Gründe:
Der Antragsgegner wendet sich gegen einen Beschluss der Disziplinarkammer des Verwaltungsgerichts Dresden, in dem die vorläufige Diensterhebung des Antragstellers und die Einbehaltung seiner Dienstbezüge ausgesetzt werden. Seine Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
Dem Antragsteller, der seit 1991 Polizeibeamter ist, wird im Disziplinarverfahren eine uneidliche Falschaussage und falsche Verdächtigung vorgeworfen. Der Antragsgegner leitete mit Verfügung vom 13. September 2013 gegen den Antragsteller ein Disziplinarverfahren ein und kündigte an, dass beabsichtigt sei, ihn vorläufig des Dienstes zu entheben und Teile seiner Dienstbezüge einzubehalten. Am 12. Dezember 2013 wurde der Entwurf einer Verfügung über die vorläufige Dienstenthebung des Antragstellers und die Einbehaltung von 10 % seiner Dienstbezüge gefertigt. Dieser wurde am 17. Dezember 2013 vom Unterzeichner paraphiert und auf der ersten Seite mit einem Stempel vom 18. Dezember 2013 versehen. Als Verfügung ist unter Nummer 2 angegeben: "Versand 1. KW 2014". Der Entwurf eines Anschreibens an den Prozessbevollmächtigten des Antragstellers wurde am selben Tag erstellt und paraphiert. Auf dem Entwurf findet sich der Stempel vom 19. Dezember 2013. Dieser wurde handschriftlich durchgestrichen und darunter das Datum 7. Januar 2014 vermerkt. Ein weiterer handschriftlicher Vermerk gibt den Postausgang mit 9. Januar 2014 an. Zeitgleich wurde der Entwurf eines Schreibens an die Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen bei der Bereitschaftspolizei erstellt. Ein entsprechender Entwurf wurde vom Unterzeichner ebenfalls am 17. Dezember 2013 paraphiert. Das Schreiben trägt das Datum 19. Dezember 2013. Auf ihm ist handschriftlich vermerkt, dass die Vertrauensperson nicht im Dienst sei. Das Schreiben sei deshalb am 9. Januar 2014 an einen Bediensteten mit der Bitte um Übergabe an den stellvertretenden Schwerbehindertenvertreter übergeben worden. Am 10. Januar 2014 wurden die Verfügung über die vorläufige Diensterhebung, die vom 18. Dezember 2013 datiert, sowie das Anschreiben an den Prozessbevollmächtigten, das vom 7. Januar 2014 datiert, zugestellt. Am 10. Januar 2014 erhielt der stellvertretende Schwerbehindertenvertreter das Anhörungsschreiben.
Auf Antrag des Antragstellers hat die Disziplinarkammer des Verwaltungsgerichts Dresden die vorläufige Dienstenthebung und die Einbehaltung von 10 % der monatlichen Dienstbezüge ab Februar 2014 ausgesetzt. Aufgrund der fehlerhaften Unterrichtung und Anhörung der Schwerbehindertenvertretung bestünden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vorläufigen Diensterhebung und der Einbehaltung der Dienstbezüge. Die Schwerbehindertenvertretung sei nach
§ 95 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGB IX in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen schwerbehinderten Menschen berührten, unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören. Die vorläufige Dienstenthebung und die Einbehaltung von Bezügen sei eine Angelegenheit, die einen schwerbehinderten Beamten im Sinne des Sozialgesetzbuchs IX berühre. Hier sei die Schwerbehindertenvertretung nicht vor Erlass der angefochtenen Verfügung befasst worden. Da die Ermessensentscheidung über die vorläufige Dienstenthebung und über die Einbehaltung von Dienstbezügen und die Höhe des Einbehaltungssatzes die konkreten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen und dabei auch auf die persönlichen Umstände und die individuellen Bedürfnisse des Beamten Rücksicht zu nehmen habe, könne eine Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung auch nicht unterbleiben. Ohne dass es noch darauf ankomme weise die Kammer aber auch darauf hin, dass das Vorliegen der Voraussetzungen für eine vorläufige Dienstenthebung und die Einbehaltung von Dienstbezügen gemäß § 38 SächsDG zweifelhaft sein könnte.
Hiergegen wendet der Antragsgegner in der Begründung seiner Beschwerde ein, die Beteiligung der Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen bei der Bereitschaftspolizei habe mit dem Schreiben vom 19. Dezember 2013, das auch an diesem Tag versandt worden sei, begonnen. Versanddatum der streitgegenständlichen Bescheide sei aber der 7. Januar 2014. In dem Zwischenzeitraum habe die Verfügung trotz Unterzeichnung durch den Dienstvorgesetzten noch jederzeit angehalten werden können. Es könne offen bleiben, ob diese Vorgehensweise noch eine ordnungsgemäße Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung
i. S. v. § 95
Abs. 2 Satz 1
SGB IX darstelle. In jedem Fall sei eine mögliche Verletzung der Anhörungsrechte der Schwerbehindertenvertretung gemäß § 95
Abs. 2 Satz 2
SGB IX nachträglich geheilt worden. Dies habe die Disziplinarkammer verkannt. Die stellvertretende Vertrauensperson habe das Schreiben am 10. Januar 2014 erhalten und sich nicht innerhalb der Sieben- Tages-Frist dazu geäußert. Auch den ergänzenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts, dass Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vorläufigen Dienstenthebung und der Einbehaltung von Dienstbezügen bestünden, werde entgegengetreten. Vorsätzliche Aussagedelikte von Polizeibeamten seien regelmäßig mit der Entfernung aus dem Dienst zu ahnden. Bedenken könnten auch gegen den Tenor des Beschlusses des Verwaltungsgerichts bestehen. Danach würden nicht nur die Einbehaltung der Dienstbezüge, sondern auch die vorläufige Dienstenthebung ab Februar 2014 - und damit rückwirkend - ausgesetzt. Dies bedeute strenggenommen, dass der Beamte seit dem 1. Februar 2014 ohne rechtliche Grundlage dem Dienst ferngeblieben sei.
Die zulässige (§ 68
Abs. 1 und 3 SächsDG
i. V. m. §§ 146 und 147
VwGO) Beschwerde ist nicht begründet. Die vom Antragsgegner vorgebrachten Gründe, auf deren Prüfung der Senat grundsätzlich beschränkt ist (§ 68
Abs. 3 SächsDG
i. V. m. § 146
Abs. 4 Satz 6
VwGO), führen zu keiner Abänderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Einbehaltung der Dienstbezüge bestehen (
vgl. § 64
Abs. 2 SächsDG).
Das Verwaltungsgericht geht zutreffend davon aus, dass § 95
Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1
SGB IX hier vom Antragsgegner nicht beachtet worden ist. Die vorläufige Dienstenthebung und die Einbehaltung von Dienstbezügen sind Angelegenheiten, die den betroffenen schwerbehinderten Menschen berühren. Bei den Ermessensentscheidungen über die vorläufige Dienstenthebung und die Einbehaltung der Dienstbezüge sowie die Höhe des Einbehaltungssatzes hat der Antragsgegner die konkreten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen und dabei auf die persönlichen Umstände und die individuellen Bedürfnisse des Beamten, wozu auch die Schwerbehinderung gehört, Rücksicht zu nehmen (
vgl. BayVGH, Beschl. v. 15. November 2011 -
16a DA 11.1261 -, juris Rn. 22 für die Einbehaltung von Bezügen nach bayerischem Landesdisziplinarrecht). Die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung hat nach § 95
Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1
SGB IX vor der Entscheidung zu erfolgen. Die von § 95
Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1
SGB IX geforderte Anhörung verlangt, dass der Schwerbehindertenvertretung nach Zugang der Mitteilung über die geplante Entscheidung eine angemessene Frist zur Stellungnahme verbleibt (
vgl. zur angemessenen Frist Masuch, in: Hauck/Noftz,
SGB IX, Stand 2013, K § 95 Rn. 34). Hier ist die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung nicht vor, sondern nach der Entscheidung erfolgt. Dabei kann der Senat offen lassen, wann genau die Entscheidung i.
S. d. § 95
Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1
SGB IX ergangen ist. Spätestens am 9. Januar 2014, als die Verfügung und das Anschreiben zur Post gegeben wurden, dürfte die Entscheidung getroffen worden sein, weil sie vom Antragsgegner nicht mehr abgeändert oder zurückgeholt werden konnte (
vgl. zu letzterem:
BVerwG v. 26.1.1994, BVerwGE 95, 64, 67). Selbst wenn man erst auf die Wirksamkeit der Entscheidung, die mit Bekanntgabe an den Prozessbevollmächtigten des Antragstellers eintrat (§ 1 Satz 1 SächsVwVfZG
i. V. m. § 43
Abs. 1 Satz 1 VwVfG), abstellen würde, wäre die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung nicht vor der Entscheidung erfolgt. Am 10. Januar 2014 erhielt der stellvertretende Schwerbehindertenvertreter das Schreiben des Präsidiums der Bereitschaftspolizei, mit dem die beabsichtigte Maßnahme mitgeteilt wurde. Am selben Tag ging die Verfügung über die vorläufige Dienstenthebung und die Einbehaltung von Dienstbezügen beim Prozessbevollmächtigten des Antragstellers ein. Eine angemessene Frist für eine Stellungnahme der Schwerbehindertenvertretung verblieb nicht. Mit der Absendung des Schreibens vom 19. Dezember 2013 an die Dienstadresse des Schwerbehindertenvertreters erfolgte noch keine Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung, da dieses Schreiben den Schwerbehindertenvertreter, der sich nicht im Dienst befand, nicht rechtzeitig erreicht hat.
Der Mangel der Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung ist entgegen der Auffassung des Antragsgegners auch nicht geheilt. Zwar ist die fehlende oder fehlerhafte Anhörung der Schwerbehindertenvertretung grundsätzlich heilbar (
vgl. BVerwG, Beschl. v. 27. April 1983, BVerwGE 76, 82, 87 zu § 22
Abs. 1 Satz 1
SchwbG a. F.; Beschl. v. 22. März 1989, BVerwGE 86, 140, 143 zur fehlenden Beteiligung des Personalrats). Hier hat aber eine Heilung bislang nicht stattgefunden. Nach § 95
Abs. 2 Satz 2
SGB IX ist die Durchführung oder Vollziehung einer ohne Beteiligung nach Satz 1
getroffenen Entscheidung auszusetzen, die Beteiligung ist innerhalb von sieben Tagen nachzuholen; sodann ist endgültig zu entscheiden. Der Antragsgegner hat die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung innerhalb dieser Frist nachgeholt. Es fehlt aber an der von § 95
Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2
SGB IX vorgesehenen endgültigen Entscheidung. Der Antragsgegner hat bislang eine erneute Entscheidung nicht getroffen. Dem
Antragsteller ist - soweit ersichtlich - ein neuer Bescheid nicht zugestellt worden. Im Schreiben des Antragsgegners vom 15. April 2014, mit dem dieser die Beschwerde begründet, kann eine erneute Entscheidung nicht gesehen werden. Im Prozess abgegebene Äußerungen und Erklärungen von Beteiligten, insbesondere auch schriftsätzliche Äußerungen, sind in erster Linie auf den Fortgang des Rechtsstreits und nur ausnahmsweise auch auf die Änderung der materiellen - streitigen - Rechtslage gerichtet. Deshalb müssten besondere Umstände vorliegen, um annehmen zu können, ein Prozessbeteiligter wolle sich durch eine schriftsätzliche Äußerung materiell-rechtlich binden (
BVerwG, Urt. v. 7. Februar 1986, BVerwGE 74, 15, 17; Urt. v. 19. März 2013, NJW 2013, 1832 Rn. 12). Hier fehlen derartige Anhaltspunkte. Vielmehr sprechen im Gegenteil sowohl die äußere Form des Schreibens als auch dessen Inhalt dafür, dass lediglich eine Erklärung abgegeben werden sollte, die auf den Fortgang des Rechtsstreits gerichtet ist. In dem Schreiben finden sich weder eine getroffene Entscheidung noch die tatsächlichen und rechtlichen Gründe, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen habe (
vgl. § 1 Satz 1 SächsVwVfZG
i. V. m. § 39
Abs. 1 Satz 2 VwVfG), noch die Gesichtspunkte, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist (
vgl. § 1 Satz 1 SächsVwVfZG
i. V. m. § 39
Abs. 1 Satz 3 VwVfG).
Wegen der formellen Fehlerhaftigkeit der vorläufigen Dienstenthebung und der Einbehaltung von Dienstbezügen hat das Verwaltungsgericht die angegriffene Verfügung zu Recht ausgesetzt. Im vorliegenden Verfahren muss deshalb nicht entschieden werden, ob die Tatbestandsvoraussetzungen des § 38 SächsDSG vorliegen, insbesondere ob im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird, und das Ermessen fehlerfrei ausgeübt wurde.
Das Verwaltungsgericht hat sowohl die vorläufige Dienstenthebung als auch die Kürzung der Dienstbezüge zu Recht mit rückwirkender Kraft aufgehoben, da der Beamte Anspruch auf Rechtsschutz gegenüber der angefochtenen Entscheidung nicht erst im Entscheidungszeitpunkt hat, sondern für den gesamten Zeitraum, in dem die Maßnahme seine Rechte beeinträchtigt hat (
BVerwG, Beschl. v. 6. Februar 1995, BVerwGE
103, 208, 211; SächsOVG, Beschl. v. 2. Dezember 2013, SächsVBl. 2014, 71, 73 = NVwZ-RR 2014, 361 Rn. 16). Mit der rückwirkenden Aussetzung der vorläufigen Dienstenthebung entfällt die Rechtsgrundlage für das Fernbleiben des Antragstellers vom Dienst. Gleichwohl ist der Antragsteller nicht schuldhaft dem Dienst ferngeblieben (
vgl. § 71
Abs. 1 Satz 1 SächsBG), weil er durch die Vollziehbarkeit der Anordnung über die vorläufige Dienstenthebung (
vgl. § 39
Abs. 1 Satz 1 SächsDG) gehindert war, seine Dienstpflichten zu erfüllen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 78
Abs. 4 SächsDG
i. V. m. § 154
Abs. 2
VwGO. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil sich die Gebühren aus dem Gebührenverzeichnis (Anlage zu § 79 SächsDG) ergeben. Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 3 SächsDG
i. V. m. § 152
Abs. 1
VwGO).