Die zulässigen sofortigen Beschwerden der
AG und der
BG zu 63) sind begründet. Der angefochtene Beschluss der VK ist aufzuheben und der Nachprüfungsantrag zurückzuweisen. Der Nachprüfungsantrag erweist sich als unzulässig, weil es sich bei den zwischen den
AG und den
BG geschlossenen Verträgen nicht um öffentliche Aufträge
i.S.d. § 99
Abs. 1 und 2 GWB handelt.
Auf den vorliegenden Sachverhalt sind grundsätzlich die Regelungen des GWB in der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20.04.2009 (BGBl. I
S. 790) anwendbar, weil - darauf ist hier abzustellen - das Nachprüfungsverfahren nach dem Inkrafttreten des Gesetzes am 24.04.2009 anhängig war (
vgl. § 131
Abs. 8 GWB).
Die
AG sind öffentliche Auftraggeber
i.S.d. § 98
Nr. 2 GWB. Gesetzliche Krankenkassen werden - jedenfalls mittelbar - mit den Beiträgen der Versicherten und Arbeitgeber zur gesetzlichen Krankenversicherung (
GKV) durch den Bund finanziert (
vgl. §§ 3,
271 SGB V) und unterliegen einer engmaschigen staatlichen Rechtsaufsicht (
vgl. EuGH, Urteil vom 11.06.2009 - C-300/07, ZfBR 2009, 601 - "Oymanns"; Senat Beschluss vom 26.03.2009 - L 21 KR 26/09 SFB, VergabeR 2009, 922
m.w.N.). Der im Jahr 2009 noch einschlägige Schwellenwert von 206.000,00 Euro (
vgl. Art. 2 VO 1422/2007/
EG v. 04.12.2007 -
ABl. L 317/34; § 2
Nr. 3 VgV) ist überschritten.
Bei den hier streitigen Verträgen handelt es sich nicht um öffentliche Aufträge. Gemäß § 99
Abs. 1 sind öffentliche Aufträge entgeltliche Verträge von öffentlichen Auftraggebern mit Unternehmen über die Beschaffung von Leistungen, die Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen zum Gegenstand haben, Baukonzessionen und Auslobungsverfahren, die zu Dienstleistungsaufträgen führen sollen. Nach § 99
Abs. 2 Satz 1 GWB, der im Wesentlichen
Art. 1
Abs. 2 lit. c) VKR nachgebildet ist, sind Lieferaufträge Verträge zur Beschaffung von Waren, die insbesondere Kauf oder Ratenkauf oder Leasing, Miet- oder Pachtverhältnisse mit oder ohne Kaufoption betreffen. Gemäß § 3a
Nr. 4
Abs. 3 Satz 1 VOL/A befolgen öffentliche Auftraggeber bei dem Abschluss von Rahmenvereinbarungen die Verfahrensvorschriften dieser Richtlinie in allen Phasen bis zur Zuschlagserteilung der Aufträge (
vgl. auch
Art. 32
Abs. 2 Satz 1 VKR). Dies gilt auch dann, wenn dem Auftragnehmer vertraglich nicht die Abnahme von Produkten zugesichert wird. Gemäß § 3a
Nr. 4
Abs. 1 Satz 1 VOL/A, der
Art. 1
Abs. 5 VKR umsetzt, sind Rahmenvereinbarungen öffentliche Aufträge, die die Auftraggeber an ein oder mehrere Unternehmen vergeben können, um die Bedingungen für Einzelaufträge, die während eines bestimmten Zeitraums vergeben werden sollen, festzulegen, insbesondere über den in Aussicht genommenen Preis (
vgl. auch § 3
Abs. 8 Satz 2 VgV).
Dass es sich bei den zwischen den
AG den
BG geschlossenen Verträgen nach
§ 127 Abs. 2 SGB V um Rahmenverträge
i.S.d. § 3
Abs. 8 Satz 2 VgV, § 3a
Nr. 4
Abs. 1 Satz 1 VOL/A handelt, unterliegt keinen Bedenken. Die Verträge haben auch die Beschaffung von Waren - hier: Hilfsmittel der Produktgruppen 10, 14, 15 und 21 des Hilfsmittelverzeichnisses nach
§ 139 SGB V - zum Gegenstand. Dass Hilfsmittel i.d.R. auf Verordnung des Vertragsarztes durch den Leistungserbringer an die Versicherten als Dritte angepasst und abgegeben werden, steht einem Beschaffungsvorgang nicht entgegen. Denn Krankenkassen sind im Rahmen des Sachleistungsgrundsatzes gegenüber Versicherten zur Versorgung mit Hilfsmitteln (
§ 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V) verpflichtet. Nehmen Versicherte das Hilfsmittel von einem Vertragspartner entgegen, erfüllt dieser letztlich seine vertraglich begründeten Leistungspflichten gegenüber der Krankenkasse (
vgl. Engelmann in: jurisPK-
SGB V, § 69 Rdn. 240.1 ff; Goodarzi/Junker NZS 2007, 632, 634; Dreher/Hoffmann NZBau 2009, 273, 278). Wer die Hilfsmittel an die Vers aushändigt, ist im Ergebnis ohne Bedeutung (
vgl. auch
OLG Düsseldorf, Beschluss v. 19.12.2007 - VII-Verg 48/07).
Gegen die Annahme eines Beschaffungsvorgangs für Hilfsmittel spricht - wie bei Arzneimittelrabattverträgen - nicht, dass diese i.d.R. durch Vertragsärzte verordnet werden. Denn die von den Vertragsärzten getroffenen Verordnungen müssen den
AG im Rahmen ihrer Sachleistungspflicht (§§ 2
Abs. 2 Satz 1 72
Abs. 1 Satz 1, 73
Abs. 2
Nr. 7
SGB V) zugerechnet werden (
vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 19.12.2007, a.a.O. sowie Senat, Beschluss v. 10.09.2009 - L 21 KR 53/09 SFB, VergabeR 2010, 135 zur Ausschreibungspflicht von Rabattvereinbarungen nach
§ 130a Abs. 8 SGB V). Der Vertragsarzt ist die "Schlüsselfigur" nicht nur im Rahmen der Arzneimittel-, sondern auch im Bereich der Heil- und Hilfsmittelversorgung. Er verordnet ein bestimmtes Hilfsmittel zu Gunsten der Versicherten (und zu Lasten der
GKV), das er als medizinisch notwendig qualifiziert. Bei der Ausstellung der Verordnung handelt er mithin kraft der ihm durch das Vertragsarztrecht verliehenen Kompetenzen als Vertreter der Krankenkassen (
vgl. nur
BSG, Urteil v. 17.01.1996 - 3 RK 26/94, SozR 3-2500 § 129
Nr. 1 = BSGE 77, 194
ff. zur Verordnung von Arzneimitteln). Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass Hilfsmittel i.d.R. erst nach Prüfung durch die Krankenkassen an Versicherte abgegeben werden. Ein Beschaffungsvorgang liegt im Übrigen auch in den Fällen vor, in denen Krankenkassen das Hilfsmittel unmittelbar erwerben, um es sodann den Versicherten leihweise zu überlassen (
vgl. § 33 Abs. 5 Satz 1 SGB V).
Ob es sich bei nach § 127
Abs. 2
SGB V geschlossenen Verträgen auch um entgeltliche Verträge
i.S.d. § 99
Abs. 1 GWB handelt, erscheint fraglich. Die Funktion des Merkmals "Entgeltlichkeit" liegt darin, die wirtschaftliche Ausrichtung der erfassten Aufträge in Abgrenzung
z.B. zu wohltätigen oder rein karitativen Zwecken zu bringen. Entsprechend dem Regelungszweck des § 99
Abs. 1 GWB ist das Merkmal "Entgeltlichkeit" weit auszulegen. Eine synallagmatische Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung ist für die Annahme eines öffentlichen Auftrages nicht erforderlich. Erfasst wird vielmehr jede Art von Vergütung, die einen Geldwert haben kann (
vgl. Senat, Beschluss v. 10.09.2009, a.a.O.; Dreher in: Immenga/Mestmäcker, GWB 4. Aufl. 2007, § 99, Rdn. 20 f.; Otting in: Bechtold, GWB, 5. Aufl. 2008, § 99, Rdn. 7
ff. m.w.N.). Zwar wird zu Recht darauf abgestellt, dass der Vertragsschluss dem Leistungserbringer für sich genommen - vordergründig - keinen nennenswerten wirtschaftlichen Vorteil einbringt. Ob die aus dem Vertragsschluss resultierende Versorgungsberechtigung für sich genommen als echter - "handfester" - wirtschaftlicher Vorteil angesehen werden kann, kann jedoch letztlich ebenso offen bleiben wie die Frage, ob die Annahme eines öffentlichen Auftrages schon deshalb ausscheidet, weil sich Vertragsschlüsse mit Beitrittsrecht nach §§ 127
Abs. 2,
Abs. 2 a
SGB V bei funktionaler Betrachtung als Zulassungen darstellen (
vgl. hierzu BT-Drs. 16/10609
S. 52 zu § 69
SGB V).
Denn der Senat ist der Auffassung, dass eine Auswahlentscheidung der Krankenkassen mit der daraus resultierenden Einräumung von Exklusivität und Begründung einer "Sonderstellung im Wettbewerb" (
vgl. Byok, GesR 2007, 553, 556) konstitutiver Bestandteil für die Annahme eines öffentlichen Auftrages ist (BT-Drs. 16/10609
S. 52 zu § 69
SGB V; Knispel, GesR 2009, 236, 238, 239, 241; Rixen, GesR 2006, 49, 55). Dabei kommt es, wie der Senat bereits zu Arzneimittelrabattvereinbarungen nach § 130a
Abs. 8
SGB V entschieden hat, allerdings nicht darauf an, ob Exklusivität ausdrücklich durch den Auftraggeber vertraglich zugesichert wird. Vielmehr ist es für die Annahme eines öffentlichen Auftrages grundsätzlich ausreichend, wenn sich für den Leistungserbringer faktisch ein Wettbewerbsvorteil ergibt (
vgl. Senat, Beschluss v. 10.09.2009, a.a.O.).
Diese Voraussetzungen sind im Bereich der Hilfsmittelversorgung nur dann gegeben, wenn Verträge nach einer Auswahlentscheidung durch die Krankenkassen geschlossen werden (§ 127
Abs. 1
SGB V). In diesen Fällen ist ein gleicher Marktzugang sämtlicher Leistungserbringer nicht mehr möglich. Haben nämlich Krankenkassen Vereinbarungen nach § 127
Abs. 1
SGB V geschlossen, hat die Versorgung der Versicherten gemäß § 33
Abs. 6 Satz 2
SGB V durch den Vertragspartner zu erfolgen; ein Wahlrecht der Versicherten existiert in diesen Fällen grundsätzlich nicht. Der Zuschlagsempfänger erwirbt dann eine gesetzlich abgesicherte Sonderstellung im Wettbewerb, da die Versicherten gehalten sind, ausschließlich den Vertragspartner der Krankenkassen in Anspruch zu nehmen und dieser hierdurch im Verhältnis zu seinen Mitbewerbern in die Lage versetzt wird, seinen Absatz zu steigern. Nur bei einem berechtigten Interesse können Versicherte im Einzelfall - allerdings gegen Tragung der Mehrkosten - einen anderen Leistungserbringer wählen (
vgl. § 33
Abs. 6 Satz 3
SGB V). Insofern entfalten die Verträge in diesen Konstellationen auch eine Lenkungs- und Steuerungswirkung, wobei der Senat offen lässt, ob eine solche für die Annahme eines öffentlichen Auftrages zwingend erforderlich ist. Auch dann, wenn Krankenkassen - auf welche Weise auch immer - Formen selektiver Vertragstrategien verfolgen, ohne jedoch eine Exklusivität ausdrücklich in den Versorgungsverträgen zu regeln, ergibt sich der Wettbewerbsvorteil aus § 33
Abs. 6 Satz 2
SGB V. Voraussetzung für die skizzierten Mechanismen ist jedoch stets, dass die Krankenkasse eine Auswahlentscheidung trifft.
Für eine Auswahlentscheidung (und damit gleichzeitig für die Annahme eines öffentlichen Auftrages) ist demgegenüber kein Raum, wenn Verträge nach Maßgabe des § 127
Abs. 2
SGB V geschlossen werden. Denn Vergabeverfahren zielen darauf ab, unter mehreren Bietern eine Auswahlentscheidung zu treffen (
vgl. BT-Drs 16/10609
S. 52 zu § 69
SGB V). Zwar erfolgt auch hier der Zugang zur Versorgung durch einen Vertragsschluss. Einer Ausschreibungspflicht steht jedoch entgegen, dass Leistungserbringer gemäß § 127
Abs. 2a
SGB V einen gesetzlich geregelten Anspruch auf Beitritt - also auf gleichberechtigten Marktzugang und Teilhabe an der Versorgung der Versicherten - haben (
vgl. BT-Drs 16/10609
S. 52 zu § 69
SGB V). Der Durchführung eines Auswahlverfahrens bedarf es in derartigen Konstellationen somit nicht.
VK und AS knüpfen zwar daran an, dass eine vom öffentlichen Auftraggeber zu treffende Auswahlentscheidung nicht Voraussetzung, sondern notwendige - und europarechtlich determinierte - Folge der Annahme eines öffentlichen Auftrages ist. Damit wären öffentliche Auftraggeber bei Erfüllung der weiteren Voraussetzungen des § 99
Abs. 1 und 2 GWB gehalten, bei sämtlichen Beschaffungen eine Auswahlentscheidung zu treffen und Aufträge jedweder Art im Wettbewerb zu vergeben. Ein solches Regelungskonzept kann dem primären und sekundären Gemeinschaftsrecht - ungeachtet der Frage, ob Beschaffungen durch öffentliche Auftraggeber ausschließlich "im Wettbewerb" wirtschaftspolitisch wünschenswert sein mögen - nicht entnommen werden. Keiner weiteren Erörterung bedarf, dass der Wettbewerbsgrundsatz (§ 97
Abs. 1 GWB) als tragendes Prinzip bei der Beschaffungstätigkeit der öffentlichen Hand gilt und zum Ziel hat, sämtlichen potentiellen Bewerbern einen freien Zugang zu den Beschaffungsmärkten der öffentlichen Hand zu ermöglichen (
vgl. nur Summa/Kullack in: jurisPK-
SGB V, § 97 GWB, Rdn. 29
m.w.N.), zumal sich in der Vergangenheit die Aufsplitterung in einzelne nationale Vergabemärkte sowie die damit verbundene Errichtung von Marktzutrittsschranken für Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten als eines der größten Hindernisse auf dem Weg zur Realisierung eines echten Binnenmarktes dargestellt hat (
vgl. nur Weißbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften - Vollendung des Binnenmarktes, KOM (85) 310, Rdn. 81
ff.). Die aus dem Wettbewerbsgrundsatz resultierenden Ge- und Verbote (
z.B. das Prinzip des Geheimwettbewerbs (
vgl. hierzu
LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 06.03.2009 - L 9 KR 72/09 ER, VergabeR 2010, 120) oder der Vorrang des offenen Verfahrens vor dem nichtoffenen Verfahren - § 101
Abs. 7 GWB) gelangen jedoch erst dann zur Anwendung, wenn durch den öffentlichen Auftraggeber eine Auswahlentscheidung zu treffen ist.
In diese Richtung hat sich auch die Europäische Kommission geäußert. Mit Schreiben vom 08.04.2009 hat sie im Rahmen eines sog. "Vertragsverletzungsbeschwerdeverfahrens" mitgeteilt, dass mit der Änderung der §§ 69, 127
SGB V durch das
GKV-OrgWG (zuvor geäußerte) Zweifel an der Europarechtskonformität dieser Regelungen ausgeräumt worden seien (zit. nach Stelzer, WzS 2009, 303, 307). In einem weiteren Schreiben vom 11.06.2009 hat sie an dieser Auffassung festgehalten und erläutert, dass sie in dem Wahlrecht der Krankenkassen zwischen § 127
Abs. 1 und
Abs. 2
SGB V eine Europarechts- widrigkeit nicht erkennen könne. Verträge nach § 127
Abs. 2
SGB V, denen sämtliche potentiellen Leistungserbringer beitreten könnten, unterfielen nicht dem Vergaberecht, da in diesen Fällen keine Auswahlentscheidung der Krankenkasse getroffen werde (zit. nach Stelzer, WzS 2009, 336, 340). Diese Ausführungen sprechen dafür, dass auch die Kommission die Vornahme einer Auswahlentscheidung durch den öffentlichen Auftraggeber als konstitutiv für die Annahme eines öffentlichen Auftrages ansieht. Soweit die VK in dem angefochtenen Beschluss unter Berufung auf ein Schreiben der Europäischen Kommission vom 06.05.2009 dargelegt hat, dass § 127
Abs. 1 und
Abs. 2
SGB V richtlinienkonform dahingehend auszulegen sei, dass diese nur dann angewendet werden könnten, wenn ein Beschaffungsvorgang unterhalb der Schwellenwerte erfolge, ist anzumerken, dass ein unter diesem Datum verfasstes Schreiben der Kommission in der bereits genannten Abhandlung nicht zitiert wird. Vielmehr wurde unter dem 06.05.2009 eine weitere Eingabe an die Kommission erstellt.
Dafür, dass eine Auswahlentscheidung für die Annahme eines öffentlichen Auftrages erforderlich ist, spricht nicht zuletzt, dass anderenfalls die gesetzlich begründeten Leistungsansprüche der Versicherten beschränkt würden. Sofern Krankenkassen den Versicherten ein freies Wahlrecht zwischen einer im vorhinein unbestimmten Zahl von Vertragspartnern (
vgl. § 33
Abs. 6 Satz 1
SGB V) ermöglichen wollen, verbleibt ihnen unter der Geltung des bestehenden "Vertragssystems" keine andere Wahl, als auf Ausschreibungen zu verzichten und den Weg über § 127
Abs. 2 und 2a
SGB V zu wählen. Unter Zugrundelegung der von VK und AS vorgenommenen Auslegung wäre jedoch das in § 33
Abs. 6 Satz 1
SGB V geregelte Wahlrecht der Versicherten im Hinblick auf unterschiedliche Leistungserbringer nicht mehr
bzw. nur noch unter den sehr eingeschränkten Voraussetzungen des § 33
Abs. 6 Satz 3
SGB V - also Nachweis eines berechtigten Interesses und Aufzahlung durch die Versicherten - gegeben. Anknüpfungspunkte dafür, dass das Vergaberecht als "nachgelagertes" Beschaffungsrecht einen Einfluss auf die materielle Gestaltung von Leistungserbringerverträgen und insbesondere Leistungsansprüche der Versicherten hat, bestehen jedoch nicht. Der Senat hält in diesem Zusammenhang daran fest, dass es nicht Sinn und Zweck der Anwendung des Vergaberechts auf Verträge mit gesetzlichen Krankenkassen sein kann, Versorgungsansprüche der Versicherten oder gesetzliche begründete Teilhabeansprüche anderer Leistungserbringer zu beschränken (Beschluss v. 03.09.2009, a.a.O.; Beschluss v. 19.11.2009 - L 21 KR 55/09 SFB). Für eine derartige Einschränkung der Leistungsansprüche der Versicherten besteht angesichts der in
Art. 167
Abs. 8 Satz 1 AEUV (früher:
Art. 152
Abs. 5
EG) getroffenen Vorgaben kein Kompetenztitel der Europäischen Union. Danach tragen die Mitgliedstaaten die Verantwortung für die Festlegung der Gesundheitspolitik sowie die Organisation des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung. Dass der Versorgungsauftrag der Krankenkassen und die Leistungsansprüche der Versicherten maßgeblich zu berücksichtigten sind, entspricht im Wesentlichen auch der Rechtsprechung des EuGH, wonach das Gemeinschaftsrecht die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit und insbesondere für den Erlass von Regelungen zur Organisation von Diensten im Gesundheitswesen unberührt lässt (
vgl. EuGH, Urteil v. 19.05.2009 - C 171/07 und C 172/07 - "Doc Morris", GewArch 2009, 298 Rdn. 18
m.w.N.; Urteil v. 19.05.2009 - C 531/06, EuZW 2009, 415, 417 Rdn. 35 - Kommission./.Italien; Weißbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften - Gemeinsam für die Gesundheit, KOM (2007) 630).
Dabei versteht es sich von selbst, dass die Mitgliedstaaten bei der Ausübung ihrer Zuständigkeiten das Gemeinschaftsrecht und insbesondere die Bestimmungen über die Verkehrsfreiheiten zu beachten haben (
vgl. EuGH, Urteile v. 19.05.2009 a.a.O.; Weißbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften - Gemeinsam für die Gesundheit, KOM (2007) 630). Diesem Erfordernis wird bei Verträgen, die nach § 127
Abs. 2
SGB V ohne Durchführung von Vergabeverfahren geschlossen werden, dadurch Rechnung getragen, dass es Leistungserbringern aus den Mitgliedstaaten der Europäischen Union diskriminierungsfrei möglich ist, sich mit Angeboten in die Vertragsverhandlungen einzubringen und ihr Beitrittsrecht gemäß § 127
Abs. 2a
SGB V auszuüben (
vgl. auch
BSG, Urteil v. 28.07.2008 - B 1 KR 4/08 R, BSGE 101, 161 - "Doc Morris"). Auf diese Weise wird eine gleichberechtigte Teilhabe an der Versorgung der Versicherten der
GKV mit Hilfsmitteln und damit gleichzeitig ein Zugang zu den nationalen Beschaffungsmärkten der öffentlichen Hand gewährleistet. Schließlich wird der überragenden Bedeutung der Verkehrsfreiheiten - hier insbesondere
Art. 56 AEUV - bei der Schaffung und Ausgestaltung des Binnenmarktes entsprochen.
Nachdem der Nachprüfungsantrag nicht statthaft ist, bedürfen die weiteren von den Beteiligten aufgeworfenen Aspekte keiner Erörterung mehr. Gleichwohl weist der Senat im Hinblick auf die Antragsbefugnis auf folgende Gesichtspunkte hin:
Die von der AS mit Schreiben vom 10.09.2009 gerügte fehlende öffentliche Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vermag nach Ansicht des Senats hier für sich genommen nicht die Möglichkeit eines Schadenseintritts zu begründen. Die AS hat - wie sich aus ihrer Rüge ergibt - von der Bekanntmachung der Absicht zum Vertragsschluss bereits am 10.09.2009 Kenntnis gehabt. Sie war damit in der Lage, sich mit dem Ziel eines Vertragsschlusses in die Verhandlungen einzubringen und bis zum 22.09.2009 ein Vertragsangebot zu unterbreiten. Dass tatsächlich kein Vertrag zustande gekommen ist, hat seine Ursache nicht in der fehlenden europaweiten Bekanntmachung, sondern darin, dass sie die Durchführung eines Vergabeverfahrens für zwingend erforderlich hält und vor diesem Hintergrund kein Angebot abgegeben hat.
Zweifelhaft ist die Möglichkeit eines Schadenseintritts auch deshalb, weil nicht auszuschließen ist, dass die AS angesichts der Kündigungen der Versorgungsverträge durch die
AOK Hessen, Deutsche
BKK und Neue
BKK in einem förmlichen Vergabeverfahrens im Rahmen der Eignungsprüfung wegen Unzuverlässigkeit hätte ausgeschlossen werden müssen. Nach § 97
Abs. 4 Satz 1 GWB werden Aufträge an fachkundige, leistungsfähige sowie gesetzestreue und zuverlässige Unternehmen vergeben (
vgl. auch § 25
Nr. 2
Abs. 1 VOL/A). Im Rahmen der Eignungsprüfung ist eine Prognoseentscheidung zu treffen. Dabei ist die Vergabestelle nicht befugt, Umstände zu berücksichtigen, die sich außerhalb des Bereichs gesicherter Erkenntnisse bewegen (
OLG Frankfurt, Beschluss v. 30.03.2004 - 11 Verg 4/05, 11 Verg 5/05, IBR 2004, 452, juris Rdn. 60
m.w.N.). Bei der Durchführung der Eignungsprüfung hat der öffentliche Auftraggeber einen weiten Beurteilungsspielraum, der nur eingeschränkter Nachprüfbarkeit durch die Nachprüfungsinstanzen unterliegt. Er ist hierbei nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, Tatsachen aus vergangenen Vergabeverfahren zu berücksichtigen (
OLG Frankfurt, Beschluss v. 30.03.2004, a.a.O.).
Die mit der
AOK I, der E
BKK und der O
BKK geschlossenen Lieferverträge sind von den genannten Krankenkassen außerordentlich fristlos gekündigt worden, wie sich nicht nur aus dem Vorbringen der
AG und der
BG zu 10), sondern auch aus Veröffentlichungen in dem Branchendienst "N" sowie - im Hinblick auf die Kündigung durch die
AOK I - aus einer Mitteilung der KV Hessen vom 19.02.2009 ergibt. Die Kündigungen hat die AS in der mündlichen Verhandlung auch bestätigt, jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie den Kündigungen widersprochen hat. Die AS hatte von der
AOK Hessen ab Januar 2009 den Zuschlag für die Versorgung von fünf Losgebieten mit
ca. 20.000 Versicherten (über das Jahr gerechnet) und zum damaligen Zeitpunkt 10.000 Fällen mit aufsaugenden Inkontinenzhilfen erhalten. Insgesamt soll es zu 3.500 Beschwerden über die mangelnde telefonische Erreichbarkeit der AS, nicht termingerechte Hausbesuche sowie nicht erfolgte oder nicht termingerechte Lieferungen gekommen sein (MTD-Instant Heft 9/2009). Unter dem 04.02.2009 wurde der Vertrag durch die
AOK Hessen gekündigt. Die Deutsche
BKK und die Neue
BKK haben ebenfalls die mit der AS geschlossenen Versorgungsverträge wegen nicht sichergestellter Erreichbarkeit der AS und nicht fristgerechter Lieferungen an die Versicherten fristlos gekündigt.
Die mitgeteilten Kündigungsgründe - ihr Vorliegen unterstellt - könnten möglicherweise dafür sprechen, dass die AS auch dann nicht in der Lage gewesen wäre, ihren vertraglichen Pflichten Rechnung zu tragen, wenn die
AG - wie von der AS gefordert - ein Vergabeverfahren durchgeführt hätten. Denn die Kündigungsgründe haben sich auf Pflichten bezogen, deren Erfüllung bei nahezu sämtlichen Produktgruppen wesentliche Vertragsgegenstände sind (
z.B. Beratungsleistungen, Einweisung in den sachgerechten Gebrauch). Ist
z.B. bereits die (telefonische) Erreichbarkeit nicht sichergestellt, erscheint es schwer vorstellbar, dass die AS ihre Lieferpflichten hätte erfüllen können. Daran könnte auch der Umstand nichts ändern, dass die AS gegen die Kündigung durch die
AOK Hessen Feststellungsklage erhoben und sowohl mit der Deutschen
BKK als auch mit der Neuen
BKK außergerichtliche Vereinbarungen getroffen haben, die einen gegenseitigen Verzicht auf die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen zum Inhalt haben. Andererseits können einem Bieter in der Vergangenheit liegende Schwierigkeiten bei der Vertragserfüllung nicht "bis in alle Ewigkeit" vorgehalten werden und einen Ausschluss wegen fehlender Eignung rechtfertigen.
Die Kostenentscheidung für das Verfahren vor der VK beruht auf § 128
Abs. 3 Satz 1 und
Abs. 4 Satz 1 und 2 GWB. Den
BG zu 10) und 63) sind ihre außergerichtlichen Kosten zu erstatten, weil sie sich an diesem Verfahren durch Stellung von Anträgen einem prozessualen Risiko ausgesetzt haben. Die Hinzuziehung eines anwaltlichen Verfahrensbevollmächtigten durch die
AG sowie die
BG zu 10) und 63) im Nachprüfungsverfahren war notwendig (§ 128
Abs. 4 Satz 4
i.V.m. § 80 Verwaltungsverfahrensgesetz [VwVfG]).
Für das Beschwerdeverfahren folgt die Kostenentscheidung aus § 142a
Abs. 1
SGG i.V.m. § 120
Abs. 2 GWB
i.V.m. § 78 GWB. Die Hinzuziehung eines anwaltlichen Verfahrensbevollmächtigten durch die
AG und die
BG zu 63) im Beschwerdeverfahren war notwendig.
Der Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§§ 142a, 177
SGG).