahme eines öffentlichen Auftrages ansieht. Soweit die VK in dem angefochtenen Beschluss unter Berufung auf ein Schreiben der Europäischen Kommission vom 06.05.2009 dargelegt hat, dass § 127 Abs. 1 und Abs. 2 SGB V richtlinienkonform dahingehend auszulegen sei, dass diese nur dann angewendet werden könnten, wenn ein Beschaffungsvorgang unterhalb der Schwellenwerte erfolge, ist anzumerken, dass ein unter diesem Datum verfasstes Schreiben der Kommission in der bereits genannten Abhandlung nicht zitiert wird. Vielmehr wurde unter dem 06.05.2009 eine weitere Eingabe an die Kommission erstellt.

Dafür, dass eine Auswahlentscheidung für die Annahme eines öffentlichen Auftrages erforderlich ist, spricht nicht zuletzt, dass anderenfalls die gesetzlich begründeten Leistungsansprüche der Versicherten beschränkt würden. Sofern Krankenkassen den Versicherten ein freies Wahlrecht zwischen einer im vorhinein unbestimmten Zahl von Vertragspartnern (vgl. § 33 Abs. 6 Satz 1 SGB V) ermöglichen wollen, verbleibt ihnen unter der Geltung des bestehenden "Vertragssystems" keine andere Wahl, als auf Ausschreibungen zu verzichten und den Weg über § 127 Abs. 2 und 2a SGB V zu wählen. Unter Zugrundelegung der von VK und AS vorgenommenen Auslegung wäre jedoch das in § 33 Abs. 6 Satz 1 SGB V geregelte Wahlrecht der Versicherten im Hinblick auf unterschiedliche Leistungserbringer nicht mehr bzw. nur noch unter den sehr eingeschränkten Voraussetzungen des § 33 Abs. 6 Satz 3 SGB V - also Nachweis eines berechtigten Interesses und Aufzahlung durch die Versicherten - gegeben. Anknüpfungspunkte dafür, dass das Vergaberecht als "nachgelagertes" Beschaffungsrecht einen Einfluss auf die materielle Gestaltung von Leistungserbringerverträgen und insbesondere Leistungsansprüche der Versicherten hat, bestehen jedoch nicht. Der Senat hält in diesem Zusammenhang daran fest, dass es nicht Sinn und Zweck der Anwendung des Vergaberechts auf Verträge mit gesetzlichen Krankenkassen sein kann, Versorgungsansprüche der Versicherten oder gesetzliche begründete Teilhabeansprüche anderer Leistungserbringer zu beschränken (Beschluss v. 03.09.2009, a.a.O.; Beschluss v. 19.11.2009 - L 21 KR 55/09 SFB). Für eine derartige Einschränkung der Leistungsansprüche der Versicherten besteht angesichts der in Art. 167 Abs. 8 Satz 1 AEUV (früher: Art. 152 Abs. 5 EG) getroffenen Vorgaben kein Kompetenztitel der Europäischen Union. Danach tragen die Mitgliedstaaten die Verantwortung für die Festlegung der Gesundheitspolitik sowie die Organisation des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung. Dass der Versorgungsauftrag der Krankenkassen und die Leistungsansprüche der Versicherten maßgeblich zu berücksichtigten sind, entspricht im Wesentlichen auch der Rechtsprechung des EuGH, wonach das Gemeinschaftsrecht die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit und insbesondere für den Erlass von Regelungen zur Organisation von Diensten im Gesundheitswesen unberührt lässt (vgl. EuGH, Urteil v. 19.05.2009 - C 171/07 und C 172/07 - "Doc Morris", GewArch 2009, 298 Rdn. 18 m.w.N.; Urteil v. 19.05.2009 - C 531/06, EuZW 2009, 415, 417 Rdn. 35 - Kommission./.Italien; Weißbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften - Gemeinsam für die Gesundheit, KOM (2007) 630).

Dabei versteht es sich von selbst, dass die Mitgliedstaaten bei der Ausübung ihrer Zuständigkeiten das Gemeinschaftsrecht und insbesondere die Bestimmungen über die Verkehrsfreiheiten zu beachten haben (vgl. EuGH, Urteile v. 19.05.2009 a.a.O.; Weißbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften - Gemeinsam für die Gesundheit, KOM (2007) 630). Diesem Erfordernis wird bei Verträgen, die nach § 127 Abs. 2 SGB V ohne Durchführung von Vergabeverfahren geschlossen werden, dadurch Rechnung getragen, dass es Leistungserbringern aus den Mitgliedstaaten der Europäischen Union diskriminierungsfrei möglich ist, sich mit Angeboten in die Vertragsverhandlungen einzubringen und ihr Beitrittsrecht gemäß § 127 Abs. 2a SGB V auszuüben (vgl. auch BSG, Urteil v. 28.07.2008 - B 1 KR 4/08 R, BSGE 101, 161 - "Doc Morris"). Auf diese Weise wird eine gleichberechtigte Teilhabe an der Versorgung der Versicherten der GKV mit Hilfsmitteln und damit gleichzeitig ein Zugang zu den nationalen Beschaffungsmärkten der öffentlichen Hand gewährleistet. Schließlich wird der überragenden Bedeutung der Verkehrsfreiheiten - hier insbesondere Art. 56 AEUV - bei der Schaffung und Ausgestaltung des Binnenmarktes entsprochen.

Nachdem der Nachprüfungsantrag nicht statthaft ist, bedürfen die weiteren von den Beteiligten aufgeworfenen Aspekte keiner Erörterung mehr. Gleichwohl weist der Senat im Hinblick auf die Antragsbefugnis auf folgende Gesichtspunkte hin:

Die von der AS mit Schreiben vom 10.09.2009 gerügte fehlende öffentliche Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vermag nach Ansicht des Senats hier für sich genommen nicht die Möglichkeit eines Schadenseintritts zu begründen. Die AS hat - wie sich aus ihrer Rüge ergibt - von der Bekanntmachung der Absicht zum Vertragsschluss bereits am 10.09.2009 Kenntnis gehabt. Sie war damit in der Lage, sich mit dem Ziel eines Vertragsschlusses in die Verhandlungen einzubringen und bis zum 22.09.2009 ein Vertragsangebot zu unterbreiten. Dass tatsächlich kein Vertrag zustande gekommen ist, hat seine Ursache nicht in der fehlenden europaweiten Bekanntmachung, sondern darin, dass sie die Durchführung eines Vergabeverfahrens für zwingend erforderlich hält und vor diesem Hintergrund kein Angebot abgegeben hat.

Zweifelhaft ist die Möglichkeit eines Schadenseintritts auch deshalb, weil nicht auszuschließen ist, dass die AS angesichts der Kündigungen der Versorgungsverträge durch die AOK Hessen, Deutsche BKK und Neue BKK in einem förmlichen Vergabeverfahrens im Rahmen der Eignungsprüfung wegen Unzuverlässigkeit hätte ausgeschlossen werden müssen. Nach § 97 Abs. 4 Satz 1 GWB werden Aufträge an fachkundige, leistungsfähige sowie gesetzestreue und zuverlässige Unternehmen vergeben (vgl. auch § 25 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A). Im Rahmen der Eignungsprüfung ist eine Prognoseentscheidung zu treffen. Dabei ist die Vergabestelle nicht befugt, Umstände zu berücksichtigen, die sich außerhalb des Bereichs gesicherter Erkenntnisse bewegen (OLG Frankfurt, Beschluss v. 30.03.2004 - 11 Verg 4/05, 11 Verg 5/05, IBR 2004, 452, juris Rdn. 60 m.w.N.). Bei der Durchführung der Eignungsprüfung hat der öffentliche Auftraggeber einen weiten Beurteilungsspielraum, der nur eingeschränkter Nachprüfbarkeit durch die Nachprüfungsinstanzen unterliegt. Er ist hierbei nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, Tatsachen aus vergangenen Vergabeverfahren zu berücksichtigen (OLG Frankfurt, Beschluss v. 30.03.2004, a.a.O.).

Die mit der AOK I, der E BKK und der O BKK geschlossenen Lieferverträge sind von den genannten Krankenkassen außerordentlich fristlos gekündigt worden, wie sich nicht nur aus dem Vorbringen der AG und der BG zu 10), sondern auch aus Veröffentlichungen in dem Branchendienst "N" sowie - im Hinblick auf die Kündigung durch die AOK I - aus einer Mitteilung der KV Hessen vom 19.02.2009 ergibt. Die Kündigungen hat die AS in der mündlichen Verhandlung auch bestätigt, jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie den Kündigungen widersprochen hat. Die AS hatte von der AOK Hessen ab Januar 2009 den Zuschlag für die Versorgung von fünf Losgebieten mit ca. 20.000 Versicherten (über das Jahr gerechnet) und zum damaligen Zeitpunkt 10.000 Fällen mit aufsaugenden Inkontinenzhilfen erhalten. Insgesamt soll es zu 3.500 Beschwerden über die mangelnde telefonische Erreichbarkeit der AS, nicht termingerechte Hausbesuche sowie nicht erfolgte oder nicht termingerechte Lieferungen gekommen sein (MTD-Instant Heft 9/2009). Unter dem 04.02.2009 wurde der Vertrag durch die AOK Hessen gekündigt. Die Deutsche BKK und die Neue BKK haben ebenfalls die mit der AS geschlossenen Versorgungsverträge wegen nicht sichergestellter Erreichbarkeit der AS und nicht fristgerechter Lieferungen an die Versicherten fristlos gekündigt.

Die mitgeteilten Kündigungsgründe - ihr Vorliegen unterstellt - könnten möglicherweise dafür sprechen, dass die AS auch dann nicht in der Lage gewesen wäre, ihren vertraglichen Pflichten Rechnung zu tragen, wenn die AG - wie von der AS gefordert - ein Vergabeverfahren durchgeführt hätten. Denn die Kündigungsgründe haben sich auf Pflichten bezogen, deren Erfüllung bei nahezu sämtlichen Produktgruppen wesentliche Vertragsgegenstände sind (z.B. Beratungsleistungen, Einweisung in den sachgerechten Gebrauch). Ist z.B. bereits die (telefonische) Erreichbarkeit nicht sichergestellt, erscheint es schwer vorstellbar, dass die AS ihre Lieferpflichten hätte erfüllen können. Daran könnte auch der Umstand nichts ändern, dass die AS gegen die Kündigung durch die AOK Hessen Feststellungsklage erhoben und sowohl mit der Deutschen BKK als auch mit der Neuen BKK außergerichtliche Vereinbarungen getroffen haben, die einen gegenseitigen Verzicht auf die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen zum Inhalt haben. Andererseits können einem Bieter in der Vergangenheit liegende Schwierigkeiten bei der Vertragserfüllung nicht "bis in alle Ewigkeit" vorgehalten werden und einen Ausschluss wegen fehlender Eignung rechtfertigen.

Die Kostenentscheidung für das Verfahren vor der VK beruht auf § 128 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 und 2 GWB. Den BG zu 10) und 63) sind ihre außergerichtlichen Kosten zu erstatten, weil sie sich an diesem Verfahren durch Stellung von Anträgen einem prozessualen Risiko ausgesetzt haben. Die Hinzuziehung eines anwaltlichen Verfahrensbevollmächtigten durch die AG sowie die BG zu 10) und 63) im Nachprüfungsverfahren war notwendig (§ 128 Abs. 4 Satz 4 i.V.m. § 80 Verwaltungsverfahrensgesetz [VwVfG]).

Für das Beschwerdeverfahren folgt die Kostenentscheidung aus § 142a Abs. 1 SGG i.V.m. § 120 Abs. 2 GWB i.V.m. § 78 GWB. Die Hinzuziehung eines anwaltlichen Verfahrensbevollmächtigten durch die AG und die BG zu 63) im Beschwerdeverfahren war notwendig.

Der Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§§ 142a, 177 SGG).

Referenznummer:

R/R4754


Informationsstand: 01.09.2010