1. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 08.01.2009 - S 12 SO 74/07 - sowie der Bescheid des Beklagten vom 21.11.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.09.2007 aufgehoben. Der Beklagte wird verurteilt, die Klägerin mit einem passenden Greifrollstuhl mit Sitzschale nach Maß, Beckengurt und Therapietisch zu versorgen, der ihr ein selbständiges Fortbewegen ermöglicht.
2. Der Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Die Klägerin begehrt die Versorgung mit einem passenden Greifrollstuhl mit angepasster Sitzschale und Therapietisch.
Die 19 geborene Klägerin leidet als Folge eines frühkindlichen Hirnschadens an einer Mehrfachbehinderung. Sie kann nur mit Hilfe wenige Schritte gehen und ist zur Fortbewegung auf einen Rollstuhl angewiesen. Sie trägt orthopädisches Schuhwerk und zwei Knieschienen. Aufgrund der Wirbelsäulenveränderungen benötigt sie eine angepasste Sitzschale. Mit einem Greifrollstuhl (Aktivrollstuhl) kann sie sich in geschlossenen Räumen durch Trippeln und ergänzendes Greifen des Antriebsrads mit der linken Hand zielgerichtet fortbewegen. Es besteht auch eine geistige Retardierung, ein Anfallsleiden sowie eine Unfähigkeit zu sprechen sowie Bedürfnisse mitzuteilen. Bei ihr ist ein Grad der Behinderung (
GdB) von 100 festgestellt und sie erhält von der Pflegekasse ein Pflegegeld nach Pflegestufe III mit zusätzlichen Betreuungsleistungen. Von dem Beklagten bezog sie Grundsicherungsleistungen nach dem Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (GSiG) und erhält seit 2005 Grundsicherungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (
SGB XII). Sie besucht wochentags eine Tagesförderstätte und wird durch einen Fahrdienst im Rollstuhl sitzend transportiert.
Von der Beigeladenen, bei der sie krankenversichert ist, wurde sie im Jahr 1999 mit einem Greifrollstuhl (Aktivrollstuhl Sopur Easy HP) mit Sitzschale versorgt; dieser Rollstuhl wurde von der Beigeladenen 2002/2003 aufgrund eines wachstumsbedingten Änderungsbedarfs angepasst. Im Jahr 2003 erhielt sie von der Beigeladenen einen weiteren Rollstuhl (Eurochair Hemi-Spezial 1840 der Firma M), der nach der Beschreibung des Herstellers besonders zum Trippeln geeignet ist und nach Angaben der Beigeladenen damals der Sicherstellung des Transports zur Schule dienen sollte. Im Jahr 2006 versorgte die Beigeladene die Klägerin mit einem elektrischen Radnabenantrieb (E-Fix) für den Aktivrollstuhl Sopur Easy (Rechnung vom 28.07.2006), der im Jahr 2008 mit einer Fremdsteuerung nachgerüstet wurde, da die Klägerin den E-Fix nicht zielgerichtet selbst bedienen lernte. Mit diesem Rollstuhl kann sie nicht trippeln, da er zu schwer ist und ihre Füße den Boden nicht vollständig erreichen.
Am 02.11.2006 beantragte sie bei der Beigeladenen die Neuversorgung mit einem Greifrollstuhl als Zweitversorgung für die Tagesförderstätte. Sie benötige aufgrund ihres Wachstums einen neuen Rollstuhl, der auch mit einer Sitzschale ausgestattet sein müsse. Mit diesem Rollstuhl könne sie sich in der Tagesförderstätte durch Trippeln eigenständig fortbewegen. Zur Zeit nutze sie in der Tagesförderstätte noch den alten, aber mittlerweile ungeeigneten Rollstuhl. Sie legte eine Bescheinigung des
Dr. S vom 20.09.2006 und einen Kostenvoranschlag vom 19.10.2006 über die Versorgung mit einem Rollstuhl Sopur Easy 160 HP Aktiv-Faltfahrer Grundmodell mit Aktivsitzsystem nach Maß, Beckengurt und Therapietisch über 4.538,27
EUR vor. Die Beigeladene leitete den Antrag durch Schreiben vom 13.11.2006 an den Beklagten weiter, da ein Ausgleich der Behinderung bereits gewährleistet sei.
Der Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 21.11.2006 ab, da die Kranken-
bzw. Pflegekasse zur Leistung verpflichtet sei. Im Widerspruchsverfahren bezog sich die Klägerin auf eine Stellungnahme des
Dr. S vom 03.01.2007. Das Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung wies den Widerspruch am 03.09.2007 zurück. Das Grundbedürfnis auf Mobilität sei durch den vorhandenen Rollstuhl mit Elektroantrieb abgedeckt. Ein Besuch der Tagesförderstätte sei auch mit diesem Rollstuhl möglich. Es sei nicht davon auszugehen, dass sie nur dann ein der menschlichen Würde gemäßes Leben führen könne, wenn sie sich durch einen zum Trippeln geeigneten Rollstuhl in der Tagesförderstätte weitgehend unabhängig bewegen könne. Ihre Betreuungssituation sei auch ohne diese Versorgung ausreichend.
Die Klägerin hat am 04.10.2007 Klage vor dem Sozialgericht Koblenz (SG) erhoben. Das SG hat die Deutsche-Angestellten-Krankenkasse zum Rechtsstreit beigeladen. Mit Urteil vom 08.01.2009 hat es die Klage abgewiesen. Die Klägerin sei mit dem Greifrollstuhl nebst Elektroantrieb versorgt, mit welchem sie sich im häuslichen Bereich und Umfeld fortbewegen könne. Damit könne sie die für den Ausgleich der Behinderung maßgebenden Entfernungen, die ein Gesunder üblicherweise zu Fuß zurücklege, bewältigen. Da sie diesen Rollstuhl auch in der Tagesförderstätte nutzen könne, sei ihre Mobilität gesichert. Dass die Klägerin mit dem Trippelrollstuhl selbstständiger sei, führe zu keinem anderen Ergebnis.
Gegen das ihr am 20.01.2009 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 19.02.2009 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, dass der vorhandene Rollstuhl mit Elektroantrieb ein Trippeln gerade nicht zulasse, da er wegen der Fußrasten höhergelegt sowie zu schwer sei und daher nur zum Schieben in Betracht komme. Damit sei sie im Innenbereich eigener Fortbewegungsmöglichkeiten beraubt. Körperlich und geistig sei sie lediglich in der Lage, sich durch Trippeln fortzubewegen. Um eine Luxusversorgung handele es sich nicht. Der zweite Rollstuhl sei verschlissen und passe nicht mehr. Von welchem Hersteller der Trippelrollstuhl zu beziehen sei, sei für sie nicht maßgebend. Sie legt eine Stellungnahme des
Dr. S vom 06.04.2009 vor.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 08.01.2009 - S 12 SO 74/07 - sowie den Bescheid der Beklagten vom 21.11.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.09.2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, sie mit einem passenden zum Trippeln geeigneten Greifrollstuhl mit Sitzschale nach Maß, Beckengurt und Therapietisch zu versorgen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er erachtet die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Die Beigeladene beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist darauf, dass nicht die optimale, sämtliche denkbaren Risiken absichernde Versorgung geschuldet sei, sondern nur ein Basisausgleich. Dieser sei aber durch den Rollstuhl mit Sitzschale und elektrischem Radnabenantrieb erfolgt. Eine Zweitausstattung sei nicht notwendig. Der elektrische Zusatzantrieb könne an den Trippelrollstuhl Eurochair Hemi-spezial mit wenigen Handgriffen angebaut werden. Allerdings sei eher die nicht streitgegenständliche Versorgung mit einer elektrischen Schiebehilfe statt des E-fix sinnvoll.
Der Senat hat ein Gutachten vom 27.07.2010 aufgrund eines Hausbesuchs durch
Dr. G mit ergänzender Stellungnahme vom 13.01.2011 eingeholt.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung.
Die zulässige Berufung ist begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Versorgung mit einem passenden Greifrollstuhl mit Sitzschale, Beckengurt und Therapietisch zu. Der Bescheid des Beklagten vom 21.11.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.09.2007 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Beklagter ist der Landrat der Kreisverwaltung des Westerwaldkreises als beteiligtenfähige Behörde (§ 70
Nr. 3 Sozialgerichtsgesetz -
SGG -; Behördenprinzip). Nach § 2 des rheinland-pfälzischen Landesgesetzes zur Ausführung des
SGG vom 02.10.1954 (GVBl. 115) sind alle Behörden fähig, an Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit im Sinne des § 70
SGG beteiligt zu sein. Dies ist vorliegend (§§ 3
Abs. 2, 97, 98
SGB XII, §§ 21
Abs. 2 und 41
Abs. 1 der rheinland-pfälzischen Landkreisordnung vom 31.01.1994, GVBl. 188) der Landrat der Kreisverwaltung des Westerwaldkreises (
vgl. auch Bundessozialgericht (
BSG), Urteil vom 16.10.2007 -
B 8/9b SO 8/06 R -, SozR 4-1300 § 44
Nr. 11).
Der Beklagte ist als zweitangegangener Träger verpflichtet, im Außenverhältnis zu der Klägerin den Rehabilitationsbedarf umfassend zu prüfen. Dies ergibt sich aus der Regelung des
§ 14 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX), die in erster Linie darauf abzielt, zwischen den betroffenen behinderten Menschen und Rehabilitationsträgern die Zuständigkeit schnell und dauerhaft zu klären. Deshalb stellt nach § 14
Abs. 1 Satz 1 bis 3
SGB IX der Rehabilitationsträger, wenn Leistungen zur Teilhabe beantragt werden, innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrags bei ihm fest, ob er nach dem für ihn geltenden Leistungsgesetz für die Leistung zuständig ist; bei den Krankenkassen umfasst die Prüfung auch die Leistungspflicht nach
§ 40 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V). Stellt er bei der Prüfung fest, dass er für die Leistung nicht zuständig ist - wie vorliegend von der Beigeladenen angenommen -, leitet er den Antrag unverzüglich dem nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger zu. Der Rehabilitationsträger, an den ein Rehabilitationsantrag weitergeleitet worden ist, muss somit bei Vorliegen eines entsprechenden Rehabilitationsbedarfs die erforderlichen Rehabilitationsleistungen (spätestens nach drei Wochen) selbst dann erbringen, wenn er der Meinung ist, hierfür nicht zuständig zu sein. Dabei handelt es sich um eine gleichsam "aufgedrängte Zuständigkeit". Diese in § 14
Abs. 1 und 2
SGB IX geregelte Zuständigkeit erstreckt sich im Außenverhältnis (behinderter Mensch / Rehabilitationsträger) auf alle Rechtsgrundlagen, die überhaupt in dieser Bedarfssituation für Rehabilitationsträger vorgesehen sind. Sie begründet gegenüber dem behinderten Menschen eine eigene, gesetzliche Verpflichtung des "zweitangegangenen Trägers", die - vergleichbar der Regelung des § 107 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (
SGB X) - einen endgültigen Rechtsgrund für das "Behaltendürfen" der Leistung in diesem Rechtsverhältnis bildet. Im Verhältnis der Rehabilitationsträger untereinander räumt § 14
Abs. 4
SGB IX dem "zweitangegangenen Träger" einen spezialgesetzlichen Erstattungsanspruch gegen den materiell-rechtlich "eigentlich" / originär zuständigen Rehabilitationsträger ein, der den allgemeinen Erstattungsansprüchen nach dem
SGB X vorgeht (Bundessozialgericht (
BSG), Urteil vom 26.06.2007 -
B 1 KR 36/06 R -, SozR 4-2500 § 40
Nr. 4). Der "eigentlich zuständige" Rehabilitationsträger ist gemäß § 75
Abs. 2 Erste Alternative Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zum Verfahren beizuladen (
BSG, Urteil vom 26.10.2004 -
B 7 AL 16/04 R -, SozR 4-3250 § 14
Nr. 1). Der Beklagte als zweitangegangener Träger hat im Verhältnis zu der Klägerin Rehabilitationsleistungen nach allen Rechtsgrundlagen zu erbringen. Dies steht einer Verurteilung der Beigeladenen entgegen (
vgl. BSG, Urteil vom 20.11.2008 -
B 3 KN 4/07 KR R -, SozR 4-2500 § 33
Nr. 21).
1. Als Pflegehilfsmittel im Sinne der gesetzlichen Pflegeversicherung kann der (zweite) Rollstuhl nicht angesehen werden. Nach § 40
Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (
SGB XI) besteht ein Anspruch auf Hilfsmittelversorgung in der Pflegeversicherung nur, soweit das Hilfsmittel nicht wegen Krankheit oder Behinderung von der gesetzlichen Krankenversicherung oder anderen zuständigen Leistungsträgern zu leisten ist. Demgemäß hat die beigeladene Krankenkasse im Rahmen von § 33
Abs. 1
SGB V grundsätzlich auch insoweit für die Hilfsmittelversorgung ihrer Versicherten aufzukommen, als neben den in dieser Vorschrift aufgeführten Versorgungszielen auch solche der sozialen Pflegeversicherung berührt sein können (
BSG, Urteil vom 15.11.2007 -
B 3 A 1/07 R -, SozR 4-2500 § 33
Nr. 16). Die Zuständigkeit der Pflegekasse zur Hilfsmittelversorgung besteht nur dann, wenn das Element des Behinderungsausgleichs weitestgehend in den Hintergrund tritt und die Pflege ganz überwiegend im Vordergrund steht. Der Anspruch kann gegeben sein, wenn es im konkreten Einzelfall allein um die Erleichterung der Pflege (erste Variante), um die Linderung von Beschwerden (zweite Variante) oder um die Ermöglichung einer selbstständigeren Lebensführung (dritte Variante) geht. Der Weg für die Prüfung eines Anspruchs nach § 40
Abs. 1
SGB XI kann aber auch eröffnet sein, wenn ein Anspruch nach § 33
SGB V zu verneinen ist, weil im konkreten Einzelfall zwar marginal
bzw. in äußerst geringem Maß noch ein Behinderungsausgleich vorstellbar ist, der Aspekt der Pflegeerleichterung aber so weit überwiegt, dass es nicht gerechtfertigt wäre, trotz des im Interesse der Versicherten gebotenen großzügigen Maßstabs bei der Prüfung des § 33
SGB V eine Leistungspflicht der Krankenkasse zu bejahen. Demgemäß besteht ein Anspruch auf Gewährung eines Gegenstandes als Pflegehilfsmittel nur dann, wenn der Gegenstand allein oder - ganz überwiegend - der Erleichterung der Pflege oder einem der beiden anderen in § 40
Abs. 1 Satz 1
SGB XI genannten Zwecke dient. Die Leistungszuständigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung für die Hilfsmittelversorgung entfällt dabei nicht bereits dann, wenn ein Versicherter für die Verrichtungen des täglichen Lebens weitgehend auf fremde Hilfe angewiesen ist. Hinzu kommen müssen vielmehr zusätzliche besondere Umstände, die der Versorgung durch die Pflegekasse ihr entscheidendes Gepräge geben (
BSG, Urteil vom 12.06.2008 -
B 3 P 6/07 R -, SozR 4-3300 § 40
Nr. 8). Solche besonderen Umstände sind vorliegend nicht bereits daraus zu entnehmen, dass die Klägerin Pflegeleistungen nach der Pflegestufe III bezieht. Der begehrte Rollstuhl dient weder allein der Erleichterung der Pflege, noch der Linderung von Beschwerden. Auch dass er geeignet ist, zur Erleichterung der Pflege beizutragen und vor allem der Klägerin eine selbstständigere Lebensführung zu ermöglichen, macht ihn noch nicht zu einem Pflegehilfsmittel, weil diese Eigenschaften auch mehr oder weniger allen Hilfsmitteln zukommen, die dem Behinderungsausgleich dienen und deshalb als Hilfsmittel von der gesetzlichen Krankenversicherung zu leisten sind (
vgl. BSG, Urteil vom 10.11.2005 -
B 3 P 10/04 R -, SozR 4-3300 § 40
Nr. 2). Dass der Rollstuhl der Klägerin ein eigenständiges Trippeln und damit eine selbständigere Lebensführung ermöglicht, ist nur Folge des Behinderungsausgleichs und ändert nichts daran, dass ein solches Hilfsmittel allein der Leistungspflicht der Krankenversicherung zuzuordnen ist. Die Voraussetzungen des § 33
Abs. 1
SGB V - aus den
§§ 26 Abs. 2 Nr. 6 und
31 SGB IX ergibt sich kein weitergehenderer Anspruch (
§ 7 SGB IX) - liegen vor.
2. Nach
§ 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34
Abs. 4 ausgeschlossen sind. Gemäß § 33
Abs. 1 Satz 4 umfasst der Anspruch auch die notwendige Ersatzbeschaffung, wobei auch dann alle Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sein müssen (
vgl. BSG, Urteil vom 24.05.2006 -
B 3 KR 12/05 R -, SozR 4-2500 § 33
Nr. 11); die Beigeladene hat einen Versorgungsanspruch nicht auf Dauer anerkannt.
Der Anspruch der Klägerin ist nicht nach
§ 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen und der individuell angepasste Rollstuhl stellt auch keinen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens dar.
Im vorliegenden Fall geht es um die Frage eines Behinderungsausgleichs, der von der 3. Alternative des § 33
Abs. 1 Satz 1
SGB V erfasst wird. Gegenstand des Behinderungsausgleichs sind zunächst solche Hilfsmittel, die auf den Ausgleich der Behinderung selbst gerichtet sind, also zum unmittelbaren Ersatz der ausgefallenen Funktionen dienen. Allerdings sind vom Zweck des Behinderungsausgleichs auch solche Hilfsmittel umfasst, die die direkten und indirekten Folgen einer Behinderung (mittelbar) ausgleichen. Ein Hilfsmittel ist von der gesetzlichen Krankenversicherung immer dann zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein Grundbedürfnis betrifft. Bei der Klägerin ist das elementare Grundbedürfnis der "Bewegungsfreiheit" betroffen, das bei Gesunden durch die Fähigkeit des Gehens, Laufens, Stehens
usw. sichergestellt wird. Ist diese Fähigkeit durch eine Behinderung beeinträchtigt, so richtet sich die Notwendigkeit eines Hilfsmittels in erster Linie danach, ob dadurch der Bewegungsradius in einem Umfang erweitert wird, den ein Gesunder üblicherweise noch zu Fuß erreicht. Dazu ist der Versicherte nach Möglichkeit zu befähigen, sich in der eigenen Wohnung zu bewegen und die Wohnung zu verlassen, um bei einem kurzen Spaziergang "an die frische Luft zu kommen" oder um die - üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden - Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind (
vgl. BSG, Urteil vom 20.11.2008 -
B 3 KN 4/07 KR R -, SozR 4-2500 § 33
Nr. 21).
Die Klägerin kann sich mit dem durch einen elektrischen Radnabenantrieb ausgestatteten Aktivrollstuhl Sopur Easy mit fremder Hilfe in der Wohnung und im Außenbereich bewegen. Sie selbst kann diesen Rollstuhl nicht bewegen, da er zum einen aufgrund der Elektromechanik und des Eigengewichts schwergängig ist und selbst dann, wenn der elektrische Zusatzantrieb abgenommen wird, die Sitzposition der Klägerin aufgrund der Höherlegung des Sitzes - um beispielsweise das Überwinden von Bordsteinkanten zu ermöglichen - und der Anbringung von Fußstützen kein eigenständiges Trippeln ermöglicht (Bericht des
Dr. S vom 06.04.2009). Dies hat auch der Sachverständige
Dr. G bestätigt, der in seinem Gutachten ausgeführt hat, dass die Klägerin selbst bei Entfernung der Fußstützen mit den Füßen den Boden nicht vollständig erreicht. Unerheblich ist, dass er die Bezeichnungen der Rollstühle verwechselt hat, da nach der von der Klägerin vorgelegten Rechnung vom 28.07.2006 und den eingereichten Fotos zur Überzeugung des Senats feststeht, dass der im Jahr 2002 (Rechnung vom 31.01.2002) an das Wachstum der Klägerin angepasste Greifrollstuhl Sopur Easy für den E-Fix Elektrozusatzantrieb umgebaut wurde. Aus der Rechnung vom 28.07.2006 geht hervor, dass der Greifrollstuhl anlässlich der Versorgung mit dem E-Fix umfassend umgestaltet wurde, wodurch nachvollziehbar wird, dass er auch bei Entfernung des E-Fix jedenfalls seitdem nicht mehr für ein Trippeln geeignet ist. Seit welchem Zeitpunkt die Sitzhöhe dieses Rollstuhls auf 52
cm erhöht wurde - bereits 2002 oder erst 2006 - (zur Sitzhöhe
vgl. Gutachten des
Dr. G), ist ohne Bedeutung. Dieser Rollstuhl passt für die Körpergröße der Klägerin nach wie vor und ist auch nicht verschlissen. Die Ausstattung mit diesem Rollstuhl ist jedoch derzeit - bei der vorliegenden Leistungsklage ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgebend - nicht ausreichend, weshalb die Leistungsverpflichtung (der gesetzlichen Krankenversicherung) nicht erloschen ist. Aufgrund der veränderten Sitzhöhe des Greifrollstuhls Sopur Easy geht es der Klägerin auch nicht um die Versorgung mit einem zweiten Hilfsmittel gleicher Art als bloße Zweitausstattung, sondern um die Erfüllung eines allgemeinen Grundbedürfnisses.
Der Klägerin wird es mit dem begehrten Greifrollstuhl ermöglicht, sich im häuslichen Umfeld und in der Tagesförderstätte selbstständig fortzubewegen. Sie ist nicht in der Lage, sich sprachlich zu äußern und kann sich aufgrund der geistigen Behinderung selbst mit anderen nonverbalen Kommunikationsmitteln nicht zielgerichtet verständigen. Sie kann daher auch nicht zum Ausdruck bringen, dass sie sich zu Hause oder in der Tagesförderstätte von einem Ort zum anderen bewegen möchte. Dies wird ihr mit dem Greifrollstuhl jedoch ermöglicht. Der Sachverständige
Dr. G hat ausgeführt, dass es zur eigenständigen Fortbewegung nicht ausreicht, dass sie mit der linken Hand - die rechte Hand ist hinsichtlich Kraft und Feinmotorik hochgradig beeinträchtigt - das Antriebsrad betätigt, weil sie sich sonst im Kreis drehen würde. Sie ist daher für eine selbständige Fortbewegung darauf angewiesen, mit den Füßen den Boden vollständig zu erreichen. Sie kann sich dann durch Trippeln - überwiegend mit dem linken Fuß - zielgerichtet fortbewegen und ihren Bewegungsfreiraum dadurch ganz erheblich erweitern. Aufgrund ihrer Mehrfachbehinderung verfügt sie nämlich nicht über den Freiraum, der in der Regel durch einen handgetriebenen Rollstuhl eröffnet wird. Wesentlich ist auch, dass sie außerdem nicht mehr von der Hilfe fremder Personen abhängig ist, sondern sich selbstständig fortbewegen kann. Es ist ein wesentliches Ziel der Hilfsmittelversorgung, dass behinderte Menschen nach Möglichkeit von der Hilfe anderer Menschen unabhängig, zumindest aber deutlich weniger abhängig werden (
vgl. BSG, Urteil vom 24.05.2006 -
B 3 KR 12/05 R -, SozR 4-2500 § 33
Nr. 11; Urteil vom 12.08.2009 -
B 3 KR 8/08 R -, SozR 4-2500 § 33
Nr. 27). Diese qualitative Erweiterung ihres persönlichen Freiraums und des Umfangs ihrer selbstständigen Lebensführung zählt zu den Grundbedürfnissen. Die Klägerin ist jedenfalls in geschlossenen Räumen nicht an den Platz gebunden, wo sie "abgestellt" wird, sondern kann sich im Rahmen ihrer behinderungsbedingt sehr eingeschränkten Möglichkeiten fortbewegen, was ihren Bewegungsspielraum spürbar erweitert (
vgl. auch Bundesverfassungsgericht (
BVerfG), Kammerbeschluss vom 25.02.2009 -
1 BvR 120/09 - zu einem Elektrorollstuhl mit Mundsteuerung). Es geht vorliegend auch nicht um die Erhöhung der Bequemlichkeit der Pflegeperson, um Belange der Tagesförderstätte
bzw. des Krankentransports oder um einen bloß besseren Komfort im Gebrauch, was einen Versorgungsanspruch ausschließen könnte. Die Klägerin benötigt den Greifrollstuhl sowohl in der Tagesförderstätte als auch zu Hause (
vgl. Bericht des
Dr. S vom 06.04.2009), um ihre Bewegungsfreiheit zu erweitern. Die Klägerin kann aufgrund ihres Wachstums den vorhandenen zweiten Rollstuhl (Eurochair Hemi-spezial) nicht mehr nutzen und benötigt einen zum Trippeln geeigneten Rollstuhl. Dies hat die Beigeladene in der mündlichen Verhandlung vom 18.02.2011 ausdrücklich eingeräumt. Aufgrund der Behinderung sind auch eine angepasste Sitzschale, ein Beckengurt und ein Therapietisch notwendig. Auf ein bestimmtes Fabrikat ist die Klägerin nicht festgelegt.
Zwar besteht für den Behinderungsausgleich nur ein Anspruch auf die im Einzelfall ausreichend, zweckmäßige und wirtschaftliche Hilfsmittelversorgung (§ 12
Abs. 1
SGB V) und nicht auf eine Optimalversorgung. Eine kostengünstigere Alternative steht allerdings nicht zur Verfügung. Die Klägerin ist jedenfalls derzeit nicht ausreichend mit Hilfsmitteln versorgt. Selbst wenn an dem Aktivrollstuhl Sopur Easy der E-Fix Elektroantrieb abgenommen und die Antriebsräder durch die gleich großen manuellen Greifreifen (Schreiben der Beigeladenen vom 09.12.2009) ausgetauscht würden, würde sich die Höhe des Rollstuhl nicht verringern und die Klägerin könnte nach den Feststellungen des Sachverständigen
Dr. G mit ihren Füßen den Boden nicht vollständig erreichen. Eine Absenkung der Sitzhöhe des Aktivrollstuhls Sopur ist jedenfalls nicht mit wenigen Handgriffen möglich.
Der Senat hat nicht zu entscheiden, ob es ausreichend sein könnte, der Klägerin insgesamt einen Rollstuhl zur Verfügung zu stellen, der einerseits ein Trippeln im Innenbereich zu ermöglichen, andererseits eine Nutzung im Außenbereich - ggfs. mit elektrischer Schiebehilfe -, einschließlich des Erfordernisses, auch Hindernisse, wie
z.B. Bordsteine überwinden zu können, zu gewährleisten hätte. Über eine derartige Versorgung verfügt die Klägerin derzeit nicht. Ggfs. hätte die Beigeladene zu prüfen, ob sie ihre Bewilligungsentscheidungen hinsichtlich der Rollstühle Sopur Easy und Eurochair Hemi-spezial sowie des E-Fix Radnabenantriebs ändern (§ 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch -
SGB X -) und eine Neuversorgung gewähren kann. Hierbei wäre möglicherweise das Wahlrecht der Klägerin (§ 33 Satz 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch -
SGB I -) zu berücksichtigen, welches bei verschiedenartigen, aber gleichermaßen geeigneten und wirtschaftlichen Hilfsmitteln, von denen zur "ausreichenden" (§ 12
Abs. 1 Satz 1
SGB V) Bedarfsdeckung aber nur das eine oder das andere "erforderlich" im Sinne des § 33
Abs. 1 Satz 1
SGB V ist, eingreift (
vgl. BSG, Urteil vom 03.11.1999 -
B 3 KR 16/99 R -, SozR 3-1200 § 33
Nr. 1).
Ob der Beklagte der Klägerin das Hilfsmittel leiht oder übereignet (§ 33
Abs. 5 Satz 1
SGB V), bleibt seiner an Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten (§ 12
Abs. 1
SGB V) zu orientierenden Ermessensentscheidung überlassen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG.
Revisionszulassungsgründe nach § 160
Abs. 2 Nrn. 1 und 2
SGG liegen nicht vor.