Die zulässige Revision ist im Sinne einer Aufhebung des angefochtenen Beschlusses des
LSG und Zurückverweisung der Sache an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2
SGG). Der Senat vermag aufgrund der Tatsachenfeststellungen des
LSG nicht zu entscheiden, ob der Kläger bereits vor dem 1.1.2003 schwerbehindert war und ihm deshalb bereits ab einem früheren Zeitpunkt (beginnend mit der Antragstellung) der geltend gemachte Anspruch auf Feststellung eines
GdB von wenigstens 50 gegen den Beklagten zusteht. Insbesondere fehlen ausreichende Feststellungen zum Gesundheitszustand des Klägers zwischen der Antragstellung am 20.9.2000 und dem Ablauf des 31.12.2002.
1. Rechtsgrundlage für den vom Kläger gegen den Beklagten geltend gemachten Anspruch auf Feststellung eines
GdB von mindestens 50 sind für die Zeit vom 20.9.2000 bis 30.6.2001 §§ 3, 4 Abs 1 und Abs 3 Gesetz zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft (Schwerbehindertengesetz -
SchwbG) und für die Zeit vom 1.7.2001 bis 31.12.2002
§ 2,
§ 69 Abs 1 und Abs 3 SGB IX - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen -
idF des Gesetzes vom 19.6.2001 (BGBl I 1046).
Nach § 3 Abs 1 Satz 1
SchwbG ist Behinderung im Sinne dieses Gesetzes die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigung, die auf einem regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand beruht. Regelwidrig ist der Zustand, der von dem für das Lebensalter typischen abweicht (§ 3 Abs 1 Satz 2
SchwbG). Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als sechs Monaten (§ 3 Abs 1 Satz 3
SchwbG). Gemäß § 2 Abs 1 Satz 1
SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist.
§ 4 Abs 1 Satz 1
SchwbG, § 69 Abs 1
SGB IX sehen vor, dass die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag eines Behinderten bzw eines behinderten Menschen in einem besonderen Verfahren das Vorliegen einer (unbenannten) Behinderung und den
GdB feststellen. Als
GdB werden dabei nach § 3 Abs 2
SchwbG die Auswirkung der Funktionsbeeinträchtigung bzw nach § 69 Abs 1 Satz 3
SGB IX die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft festgestellt.
a) Der erkennende Senat hat bereits entschieden (vgl Bundessozialgericht (
BSG), Urteil vom 18. 9. 2003 -
B 9 SB 3/02 R, BSGE 91, 205 = SozR 4-3250 § 69 Nr 2, jeweils RdNr 7), dass das
SGB IX grundsätzlich keine Abkehr von der bisherigen Feststellungspraxis für die Ermittlung des
GdB erfordert. § 2 Abs 1 Satz 1
SGB IX hat zwar den Begriff der Behinderung anders umschrieben als § 3 Abs 1
SchwbG. § 69
SGB IX hat jedoch im wesentlichen inhaltsgleich die Regelung des § 4
SchwbG übernommen. Soweit § 2 Abs 1, § 69 Abs 1 Satz 3
SGB IX nunmehr auf die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft abstellen, hat der erkennende Senat diesen Aspekt schon nach altem Recht (§ 3 Abs 1
SchwbG) berücksichtigt (vgl etwa
BSG, Urteil vom 9.10.1987 -
9a RVs 5/86, BSGE 62, 209, 211 f = SozR 3870 § 3 Nr 26 S 82).
§ 69 Abs 1 Satz 4
SGB IX ordnet zudem weiterhin die entsprechende Anwendung der in § 30 Abs 1 BVG festgelegten Maßstäbe an. Das
SGB IX stellt mithin (wie schon das
SchwbG in § 3 Abs 3) kein eigenes Bewertungssystem auf, sondern verweist auf das versorgungsrechtliche Bewertungssystem, dessen Ausgangspunkt die "Mindestvomhundertsätze" für eine größere Zahl erheblicher äußerer Körperschäden iS der Nr 5 Verwaltungsvorschrift zu § 30 BVG sind (zum Rechtscharakter dieser Vorschrift:
BSG, Urteil vom 26.11. 1968 -
9 RV 262/66, BSGE 29, 41, 42 f = SozR Nr 35 zu § 30 BVG; offengelassen im Urteil vom 28.9.2003 - B 9 SB 3/02 R, BSGE 91, 205 = SozR 4-3250 § 69 Nr 2 jeweils RdNr 13) . Von diesen leiten sich die aus den Erfahrungen der Versorgungsverwaltung und den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft gewonnenen
GdB/
MdE-Tabellenwerte der
AHP ab ( vgl dazu auch Nr 18 Abs 3
AHP 1996). Ausgangspunkt der
GdB-Bewertung der einzelnen verschiedenen Funktions- bzw Teilhabebeeinträchtigungen ist im streitigen Zeitraum vom 20.9.2000 bis 31.12.2002 sowohl unter der Geltung des
SchwbG als auch unter Geltung des
SGB IX das in sich geschlossene Beurteilungsgefüge der
AHP 1996 (Nr 26.2 bis 26.18
AHP 1996).
b) Bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen ist der festzustellende
GdB sowohl gemäß § 4 Abs 3 Satz 1
SchwbG als auch gemäß § 69 Abs 3 Satz 1
SGB IX das Ergebnis einer Gesamtwürdigung der Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen (dazu auch: Nr 19
AHP 1996;
BSG, Urteil vom 16.3.1994 -
9 RVs 6/ 93, SozR 3-3870 § 4 Nr 9 S 39 f;
BSG, Urteil vom 10.9.1997 -
9 RVs 15/96, BSGE 81, 50, 53 f = SozR 3-3870 § 3 Nr 7 S 16 f;
BSG, Urteil vom 13.12.2000 -
B 9 V 8/00 R, SozR 3-3870 § 4 Nr 28 S 107;
BSG, Urteil vom 11.11.2004 -
B 9 SB 1/03 R, juris RdNr 13). In einem ersten Schritt sind dabei die einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen iS von regelwidrigen (von der Norm abweichenden) Zuständen und die sich daraus ergebenden Funktions- und Teilhabebeeinträchtigungen festzustellen.
In einem zweiten Schritt sind diese den in den
AHP 1996 genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-
GdB zu bewerten. In einem dritten Schritt ist dann - in der Regel ausgehend von der Beeinträchtigung mit dem höchsten Einzel-
GdB ( vgl Nr 19 Abs 3
AHP 1996) - in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen der (Gesamt-)
GdB zu bilden. Dabei können die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen (sich decken), sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinander stehen. Außerdem sind bei der Gesamtwürdigung die Auswirkungen mit denjenigen zu vergleichen, für die in der
GdB/
MdE-Tabelle der
AHP 1996 feste Werte angegeben sind (vgl Nr 19 Abs 2
AHP 1996); mithin ist auch zu beachten, in welchen Fällen die
AHP 1996 bzw die Nr 5 Verwaltungsvorschrift zu § 30 BVG eine Schwerbehinderung -
GdB von 50 - zubilligen.
c) Der
GdB als Maß für die Auswirkungen von nicht nur vorübergehenden Funktions-/Teilhabebeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen beruht als Rechtsbegriff nicht allein auf einer Anwendung rein medizinischer Erfahrungen, sondern auf einer rechtlichen Wertung von Tatsachen (vgl
BSG, Urteil vom 29.8.1990 -
9a/9 RVs 7/89, BSGE 67, 204, 208 f = SozR 3-3870 § 4 Nr 1 S 5 f). Diese Tatsachen sind ua mit Hilfe von medizinischen Sachverständigen festzustellen; dazu gehört vor allem die Beschreibung der Gesundheitsstörungen.
Der erkennende Senat hat bereits in seinem "Diagnoseurteil" vom 6.12.1989 (
9 RVs 3/89, SozR 3870 § 4 Nr 3) geklärt, dass die Bezeichnung regelwidriger Zustände mit medizinischen Diagnosen nur der Begründung des den
GdB festlegenden Verwaltungsakts dient, jedoch keine Aussage über die Auswirkungen von nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigungen enthält, die auf einem regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand beruhen. An dieser Rechtsprechung hat der Senat in seinem Urteil vom 24.6.1998 (
B 9 SB 17/97 R, BSGE 82, 176, 177 f = SozR 3-3870 § 4 Nr 24 S 94 f) und in seinem Beschluss vom 15.7.2004 (B 9 SB 46/03 B, juris RdNr 7) festgehalten, wobei - wie bereits ausgeführt - ab 1.7.2001 ohne wesentliche Änderung der Rechtslage bei der Feststellung des Vorliegens einer (unbenannten) Behinderung und des dazugehörigen
GdB weiterhin auf die Auswirkungen nicht nur vorübergehender Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft abzustellen ist.
2. Diesen rechtlichen Vorgaben wird die Berufungsentscheidung nicht in vollem Umfang gerecht.
a) Entgegen der Auffassung des
LSG ist Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens nicht die begrenzte Frage, ab wann unter Berücksichtigung des im Januar 2003 (diagnostisch) gesicherten Schlaf-Apnoe-Syndroms beim Kläger ein
GdB von wenigstens 50 festzustellen ist, sondern, ob der Beklagte verpflichtet ist, ab Antragstellung (20.9. 2000) oder jedenfalls ab einem anderen Zeitpunkt vor dem 1.1.2003 einen
GdB von wenigstens 50 aufgrund der beim Kläger vorliegenden Auswirkungen der gesundheitsbedingten Funktionsbeeinträchtigungen bzw Teilhabebeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Da bei dem Kläger im streitigen Zeitraum - abgesehen von der Frage eines Schlaf-Apnoe-Syndroms - verschiedene Gesundheitsstörungen vorlagen, die sich auf den
GdB auswirken konnten, durfte das
LSG seine Prüfung nicht auf das Schlaf-Apnoe-Syndrom beschränken, sondern musste den Gesamtzustand des Klägers in Betracht ziehen. Für die verschiedenen Gesundheitsstörungen werden Einzel-
GdB nur als gedanklicher Zwischenschritt auf dem Wege zum Gesamt-
GdB und nicht in der Form von gesonderten Verwaltungsakten gebildet, die jeweils bestandskräftig und damit für die abschließende
GdB-Bewertung verbindlich werden können. Mithin durfte das
LSG nicht ohne eigene Tatsachenfeststellungen die Einzel-
GdB zugrunde legen, die der Beklagte für die betreffenden Gesundheitsstörungen des Klägers ermittelt hatte. Dies gilt um so mehr, als ein Schlaf-Apnoe-Syndrom - wovon das
LSG selbst ausgegangen ist - im Rahmen eines sog metabolischen Syndroms in enger Beziehung zu anderen Gesundheitsstörungen stehen kann.
b) Was die vom
LSG erörterte Frage anbelangt, ob und ggf inwiefern sich das seit Januar 2003 durch Untersuchung im Schlaflabor gesicherte Schlaf-Apnoe-Syndrom auch schon in der Zeit davor auf die Teilhabe des Klägers am Leben in der Gesellschaft ausgewirkt hat, ist nach der vom Senat eingeholten Auskunft des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 18.3.2008 davon auszugehen, dass die einschlägige Nr 26. 8
AHP 1996 (S 85) es nicht grundsätzlich ausschließt, eine derart gesicherte Diagnose auch für einen Zeitraum unmittelbar vor der Untersuchung im Schlaflabor anzunehmen. Insofern hat sich das
LSG in diesem Punkt vom Ansatz her zutreffend auf die Beurteilung sachkundiger Ärzte gestützt.
Dabei kommt ein
GdB von 20, wie er in Nr 26.8
AHP 1996 für ein Schlaf-Apnoe-Syndrom "mit Notwendigkeit einer kontinuierlichen Überdruckbeatmung" vorgesehen ist, nur in Betracht, wenn eine derartige Überdruckbeatmung auch tatsächlich durchgeführt wird. Das zeigt schon die Zuordnung eines höheren
GdB "bei nicht durchführbarer nasaler Überdruckbeatmung". Ob allerdings der Zustand einer Person, bei der das Schlaf-Apnoe-Syndrom noch nicht (sicher) festgestellt worden ist und daher auch nicht entsprechend behandelt wird, demjenigen bei notwendiger, aber nicht durchführbarer Überdruckbeatmung entspricht, ist ggf durch einen medizinischen Sachverständigen zu klären.
Im Übrigen hat das
LSG zutreffend nicht die Diagnose, sondern den tatsächlichen Gesundheitszustand und seine Auswirkungen für maßgebend gehalten. Insofern kommt es auch hier nicht entscheidend darauf an, ob die Diagnose "Schlaf-Apnoe-Syndrom" beim Kläger auch für eine gewisse Zeit vor Januar 2003 der
GdB-Bewertung zugrunde gelegt werden kann. Vielmehr sind die seinerzeit tatsächlich bestehenden, gesundheitlich bedingten Teilhabebeeinträchtigungen zu ermitteln.
c) Ob der Beklagte und die Vorinstanzen beim Kläger im streitigen Zeitraum ohne Verletzung von Bundesrecht (§ 162
SGG) lediglich einen
(Gesamt-)
GdB von 40 festgestellt haben, kann vom Senat nicht abschließend beurteilt werden, denn der angefochtene Beschluss des
LSG enthält schon keine hinreichenden Feststellungen zum tatsächlichen Gesundheitszustand des Klägers im streitigen Zeitraum vom 20.9.2000 bis 31.12. 2002. Die Ausführungen im Tatbestand und in den Entscheidungsgründen beschränken sich im Wesentlichen darauf, die Diagnosen der beim Kläger in diesem Zeitraum festgestellten Gesundheitsstörungen zu benennen ( Diabetes mellitus; Bluthochdruck; Bronchialasthma; Fettstoffwechselstörung) und deren Bewertung mit jeweils einem Teil-
GdB und dem daraus gebildeten (Gesamt-)
GdB wiederzugeben. Auch soweit sich das
LSG mit den Symptomen befasst hat, die der Kläger dem seinerzeit noch nicht behandelten Schlaf-Apnoe-Syndrom zuordnet (zB Müdigkeit und Schlafzwang während des Tages), wird nicht deutlich, ob und inwiefern diese hinreichend berücksichtigt worden sind.
Da der Senat die fehlenden Tatsachenfeststellungen im Revisionsverfahren nicht treffen kann (vgl § 163
SGG) , ist die Berufungsentscheidung aufzuheben und die Sache an das
LSG zurückzuverweisen. Insofern kommt es nicht darauf an, ob der angefochtene Beschluss des
LSG auch auf den vom Kläger gerügten Verfahrensmängeln beruht. Bei seiner erneuten Entscheidung wird das
LSG weiterhin davon ausgehen können, dass zu Gunsten des Klägers keine Beweislastumkehr eingetreten ist.
3. Das
LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.