Urteil
Streit über die Erstattung der den Festbetrag übersteigenden Kosten einer Hörgeräteversorgung

Gericht:

LSG Hamburg 3. Senat


Aktenzeichen:

L 3 KR 23/17


Urteil vom:

29.01.2019


Grundlage:

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Erstattung von den Festbetrag übersteigenden Kosten einer Hörgeräteversorgung.

Die 1950 geborene Klägerin leidet an einer hochgradigen, an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit. Sie ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert.

Sie beantragte im Mai 2014 die Versorgung mit neuen Hörgeräten. Ihrem Antrag fügte sie eine ärztliche Verordnung für eine Hörhilfe sowie einen Kostenvoranschlag eines Hörgeräteakustikers vom 8. Mai 2014 über 5.427 EUR für das Hörgerätesystem O. bei.

Der Hörgeräteakustiker teilte auf Anfrage der Beklagten mit, dass neben dem O. sieben weitere Hörsysteme getestet worden seien, von denen zwei zuzahlungsfrei seien. Leider seien bei allen angepassten Hörsystemen keine Sprachmessungen möglich gewesen, da das Sprachverstehen eindeutig zu schlecht sei. Die Klägerin habe über ein "variables" Hören - mal höre sie, mal nicht - geklagt, was schwer nachzuvollziehen sei. Die audiologische Begründung für die geplante Versorgung liege daher allein im subjektiven Hörvermögen und Empfinden der Klägerin und lasse sich nicht auf eine objektive Messung stützen. Beigefügt war der Anpassbericht vom 8. Mai 2014, wonach die Freifeldmessung ein Sprachverstehen ohne Systeme rechts und links von 0 % und mit Hörsystemen ebenfalls von 0 % ergeben hat.

Mit Bescheiden vom 12. Juni 2014 gewährte die Beklagte der Klägerin einen Festbetrag von 1.055,44 EUR für das Hörgerät rechts sowie einen Festbetrag von 887,05 für das Hörgerät links. Eine darüber hinausgehende Zahlung lehnte sie ab, da die von der Klägerin gewünschten Geräte nicht erforderlich seien.

Mit ihrem dagegen erhobenen Widerspruch führte die Klägerin aus, dass ihr variables Hörvermögen und ihr ständig vorhandener Tinnitus nicht berücksichtigt worden seien. Die von ihr ausgewählten Geräte könnten das besser ausgleichen und sie könne in erheblich niedrigerem Einstellungsbereich gut verstehen. Sie habe die Kassengeräte getestet und komme mit ihnen nicht zurecht.

Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens holte die Beklagte eine gutachterliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) N. vom 31. Juli 2014 ein. Darin heißt es, die Versorgung mit Hörgeräten des Typs O. sei nicht zwingend medizinisch indiziert, vielmehr reiche eine Versorgung mit zuzahlungsfreien Geräten aus.

Auf erneute Nachfrage der Beklagten bestätigte der Hörgeräteakustiker der Klägerin seine Auffassung, dass die Versorgung mit Festbetragsgeräten ausreichend sei. Die Klägerin selbst empfinde das O. zwar besser, dies sei aber nicht messbar.

Die Klägerin beschaffte sich sodann die von ihr beantragten Hörgeräte selbst und zahlte hierfür gemäß Rechnung vom 6. Dezember 2014 einen Eigenanteil von 3.484,51 EUR.

Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 7. Januar 2015 zurück und führte aus, die Krankenkassen seien nicht dazu verpflichtet, den Versicherten jede gewünschte, von ihnen für optimal gehaltene Versorgung zur Verfügung zu stellen. Bei der Klägerin bestehe eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit. Nach Aussage des Hörgeräteakustikers seien bei allen angepassten Hörsystemen keine Sprachmessungen möglich gewesen. Dies habe auch der MDK bestätigt. Von der Notwendigkeit der beantragten Versorgung sei daher nicht auszugehen.

Mit ihrer am 3. Februar 2015 erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung hat sie sich auf die Ausführungen in ihrem Widerspruch bezogen und ergänzend ausgeführt, dass sie sehr gut mit ihren Hörgeräten kommuniziere und sich damit wohl fühle. Cochlea-Implantate kämen aufgrund der damit verbundenen Kopfoperation und der fraglichen Ergebnisse für sie nicht in Betracht. Sie hat ferner ein Schreiben ihres Hörgeräteanpassers vom 30. Januar 2015 beigefügt, in dem dieser erneut ausgeführt hat, dass eine objektive Messung mit allen angepassten Geräten nicht möglich gewesen sei und die Bewertung allein durch das subjektive Empfinden der Klägerin erfolgt sei. Sein subjektives Empfinden sei, dass mit den angepassten Geräten durchaus eine verbesserte Kommunikation möglich sei.

Das Sozialgericht hat einen Befundbericht des behandelnden Hals-Nasen-Ohren-Arztes Dr. F. vom 14. Juli 2015 und einen Entlassungsbericht des Universitätsklinikum E. (U.) über einen Aufenthalt der Klägerin in der dortigen Tagesklinik am 28. Oktober 2015 eingeholt. Des Weiteren hat die Klägerin eine "Fachärztliche Befundmitteilung zur Vorlage bei der Krankenkasse" von der Hals-Nasen-Ohren-Ärztin Dr. P. vom 3. Februar 2014 und einen Bericht des Universitätsklinikum U1 vom 24. April 1995 eingereicht.

Das Sozialgericht hat sodann den Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde Dr. M. mit der Erstellung eines Gutachtens nach Untersuchung der Klägerin beauftragt. Da die Klägerin nicht zum Untersuchungstermin erschienen ist, hat dieser unter dem 22. Februar 2016 eine gutachtliche Stellungnahme nach Aktenlage verfasst. Darin hat er ausgeführt, dass eine ausreichende Hörverbesserung über ein konventionelles Hörgerät nicht mehr zu erwarten sei. Eine Kommunikation sei bei der hochgradigen an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit beidseits nur durch das zusätzliche Ablesen vom Mund möglich. Zusammenfassend erscheine eine konventionelle Hörgeräteversorgung nicht erfolgversprechend; es bestehe vielmehr die Indikation für ein Cochlea-Implantat.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 1. Februar 2017 abgewiesen und zur Begründung auf den Widerspruchsbescheid Bezug genommen. Ergänzend hat es ausgeführt, dass die Gründe des Widerspruchsbescheides durch die Ermittlungen im gerichtlichen Verfahren bestätigt worden seien. Sowohl der behandelnde Arzt Dr. F. als auch die untersuchende Ärztin im U. seien zu dem Ergebnis gelangt, dass kein hinreichendes Sprachverständnis nachweisbar und die Indikation für eine Cochlea-Implantation gegeben sei. Dies sei schließlich auch durch den medizinischen Sachverständigen Dr. G. bestätigt worden. Soweit die Klägerin vortrage, dass sie zwar nicht in den Tests, aber in der Alltagssituation mit den selbstbeschafften Hörgeräten etwas höre und damit gut zurecht komme, könne die Kammer diesen subjektiven Vortrag allein nicht zur Entscheidungsgrundlage machen. Erforderlich sei eine Objektivierung der klägerischen Angaben. Die Möglichkeit, im Rahmen einer Untersuchung ihr subjektives Empfinden durch einen Sachverständigen feststellen zu lassen, habe die Klägerin nicht wahrgenommen. Demnach seien für die Kammer objektiv die Voraussetzungen für eine Hörgeräteversorgung mit dem O. nicht nachgewiesen. Dies gehe nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten der Klägerin.

Das Urteil des Sozialgerichts ist der Klägerin ausweislich der vorliegenden Zustellungsurkunde am 10. Februar 2017 durch Einwurf in den Briefkasten zugestellt worden. Am 10. März 2017 hat die Klägerin dem Sozialgericht durch eine Bekannte telefonisch mitteilen lassen, dass sie auf das Urteil warte. Nach dem vorliegenden Aktenvermerk wurde ihr gesagt, dass das Urteil zugestellt worden sei. Die Klägerin blieb jedoch dabei, dass sie das Urteil nicht erhalten habe und bat um erneute Zusendung. Am 17. März 2017 ließ die Klägerin erneut durch eine Bekannte telefonisch mitteilen, dass sie das Urteil noch immer nicht erhalten habe. Am selben Tag wurde ihr das Urteil per E-Mail übersandt.

Am 27. März 2017 hat die Klägerin Berufung eingelegt. Sie trägt vor, ihr sei am 10. März 2017 telefonisch zugesagt worden, dass ihr das Urteil mit Zustellungsurkunde und Gewährung einer Fristverlängerung nochmals zugestellt werde. Es sei nichts gekommen, obwohl die Briefzustellerin hierauf geachtet habe. Nunmehr sei es ihr per E-Mail übersandt worden, aber ohne Information zu der Fristverlängerung. In der Sache wiederholt die Klägerin ihr Vorbringen, dass sie mal mehr und mal weniger oder gar nicht höre. Dies sei offenbar mit objektiven Messmethoden schwer zu dokumentieren.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 1. Februar 2017 und den Bescheid der Beklagten vom 12. Juni 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Januar 2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr die den Festbetrag übersteigenden Kosten für die Hörgeräte O. in Höhe von 3.484,51 EUR zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält das angefochtene Urteil des Sozialgerichts für zutreffend.

In einem am 9. August 2017 durchgeführten Erörterungstermin haben die Beteiligten einen Vergleich geschlossen, in dem sich die Beklagte verpflichtete, der Klägerin einen Betrag von 1.750 EUR zu zahlen. Der Klägerin war ein Widerrufsvorbehalt eingeräumt worden, von dem sie noch am selben Tag Gebrauch gemacht hat.

Mit Beweisanordnung vom 7. Februar 2018 ist sodann die Hörgeräteakustikerin K. beauftragt worden, nach ambulanter Durchführung von Hörtestungen ein Gutachten zu erstatten. Die Klägerin hat es abgelehnt, sich derartigen Tests zu unterziehen, da bekannt sei, dass sie auf Hörtests nicht gut reagiere und außerdem mittlerweile fast vier Jahre nach der Anschaffung der Hörgeräte vergangen seien. Die Sachverständige ist daraufhin beauftragt worden, das Gutachten nach Aktenlage zu erstellen.

In ihrem Gutachten vom 5. April 2018 hat die Sachverständige K. ausgeführt, dass bei der Klägerin eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit vorliege. Sie selbst beschreibe ihren Hörschaden als veränderlich, was messtechnisch nicht nachgewiesen sei. In den verschiedenen Sprachaudiogrammen habe kein Einsilbenverstehen mehr nachgewiesen werden können. Mehrsilber seien bei 110 dB noch zu 20 % verstanden worden. Dies zeige, dass die Klägerin noch in der Lage sei, Sprache zumindest in geringem Maße auditiv wahrzunehmen und auch ansatzweise zu verstehen. Sie benötige daher Hörgeräte, die in erster Linie eine ausreichende Verstärkung bieten würden. Solche Geräte gebe es auch zum Festbetrag. Sofern die Angaben der Klägerin zutreffend seien, dass ein Tinnitus vorliege, der auch durch äußere Reize ausgelöst bzw. verstärkt werde, benötige sie außerdem Geräte mit einer wirksamen Störgeräuscheunterdrückung. Solche etwas höherwertigen Techniken gebe es bei den marktüblichen Festbetragsgeräten nicht. Sie könne aber nach Aktenlage nicht feststellen, ob konkret das O. medizinisch notwendig sei. Es gebe beispielsweise noch das Modell SP 7, das eventuell als preiswertere Alternative in Betracht gekommen wäre.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Rechtsweg:

SG Hamburg, Urteil vom 01.02.2017 - S 25 KR 106/15

Quelle:

Sozialgerichtsbarkeit BRD

Entscheidungsgründe:

1. Die Berufung ist zulässig.

Sie ist allerdings nicht fristgerecht eingelegt worden, denn sie ist erst nach Ablauf der nach § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) geltenden Monatsfrist beim Gericht eingegangen. Ausweislich der Zustellungsurkunde ist der Klägerin das Urteil des Sozialgerichts am 10. Februar 2017 durch Einwurf in den Hausbriefkasten zugestellt worden. Die Berufungsfrist endete damit am 10. März 2017, die Berufung ist jedoch erst am 27. März 2017 bei Gericht eingegangen. Gemäß § 202 SGG i.V.m. § 180 S. 1 und 2 Zivilprozessordnung (ZPO) gilt das Urteil mit der Einlegung in den Hausbriefkasten als zugestellt. Dabei handelt es sich um eine unwiderlegbare Vermutung (Thomas/Putzo, ZPO, 35. Aufl., § 180 Rn. 5), sodass die Behauptung der Klägerin, das Urteil tatsächlich nicht erhalten zu haben, an der wirksam erfolgten Zustellung nichts ändert.

Der Klägerin war insoweit aber Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Dies ist gemäß § 67 Abs. 1 SGG der Fall, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Ob die Klägerin das Urteil trotz des erfolgten Einwurfs in ihren Briefkasten tatsächlich nicht erhalten hat, ist nicht mehr aufklärbar. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist eine Wiedereinsetzung aber auch dann zu gewähren, wenn die Fristversäumnis (auch) auf Fehlern beruht, die im Verantwortungsbereich des Gerichts bei Wahrnehmung seiner Fürsorgepflicht liegen. Hinweise, die ein Gericht den Beteiligten in Wahrnehmung seiner Fürsorgepflicht gibt, müssen der konkreten Situation angemessen sein. Bei drohendem Fristablauf müssen sie daher auch dasjenige Verhalten bezeichnen, mit dem das Erforderliche am schnellsten bewirkt werden kann (BSG, Urteil vom 30.01.2002 - B 5 RJ 10/01 R - Juris).

Die Klägerin ließ dem Gericht am 10. März 2017 - also am letzten Tag der noch laufenden Berufungsfrist - mitteilen, dass sie bisher kein Urteil erhalten habe. Nach dem vorliegenden Aktenvermerk ist ihr lediglich gesagt worden, dass das Urteil am 10. Februar 2017 bereits zugestellt worden sei. Bei umfassender Wahrnehmung seiner Fürsorgepflicht hätte das Gericht die Klägerin jedoch darauf hinweisen müssen, dass eine fristgerechte Berufungseinlegung an dem Tag des Anrufs gerade noch möglich gewesen wäre. Ebenso wäre die erst eine Woche später erfolgte Zusendung des Urteils per E-Mail noch am Tag des Anrufs möglich gewesen sein, sodass der Klägerin ermöglicht worden wäre, die Berufung noch innerhalb der Frist einzulegen.

2. Die Berufung ist jedoch nicht begründet, denn das Sozialgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Erstattung ihres Eigenanteils für die von ihr selbstbeschafften Hörgeräte.

Hat eine Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese gemäß § 13 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Der Erstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender primärer Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbstbeschaffte Leistung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben.

Rechtsgrundlage für den zunächst geltend gemachten Sachleistungsanspruch ist § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, § 33 Abs. 1 S. 1 SGB V. Danach haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Versicherte haben Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit sie nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten (§ 12 Abs. 1 S. 1 SGB V). Zwar erfüllt die Krankenkasse grundsätzlich ihre Leistungspflicht durch Gewährung des jeweiligen Festbetrags, wenn für eine Leistung ein solcher festgesetzt ist (§§ 12 Abs. 2, 36 SGB V). Soweit aber der Festbetrag für den Behinderungsausgleich objektiv nicht ausreicht, bleibt es bei der Verpflichtung der Krankenkasse zur - von Zuzahlungen abgesehen - kostenfreien Versorgung der Versicherten.

Bei der Klägerin besteht unstreitig eine Behinderung in Form der an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit. Der von den Krankenkassen geschuldete Behinderungsausgleich bemisst sich nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 07.10.2010 - B 3 KR 13/09 R - Juris, m.w.N.) danach, ob eine Leistung des unmittelbaren oder des mittelbaren Behinderungsausgleichs beansprucht wird. Beim unmittelbaren Behinderungsausgleich geht es um den Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion selbst, wovon auszugehen ist, wenn das Hilfsmittel die Ausübung der beeinträchtigten Körperfunktion selbst ermöglicht, ersetzt oder erleichtert. Dies ist hier der Fall, denn die Hörgeräte dienen dazu, das beeinträchtigte Hörvermögen der Klägerin auszugleichen. In diesem Bereich gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts. Begrenzt ist der so umrissene Anspruch allerdings durch das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V. Die Leistungen müssen danach ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen. Demzufolge verpflichtet § 33 Abs. 1 S. 1 SGB V nicht dazu, den Versicherten jede gewünschte, von ihnen für optimal gehaltene Versorgung zur Verfügung zu stellen. Ausgeschlossen sind danach Ansprüche auf teure Hilfsmittel, wenn eine kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleich funktionell ebenfalls geeignet ist. Mehrkosten sind andernfalls selbst zu tragen (§ 33 Abs. 1 S. 5 SGB V).

Vorliegend konnte die Erforderlichkeit der von der Klägerin beanspruchten Hörgeräteversorgung nicht nachgewiesen werden. Aus den vorliegenden medizinischen Unterlagen lässt sich nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ableiten, dass die von ihr selbstbeschafften Hörgeräte ihre Hörbehinderung besser ausgleichen als die Festbetragsgeräte oder andere kostengünstigere Geräte. Vielmehr spricht alles dafür, dass sämtliche Geräte, also auch die von der Klägerin beschafften, keine messbare Verbesserung ihres Sprachverstehens bewirken können.

Bereits der Hörgeräteanpasser hat im Verwaltungsverfahren mitgeteilt, dass sowohl mit den Festbetragsgeräten als auch mit den Geräten, die eine Zuzahlung erfordern, kein Spracherfolg messbar sei. Als audiologische Begründung für die begehrte Versorgung hat er dementsprechend lediglich das subjektive Empfinden der Klägerin angeführt. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus seinem im Klageverfahren eingereichten Schreiben vom 30. Januar 2015. Zwar hat er dort ausgeführt, dass es für ihn nachvollziehbar sei, dass die Klägerin mit den begehrten Geräten subjektiv besser zurechtkomme, er hat aber erneut bestätigt, dass dies nicht objektiv messbar sei.

Auch aus dem Bericht des U. aus dem Oktober 2015 - die Klägerin verfügte zum Zeitpunkt der dortigen Untersuchungen also schon über die hier streitigen Hörgeräte - geht hervor, dass mit diesen seitengetrennt kein hinreichendes Sprachverständnis im Ein- und Mehrsilbentest nachweisbar war. Dementsprechend heißt es, dass eine Versorgung mit Hörgeräten kaum noch Sinn mache und die Indikation für eine Cochlea-Implantation gegeben sei. Die gleiche Auffassung hat der behandelnde HNO-Arzt Dr. F. in seinem Befundbericht vom 14. Juli 2015 mitgeteilt. Er hat ausgeführt, ein "variables Gehör" könne nicht bestätigt werden, vielmehr handele es sich um eine über die Jahre hin progrediente Verschlechterung. Die Anlage eines Cochlea-Implantats sei indiziert. Diese Bewertung ist auch durch den vom Sozialgericht beauftragten Sachverständigen Dr. G. bestätigt worden. Auch er hat eine konventionelle Hörgeräteversorgung für grundsätzlich nicht erfolgversprechend und stattdessen eine Cochlea-Implantation für indiziert gehalten.

Schließlich hat auch die als Sachverständige beauftragte Hörgeräteakustikerin K. schon nicht objektiv bestätigen können, dass die höherwertigen Techniken von über dem Festbetrag liegenden Hörgeräten die Hörbehinderung der Klägerin tatsächlich besser ausgleichen können. Ihre Ausführungen zu den grundsätzlich besseren Möglichkeiten dieser Geräte basieren ausschließlich darauf, dass sie die subjektiven Angaben der Klägerin zu ihrem wechselhaften Resthörvermögen und der Provozierung des Tinnitus durch Umgebungsgeräusche zugrunde gelegt hat. Sie hat aber selbst darauf hingewiesen, dass diese messtechnisch nicht belegt sind. Eigene Untersuchungen oder Testungen konnte sie nicht durchführen, da die Klägerin es abgelehnt hat, sich diesen zu unterziehen. Darüber hinaus hat sie eindeutig klargestellt, dass sie - selbst bei Wahrunterstellung der diesbezüglichen Angaben der Klägerin - nach Aktenlage nicht feststellen konnte, dass gerade die von der Klägerin beschafften Geräte medizinisch notwendig sind. Vielmehr hat sie es ebenso für möglich gehalten, dass es auch dann preisgünstigere Alternativen gegeben hätte.

Eine andere Beurteilung ergibt sich schließlich nicht aus der Befundmitteilung der HNO-Ärztin Dr. P. vom 3. Februar 2014. Soweit sie mitgeteilt hat, dass bei der Klägerin aufgrund eines fluktuierenden Hörvermögens Hörgeräte mit guter Spracherkennung sinnvoll seien, fehlt dafür jegliche Begründung oder die Angabe von eventuell durchgeführten Untersuchungen. Zu den von der Klägerin konkret beschafften Geräten hat sie sich nicht geäußert.

Es steht der Klägerin selbstverständlich frei, die von den genannten Ärzten für indiziert gehaltene Cochlea-Implantation abzulehnen. Dies führt aber nicht dazu, dass die von ihr gewünschte Hörgeräteversorgung ohne objektivierbaren Nachweis ihrer Erforderlichkeit von der Beklagten zu gewähren ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision gegen das Urteil wurde nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Referenznummer:

R/R8141


Informationsstand: 11.07.2019