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Urteil
Erfolglose Berufung eines Polizeikommissars gegen die Feststellung seiner Polizeidienstunfähigkeit

Gericht:

OVG Nordrhein-Westfalen 6. Senat


Aktenzeichen:

6 A 1235/14 | 6 A 1235.14


Urteil vom:

27.04.2016


Leitsätze:

Der Polizeivollzugsdienst stellt besondere Anforderungen an die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit sowie an die seelische Belastbarkeit, denn der Polizeivollzugsbeamte muss zu jeder Zeit, an jedem Ort und in jeder Stellung einsetzbar sein, die seinem statusrechtlichen Amt entspricht. Der Polizeivollzugsbeamte ist nur dann polizeidienstfähig, wenn er den damit einhergehenden besonderen gesundheitlichen Anforderungen genügt, d.h. seine körperliche und geistige Leistungsfähigkeit sowie seine seelische Belastbarkeit eine uneingeschränkte Verwendung im gesamten polizeilichen Einsatzbereich - insbesondere auch das körperliche Vorgehen gegen Rechtsbrecher, die Anwendung unmittelbaren Zwangs und den Gebrauch von Schusswaffen - zulässt.

Maßgeblich konkretisiert wird der Begriff der Polizeidienstunfähigkeit durch die PDV 300, die auch Fürsorgegesichtspunkten Rechnung trägt. Sie fasst aufgrund besonderer Sachkunde gewonnene (ärztliche) Erfahrungssätze zusammen, die die besonderen Anforderungen des Polizeivollzugsdienstes an die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit sowie an die seelische Belastbarkeit berücksichtigen.

Ein Polizeivollzugsbeamter, der aufgrund einer dauerhaften einseitigen Innenohrschwerhörigkeit die Vorgaben der PDV 300 nicht erfüllt, ist polizeidienstunfähig. Die Möglichkeit der Versorgung mit einem Hörgerät steht dieser Feststellung nicht entgegen.

Rechtsweg:

VG Gelsenkirchen, Urteil vom 07.05.2014 - 1 K 5139/08

Quelle:

Justizportal des Landes NRW

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht das beklagte Land vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen

Tatbestand:

Der am 18. September 1967 geborene Kläger steht als Polizeikommissar im Dienst des beklagten Landes. Er ist beim Polizeipräsidium C. tätig.

Nachdem er in der Zeit vom 10. Januar bis 12. Februar 2008 im Klinikum für Rehabilitation C1. T. (Fachbereich Psychosomatik, Psychotherapie) stationär behandelt worden war, äußerte sich Regierungsmedizinaldirektor (damals Oberregierungsmedizinalrat) Dr. L., polizeiärztlicher Dienst des Polizeipräsidiums C. (im Folgenden: Polizeiarzt Dr. L. ), wie folgt:

"Trotz umfangreicher ambulanter Therapiemaßnahmen und jetzt auch einer stationären Therapie vom 10.01.08 bis 12.02.2008 besteht Dienstunfähigkeit bis auf weiteres. Die Entlassung aus dem Krankenhaus erfolgte unter Medikation, die die Kraftfahrtauglichkeit und die Eignung zum sicheren Führen von Waffen beeinträchtigen kann. Es wurde die Empfehlung zu weiterer ambulanter Therapie ausgesprochen.

Darüber hinaus bestehen, wie schon vor dem Krankenhausaufenthalt, folgende Einschränkungen der Verwendungsfähigkeit: Keine Eignung für Dienste mit Lärmexposition (z.B. Martinshorn), keine Eignung für Nachtdienste und keine Eignung für Widerstandshandlungen.

Die vollständige Wiederherstellung der Verwendungsfähigkeit ist auf Sicht von zwei Jahren nicht zu erwarten."

Unter dem 26. Februar 2008 bat das Polizeipräsidium C. den Leitenden Regierungsmedizinaldirektor Dr. I., polizeiärztlicher Dienst des Landesamtes für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei NRW (im Folgenden: Polizeiarzt Dr. I. ), den Kläger auf seine Polizeidienstfähigkeit und allgemeine Dienstfähigkeit zu untersuchen.

Unter dem 30. Mai 2008 erstellte Polizeiarzt Dr. I. , nachdem er den Kläger am 18. April 2008 untersucht und die Krankenakten ausgewertet hatte, ein Gutachten. Er diagnostizierte folgende Erkrankungen: "Schwerhörigkeit rechtes Ohr mit Tinnitus nach Hörsturz und zeitweiligem Vestibularisausfall, Anpassungsstörung, degenerative Wirbelsäulenveränderungen bei Bandscheibenprotrusion L 4/L 5 und L 5/S 1, Grenzwerthypertonie". Ferner führte er aus:

"Im Vordergrund der gesundheitlichen Beeinträchtigungen besteht eine Anpassungsstörung des Beamten bei einer familiären Belastungssituation aufgrund einer schwerwiegenden Erkrankung des Sohnes, einer Erkrankung der Ehefrau sowie einer innerdienstlichen Konfliktsituation. Durch diese Anpassungsstörung kommt es zudem zu einer Verstärkung eines bekannten Tinnitus. Entsprechende therapeutische Maßnahmen wurden durchgeführt, eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme erfolgte im Januar d.J. Trotz Rehabilitationsmaßnahme konnte keine grundlegende gesundheitliche Besserung erreicht werden. Der Beamte wurde von der Rehabilitationsklinik für den Wach- und Wechseldienst als dienstunfähig entlassen und als für Nachtdienste nicht einsatzfähig gesehen. Dieser medizinischen Bewertung der Gesundheitsstörung schließe ich mich aus polizeiärztlicher Sicht an.

Zudem bestehen an relevanten Krankheiten eine ausgeprägte Hörstörung des rechten Ohres (Schwerhörigkeit und Tinnitus) nach einem Hörsturz sowie degenerative Veränderungen der Lendenwirbelsäule mit Bandscheibenvorfällen L4/L5 und L5/S1.

Aufgrund der Hörstörung ist der Beamte nicht in Bereichen einsetzbar, die als Lärmarbeitsplatz gelten bzw. auf denen ein genaues Hören erforderlich ist (...).

Der Beamte ist aufgrund der Hörstörung des rechten Ohres, der degenerativen Wirbelsäulenveränderungen sowie der Anpassungsstörung mit begleitendem Tinnitus polizeidienstunfähig gemäß §194 LBG, durch therapeutische Maßnahmen ist keine grundsätzliche Besserung der Gesundheitsstörung erreichbar. Eine allgemeine Dienstfähigkeit gemäß § 45 LBG ist gegeben. Innerhalb des Polizeidienstes kann der Beamte bei Erhalt des Biorhythmusses (Früh- und Spätdienst) eingesetzt werden. An einem Lärmarbeitsplatz darf der Beamte nicht verwendet werden, ebenso nicht in Bereichen, wo ein genaues Hören erforderlich ist. Aufgrund der degenerativen Wirbelsäulenveränderungen darf der Beamte nicht in Bereiche mit oben genannten Einschränkungen (Heben, Tragen, Arbeiten unter Zwangsbelastung) eingesetzt werden."

Das Polizeipräsidium C. teilte Polizeiarzt Dr. L. unter dem 15. August 2008 mit, nach dem Gutachten des Polizeiarztes Dr. I. vom 30. Mai 2008 sei der Kläger zwar polizeidienstunfähig, aber "grundsätzlich allgemein dienstfähig". Da er seit dem 24. September 2007 ununterbrochen dienstunfähig erkrankt sei, solle der "möglichen Weichenstellung in Richtung auf einen Laufbahnwechsel aber auf jeden Fall eine "Erprobung" in der Verwaltung vorgeschaltet werden". Es bat Dr. L. zu der Frage Stellung zu nehmen, ob nach dem aktuellen Gesundheitszustand eine Dienstleistung in der Verwaltung möglich sei.

Dieser teilte dem Polizeipräsidium C. unter dem 9. September 2008 mit:

"Auf Grund einer Untersuchung im PÄD vom 08.09.08 besteht bei Herrn L. derzeit noch Therapiebedarf. Er wird jedoch ab 13.10.08 dienstfähig für die allgemeine Verwaltung sein (...)."

Das Polizeipräsidium C. stellte mit Bescheid vom 15. September 2008, dem Kläger zugestellt am 16. September 2008, dessen Polizeidienstunfähigkeit fest und verwies auf das Gutachten des Polizeiarztes Dr. I. vom 30. Mai 2008. Weiter führte es aus:

"Die gesundheitliche Eignung für den allgemeinen Verwaltungsdienst gemäß § 45 LBG NRW wird durch den Gutachter jedoch grundsätzlich bejaht, so dass aus polizeiärztlicher Sicht ein Wechsel in eine Laufbahn der allgemeinen Verwaltung in Betracht kommt.

Ich (...) halte Sie grundsätzlich für den Wechsel in eine Laufbahn der allgemeinen Verwaltung geeignet. Die Eignungsfeststellung wird jedoch den Hinweisen aus dem polizeiärztlichen Gutachten folgend unter den Vorbehalt eines erfolgreichen praktischen Arbeitsversuchs in der allgemeinen Verwaltung im zeitlichen Rahmen von (zunächst) drei Monaten gestellt.

Nach einer aktuellen polizeiärztlichen Einschätzung von Herrn Oberregierungsmedizinalrat Dr. L. vom 09. September 2008 wird bei Ihnen ab dem 13. Oktober 2008 auch gesundheitlich eine Dienstaufnahme in der allgemeinen Verwaltung möglich sein.

Ich bitte Sie daher, den Dienst in der allgemeinen Verwaltung im Sinne eines praktischen Arbeitsversuchs aufzunehmen.

Bitte melden sie sich am (...) 13. Oktober 2008 (...) zum Dienstantritt (...).

Nach Bestandskraft der Feststellung Ihrer Polizeidienstunfähigkeit und erfolgreichem Verlauf des praktischen Arbeitsversuchs beabsichtige ich, Sie unter Zuerkennung der allgemeinen Dienstfähigkeit der Bezirksregierung B. für die Zulassung zu einem Wechsel in den allgemeinen Verwaltungsdienst des Landes Nordrhein-Westfalen vorzuschlagen."

Dem Kläger wurde für die Dauer des dreimonatigen Arbeitsversuchs ein Arbeitsplatz in der Inspektion ZI 1, Dezernat 14, zugewiesen. Am 13. Oktober 2008 trat er dort seinen Dienst an.

Der Kläger hat am 30. September 2008 Klage erhoben. Er hat privatärztliche Stellungnahmen der Fachärzte für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde Dr. W. vom 10. Juli 2008 und Dr. Z. vom 22. August 2008, des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Q. vom 16. Oktober 2008 und des Facharztes für Orthopädie und Chirurgie Dr. L1. vom 27. Oktober 2008 vorgelegt und im Wesentlichen vorgetragen:

Er sei polizeidienstfähig. Keine der vom Polizeiarzt Dr. I. aufgeführten Diagnosen führe zur Polizeidienstunfähigkeit.

Die bezüglich des rechten Ohres diagnostizierte Schwerhörigkeit mit Tinnitus nach einem Hörsturz im Jahr 1988 sei bereits seit fast 20 Jahren bekannt. Er habe seit dem Hörsturz seinen Dienst in allen Bereichen ohne Einschränkungen versehen können und sei über lange Zeit auch in lärmrelevanten Bereichen eingesetzt worden. Der dem polizeiärztlichen Gutachten vom 30. Mai 2008 zugrundeliegende Hörtest habe unzutreffende Werte erbracht, weil er seinerzeit an einer Entzündung im rechten Ohr gelitten habe.

Die Anpassungsstörung sei vollkommen ausgeheilt. Die vom Polizeiarzt Dr. I. -ze festgestellten degenerativen Wirbelsäulenveränderungen seien seit längerer Zeit bekannt. Seit Mitte Mai 2007 habe er keine Wirbelsäulenbeschwerden mehr. Körperliche Tätigkeiten könne er ohne Einschränkung ausführen.

Der Polizeiarzt Dr. I. hätte, da ihm die erforderlichen fachärztlichen Kenntnisse fehlten, auf Stellungnahmen von Fachärzten für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, für Neurologie und für Orthopädie zurückgreifen müssen.

Selbst wenn man von der Richtigkeit seiner Ausführungen ausginge, könne er, der Kläger, entsprechend der Öffnungsklausel des § 194 Abs. 1 Halbsatz 2 LBG NRW a.F. im Innendienst verwendet werden.

Schließlich hätte zunächst ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchführt werden müssen.

Das beklagte Land hat im erstinstanzlichen Verfahren eine ergänzende Stellungnahme des Polizeiarztes Dr. I. vom 31. März 2009 vorgelegt. Dort heißt es u.a.:

"Im Rahmen der gutachterlichen Untersuchung erfolgte eine audiometrische Untersuchung. Es zeigte sich eine Schwerhörigkeit des rechten Ohres, der konkrete Hörverlust kann nur nach Einsicht in die Krankenakte (vorliegendes Audiogramm) angegeben werden. Dr. W. attestierte am 01.06.2007: "Hörsturz re. mit Vestibularisausfall. Ein Einsatz als Kradfahrer ist aus HNO-Sicht z.Zt. nicht möglich." Das St. K.- und F. -Hospital (Klinik für HNO) attestierte mit Brief vom 09.05.2007: Diagnose: "Z.n. Hörsturz re., jetzt intermittierend Schwindel, im Audiogramm Innenohrschwerhörigkeit re. In der Vestibularis-prüfung Untererregbarkeit re."

(...)

Die Bewertung der Polizeidienstfähigkeit erfolgte gemäß der PDV 300 (...). Im Rahmen der gutachterlichen Untersuchung bestand eine deutliche Hörminderung rechts. Bereits 2007 wurde durch das St. K. Hospital sowie Dr. W. eine Innenohrschwerhörigkeit rechts attestiert (...). Es muss davon ausgegangen werden, dass auch weiterhin eine relevante Innenohrschwerhörigkeit rechts vorliegt (...). Aufgrund der wiederholt fachärztlich festgestellten und attestierten Hörstörung besteht eine Polizeidienstunfähigkeit gem. § 194 LBG NW.

(...)

Gemäß Aktenlage erfolgte 1989, 2004 und 2007 eine ärztliche Behandlung aufgrund der Wirbelsäulenbeschwerden (...). Wenn auch zurzeit eine Beschwerdefreiheit besteht, ist die Dienstunfähigkeit durch die degenerativen Wirbelsäulenveränderungen dadurch beeinträchtigt, dass der Beamte von körperlich belastenden Tätigkeiten (...) zu befreien ist.

(...)

Bezüglich der Anpassungsstörung schreibt die Rechtsanwältin, dass die Anpassungsstörung nicht mehr gegeben ist. Zum Zeitpunkt der Begutachtung bestand die Erkrankung (...)."

Ergänzend hat das beklagte Land im Wesentlichen vorgetragen:

Die vom Kläger vorgelegten privatärztlichen Stellungnahmen berücksichtigten die Polizeidienstvorschrift "Ärztliche Beurteilung der Polizeidiensttauglichkeit und Polizeidienstfähigkeit" (PDV 300) nicht und beruhten nicht auf hinreichend zuverlässigen Diagnosemethoden.

Es bestehe die Möglichkeit des Laufbahnwechsels (vgl. § 194 Abs. 3 LBG NRW a.F.). Eine Weiterverwendung im Polizeivollzugsdienst trotz festgestellter Polizeidienstunfähigkeit (vgl. § 194 Abs. 1 Halbsatz 2 LBG NRW a.F.) sei im Falle des Klägers aufgrund seines Lebensalters nicht möglich. Für unter 50jährige sei diese Möglichkeit "im Rahmen des anerkannten Organisationsermessens der Behörde in der Verfügung vom 06.05.2009" ausgeschlossen worden. Auch die "vorherige Regelung vom 10.10.2007" habe bereits eine "derartige Weiterverwendung für Lebensjüngere" ausgeschlossen.

Ein betriebliches Eingliederungsmanagement habe nicht durchgeführt werden müssen.

Das Verwaltungsgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychoanalyse, für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie und Forensische Psychiatrie Prof. Dr. B1. (Universitätsklinikum N. ) nebst Zusatzgutachten aus den Fachgebieten der Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde sowie der Orthopädie. Wegen der Einzelheiten wird auf das psychiatrisches Gutachten des Prof. Dr. B1. vom 23. März 2011 (Bl. 262 ff. der Gerichtsakte), das orthopädisches Zusatzgutachten des Prof. Dr. H. (Universitätsklinikum N. ) vom 9. März 2011 (Bl. 233 ff. der Gerichtsakte) und das hals-nasen-ohrenärztliche Zusatzgutachten des Dr. C2. (Universitätsklinikum N. ) vom 27. Oktober 2010 (Bl. 191 ff. der Gerichtsakte) verwiesen.

Diesbezüglich hat der Kläger weiter vorgetragen, der Polizeiarzt Dr. I. sei nach dem psychiatrischen Gutachten fehlerhaft davon ausgegangen, dass eine Anpassungsstörung über die Dauer von zwei Jahren fortbestehen würde. Auch das orthopädische und das hals-nasen-ohrenärztliche Zusatzgutachten ließen seine Polizeidienstunfähigkeit nicht erkennen. Die Vorgaben der PDV 300 könnten, soweit sein rechtes Ohr betroffen sei, mit einer Hörhilfe erfüllt werden.

Das beklagte Land hat Einwendungen gegen das psychiatrische Gutachten und das orthopädische Zusatzgutachten erhoben. Das Verwaltungsgericht hat Prof. Dr. B1. sowie Prof. Dr. H. unter dem 21. Oktober 2011 und Ersteren erneut unter dem 21. September 2012 gebeten, zu diesen Einwendungen Stellung zu nehmen. Gegen die Stellungnahmen des Prof. Dr. B1. vom 13. November 2012 und des Prof. Dr. H. vom 9. März 2012 hat das beklagte Land erneut Einwendungen erhoben und sich auf ergänzende Ausführungen des Polizeiarztes Dr. I. gestützt.

Das Verwaltungsgericht hat den Beteiligten unter dem 22. März 2013 mitgeteilt, es beabsichtige im Hinblick auf die umfangreichen Einwendungen des beklagten Landes gegen die eingeholten Gutachten drei neue Gutachten - ein psychiatrisches Hauptgutachten sowie ein orthopädisches und ein hals-nasen-ohren-ärztliches Zusatzgutachten - am Universitätsklinikum C3. einzuholen.

Das beklagte Land hat daraufhin mitgeteilt, aus seiner Sicht sei die Einholung weiterer Gutachten nicht erforderlich. Die Feststellung der Polizeidienstunfähigkeit sei schon allein auf die Gutachten des Polizeiarztes Dr. I. vom 30. Mai 2008 und des Dr. C2. vom 27. Oktober 2010 zu stützen. Beide hätten eindeutig festgestellt, dass die Vorgaben der PDV 300 nicht erfüllt seien.

Die Möglichkeit der Versorgung mit einem Hörgerät ändere hieran nichts. Üblicherweise werde zwar mit einem Hörgerät eine deutliche Besserung des Hörvermögens erreicht. Der Beamte sei aber bei Verlust/Schädigung des Hörgeräts bzw. bei einer Funktionsstörung dienstlich unter Umständen hochgradig eingeschränkt. Außerdem sei auch bei einer Versorgung mit einem Hörgerät eine Beeinträchtigung des Hörvermögens zu besorgen, insbesondere bei mehreren Gesprächsteilnehmern oder lauten Umgebungsgeräuschen. Beim Führen von Fahrzeugen mit Martinshorn müsse auch der Funk verlässlich verstanden werden können. Überdies sei im Rahmen der dienstlichen Tätigkeit jederzeit eine Lärm- bzw. Knallbelastung möglich, die zu einem weiteren Hörverlust führen könne. Vor diesem Risiko müsse der Kläger geschützt werden.

Der Kläger hat dem entgegengehalten, es sei ihm unverständlich, warum allein sein beeinträchtigtes Hörvermögen zur Polizeidienstunfähigkeit führen solle.


Er hat beantragt,

den Bescheid des Polizeipräsidiums C. vom 15. September 2008 aufzuheben.


Das beklagte Land hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 7. Mai 2014 abgewiesen. Der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig. Der Beteiligung des Personalrats habe es nach der damals geltenden Fassung des Landespersonalvertretungsgesetzes NRW nicht bedurft. Die Feststellung der Polizeidienstunfähigkeit setze auch nicht die vorherige Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements voraus. Abgesehen davon hätte ein betriebliches Eingliederungsmanagement vorliegend wegen des dauerhaften Gehörschadens des Klägers keinen Erfolg haben können. Zutreffend habe das beklagte Land die Polizeidienstunfähigkeit des Klägers festgestellt und diese Feststellung auf § 194 Abs. 1 Halbsatz 1 LBG NRW a.F. gestützt. Der Begriff der Polizeidienstfähigkeit werde maßgeblich konkretisiert durch die PDV 300. Aufgrund der Hörbeeinträchtigung seines rechten Ohres erfülle der Kläger nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. C2. die Vorgaben der PDV 300 nicht.

Die damit feststehende Polizeidienstunfähigkeit des Klägers entfalle auch nicht durch die Möglichkeit der Versorgung des rechten Ohres mit einem Hörgerät. Ein Hörgerät vermöge nur einen Teil der Einschränkungen, die mit einem Gehörschaden wie dem des Klägers verbunden seien, zu kompensieren. Trotz der grundsätzlichen Verbesserung des Hörvermögens durch ein Hörgerät verblieben wesentliche Einschränkungen, insbesondere bei mehreren Gesprächsteilnehmern und bei störenden Umgebungsgeräuschen.

Da die Polizeidienstunfähigkeit des Klägers bereits aus der Schädigung des rechten Ohres folge, bedürfe es keiner abschließenden Prüfung mehr, ob die Polizeidienstfähigkeit auch unter den Aspekten anderer medizinischer Fachgebiete herzuleiten sei.

Die vom beklagten Land im angefochtenen Bescheid getroffene Feststellung der Polizeidienstunfähigkeit des Klägers beinhalte zugleich die ebenfalls nicht zu beanstandende Entscheidung, dass er auch die Voraussetzungen des § 194 Abs. 1 Halbsatz 2 LBG NRW a.F. nicht erfülle, der eine Rechtsfolgenbeschränkung normiere. Die Entscheidung gemäß § 194 Abs. 1 Halbsatz 2 LBG NRW a.F. verlange vom Dienstherrn eine Ermessensentscheidung über eine Beschränkung der sich aus § 194 Abs. 1 Halbsatz 1 LBG NRW a.F. ergebenden Rechtsfolgen. Diese Entscheidung habe das beklagte Land im angefochtenen Bescheid erkennbar getroffen. Das nach § 194 Abs. 1 Halbsatz 2 LBG NRW a.F. auszuübende Ermessen sei hier zu Lasten einer Weiterverwendung im Polizeivollzugsdienst auf Null reduziert. Dies folge aus der Verwaltungspraxis des Polizeipräsidiums C. in Verbindung mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.

Der Kläger hat gegen das ihm am 15. Mai 2014 zugestellte Urteil am 12. Juni 2014 die Zulassung der Berufung beantragt. Er hat diesen Antrag am 3. Juli 2014 begründet. Der Senat hat mit Beschluss vom 5. August 2015 die Berufung zugelassen.

Mit der am 24. August 2015 eingegangenen Berufungsbegründung trägt der Kläger im Wesentlichen vor:

Das Verwaltungsgericht stelle darauf ab, dass er nach der PDV 300 schwerhörig sei. Der daraus gezogene Schluss, er könne diesen Mangel mit einem Hörgerät nicht ausgleichen, sei nicht nachvollziehbar. Insofern werde unkritisch unterstellt, dass ein Hörgerät nur einen Teil der Einschränkungen, die mit einem Gehörschaden verbunden seien, zu kompensieren vermöge. Gleichzeitig führe das Gericht aus, dass trotz der grundsätzlichen Verbesserung des Hörvermögens durch ein Hörgerät wesentliche Einschränkungen verblieben. Dass bei den heutigen digitalen Hörgeräten solche Einschränkungen verblieben, sei nicht nachvollziehbar. Woher das Gericht seine Erkenntnis nehme, sei ebenfalls unklar. Es sei nicht davon auszugehen, dass das Gericht aus eigener Sachkunde in der Lage sei, dies einzuschätzen.

Eine Ermessensentscheidung i.S.v. § 194 Abs. 1 Halbsatz 2 LBG NRW a.F enthalte der angefochtene Bescheid nicht. Dort werde nicht ausgeführt, warum seine, des Klägers, Weiterverwendung im Polizeivollzugsdienst nicht möglich sein solle.


Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und den Bescheid des Polizeipräsidiums C. vom 15. September 2008 aufzuheben.


Das beklagte Land beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Es trägt im Wesentlichen vor: Den Feststellungen des Verwaltungsgerichts zur Polizeidienstunfähigkeit des Klägers infolge einer deutlichen Hörminderung des rechten Ohrs werde uneingeschränkt beigetreten.

Ein Hörgerät könne zwar grundsätzlich das Hörvermögen verbessern, eine entsprechende Versorgung schütze jedoch nicht vor einer weitergehenden Schädigung durch Lärm. Da Einsatzfahrten unter Verwendung des Martinshorns, Schießtraining bzw. eventuell erforderlicher Schusswaffengebrauch sowie der Einsatz an Orten mit erhöhter Lärmbelastung wie beispielsweise der D. Kirmes zu den alltäglichen Belastungen von Polizeivollzugsbeamten gehörten, sei der Kläger aufgrund der vorliegenden Schädigung seines Hörvermögens hiervor auch unter fürsorgerischen Gesichtspunkten zu schützen. Selbst wenn mit dem Kläger angenommen würde, dass bei einer Versorgung mit einem modernen digitalen Hörgerät keinerlei Einschränkungen seines Hörvermögens mehr vorlägen, liege aus dem vorgenannten Grund dennoch Polizeidienstunfähigkeit vor.

Auch den gerichtlichen Feststellungen in Bezug auf den Ausschluss einer Weiterverwendung des Klägers im Polizeivollzugsdienst werde gefolgt. Das Polizeipräsidium C. habe sich für eine Altersgrenze von 50 Jahren bei der Weiterverwendung von Polizeivollzugsbeamten im Polizeivollzugsdienst entschieden. Der streitgegenständliche Bescheid enthalte den Hinweis, dass in Abhängigkeit von einem erfolgreichen Arbeitsversuch die Eignung für einen Laufbahnwechsel grundsätzlich gegeben sei. Konkret hätte "unter Darlegung der behördlichen Regelungen" darüber aber erst nach Abschluss des Arbeitsversuchs sowie rechtskräftiger Feststellung der Polizeidienstfähigkeit entschieden werden können.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts geben zunächst Veranlassung zur Klarstellung, dass der Regelungsgehalt des angefochtenen Bescheides sich auf die Feststellung der Polizeidienstunfähigkeit des Klägers beschränkt. Rechtsgrundlage für diese Feststellung ist § 194 Abs. 1 Halbsatz 1 des Landesbeamtengesetzes in der Fassung des Art. I Nr. 27 des Achten Gesetzes zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften vom 10. Februar 1998 (GV. NRW. S. 134) (im Folgenden: LBG NRW a.F.). Der Bescheid beinhaltet - wie die Vertreterin des beklagten Landes im Rahmen des Erörterungstermins vom 15. Dezember 2015 bekräftigt hat - keine Entscheidung über die weitere Verwendung des Klägers, mithin weder eine Entscheidung im Sinne von § 194 Abs. 1 Halbsatz 2 LBG NRW a.F., der keine Tatbestandseinschränkung, sondern eine auf polizeidienstunfähig gewordene Beamte bezogene Rechtsfolgenbeschränkung enthält,

vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 3. März 2005

- 2 C 4.04 -, ZBR 2005, 308; OVG NRW, Beschlüsse vom 13. September 2012 - 1 A 644/12 -, juris, vom 27. April 2010 - 6 A 224/08 -, juris, und vom 13. Juli 2006 - 6 B 560/06 -, juris, sowie Urteil vom 1. August 2003 - 6 A 1579/02 -, NWVBl. 2004, 58,

noch die Anordnung eines Laufbahnwechsels i.S.d. § 194 Abs. 3 LBG NRW a.F. Das Polizeipräsidium C. hat in dem Bescheid vielmehr lediglich ausgeführt, dass es nach Bestandskraft der Feststellung der Polizeidienstunfähigkeit beabsichtige, einen Laufbahnwechsel anzuordnen, falls der mehrmonatige Arbeitsversuch in der allgemeinen Verwaltung erfolgreich verlaufe. Die Entscheidung über die weitere Verwendung Klägers sollte somit erst nach Abschluss und in Abhängigkeit vom Ergebnis des seinerzeit anstehenden Arbeitsversuchs getroffen werden.

Vor diesem Hintergrund hat das Verwaltungsgericht jedenfalls im Ergebnis zu Recht angenommen, dass der angefochtene Bescheid formell (I.) und materiell (II.) rechtmäßig ist.

I. Der angefochtene Bescheid ist formell rechtmäßig.

1. Die Nichtbeteiligung des Personalrats ist nicht zu beanstanden. Das Landespersonalvertretungsgesetz (LPVG NRW) in der maßgeblichen Fassung des Art. 2 des Gesetzes zur Stärkung der Eigenverantwortung von Schulen vom 24. Juni 2008 (GV. NRW. S. 486) sah die Beteiligung des Personalrats bei der Feststellung der Polizeidienstunfähigkeit nicht vor. Erst durch Art. 1 Nr. 51 a) ff) des Gesetzes zur Änderung des LPVG NRW und des WDR-Gesetzes vom 5. Juli 2011 (GV. NRW. S. 348) ist die Feststellung der Polizeidienstunfähigkeit in den Mitbestimmungstatbestand des § 72 Abs. 1 Nr. 9 LPVG NRW einbezogen worden.

2. Bei der Feststellung der Polizeidienstunfähigkeit handelte es sich seinerzeit auch nicht um eine der Mitwirkung der Gleichstellungsbeauftragten unterliegende Maßnahme.

Nach § 17 Abs. 1 Halbsatz 1 des Landesgleichstellungsgesetzes (LGG) unterstützt die Gleichstellungsbeauftragte die Dienststelle und wirkt bei der Ausführung des Gesetzes sowie aller Vorschriften und Maßnahmen mit, die Auswirkungen auf die Gleichstellung von Mann und Frau haben oder haben können. Dies gilt nach § 17 Abs. 1 Halbsatz 2 Nr. 1 LGG insbesondere für personelle Maßnahmen. Der Wortlaut des § 17 Abs. 1 Halbsatz 2 Nr. 1 LGG legt zwar ein weites Begriffsverständnis nahe. Dort findet sich lediglich die allgemeine Formulierung "personelle Maßnahmen" und nicht etwa eine Auflistung konkret bezeichneter personeller Maßnahmen. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs bestimmt sich der Kreis der mitwirkungspflichtigen "personellen Maßnahmen" im Sinne des § 17 Abs. 1 Halbsatz 2 Nr. 1 LGG indes in Anlehnung an die in §§ 72 ff. LPVG NRW geregelten Angelegenheiten,

vgl. LT-Drucksache 12/3959, S. 59 f.

Die Feststellung der Polizeidienstunfähigkeit zählte weder im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Landesgleichstellungsgesetzes vom 9. November 1999 (GV. NRW. S. 590) noch - wie dargestellt - im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheides zu den Angelegenheiten, die nach §§ 72 ff. LPVG NRW der Mitbestimmung des Personalrates unterliegen, so dass es vorliegend der Mitwirkung der Gleichstellungsbeauftragten nicht bedurfte.

3. Die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (vgl.§ 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX) ist für die vorzeitige Versetzung eines Beamten in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit,

vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 5. Juni 2014 - 2 C 22.13 -, BVerwGE 150, 1; OVG NRW, Beschluss vom 21. Mai 2010 - 6 A 816/09 -, ZBR 2011, 58,

und erst recht für die (bloße) Feststellung der Polizeidienstunfähigkeit keine formelle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung.


II. Der angefochtene Bescheid ist auch materiell rechtmäßig.

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Polizeidienstunfähigkeit ist derjenige der letzten Verwaltungsentscheidung,

vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12. Januar 2009 - 6 A 639/07 -, juris,

mithin hier der Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheides. Der Kläger war in diesem Zeitpunkt polizeidienstunfähig i.S.v. § 194 Abs. 1 Halbsatz 1 LBG NRW a.F.

Nach dieser Bestimmung ist der Polizeivollzugsbeamte dienstunfähig, wenn er den besonderen gesundheitlichen Anforderungen für den Polizeivollzugsdienst nicht mehr genügt und nicht zu erwarten ist, dass er seine volle Verwendungsfähigkeit innerhalb von zwei Jahren wiedererlangt (Polizeidienstunfähigkeit).

Der Polizeivollzugsdienst stellt besondere Anforderungen an die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit sowie an die seelische Belastbarkeit, denn der Polizeivollzugsbeamte muss zu jeder Zeit, an jedem Ort und in jeder Stellung einsetzbar sein, die seinem statusrechtlichen Amt entspricht.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 3. März 2005 - 2 C 4.04 -, a.a.O.

Der Polizeivollzugsbeamte ist nur dann polizeidienstfähig, wenn er den damit einhergehenden besonderen gesundheitlichen Anforderungen genügt, d.h. seine körperliche und geistige Leistungsfähigkeit sowie seine seelische Belastbarkeit eine uneingeschränkte Verwendung im gesamten polizeilichen Einsatzbereich - insbesondere auch das körperliche Vorgehen gegen Rechtsbrecher, die Anwendung unmittelbaren Zwangs und den Gebrauch von Schusswaffen - zulässt. Gerade bei stressbehafteten polizeilichen Einsätzen muss von einem Polizeivollzugsbeamten erwartet werden können, dass er in der Lage ist, seinen polizeilichen Aufgaben vollumfänglich Genüge zu tun.

Maßgeblich konkretisiert wird der Begriff der Polizeidienstunfähigkeit durch die Polizeidienstvorschrift (PDV) 300 "Ärztliche Beurteilung der Polizeidiensttauglichkeit und der Polizeidienstfähigkeit" (im Folgenden: PDV 300), die auch Fürsorgegesichtspunkten Rechnung trägt. Sie fasst aufgrund besonderer Sachkunde gewonnene (ärztliche) Erfahrungssätze zusammen, die die besonderen Anforderungen des Polizeivollzugsdienstes an die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit sowie an die seelische Belastbarkeit berücksichtigen.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 17. Februar 2014 - 6 A 1552/12 -, juris, und vom 12. November 2013 - 6 B 1226/13 -, juris, m.w.N.

Nach Nr. 3.1.3.3 der PDV 300 in der sowohl im Zeitpunkt der Erstellung des polizeiärztlichen Gutachten vom 30. Mai 2008 als auch im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheides geltenden Fassung, mithin der "Ausgabe 1998", im Folgenden: PDV 300 (Ausgabe 1998), kann die Polizeidienstunfähigkeit u.a. durch die Schwäche körperlicher Kräfte (z.B. Einschränkung des Hörvermögens) bedingt sein.

Hinsichtlich des Hörvermögens sind unter Nr. 6.3 der Anlage 1 der PDV 300 (Ausgabe 1998) folgende Beurteilungsmaßstäbe angeführt:

"Der Polizeibeamte muss über ein normales Hörvermögen verfügen. Auch eine geringfügige Innenohrschwerhörigkeit neigt zu Progredienz, begünstigt als Vorschädigung spätere Lärmschäden und kann dadurch zu vorzeitiger Dienstunfähigkeit führen.

Die Prüfung des Hörorgans durch Feststellung der Hörfähigkeit für Umgangs- und Flüstersprache im Abstand von fünf Metern ist mit zahlreichen Fehlermöglichkeiten belastet. In Anlehnung an die berufsgenossenschaftlichen Grundsätze für arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen (G 20) wird die Hörprüfung mit einem Audiometer bei Frequenzen zwischen 250 und 6000 Hz durchgeführt. Unter Berücksichtigung eines eventuellen Störpegels muss die Mehrzahl der geprüften Frequenzen bis 20 dBA gehört werden.

Eine Abweichung auf mehr als 30 dBA schon bei einer Frequenz ist nicht zulässig."

Nach diesen Maßgaben war der Kläger im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheides polizeidienstunfähig. Aufgrund der Beeinträchtigung des Hörvermögens seines rechten Ohres waren seinerzeit, dies stellt der Kläger auch nicht in Abrede, die Vorgaben der PDV 300 (Ausgabe 1998) nicht erfüllt (1.). Er genügte damit nicht den besonderen Anforderungen, die der Polizeivollzugsdienst an seine körperliche Leistungsfähigkeit stellt (2.). Es war nicht zu erwarten ist, dass er seine volle Verwendungsfähigkeit innerhalb von zwei Jahren wiedererlangt (3.).

1. Nach den Gutachten des Polizeiarztes Dr. I. vom 30. Mai 2008 ist das Hörvermögen des rechten Ohres des Klägers beeinträchtigt. Der Polizeiarzt Dr. I. hat eine "Schwerhörigkeit rechtes Ohr" bzw. "ausgeprägte Hörstörung des rechten Ohres" diagnostiziert. Diese Diagnose sowie die seinerzeitige Feststellung des Polizeiarztes, das Hörvermögen des Klägers erfülle die Vorgaben der PDV 300 (Ausgabe 1998) nicht, ist durch das Gutachten des Dr. C2. vom 27. Oktober 2010 bestätigt worden. Er hat eine jedenfalls seit dem Jahr 2006 bestehende "Innenohrschwerhörigkeit rechts" diagnostiziert und ausgeführt (vgl. S. 26 und 30 des Gutachtens):

"Tonaudiometrisch besteht eine von den tiefen zu den hohen Frequenzen kontinuierlich zunehmende Schallempfindungsschwerhörigkeit rechts, die (...) auf eine Funktionsstörung des Innenohres zurückgeführt werden kann.

(...)

Im Hinblick auf die Polizeidiensttauglichkeit bzw. Polizeidienstfähigkeit wird darauf hingewiesen, dass "auf dem rechten Ohr lediglich die Frequenzen 125 Hz und 250 Hz besser als 20 dB(A) gehört werden und alle Frequenzen von 500 Hz und darüber (500 Hz bis 8000 Hz) bei 25 dB(A) und schlechter gehört werden. (...) Damit sind die Vorgaben der PDV 300 für das rechte Ohr ohne Hörhilfe nicht erfüllt (...)".

Nach dem dem Gutachten des Dr. C2. beigefügten Tonaudiogramm hätte das Hörvermögen des Klägers im Übrigen auch die Vorgaben der Nr. 6.3 der Anlage 1.1 der PDV 300 in der aktuellen Fassung, mithin der "Ausgabe 2012", im Folgenden: PDV 300 (Ausgabe 2012), nicht erfüllt. Dort ist bestimmt:

"Der Polizeibeamte muss über ein normales Hörvermögen verfügen. Auch eine geringfügige Innenohrschwerhörigkeit neigt zu Progredienz, begünstigt als Vorschädigung spätere Lärmschäden und kann dadurch zu vorzeitiger Dienstunfähigkeit führen.

Die Hörprüfung hat nach dem berufsgenossenschaftlichen Grundsatz für arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen (G 20) zu erfolgen. Die Beurteilung erfolgt nach der Tabelle 1 ‚Hörverlustgrenzwerte für Erstuntersuchung‘ des G 20. Bei Untersuchung auf Polizeidienstfähigkeit erfolgt die Untersuchung nach der Tabelle 2 "Hörverlustgrenzwerte für Nachuntersuchungen" des G 20."

Der Kläger war im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheides fast 41, im Zeitpunkt der Begutachtung 43 Jahre alt. Nach der genannten Tabelle 2 beträgt der Hörverlustgrenzwert, d.h. die Summe der Hörverluste bei 2, 3 und 4 kHz, bei einem Lebensalter zwischen 40 und 45 Jahren 115 dB. Nach dem Tonaudiogramm (vgl. Seite 15 des Gutachtens des Dr. C2.) betrug die Summe der Hörverluste des rechten Ohrs des Klägers bei 2, 3 und 4 kHz 165 dB, so dass eine deutliche Überschreitung des Hörverlustgrenzwertes vorlag.

2. Der Kläger genügte damit nicht den Anforderungen, die der Polizeivollzugsdienst an seine körperliche Leistungsfähigkeit stellt. Die Möglichkeit der Versorgung seines rechten Ohrs mit einem Hörgerät steht dieser Feststellung nicht entgegen.

Dahinstehen kann, inwieweit ein (funktionstüchtiges) Hörgerät das defizitäre Hörvermögen des Klägers ausgleichen könnte. Angemerkt sei allerdings, dass auch neuartige digitale Hörgeräte einen Hörschaden nicht vollständig zu kompensieren vermögen und insbesondere, worauf bereits das Verwaltungsgericht hingewiesen hat, bei mehreren Gesprächsteilnehmern und oder auch bei störenden Umgebungsgeräuschen relevante Einschränkungen verbleiben.

Nicht außer Acht gelassen werden darf jedenfalls, dass es bei einem polizeilichen Einsatz - nicht zuletzt bei körperlichem Vorgehen gegen Rechtsbrecher oder bei der Anwendung unmittelbaren Zwangs - zu einer Funktionsstörung, Schädigung oder zum Verlust des Hörgeräts kommen kann. Dies kann u.a. dazu führen, dass der Kläger aufgrund seiner Schwerhörigkeit bei einem solchen Einsatz überhaupt nicht, nur verzögert oder falsch reagiert und auf diese Weise sich selbst oder andere Personen gefährdet, insbesondere auch Kollegen, die sich darauf verlassen, dass er unverzüglich und in der gebotenen Weise reagiert. Schon vor diesem Hintergrund wäre der Kläger auch im Falle der Versorgung seines rechten Ohrs mit einem Hörgerät nicht im gesamten polizeilichen Einsatzbereich uneingeschränkt verwendbar. Insoweit fügt sich im Übrigen, dass die PDV 300 Maßstäbe zur Beurteilung des Hörvermögens aufstellt, ohne Hörgeräte oder sonstige Hilfsmittel in diese Beurteilung aufzunehmen.

Fürsorgegesichtspunkte, welchen die PDV 300 - wie bereits dargestellt - ebenfalls Rechnung trägt, sind nicht nur aus den vorgenannten Gründen, sondern im Fall der Klägers auch und insbesondere deshalb von Bedeutung, weil davon auszugehen ist, dass die festgestellte Innenohrschwerhörigkeit zu Progredienz neigt und als Vorschädigung spätere Lärmschäden begünstigt (vgl. auch Nr. 6.3 Satz 2 der Anlage 1 der PDV 300 (Ausgabe 1998) bzw. der Anlage 1.1 der PDV 300 (Ausgabe 2012)). Auch die Versorgung des rechten Ohrs mit einem Hörgerät schützt nicht vor einer weitergehenden Schädigung durch Lärm. In Anbetracht dessen ist der Kläger vor Einsätzen mit erhöhter Lärmbelastung - nicht zuletzt in seinem eigenen Interesse - zu schützen. Dementsprechend hat der Polizeiarzt Dr. I. in seinem Gutachten vom 30. Mai 2008 ausgeführt, der Kläger sei aufgrund seiner Hörstörung nicht in Bereichen einsetzbar, "die als Lärmarbeitsplatz gelten". Auch unter diesem Aspekt lag beim Kläger im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheides somit eine gesundheitliche Beeinträchtigung vor, die seine Verwendbarkeit im Polizeivollzugsdienst einschränkte.

3. Schließlich war im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheides nicht zu erwarten, dass der Kläger seine volle Verwendungsfähigkeit innerhalb von zwei Jahren wiedererlangt. Von einer Verbesserung seines Hörvermögens war nicht auszugehen. Vielmehr war, wie dargestellt, eine weitere Verschlechterung des Hörvermögens zu befürchten.

Nach alledem kann offenbleiben, ob der Kläger seinerzeit auch aufgrund weiterer Beeinträchtigungen seiner körperlichen Leistungsfähigkeit oder aufgrund einer eingeschränkten seelischen Belastbarkeit polizeidienstunfähig war.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 10 und 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO und des § 127 BRRG nicht gegeben sind.

Referenznummer:

R/R7325


Informationsstand: 27.06.2017